Die weiße Rose (Gartenlaube 1881)

Textdaten
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Autor: Henriette Keller-Jordan
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Titel: Die weiße Rose
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aus: Die Gartenlaube, Heft 2, 3, S. 28–31, 54–55
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die weiße Rose.

Episode aus dem mexicanisch-französischen Kriege.
Von H. Keller.

Am 10. Juni 1863 läuteten die Glocken fast aller Kirchen von Mexico. Die Läden waren geschlossen, und die Stadt trug ein festliches Gewand.

Die Franzosen hatten endlich nach unsäglich blutigen Kämpfen Puebla erobert und marschirten jetzt gen Mexico. Der glückliche Weihnachtstag von 1860, an welchem Ortega, der Stellvertreter von Juarez, der damals noch in Vera Cruz residirte, unter dem ungetheilten Jubel der liberalen Partei und von Kränzen und Blumen überschüttet mit seinen Truppen in die Hauptstadt eingezogen, war fast vergessen, und die Bevölkerung befand sich in jenem Zustande qualvollsten Gedrücktseins, in welchem man sich nur nach Veränderung sehnt, einerlei woher sie kommt. Die clericale Partei hatte ihre reichen Mittel aufgeboten, um die Straßen, durch welche die Truppen marschiren sollten, glänzend zu schmücken. Bunte persische Teppiche hingen von den Balconen hernieder, die, von Guirlanden und Blumen umwunden und von der tropischen Sonne beleuchtet, wohl im Stande waren, die Thränen und das Elend zu verdecken, welches sich hinter den Mauern der Stadt verbarg und nach Erlösung schrie.

Juarez hatte am 31. Mai die Stadt verlassen und sich mit den Trümmern seiner Truppen nach San Luis Potosi zurückgezogen. Wenn auch die größere liberale Partei unmöglich die Franzosen mit Freuden begrüßen konnte, so war doch davon an jenem geschmückten Tage nichts fühlbar. Auf den Hauptstraßen, durch welche der Zug passiren sollte, sah man unter den eleganten, weit ausgespannten Marquisen der Balcone die vornehme Damenwelt von Mexico in festlichen Toiletten schon stundenlang, bevor der Zug eintreffen konnte.

Die zahlreichen kostbaren Blumensträuße und Kränze in den Händen der Damen ließen darauf schließen, daß die schöne Welt von Mexico größtentheils der clericalen Partei huldigte; denn die Kinder Floras waren ohne Zweifel dazu bestimmt, die Säbel und Casquets der Franzosen zu krönen, die heute so festlich bewillkommnet in die Stadt ziehen sollten.

Unten in den Straßen drängte sich ein unabsehbares Menschengewoge, und die zur Ordnung mahnenden Posten hatten unsägliche Mühe, den angewiesenen Raum frei zu halten. Dicht an der Plaza municipal, auf dem Balcon eines der ersten und elegantesten Häuser der „Calle de Plateros“, welches sich ganz besonders durch sinnige und reiche Decoration hervorhob und einem namhaften Anhänger der clericalen Partei gehörte, umstanden einen behäbigen, vornehmen Priester drei reizende Frauengestalten. In ihren kleinen Händen hielten sie elegante Körbe, in denen die ausgesuchtesten Bouquets geordnet lagen, wie sie in der Mannigfaltigkeit und Pracht wohl nur der südliche Himmel hervorzaubern kann.

Die kleinste und hübscheste der drei Damen, mit schelmischem Gesicht und lachenden Grübchen, versuchte eben dem Priester ein großes Bouquet in die Hand zu drücken, indem sie lachend sagte: „für den tapfersten, schönsten Cavalier!“ Der Priester, dessen würdiges Gesicht sich zu einem leichten Lächeln verzog, nahm es nach einigem Sträuben an, hob es in die Höhe und versuchte es zu dem Nebenbalcon herüber zu reichen, welcher dicht an denjenigen stieß, auf welchem er sich mit den Damen befand, und welcher nur von einer einzigen Dame besetzt war. Sie trug tiefe Trauerkleider und ihre großen, dunklen Augen sahen gedankenvoll und fremd über die Masse, die da unten in der Straße auf und nieder wogte, als hätte ihre Seele keinen Theil an dem Glanze und der Freude, die sie umgab. Sie bemerkte die Absicht des Priesters nicht, und erst als die kleine Dame ihren Namen rief, erhob sie sich und trat an den benachbarten Balcon.

„Nehmen Sie das Bouquet, Sennorita,“ sagte der Pater, „Donna Rosita bestimmte es für den tapfersten und schönsten der Sieger; es würde doch keinen Werth für ihn haben von meiner Hand. Wie ich sehe, haben Sie ja auch gar keine Blumen zur Begrüßung für unsere Befreier und Erlöser von einer jahrelangen, unchristlichen Herrschaft.“

Bei den letzten Worten streiften seine Augen prüfend und durchdringend die feinen, durchgeistigten Züge des jungen Mädchens, welches da ohne jeden Schmuck, nur eine einzige weiße Rose am Busen, vor ihm stand.

„Wozu Blumen, Pater?“ erwiderte sie erregt; „ich liebe es nicht, fremde Männer mit Blumen zu überschütten, wenn das Herz keinen Theil daran hat. Ich werde nur einem einzigen Manne Blumen schenken,“ setzte sie lächelnd hinzu, als sie bemerkte, wie des Paters Züge sich verfinsterten, „dem Manne, den ich liebe.“

„Und das wird nie ein Franzose sein,“ sagte Rosita und blickte schelmisch in der Freundin hübsches, charaktervolles Gesicht.

„Warum kein Franzose?“ fragte der Priester, indem er abermals seine stechenden Augen lauernd über die Züge des Mädchens gleiten ließ.

„Weil Conchita im Herzen zu den Liberalen hält, Pater,“ sagte jetzt die größere der drei Damen, eine ziemlich verblichene Schöne mit unangenehmen Zügen. „Weil sie vor dem Tod ihrer Mutter, ehe sie nach Mexico in das Haus ihres Onkels kam, nur mit Liberalen verkehrte und diese ihr Dinge in den Kopf gesetzt haben, Dinge von Priesterherrschaft, Volksbeglückungswahn und so weiter, von welchen sie noch nicht genesen ist und die ihr von Zeit zu Zeit Congestionen verursachen. Hat sie doch sogar ihren Brillantschmuck, das Einzige, worüber sie verfügen konnte, Gonsalez Ortega in die Hand gespielt, als er mit seinen Truppen nach Puebla zog. Ja, ja, Conchita,“ fuhr sie milder fort, als sie sah, wie ihr Opfer erbleichte und sich ihr ein schmerzlicher Zug um die Mundwinkel lagerte, die erst vor kurzer Zeit am Sterbebett der Mutter in bitterstem Weh gezuckt, „Du siehst, es bleibt nichts ein Geheimniß; Du würdest auch sonst sicher an dem heutigen Tage die Brillanten tragen, die Dein Onkel so sehr liebt.“

„Mein Onkel weiß, daß zu den Trauerkleidern, die man um eine Mutter trägt, keine Brillanten passen, Julita,“ sagte sie verächtlich und wandte den Blick nach der Straße.

Ein lauter Tusch trieb die Menge auf der Straße aus einander; die Damen drängten sich an die Balustraden der Balcone, und der bekannte Siegesmarsch ließ sich vernehmen. Die glänzenden Helme der ersten Reiter leuchteten auf der Plaza municipal, und ein donnerndes Hoch begrüßte die Truppen, die, wie die Vernünftigen schon damals wußten und die Anderen sich nur zu bald überzeugten, dem Lande kein Glück bringen sollten.

Es war vielleicht zum ersten Mal, daß die Mexicaner geordnetes Militär, wirklich theilweise sehr schöne Leute mit guten blankgeputzten Uniformen, sahen; das Volk, welches die Straßen füllte; sperrte Mund und Augen auf, und der Jubel wollte in der That kein Ende nehmen.

Conchita sah gleichgültig über die glitzernde Menge, die mit rauschender Musik vorüberzog, aber der Groll, den sie gegen die Feinde ihrer Gesinnungen im Herzen trug, fing an sich etwas zu dämpfen, als sie in die vielen fieberkranken, vom Klima verwüsteten Gesichter schaute. Nur von Zeit zu Zeit warf sie einen unbegreiflichen Blick auf die Damen in ihrer Nachbarschaft, die ihre [29] Blumenkränze in so reicher Fülle auf die sich hebenden Säbel der Officiere senkten und mit ihren schönen Augen die Blicke erwiderten, mit welchen diese ihnen dankten.

Mancher Officier hatte vergebens zu ihr aufgeschaut, zu ihr, die mit den großen träumerischen Augen für keinen Einzigen ein Zeichen der Freude und des Willkommens hatte.

Ein Schreien und Jauchzen der Menge weckte sie aus ihren Gedanken. Die Afrikaner! Die Zuaven mit ihren dunklen Gesichtern und rothen Turbanen, in welchen sie theilweise kleine Hunde trugen, wurden sichtbar, und von dem Volke mit ungeheucheltem Erstaunen begrüßt. Conchita bog sich neugierig über die Balustrade; die Officiere des Generalstabes, welche den Afrikanern voranritten, hoben die Säbel als Zeichen des Grußes, und sie neigte unwillkürlich das Haupt.

Der bleiche blonde junge Mann, der als Adjutant zwischen den Officieren ritt und unter den dunkel gebräunten Gesichtern merkwürdig abstach, sah lange zu ihr hinauf – sein Säbel vergaß sich zu senken, und als Conchita ihren Kopf tiefer bog, um die Röthe ihres Angesichts zu verbergen, knickte die weiße Rose an ihrer Brust und fiel zu Boden.

Sie fuhr erschrocken in die Höhe, aber ihre Blicke trafen zwei tiefe, schwärmerische, blaue Augen. Der bleiche Adjutant drückte die Rose, die eben noch an ihrer Brust geruht, an seine Lippen, indessen Rosita’s schönstes Bouquet von den Hufen der Pferde zerstampft am Boden lag.

„Conchita giebt nur einem Einzigen ihre Blumen, dem, dem sie auch ihr Herz zu eigen giebt,“ spöttelte Rosita, deren schlauen Augen der schöne Adjutant nicht entgangen war, und ihr helles Lachen klang harmonisch zwischen den Trompeten und Pauken der Musikanten.

Conchita sah nichts mehr. Wie im Traum blickte sie auf das Gewoge da unten; sie hätte vielleicht nicht einmal bemerkt, daß das Militär längst vorüber war, wenn sich nicht ein weicher Arm um ihren Hals gelegt hätte – es war Rosita, die unter einem glühenden Kusse um Verzeihung bat. In ihrem Herzen trug sie zum Erschrecken klar das Bild des blonden französischen Adjutanten, und sie haßte ihn mit aller Gewalt ihres leidenschaftlichen Seins.




Einige Tage später stand Conchita festlich geschmückt vor dem großen Spiegel ihres Ankleidezimmers. Die Trauergewänder, die sie beinahe ein Jahr getragen, hatte sie auf den ausdrücklichen Wunsch ihres Onkels heute mit dem elegantesten Gesellschaftsanzug vertauscht; denn sie sollte ihn zu dem officiellen Diner begleiten, welches die vornehme Welt Mexicos heute den Generälen Bazaine und Forsey zu Ehren gab, den mit Bewunderung gekrönten Siegern von Puebla.

Ein weißes, schweres Atlaskleid umschloß knapp die feine Taille; die vollen Schultern hoben sich in tadelloser Schöne aus dem glänzenden Weiß, und die reiche Spitzengarnitur, welche beinahe bis auf die Schleppe fiel, wurde von einer Guirlande weißer Rosen gehalten; auch in ihrem glänzend schwarzen, in fast übermäßiger Fülle prangenden Haar lag als einziger Schmuck – eine weiße Rose. Ihre dunklen, großen Sammetaugen übersahen wehmüthig die Gestalt, die heute zum ersten Male wieder festlich geschmückt in die Welt treten sollte – ohne die Mutter.

„Und Deine Perlen, Conchita?“ fragte ihre Tante, eine alte Dame in grauem Seidenkleide, deren vergilbten Hals ein schweres Diamantcollier umschloß.

„Meine Perlen, Tante?“ wiederholte das Mädchen etwas erbleichend, indem sie vom Spiegel trat und zu der Dame hinüberschaute, „ich will heute ohne Schmuck gehen – ich –“

„Nun – ich? Sprich es nur aus, Conchita, was man sich bis hinab in die Küche zuflüstert – ‚ich habe meine Perlen jenen Verruchten, jenen Gottesleugnern gegeben, welche keinen anderen Zweck haben, als unsere Kirche zu stürzen‘“

Conchita’s Lippen zuckten; eine jähe Blässe zog über ihr Gesicht, aber nur einen kurzen Moment; dann hob sich ihre schlanke Gestalt, und mit sprühenden Augen und vibrirender Stimme sagte sie fest und bestimmt:

„Ja, Tante, ich habe Alles, was ich an Schmuck und Perlen besaß, da Ihr es ja doch einmal wißt, jenen Ehrenmännern gegeben, die den Muth haben, wahrhaftig nicht Gott zu lästern, nein, der Priesterherrschaft die Gewalt aus den Händen zu nehmen, an der Gott keinen Theil hat. Meine Freunde wollen nichts Böses; sie wollen das arme, geknechtete Volk aus Staub und Unwissenheit ziehen, damit es ehrlich arbeiten könne, wie andere Nationen, damit es fühlen lerne, daß seine Kinder Menschen sind wie wir, Menschen mit Menschenwürde. Meine Freunde wollen dem Volke helfen, endlich den Gott der Liebe und Allbarmherzigkeit wiederzufinden, an welchen es sonst verlernen müßte zu glauben.“

Dios mio, Dios mio!“ Das war Alles, was sich von den Lippen der alten Dame rang, als sie diese Sprache hörte, die noch nie aus solchem Munde ihr Ohr berührt hatte, und ihre mageren Finger machten das dreifache Kreuz, damit das Gift dieser Worte nicht ihre Seele verderbe. Was war mit dem Mädchen geschehen, und wer hatte sie diese kühne Sprache gelehrt, die Padre Garcia als die des Teufels bezeichnete?

„Kind,“ sagte sie endlich, „das ist nicht die Sprache Gottes, und morgen mußt Du mit Padre Dionisio beichten und demüthigend die Strafen der Buße erdulden, die er über Dich verhängen wird.“

„Kein Wort weiter, Tante,“ warf Conchita heftig ein, „oder ich reiße diesen Plunder herunter, und kein Gott wird mich mehr dazu zwingen, eine Gesellschaft zu besuchen, deren Principien ich verachte. Ich weiß, daß ich nur ein ohnmächtiges Mädchen bin; deshalb füge ich mich dem Onkel und seinen Wünschen, aber meinen Ansichten bleibe ich treu, trotz allen Padres der Welt – das werde ich morgen Padre Dionisio sagen, falls es ihm einfallen sollte, mich darüber zur Rede zu stellen.“

Tante Pepita schwieg und gedachte des ausdrücklichen Befehls ihres Bruders, das Mädchen nicht zu reizen und nichts von ihr zu erzwingen. Die Pläne, die er mit ihr und ihrem bedeutenden Vermögen hatte, erheischten bei ihrem Charakter Vorsicht, und vor allen Dingen durfte ihr Mißtrauen nicht geweckt werden. Als die alte Dame das überdachte, fürchtete sie schon fast, zu weit gegangen zu sein.

„Kleiner Brausekopf – gerade wie Dein Vater!“ sagte sie und strich dabei zärtlich über Conchita’s glänzendes Haar. „Er bestand auch eigensinnig auf seinen Principien und stürzte sich so in einen frühen Tod, aber die Zeit wird Dich schon abkühlen und vernünftig machen.“

„Vielleicht auch nicht,“ sagte das Mädchen leise; „vielleicht ist es unser Fatum an unserem eigenen Ich zu Grunde zu gehen.“

Conchita hatte ihre Tante trotz deren fanatischen Anschauungen lieb; sie schwieg deshalb, und als ihr Onkel laut an die Thür klopfte, um die Damen zum Wagen zu geleiten, legte sie ebenso ruhig wie Tante Pepita ihren Arm in den seinen.

Die vornehme, aristokratische Welt in Mexico wußte nicht, mit welchen Ehren sie nach den letzten bitteren Jahren, während welcher Juarez das Staatsruder so energisch in der Hand gehabt und so verheerend unter die Kirchengüter gefahren war, die Befreier feiern sollte. Feste verdrängten Feste, und überall zog man die Damen hinzu, um den Ovationen mehr Glanz und Mannigfaltigkeit zu verleihen, vielleicht auch, um politische und religiöse Gespräche zu vermeiden, die so leicht in einer aufgeregten Zeit zu Erbitterungen führen.

Als Don Francisco Carbajal seine Schwester und Nichte in den großen Saal des Hotel Iturbide führte, war der letztere schon fast ganz von Gästen angefüllt. Es gab ein Begrüßen und Vorstellen, und ehe man sich versah, waren die Paare in den großen Eßsaal spaziert, in welchem die pomphaft ausgestattete Tafel auch das verwöhnteste Auge blendete.

Don Francisco hatte den Arm seiner schönen Nichte in den eines jungen Cavaliers gelegt, von dem sie schon oft in ihres Onkels Hause hatte reden hören, der aber erst kürzlich von Paris zurückgekehrt und den sie heute zum ersten Male sah. Er war ein Neffe des reichen und vornehmen Hauses der Rubio, und wie Conchita vermuthete, zu ihrem zukünftigen Gatten bestimmt.

Sie hatte die letzten Jahre mit ihrer Mutter in San Luis Potosi gelebt und, wie man wohl an ihrer ausgesprochenen politischen Richtung erkennen konnte, in anderen Kreisen verkehrt, als diejenigen waren, in welche sie jetzt von ihrem Onkel eingeführt wurde.

In dem Freundeskreise ihrer Eltern hatte mehr Sinn für wissenschaftliche und ernste Bestrebungen geherrscht, als es gewöhnlich in Mexico der Fall war, und namhafte Männer der liberalen Partei hatten ihr in täglichem Verkehr nach und nach Verständniß für Vieles geweckt und Ideen in ihr zur Reife gebracht, [30] die in grellem Widerspruch zu denen standen, die sie hier vertreten hörte. So lange ihre Mutter lebte, hatte sie nicht an die Zukunft gedacht, sie wußte kaum, daß sie eine reiche Erbin war, und selbst jene kleinen Tändeleien des Herzens waren ihr fremd gebleben, mit welchen sonst die Jugend so gern die Zeit auszufüllen liebt.

Die ernsten Zeitströmungen der letzten Jahre, das Erwachen des mexikanischen Volkes aus dem dumpfen Schlafe, in welchem es eine fanatische Priesterherrschaft, beinahe seit Cortez, gefangen gehalten, hatte ihrer Eltern volle Sympathie in Anspruch genommen und die Tochter, mit so vielen bedeutenden Eigenschaften begabt, fand für die Ausfüllung ihrer Zeit genug Interessantes.

Die ersten Monate nach ihrer Mutter Tod war sie bei einer befreundeten Familie in San Luis Potosi geblieben - dann, als sie nach Mexleo in das Haus ihres Onkels kam, hatte ihre Trauer ihr gestattet, allen Vergnügungen fern zu bleiben, die auch ohne dies während der Herrschaft von Juarez unter der Aristokratie auf ein kleines Maß beschränkt blieben.

Der junge Mann, an dessen Arm Concha zu Tisch gegangen und den man ihr als „Don Miguel Pradel y Rubio“ vorgestellt, war der echte Typus eines mexicanischen Cavaliers. Er überschüttete sie mit Artigkeiten und Schmeicheleien, die Concha, welche an ernstes Denken gewöhnt war, fast lächerlich vorkamen.

General Bazaine brachte eben ein Hoch auf den Kaiser von Frankreich und auf das Wohl der Republik Mexico aus.

Don Miguel bog sich zu seiner Nachbarin.

„Auf das Wohl unseres Landes, Sennorita!“

Concha wollte anstoßen, aber ihre Augen trafen am Ende des zweiten Tisches auf einen Officier in eleganter Uniform, der sie unaufhaltsam fixirte. Ihre Hand bebte, und das Glas fiel klirrend zu Boden.

„Ist Ihnen unwohl geworden, Sennorita?“ fragte Don Miguel besorgt.

„Ich danke, es war nur ein plötzlicher Schwindel – er ist schon vorüber.“ Und abermals suchten ihre Augen unwillkürlich jene Richtung, in welcher der blonde Adjutant saß – der Räuber ihrer Rose. Sie war ärgerlich über sich selbst, sie wollte den jungen Mann ignoriren, dessen Blicke, das fühlte sie, so unaufhaltsam heiß auf ihr ruhten. Sie begann eine Unterhaltung mit ihrem Nachbar; sie hätte um Alles gern dem Unverschämten zeigen mögen, wie sehr sie ihn und seine Cameraden verachtete, wie sehr sie jene Richtung haßte, in deren falschem Lichte sich diese Eindringlinge heute sonnten.

„Haben Sie schon jenen bleichen Officier am oberen Ende des andern Tisches bemerkt?“ fragte ihr Nachbar. „General Bazaine hat ihn zum Adjutanten in seinem Generalstab ernannt, weil er sich so glänzend bei Puebla ausgezeichnet.“

„Mich interessiren die Franzosen nicht.“

Don Miguel sah sie betroffen an.

„Wenn ich das als eine Gunst für mich deuten darf, Sennorita, dann danke ich Ihnen,“ und sie ließ es geschehen daß er ihre Hand an seine Lippen zog.

Conchita verstand ihn nicht. Sie blickte träumerisch in seine Augen und dachte dabei an den bleichen Franzosen, der das Blut Derjenigen vergossen, mit deren Hoffnungen auch ihre heißesten Wünsche gegangen waren.

Ihr Onkel, dessen Lieblingsplan es war, da er selbst keine Kinder hatte und Conchita auch seine Erbin wurde, sie mit Don Miguel vermählt zu sehen, war glücklich über das gute Einvernehmen, in welchem er die Beiden sah, wenn er von seinem Platz aus zu ihnen herüberspähte. Er war in heiterster Laune, und als die Tafel aufgehoben wurde, stellte er die sämmtlichen Generäle, die sich um einen kleinen, auserlesenen Kreis geschaart, seiner Nichte vor.

Concha verbeugte sich kalt und vornehm und beantwortete die wenigen Worte, welche dieselben an sie richteten, im tadellosesten Französisch höflich, aber kurz.

„Conchita, meine Liebe, Monsieur de Brunne, einer unserer tapfersten Sieger von Puebla.“

Ein kurzes eisiges Neigen des Kopfes.

Der junge Mann, der vor ihr stand und abermals seine Augen tief in die ihren senkte, war der bleiche Adjutant, derjenige von allen Officieren, den sie am tiefsten haßte.

Er sprach gewandt und lange mit Don Miguel, welcher neben ihr stand, wußte meisterhaft seine etwas beißenden Bemerkungen zu widerlegen und ihm von feinem, dem französischen, Standpunkte aus die Sache ganz anders zu beleuchten, als es von mexicanischer Seite der Fall sein konnte. Er meinte, daß es für die Republik und das Volk nur ein Glück wäre, wenn eine stärkere Macht die Zügel in die Hand nähme und –“

„Unser Glück, Sennor, kann uns niemals von Frankreich kommen,“ warf Conchita erbittert ein.

„Warum nicht von Frankreich, Sennorita ?“

„Weil ich nicht glaube, daß die geringste Sympathie zwischen Franzosen und Mexikanern möglich ist.“

„Glauben Sie das wirklich nicht, Sennorita? Mir ist es im Gegentheil, seitdem ich den Fuß in die mexikanische Hauptstadt gesetzt, als ob in unsern Herzen eine tiefe Sympathie für dieselben möglich wäre.“

Jähe Gluth färbte bei diesen Worten sein bleiches Gesicht, und seine Augen trafen abermals die der jungen Dame, die in fast noch dunklerem Feuer groß und gedankenvoll auf ihm ruhten.

„Don Miguel,“ sagte Concha plötzlich, „suchen Sie Tante Pepita und sagen Sie ihr, daß ich müde bin und sie bitte, mit mir nach Hause zu fahren!“ Dann wandte sie sich zum Gehen, aber als sie sich kalt vor Monsieur de Brunne verneigen wollte, ergriff Dieser ihre Hand, und indem er sie an seine Lippen zog, flüsterte er leise und nur ihr verständlich.

„Und wenn Sie auch Frankreich und seine Soldaten hassen, Sennorita, die Rose, die einst an Ihrem Herzen geruht, wird doch das Theuerste sein, was ich mit mir nehme in mein Vaterland.“

Ein hochmüthiger Blick und eine eisige Verbeugung war Alles, was sie erwiderte, die Stelle aber auf ihrer Hand, wo seine Lippen geruht, brannte ihr bis in's Herz hinein.

Sie saß im Wagen neben ihrer Tante und hatte keine Erinnerung seit dem Momente, wo sie den Saal verlassen hatten.

Wo war sie? Träumte sie? Oder gab es einen magischen Zauber, der gewissen Menschen eigen und mit dem sie ein anderes Dasein umstricken können? Sie fühlte, daß ihr ganzes Wesen in unerklärlichem Aufruhre war, daß sie diesen Franzosen haßte und daß die Rose wieder in ihren Besitz kommen mußte.




Wochen waren vergangen. Der blonde Adjutant war täglich um dieselbe Stande auf der Promenade an Concha's Wagen vorübergeritten, und sie hatte mit einem kalten Neigen des Kopfes seinen Gruß erwidert.

O, sie konnte unter all den vielen Reitern die Hufschläge seines Pferdes unterscheiden, und wenn dann sein feiner Kopf mit dem blonden Vollbart sichtbar wurde, das Antlitz, wie es ihr schien, täglich noch um eine Nüancirung bleicher, dann schlug ihr Herz lauter und ihre Lippen zuckten. Sie nahm sich jedesmal vor, ihm zu zeigen, wie sehr sie ihn haßte, sich zurückzulehnen in den Wagen, ohne ihn anzusehen – doch die Gewalt, die er über sie übte, war stärker, als ihr Wille. Sie preßte ihre Hand auf ihr Herz, aber ihre Augen begegneten den seinen, sie konnte ja schon nicht anders der Tante wegen – sie neigte nach europäischer Sitte leicht das Haupt und grüßte ihn.

Don Miguel war seit jenem Diner im Hotel Iturbide der tägliche Gast in ihres Onkels Hanse. Sie gewöhnte sich nach und nach an seine Gesellschaft, nahm seine Ritterdienste an, verplauderte mit ihm die müßigen Stunden und erlaubte ihm, Abends in der Oper hinter ihrem Stuhle zu lehnen und mit ihr über die Musik und die Sängerinnen zu conversiren. Sprach sie bei Gelegenheit mit Lebhaftigkeit über ihre politischen Ansichten, von ihrem Unverständniß der clericalen Bestrebungen und ihrer Mißbilligung der französischen Intervention, so lächelte Don Miguel und machte ihr Complimente über ihre interessante Beredsamkeit, bei welcher ihre Augen noch feuriger glänzten, noch schöner leuchteten, als gewöhnlich.

Er selbst war bis zur Narrheit in Conchita verliebt; ihre Ansichten genirten ihn keinen Augenblick. War sie erst seine Frau – nun, so würden schon ernstere Dinge ihr diese revolutionären Ideen vertreiben. Pater Garcia, der kluge Priester, verrieth keinen Augenblick Concha gegenüber, wie sehr er ihre Ansichten kannte und mißbilligte, und hatte ihrem Onkel den weisen Rath gegeben, sie ruhig gewähren zu lassen, ihr nicht zu widersprechen, damit sie ihre Hand ohne Argwohn in die Don Miguel's lege, nachher [31] wolle er, der gestrenge Beichtvater aller verheiratheten Familienglieder, schon seine wuchtige Hand auf ihr sündiges Haupt legen und sie zum Gehorsam und zur Demuth zwingen.

Dieses große Vermögen mußte in einer clericalen Familie angehäuft bleiben unter Leuten, auf welche man sich zu allen Zeiten verlassen konnte.

Die katholische Kirche in Mexico empfing nicht umsonst ihr Blut aus der großen Pulsader Roms; sie verstand es meisterhaft auch im Kleinen für ihr Heil zu arbeiten; das hatte man nie klarer gesehen, als damals, einige Jahre früher, als Juarez die Kirchengüter dem Staate einverleibte und es sich herausstellte, daß mehr als zwei Dritttheil der ganzen Republik Eigenthum der Kirche war.

Es gab eine Zeit, in welcher Conchita sich vorgenommen, sobald sie mündig sei, den Liberalen nach San Luis Potosi zu folgen und, wenn es sein müsse, ihr Vermögen zu opfern.

Aber diese Idee war eingeschlummert seit dem Einzug der Franzosen. Conchita war seitdem auffallend erregt und nachdenkend geworden, und ihr Hauptgedanke war der, den Bann zu lösen, welchen dieser Franzose auf sie ausübte, die Rose wieder in ihren Besitz zu bekommen und ihm dann einmal offen ins Gesicht zu sagen, wie sehr sie ihn hasse.

Ihr Onkel freuete sich ihres veränderten Wesens; er schloß einfach daraus, daß sie Don Miguel liebe und daß es nur noch des letzten bindenden Wortes bedürfe.

Alle seine Pläne schienen herrlich in Erfüllung gehen zu wollen. Bald sollte einem deutschen Fürstensohne die mexikanische Kaiserkrone auf das Haupt gesetzt und so diesen ewigen Revolutionen ein Ende gemacht werden, und auch in seinem Hause sollte in Zukunft eine junge reizende Frau präsidiren.

Conchita hatte Monsieur Henri de Brunne auch in verschiedenen Gesellschaften wiedergesehen, sie hatte gehofft, daß er sich ihr nähern und sie eine Gelegenheit finden würde, ihm die Bitte auszusprechen, er möge ihr die Rose zurückgeben, die ihr Eigenthum war.

Es war fast eine fixe Idee bei ihr geworden, daß der Verlust der Rose mit dem ewigen, ungeduldigen Nagen ihres Herzens in Verbindung stehen müsse, und sie sehnte sich nach den verwelkten Rosenblättern, wie der Verfolgte nach dem sicheren Hafen der Ruhe.

Aber der bleiche Adjutant hatte nach ihrem letzten unzweideutigen Betragen gegen ihn keinen Versuch mehr gemacht, sich ihr zu nähern. Er hatte auf keinem der verschiedenen Bälle das schöne Mädchen um einen Tanz gebeten – und doch, wenn ihre Blicke, wie vom Zauber getrieben, ihn suchten, dann hingen die seinen an ihr und folgten jeder Bewegung ihrer elastischen Gestalt.

Aber warum beunruhigte sie seine Nähe?

Warum lauschte sie mit hochklopfendem Herzen jedem Worte, welches ihre Ohren von ihm erhaschen konnten, und verfolgte fieberhaft die Unterhaltungen, die er mit seinen Kameraden oder andern Damen führte, und die trotz dem Aerger, den sie über ihn empfand, sich doch unauslöschlich in ihr Gedächtniß gruben? Waren denn seine Ansichten, seine Lebensanschauungen, seine Begriffe von Ehre so eigenartig, so durchaus edel und hochherzig? Sprach er nicht vielmehr oft Gedanken aus, die auch in ihrer Seele geschlummert, aber für die sie nie einen Ausdruck gefunden?

Don Miguel’s Plaudereien an ihrer Seite, die sie nie aufregten, nie beunruhigten, waren ihr fast eine Erholung. Sie lächelte ihm dankbar entgegen, wenn er ihr, wegen ihres bleichen, erregten Aussehens besorgt, den indischen Shawl um die schönen Schultern legte, sie zum Wagen geleitete und sie so aus dieser Qual erlöste, dem bleichen Adjutanten nahe zu sein. –

Die Regenzeit, die schönste Zeit im Jahre, nahte ihrem Ende, und Conchita folgte eines Morgens um so lieber der Einladung Don Miguel’s und der übrigen Freunde zu einem Ausritt nach dem Schlosse von Chapultepec, als jetzt die Ueppigkeit der Vegetation ihren Höhepunkt erreicht und ein Aufenthalt in der unvergleichlichen Umgebung des Schlosses ein wirklicher Hochgenuß war.

Sie ritten also hinaus in die herrlich blühende Natur. Rosita zog die Freundin, nachdem sie von den Pferden gestiegen waren, unter die breit ausgestreckten Aeste riesiger tropischer Bäume, die nicht weit vom Eingange zum Schlosse ihren Schatten ausbreiten. Noch hing an den Farren und Blüthen der Thau der Nacht, wie schwere Thränen, und glitzerte in den einzelnen, durch das Geäst brechenden Strahlen. Es war ein unvergleichlich schöner Morgen.

Don Miguel trat leise hinter die Geliebte, und sie wehrte ihm nicht, als er, von der Schönheit der Natur angeregt, in seligem Entzücken ihre Hand in die seine nahm.

Feine smaragdgrüne Colibri schwirrten von Zeit zu Zeit durch die Luft und wiegten sich in den Blüthenkelchen der riesigen Fuchsien, die in ungezügelter Wildheit zwischen den großen Farren und Verbenen wucherten.

Concha schwelgte in einer Ruhe des Herzens, wie sie solche schon lange nicht mehr empfunden hatte.

Die drei Herren, welche die Damen begleiteten, hatten sich nach einer Weile um den auf einem Steine improvisirten Frühstückstisch gelagert und ihre Cigarren angezündet, während die junge Frau bemüht war, die von dem Diener mitgebrachten Speisen so einladend wie möglich auf demselben zu ordnen. Conchita streifte im Gebüsche herum und ordnete zwischen den grauen Schmarotzerpflanzen, die ihr Don Miguel von den Riesenbäumen abgelöst, bunte Blumen, wie sie in der Regenzeit auf jedem dürren Felsen in unvergleichlicher Mannigfaltigkeit prangen. Sie war, in Gedanken versunken, einen ungeordneten Pfad hinaufgeklettert, der auf Umwegen bis hinauf zum Schlosse führte, und bog eben in einen von hohen Gebüschen umgebenen Platz ein, der sie wegen seiner geheimnißvollen Einsamkeit anzog.

Aber kaum hatten sich die Gebüsche hinter ihr geschlossen, als sie zurückprallte und doch wieder, unfähig einen Fuß zu rühren, wie gebannt stehen blieb; denn vor ihr stand ein junger Mann, welcher sich ehrfurchtsvoll verbeugte, und der kein Anderer war, als Monsieur de Brunne, der französische Adjutant. [54] „Man kann seinem Fatum nicht entgehen, Sennorita,“ sagte de Brunne galant, „aber ich bedauere es von Herzen, daß mein Anblick Ihnen diesen idyllischen Morgen verbittern mußte,“ und er bückte sich, um die Lichtung zu gewinnen und dem jungen Mädchen den in der That reizenden Platz zu überlassen.

„Ich beabsichtige nicht, Sie zu stören, Sennor,“ sagte sie kalt, aber doch mit einem merklichen Beben der Stimme, welches auch Henri de Brunne nicht entging und ihm vielleicht den Muth gab, stehen zu bleiben und einen prüfenden Blick auf ihre vom frischen Morgen belebten, wunderschönen Züge zu werfen. „Ich möchte Sie im Gegentheil um ein paar Worte bitten, Sennor,“ fuhr sie zögernd fort, „zu welchen ich bis jetzt vergebens die Gelegenheit suchte.“

Des Franzosen feines Gesicht überzog eine jähe Gluth, aber dennoch vermochte er nichts zu sagen und neigte nur ehrerbietig sein Haupt.

„Ich fühle mich bedrückt,“ fuhr sie immer langsamer und stockender fort, „in Ihrem Besitze etwas zu wissen, wozu Sie keine Berechtigung haben, Sennor, das nur ein unglücklicher Zufall Ihnen in die Hände gespielt –“

„Und wovon Sie glauben,“ unterbrach sie jetzt der Franzose erregt, „daß ich nicht werth bin, es zu besitzen. Sie meinen doch die Rose, Sennorita?“

„Ja, die Rose, die ich keinem Franzosen, keinem Feind meines Vaterlandes lassen darf,“ und die junge Dame erhob das Haupt mit kaltem Stolze – jeder Anflug von schüchterner Verlegenheit war aus ihren Mienen verschwunden.

„Wenn es aber nun nicht der Franzose, der Feind Ihres Vaterlandes, ist, Sennorita, der Sie darum bittet,“ sagte jetzt Monsieur de Brunne weich, in dem wunderschönen Anblick des Mädchens versunken, dessen Bild sich von der ersten Stunde an so unauslöschlich tief in sein Herz gesenkt. „Wenn ich Ihnen sage, daß mich keine Eroberungssucht nach Mexico trieb, sondern neben unglückseligen Verhältnissen die Sehnsucht nach dem Meere, nach fremdem Lande und tropischem Himmel – würden Sie mir auch dann die Rose verweigern, Sennorita?“

Ein unerklärliches Etwas bäumte sich in der Brust des leidenschaftlichen Mädchens auf – ein Gefühl, halb Himmel, halb Hölle. Ihre Augen ruhten feucht auf dem fernen Gebirge. Wollte sich da eine wunderbar leuchtende Sonne hervordrängen, die in ihrem Herzen einen Abglanz fand? Schon legte sich ein weicher, verklärender Zug um ihre Lippen, ein Zug von ungesprochener, unsagbarer Seligkeit – dann wandten sich ihre Blicke ab von der schönen freien Gotteswelt und fielen starr, wie aus allen Himmeln gerissen, auf die französische Uniform ihr gegenüber.

Ein eisiges: „Auch dann nicht,“ drängte sich gewaltsam über die Lippen, die jetzt ein dunkler Schatten von bitterem Trotz verzerrte, und jeder verklärende Glanz war verschwunden.

„Auch dann nicht!“ wiederholte der Franzose mit gesenktem Antlitz, in dem eine Welt tiefen Weh’s lag.

Sie standen sich einige Augenblicke schweigend gegenüber.

„Donna Conchita,“ sagte endlich Henri de Brunne, „lassen Sie mir die Rose; ich bitte Sie – sie soll, von der Erinnerung an Sie geheiligt, mein liebstes Andenken sein.“

„Ich kann nicht,“ sagte sie weicher als vorher. „Ich darf diese Rose nur dem Manne schenken, den ich – liebe.“

„Und das ist, Sennorita?“

„Das darf niemals ein Franzose sein, so wahr mir Gott helfe!“ und die Stimme, die diese Worte sprach, hatte nichts von dem musikalischen Klang, der sie sonst so bezaubernd machte.

Der Adjutant hatte sein Portefeuille von der Brust genommen, mit bebenden Fingern schlug er es aus einander und gab ein Blatt des feinsten Seidenpapiers, zwischen dessen Falten eine welke Rose lag, in der jungen Dame Hand; dann verbeugte er sich und ging.

Als er die Lichtung gewonnen hatte, schaute er noch einmal zurück. Das schöne Mädchen stand noch auf derselben Stelle wie zuvor; in der einen Hand hielt sie die lebensfrischen Blumen, die sie vorher im Bosquet gepflückt, zwischen den bebenden Fingern der anderen die weiße Rose. Ihre Augen waren wie abwesend in die Ferne gerichtet, groß, träumerisch.

Ein helles Lachen weckte Concha aus ihren Träumen. Es war ihre Freundin Rosita, die nun mit Don Miguel ernstliche Versuche machte, sie aufzufinden; sie barg hastig die Rose in den Falten ihres Reitkleides und trat ihnen entgegen.

„Ich dachte schon, irgend ein räthselhafter Berggeist hätte Dich verzaubert,“ sagte die junge Frau, indem sie mit der zierlichen Reitgerte, welche am Knopfe ihrer Weste befestigt war, schmeichlerisch der Freundin Schulter berührte. „Beichte, wo warst Du, und was hat Dich so geisterbleich gemacht?“

„Nur der Schrecken, als ich Euere Stimmen hörte und mir erst klar wurde, wie lange ich hier beim Blumenpflücken geträumt.“

Sie war wieder vollständig gefaßt und legte ihren Arm zärtlich in den der jungen Frau, indem sie den Berg hinunter stiegen.

Und als sie eine Stunde später in kunstgerechtem Trabe nach Mexico zurückritten, war ihr Lachen fast noch heller und anhaltender, als das Rosita’s. – –

Als Conchita am andern Morgen nach unruhigem Schlafe erwachte, war sie so weit mit sich und ihrer Ueberzeugung im Reinen, daß der Franzose anmaßend wie seine ganze Nation sei, und daß sie sich seiner impertinenten Liebeserklärung gegenüber viel zu schwach und duldend gezeigt habe. Was gab ihm ein Recht, ihm, dem Eindringlinge, sie zu lieben?

Ja gewiß, es konnte nichts als der Aerger über ihr eigenes viel zu wenig stolzes Benehmen sein, welches ihr Gewissen beunruhigte und ihre Gedanken an ihn fesselte. Die Rose hatte sie in ein Kästchen in den letzten Winkel ihrer Kommode geschoben, und obgleich sie gestern Abend zum ersten Male den Liebesschwüren Don Miguel’s Gehör gegeben, die Rose hätte sie ihm doch nicht für ein Königreich überlassen mögen.

Sie mochte nicht allein sein. Das bleiche Bild des Franzosen, wie er seine Augen so tief und ernst – so ganz anders, als die Don Miguel’s – zu ihr emporgehoben, verfolgte sie und nagte fast schmerzend an ihrer Seele.

Sie kleidete sich sorgfältig an und ging in den Salon.

Don Miguel erwartete sie schon, und sie ließ es geschehen, daß er sie zärtlich in seine Arme zog und ihre Hand an seine Lippen preßte. Dann trat sie mit ihm hinaus auf den Balcon; sie wußte, daß der Generalstab jeden Augenblick vom Spazierritte kommen mußte, und ihr Todfeind, der anmaßende Franzose, sollte sie an der Seite Don Miguel’s sehen – ihres Verlobten.

Als sie von ferne das Herannahen der Cavalcade vernahm, legte sie ihre Hand trotzig in die seine, aber ihr Herz schlug so gewaltig und ihre Lippen zuckten so eigenthümlich, daß sie sich, um nicht umzusinken, an seine Schulter lehnen mußte.

Monsieur de Brunne war vorübergeritten, aber er hatte sie keines Blickes gewürdigt. Ihre Verlobung wurde einige Tage später mit großem Pompe gefeiert – doch in den großen, schönen Augen der Braut glänzte ein fast unheimliches Feuer, welches ihre Umgebung erschreckte.

Monsieur de Brunne hatte sie nicht wiedergesehen. Jeden Morgen, wenn die Officiere vorüberritten, stand sie mit hoch klopfendem Herzen auf dem Balcon, aber jedes Mal trat sie getäuscht und noch aufgeregter zurück.

Ging sie in das Theater oder in irgend eine Gesellschaft, so spähten ihre Augen fiebernd in jedem Winkel nach ihm – und fanden ihn doch nicht. Dann sank sie theilnahmlos in sich zusammen, lächelte seelenlos ihrem Verlobten – aber kein Strahl von Feuer und Glück vergoldete mehr ihre schönen Züge.

Und doch hatte sie nicht den Muth, nach ihm zu fragen; doch wäre es ihr eine vollständige Unmöglichkeit gewesen, den Namen über ihre Lippen zu bringen, der mit flammenden Lettern in ihrem Herzen stand. Die Rose lag unberührt im Winkel; nicht einmal den Triumph hatte sie sich gegönnt, sie Rosita zu zeigen – sie fürchtete sie zu berühren, und ihr Stolz war gebrochen.

Ihr Onkel triumphirte indessen über das glückliche Gelingen seiner Pläne. Don Miguel selbst verstand sie nicht. Ihm genügte [55] es, wenn sie seine Liebe duldete, seinem Geplauder lächelte und auf seinen Arm gestützt in die Gesellschaftssäle trat. Er war eine oberflächliche Natur, der auch oberflächlich über die Frauen dachte. Sie waren ihm nur ein liebreizendes Spielzeug für müßige Stunden, die dem Hause des Gatten den prächtigsten Glanz verleihen.

„Weißt Du schon, Conchita,“ sagte Tante Pepita eines Abends, als sie mit ihr oben auf dem flachen Dache des Hauses spazieren ging und ihre Nichte gedankenlos hinüber auf den Schnee der Berge schaute, welche eben in den letzten Strahlen der Sonne erglühten. „Weißt Du schon, daß der schöne, blonde Adjutant, welcher im Stab des Generals Bazaine war, seit Wochen krank darnieder liegt und wahrscheinlich in den nächsten Tagen mit den andern kranken Officieren nach Frankreich transportirt werden wird?“

„Was fehlt ihm?“ fragte Conchita tonlos.

„Er soll noch von den Gefechten von Puebla her eine Kugel zwischen den Rippen haben, die nicht herauszubringen ist. Er liegt im französischen Lazareth, und Schwester Brigita pflegt ihn – sie hat mir von ihm erzählt. War es nicht derselbe, mein Kind, mit welchem Dich Rosita neckte, weil er die Rose aufgenommen, die Dir damals beim Einzüge der Franzosen entfallen war?“

„Vielleicht! Du weißt, mich interessiren die Franzosen nicht.“ „Ist Dir nicht wohl, Kind?“ fragte die alte Dame nach einer Weile, während welcher sich das junge Mädchen auf einen kleinen Sessel niedergelassen und kein Wort gesprochen hatte.

„Ich bin sterbensmüde, Tante; sonst fehlt mir nichts. Sage Miguel, daß ich ihn heute unmöglich in die Oper begleiten kann – und gehe Du mit ihm – ich bitte Dich.“

„Aber Kind, wenn Du krank bist?“

„Ich bin nicht krank, Tante, nur müde von all’ den Gesellschaften, in denen ich mich langweilen mußte. Ich will allein sein und schlafen – sonst nichts mehr.“

Die Tante schüttelte den Kopf; sie verstand sie nicht, aber Conchita setzte es durch, daß sie Abends statt ihrer mit Miguel in die Oper ging.

Conchita war mit ihren Gedanken allein. Er, dessen Bild sie nicht aus dem Herzen bannen konnte, krank – er, der sie so sehr liebte! Und diesen Strahl der Liebe, den ein Gott in all das Elend des Menschenseins gegeben, sie hatte ihn verschmähet; sie hatte sich von ihm gewendet. Sie fühlte sich schuldbeladen und elend – sie mußte sühnen, wenn sie weiter leben sollte – sühnen, ehe es zu spät war.

Mit raschen Schritten ging sie zurück in ihr Zimmer, und als sie nach kurzer Zeit mit einem einfachen Shawl über dem Kopf und von ihrem Mädchen begleitet energisch durch die langen Straßen schritt, da fühlte sie, wie der tobende Sturm sich legte und es stiller wurde in ihr.

Es war damals, wo das Lazareth von. Kranken überfüllt war, nichts Seltenes, wenn eine Dame noch spät einen Patienten zu sprechen wünschte; auch Conchita gelangte unbelästigt bis auf den oberen Gang – hier fragte sie nach Schwester Brigita.

Diese, eine ältliche Nonne, mit angenehmem Wesen, sah erstaunt auf das junge, schöne Mädchen mit dem bleichen Gesicht.

„Wie geht es Monsieur Henri de Brunne?“ fragte Concha bittend. „Ich bin mit einem Auftrage für ihn betraut. Glauben Sie, daß ich ihn noch sprechen darf?“

„Monsieur de Brunne? Ah, der kranke Adjutant des Monsieur Bazaine? Er ist sehr elend, Sennorita, sehr. Ich bezweifle, ob er die Reise wird mitmachen können, die schon in wenigen Tagen vor sich gehen wird.“

„Aber der Auftrag ist wichtig; ich möchte –“

„O, gehen Sie immerhin zu ihm, Sennorita! Er ist noch mit dem Ordnen seiner Sachen beschäftigt, weil er unter allen Umständen nach Frankreich zurück will zu seiner Mutter.“

Eine Thräne drängte sich in Conchita’s Augen.

Es war ein großes, luftiges Gemach, in welchem Henri de Brunne bleich in einem Sessel neben dem Tische lag und in Papieren kramte. Das junge Mädchen war leise in das Gemach bis dicht vor ihn hingetreten.

Er hatte sie nicht bemerkt.

„Monsieur de Brünne,“ sagte sie weich. „Wie ich höre, wollen Sie zurück nach Frankreich; ich komme, um – Abschied von Ihnen zu nehmen.“

Henri de Brunne schaute wie im Traume zu ihr auf. Der Shawl war ihr vom Kopfe auf den Boden geglitten, und ihre großen, dunklen Augen blickten so milde und zärtlich, wie er sie noch nie gesehen. Sie war wunderbar schön.

„Sie von mir Abschied nehmen, Sennorita? Wie gut Sie sind! Ich danke Ihnen.“

„Ich habe Ihnen Vieles abzubitten und möchte, daß, wenn Sie wieder in Ihrem Vaterlande sind, Sie milde und gütig an mich denken können. Wollen Sie mir vergeben, Monsieur de Brunne, Alles vergeben, was ich Ihnen gethan?“

„Ich Ihnen vergeben? O, es war nicht Ihre Schuld, daß ich Sie anbeten mußte, und wenn Sie mich einen Augenblick nicht verstanden – es ist Alles, Alles vergessen durch diese Stunde. Ich – nur ich allein bin Ihnen zu unsäglichem Danke verpflichtet.“

Seine Lippen bebten und die abgezehrten Hände zerpflückten krampfhaft das Papier, welches er zwischen seinen Fingern hielt.

O, so – elend hatte sie sich ihn nicht gedacht.

Sie war leise bis dicht zu ihm hinan getreten.

„Ich habe nichts als diese Rose,“ und jetzt war es ihre Stimme, die vibrirte. „Wollen Sie dieselbe annehmen von mir und sie mit sich nehmen in Ihr Heimathland zur Erinnerung an – mich?“

Seine Augen suchten die ihren; er ergriff krampfhaft ihre Hand, und mit fliegendem Athem stieß er die Worte hervor:

„Conchita, mir – mir bringen Sie diese Rose? Träume ich denn? O, allerbarmender Gott, laß mich jetzt nicht sterben! Haben Sie mir denn nicht gesagt, daß Sie diese Rose nur dem Manne geben dürfen, den Sie lieben? Gott, Gott, sprechen Sie, Conchita – vielleicht bin ich ein Sterbender und stehe in ganz kurzer Zeit vor dem Throne des Ewigen. Ist diese Rose wirklich für mich? Darf ich – – ?“

Das stolze, schöne Mädchen war vor ihm in die Kniee gesunken; sie legte den Kopf auf seine zitternden Hände und benetzte sie mit einem Strom brennender Thränen.

„Henri, ich kam ja, um Dir meine Liebe zu bringen – nimm sie mit Dir, wohin Du auch gehen magst! Ich bin Dein mit Allem, was ich bin und habe, todt oder lebendig – hier oder dort.“

Er hatte sie mit hochfliegendem Athem an seine Brust gezogen – still und hingebend, mit namenloser Liebe lag sie an seinem Herzen. Mit den Liebkosungen, die er ihr so verschwenderisch gab, mengten sich die Thränen, die sie nicht zurückzuhalten vermochte. Kein Wort kam über die Lippen Henri’s, der sie selig – überselig in seinen Armen hielt. Nur seine Augen, welche nicht von ihrem Antlitz wichen, sagten ihr – wie tief, tief er sie liebte.

Als sie schied, nahm er von seinem Tisch das Pastellbild einer Frau mit ernsten, unbeschreiblich weichen Zügen.

„Meine liebe Mutter, Conchita – willst Du sie mit Dir nehmen, zur Erinnerung an diese Stunde?“

Sein Kopf war zurückgesunken; seine Augen hatten sich im Uebermaß von Glück geschlossen, und als das schöne Mädchen zum Abschied sich über ihn beugte und ihre lebensfrischen Lippen auf seinen bleichen Mund preßte, fragte er leise, wie in seligstem Träumen: „Wann kommst Du wieder, Geliebte?“

Die Thür glitt geräuschlos in ihren Angeln – Conchita hatte ihren Shawl tief über ihr Gesicht gezogen. Leise, von Niemanden gesehen, huschte sie über die Treppen; an ihrer Brust hielt sie krampfhaft das Bild von Henri’s Mutter.

Es war still und friedlich in ihr geworden; alle Stürme hatten aufgehört zu toben. Der Glorienschein einer wunderbaren Liebe beleuchtete ja für alle Ewigkeit ihren engen einsamen Pfad, der sie am Ziel – das hoffte sie – mit ihm vereinen mußte.

Als sie am andern Morgen erwachte, läuteten die Glocken in der Kathedrale die Sterbegebete. Henri de Brunne’s Herz hatte aufgehört zu schlagen.

Wenige Wochen später trat Conchita als Novize in den Orden der barmherzigen Schwestern – trotz aller Bitten Don Miguel’s und ihrer Familie. Ein Jahr darauf nahm sie den Schleier. Ihr großes Vermögen aber legte sie in die Hände von Benito Juarez.