Kloster und Bräuhaus
Kloster und Bräuhaus.
Das Bier ist bekanntlich eine Culturmacht ersten Ranges im Staate Baiern, und manche Arten desselben erfreuen sich eines Weltrufs – wahrlich nicht mit Unrecht. In der Haupt- und Residenzstadt München kann man sogar das Bier als das Hauptnahrungsmittel der unteren Classen bezeichnen.
So ist auch seine Erzeugung in München allmählich zu einer von der Wissenschaft gehobenen Kunst herangereift, mit besonderem Eifer aber haben sich schon seit alten Zeiten die Mönche, wie der Pflege des Weinbaues und der Fischzucht, auch dem Studium der edlen Brauerei hingegeben, wobei sie für alle durstigen Seelen beachtenswerte Resultate erzielten. Das beweisen einige noch heute bestehende Biersorten, welche, wie beispielsweise das Franziskaner- und das Augustinerbier, die Namen einzelner geistlichen Orden mit einem industriellen, aber fröhlichen Nimbus umgeben.
Es ist keine moderne Industriestätte, das Münchner Franziskaner-Bräuhaus, dessen eigentümliche Entwickelung wir unseren Lesern heute in aller Kürze mitzuteilen gedenken; seine Geschichte giebt vielmehr ein Bild, das mit der Entstehung und den Zielen ähnlicher privater, weltlicher Unternehmungen nur wenig Gemeinsames bietet; steht doch die Herstellung des edlen Gerstensaftes hier gewissermaßen im Dienste der geistlichen Idee, welcher das Kloster sich widmet. Das Franziskanerstift am Lehel ist aus einem Hieronymitenkloster entstanden, das von dem Mönch Onuphrius im Jahre 1687 am Wallersee gegründet wurde. Die bald nach der Entstehung des Klosters dem Orden erwachsende Concurrenz, namentlich von Seiten der Benedictiner von Benedictbeuren, veranlaßte die Uebersiedelung der Hieronymianer nach München. Die Bewohner des Lehels, eines Stadttheils der baierischen Metropole, dessen Bevölkerung ungewöhnlich zugenommen, richteten nämlich ein Gesuch an den Kurfürsten, die Berufung der Brüder nach München betreffend, dessen Genehmigung am 4. September 1725 erfolgte. Da aber der Bau der Kirche wie des Klosters ungewöhnlich lange [32] Zeit in Anspruch nahm, so behalfen sich zunächst die Hieronymianer, froh, aus der thatenlosen Einsamkeit des Wallersees erlöst zu sein, mit dem Wohnhause des damaligen kurfürstlichen Kammerdieners Delling. Der Saal dieses Hauses war zur Capelle hergerichtet, und die übrigen Zimmer reichten für drei Patres und einen Laienbruder gerade hin. Aus so kleinlichen Anfängen ist das nachmals so bedeutende Franziskanerkloster am Lehel erwachsen.
Im Jahre 1853, mehr als hundert Jahre nach Vollendung der früher im Rococostil gehaltenen Kirche, wurde dieselbe innen und außen einer völligen Umgestaltung unterworfen und namentlich die Façade mit den zwei Thürmen geschmückt, welche sie heute noch aufweist. Die Gestalt des Klosters dagegen war im Wesentlichen die noch heute erhaltene, da nur der nördliche, rechts vom Kirchenportale befindliche Flügel ursprünglich einstöckig war.
Die Hieronymianer bemühten sich besonders, Kranken die Tröstungen der Religion zu bringen. Um ihrem Gottesdienst einen neuen Reiz zu leihen, führten sie die St. Anna-Bruderschaft, welche sich durch die Kunst des Gesanges auszeichnete, bei sich ein, wozu sie schon am Wallersee einen vergeblichen Versuch gemacht hatten. So floß den Hieronymianern die Zeit in ihrer stillen Abgeschlossenheit hin, bis auch für sie der Tag der Auflösung gekommen war: Die französische Revolution, dieser Sturmwind des Geistes einer neuen Zeit, zerstörte mit so vielen anderen überlebten Culturfactoren auch die Klöster. Der Reichsdeputationsabschluß von 1803 beschloß, die durch Verlust des linken Rheinufers betroffenen Fürsten durch Kirchengut zu entschädigen, und so kam auch an die Hieronymianer die Reihe.
Wenn jedoch der Geist, der die große culturgeschichtliche Wendung des neunzehnten Jahrhunderts hervorrief, gegen die Hochburgen der mittelalterlichen Finsterniß einen rücksichtslosen Kampf eröffnete, so erfolgte dieser dennoch mit einer gewissen Humanität, und es durften sich daher auch die Hieronymianer bis Weihnachten 1807 im Kloster zu St. Anna ungestört aufhalten. Am genannten Datum war ihre Zahl freilich schon auf drei zusammengeschmolzen, und auch diese Drei mußten das Feld räumen, da 236 Mann Militär sofort ihren Einzug in die Klosterräume halten sollten. So wurde das Kloster St. Anna zur Caserne, die Klosterkirche aber harrte einer neuen Bestimmung. Sie wurde zunächst Pfarrkirche und erhielt sich diesen Charakter bis zum Jahre 1827, zu welcher Zeit in das Klostergebäude wiederum Ordensbrüder einzogen – und das kam folgendermaßen:
Unter den Mitgliedern der 1802 aufgelösten altbaierischen Franziskanerprovinz, die sich nicht entschließen konnten, das Kleid des heiligen Franziskus auszuziehen, wenn sie gleich darauf verzichten mußten, den Orden durch Aufnahme und Heranbildung neuer Mitglieder fortzupflanzen, befand sich auch der Provinzial der aufgelösten Ordensprovinz, Johann Nepomuk Glöttner. Dieser richtete 1826 eine Bittschrift an König Ludwig den Ersten von Baiern, welche die Erhaltung des Ordens insofern anstrebte, als sie um Erlaubniß zur Aufnahme von Novizen bat, da die seelsorgerische Verpflichtung an den Orten, wo sie noch geduldet wären, für die geringe Zahl der Brüder zu schwer sei. Dieses Gesuch fand höchsten Ortes ein geneigtes Ohr, und durch königliches Decret wurde ein Theil des damaligen Hieronymiten-Klostergebäudes am Lehel zur Errichtung eines Franziskanerklosters bestimmt, wie auch die theilweise Räumung des Gebäudes von Militär, sowie die Herstellung von geeigneten Localitäten zur Aufnahme von zwölf Vätern, sechs Laienbrüdern u. s. w. angeordnet wurde. Ferner wurde decretirt, daß die Pfarrkirche St. Anna am Lehel dem Kloster zum gottesdienstlichen Gebrauche überlassen werden sollte. So siedelten die Franziskaner von Ingolstadt nach München über.
Seit ungefähr dreißig Jahren ist mit dem Kloster eine Brauerei verbunden, welche das altbekannte Franziskanerbier liefert. Im Kloster selbst wurde ein kleiner Raum, das sogenannte „Bräustübl“,
[33][34] wie es unsere heutige Abbildung zeigt, hergerichtet, wo Begünstigte, die durch directe Beziehungen oder Empfehlungen Eintritt erlangten, das beliebte Bier aus directer Quelle schöpfen durften. Aber dieser alte Brauch ist jetzt eingestellt worden, wie denn das Münchener Leben mehr und mehr von seiner ursprünglichen Eigenart verliert. Die Klosterbrauerei producirt nur noch für den eigenen Bedarf und für den alten, in humanem Sinne ausgeübten Brauch der Barmherzigkeit. Noch heute werden in dem langen Gange des Klosters, der sich zu ebener Erde vor dem Eintretenden öffnet, Bedürftige ohne Unterschied des Alters und Geschlechts täglich zu gewissen Stunden mit dem durch seine Güte und Reinheit ausgezeichneten Bier erquickt. Die Patres selbst bedienen sie; in langer Reihe sitzen hier, wie unser größeres Bild darthut, die Stiefkinder des Glückes auf Holzbänken beisammen, Jedes den Krug erwartungsvoll in der Hand. Ueber ihnen leuchten Heiligenbilder von der Wand herab, und wenn durch die hohen Scheiben ein milder Sonnenstrahl diese Fülle menschlichen Elends verklärt, mag Mancher unter den Armen bei dem kräftigen Gebräu der Franziskanermönche wohl eine Weile seines Leids vergessen. So wirkt der einst so mächtige Orden in seinen Ueberbleibseln noch heute fort; ein Stück alter Culturgeschichte, das, an die Vergänglichkeit alles Irdischen mahnend, in das vorwärts stürmende Leben der Gegenwart hineinragt.