Kinder- und Haus-Märchen Band 2 (1819)

Große Ausgaben der Kinder- und Hausmärchen
1. Ausgabe 1812/15: Band 1Band 2 • 2. Ausgabe 1819: Band 1Band 2 • 3. Ausgabe 1837: Band 1Band 2 • 4. Ausgabe 1840: Band 1Band 2 • 5. Ausgabe 1843: Band 1Band 2 • 6. Ausgabe 1850: Band 1Band 2 • 7. Ausgabe 1857: Band 1Band 2 • Anmerkungsband (Band 3): 2. Auflage 1822 • 3. Auflage 1856
Textdaten
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Autor: Brüder Grimm
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Titel: Kinder- und Haus-Märchen.
Band 2
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Herausgeber:
Auflage: 2. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1819
Verlag: G. Reimer
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Scans auf Commons
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[I]
Kinder-
und
Haus-Märchen.


Gesammelt
durch
die Brüder Grimm.


Zweiter Band.

Mit zwei Kupfern.


Zweite vermehrte und verbesserte Auflage.


Berlin 1819.
Gedruckt und verlegt
bei G. Reimer.


[III]
Kinderwesen und Kindersitten.

1. „Lasset die Kindlein und wehret ihnen nicht zu mir zu kommen, denn solcher ist das Himmelreich;“ dieser heilige Spruch bewährt sich durch alle Zeiten, überall geht das Leben des Menschen auf, wie eine Blume, eh sie die stechende Sonne bläßt und der irdische Staub trübt, in reiner, unversehrter Farbe. Hartmann von der Aue weiß darum nicht herrlicher die Tugend einer Frau zu preisen, als wenn er ihre Worte und ihr Wesen mit dem der Kinder vergleicht. Iwein 6470.

si was, daz man an kinden
niemer mohte vinden
süzzer worte noch reiner site:
si mohte da betwingen mite
eines engels gedanc,
daz er vil lihte einen wanc
durch si von himel tate.

Ein Engel wäre darum vielleicht bewogen worden, zu ihr vom Himmel herabzukommen, so wie man glaubt, daß jeden Menschen [IV] von seiner Kindheit an ein Engel begleite. Darin ist auch die Freude begründet, die wir bei dem Anblick der Kinder fühlen, daß ihre Worte und Gebärden treu, wahr und lieblich sind. „Ich liege dir in deinem Herzen und thue dir in den Augen wohl“ sagt das Kind zu seiner Mutter, (Winsbeckin 30.). Gudrun spricht in einem Liede der alten Edda (II. S. 532.): „so war Schwanhild (meine Tochter) in meinem Hause, wie der lieblich anzuschauende Sonnenstrahl.“


2. Rührend ist es, wenn wir die kleinen Züge aus dem Kinderleben in den alten Dichtungen schon beachtet finden. Man spielt mit Kindern, indem man sich neckend bald zeigt, bald versteckt; davon nimmt Wernher in dem Loblied auf die Jungfrau Maria ein schönes Gleichniß: der Engel, der mit ihr gesprochen und bei ihr stand (S. 106 ),

er verbarg ougen unde munt
sin antlutze ioh den schin;
also spilt er mit der kunigin
als man pfleit mit den kinden.

Fischart hat wohl dieses Spiel gemeint, wenn er von dem Vater spricht, der „mit dem Kind Mumels spielt;“ Gargantua 71 a. Kinder glauben sich zu verbergen, wenn sie die Hand vor das Gesicht halten und so sagt Tyro von Schotten. Str. 33.

wan si tuot als daz kindelin,
swanne daz verdecket diu ougen sin,
so wänt ez, daz ez nieman sehe.


[V] 3. Der kindischen Lust und Trauer wird oft von den Dichtern jener Zeit gedacht. „Froh wie ein Kind sitzen,“ ist ein bildlicher Ausdruck der Edda (sitia barnteitur. Hymisq. 2.). Freidank sagt 2347

ein kint näme ein geverbet ei
fur andre driu oder zwei

und ähnlich das Märe vom Häslein: 54.

ein kint den apfel minnet
unt näme ein ei fur des riches lant.

Im Wartburger Krieg heißt es: (Str. 17. in der Maness. Sammlung) „vor Zorn muß ich zappeln, wie ein Kind, dem man das Ei versagt.“ Und im Wilhelm von Oranse ganz ähnlich:

– weinen so diu wip
oder als ein kint nach dem ei.

Ueberhaupt ist das Weinen der Kinder sprichwörtlich. Im Tristan 4097.

er saz und weinte
als ob er ein kint wäre.

und in der Wilkina-Saga. (S. 94. und 139.): „das Kind soll haben, wornach es weint.“


4. Sie müssen sich der Lehre unterwerfen. Alter Titurel 80.

swa kint lernent uf stan nach stuolen,
die muozzen zem ersten dar kriechen.

Von Alexander und Aristoteles (in der Müller. Sammlung Bd. III. 69.):

[VI]

der meister nam den jungen knaben
unt lerte in die buochstaben
a. b. c. d daz tet im an dem ersten we,
als ez noch tuot den jungen,
die do sint betwungen
mit schuole-meisterscheften.

Auch die Strafe wird erwähnt. Im Reinfried von Braunschweig spricht der Riese zu dem Helden, ich will mit dir nicht streiten: (Gotha. Hs. Bl 150 a.)

ich wil dich lazzen riten
durch dinen tumblichen muot,
eine weiche, kranke (d. h. schwache) kindes-ruot
horte uber dinen lip!
hastu ze tunde icht, daz trip
unt bis todes vor mir fri.

Aber Walter von der Vogelweide sagt auch schon sprichwörtlich (Man. I. 106 b.):

nieman kan mit gerten
kindes zucht beherten.

d. h. mit der Ruthe (allein) kann man ein Kind nicht erziehen. –


5. Sorglos sind Kinder und leben nach augenblicklicher Lust. So heißts im armen Heinrich: 950.

– du tuost alse diu kint,
diu so gehes muotes sint:
swaz den komet in den muot,
es si ubel oder guot,

[VII]

dazuo ist in allen gach
unt geriuwet si sere darnach.

Nach dem Bunten und Schimmernden greifen sie zuerst, daher bei Freidank der Spruch: 13

was mit varwe ist uberzogen,
da wurt ein kint vil lihte betrogen.

3688.

wo kint sint bi der gluot,
da ist not, daz man ir huot.

und Ulrich Furterer sagt im Lanzilot Str. 49:

als – kinden tuot gezemen,
den man beut einen apfel rot,
lazzen daz gold in aus den henden nemen.

Dies bezieht sich vielleicht auf die Sage von dem Brüderchen, das mit seinem Schwesterchen Schlachtens spielte, es, wie man den Schweinen thut, in die Gurgel schnitt und tödtete. Ein alter Mann zu Franecker, wo es der Sage nach geschehen ist, gab den Rath, der oberste Richter solle einen schönen rothen Apfel in die eine Hand nehmen, in die andere einen rheinischen Gulden, das Kind dann zu sich rufen und beide Hände gleich gegen dasselbe ausstrecken; nähme es den Apfel, so solle es ledig erkannt werden, nähme es aber den Gulden, so solle man es tödten. Es geschah, das Kind aber ergriff lachend den Apfel und ward von aller Strafe ledig erkannt. – Es giebt eine ganz ähnliche orientalische Sage von Moses (Rosenöhl I. 88.). Pharao gewann den Findling sehr lieb, obgleich die Wahrsager ihn warnten, dies könne das Kind des neuen Gestirns seyn; aber der König achtete nicht darauf, bis [VIII] eines Tages der kleine Moses, den er spielend liebkoste, ihn mit einer Hand beim Bart bis zur Erde niederzog und mit der andern ihm die Krone vom Haupt schlug. Pharao, ergrimmt, will ihn umbringen lassen, die Räthe schlagen ihm aber vor, erst zu versuchen, ob das Kind schon den Gebrauch der Vernunft erlangt habe oder nicht. Es ward ihm ein Becken voll Glut, ein anderes voll Gold hingestellt. Moses wollte zwar nach dem Golde greifen, allein der Erzengel Gabriel leitete ihm die Hand nach der Glut, die er nach dem Mund führte. Dies entschied und Moses war diesmal gerettet. – Die Weltchronik erzählt in der Casseler Handschrift, Bl. 79 b., etwas abweichend: Pharao habe spielend mit dem Kinde, ihm die Krone aufgesetzt, aber es habe sie zur Erde geworfen, so daß sie in Stücke zersprungen sey. Ein Priester habe dies als eine von Gott geschickte Vorbedeutung angesehen und um nun zu prüfen, ob Absicht oder kindlicher Unverstand Schuld gewesen, sey dem Kind ein glühender Brand vorgehalten worden. Aber es habe kindlich ihn angegriffen und in den Mund gesteckt, wovon es sich verbrannt und weshalb Moses hernach gelispelt.

6. Wenn man Kindern nicht sagen will, wo man das her wisse, wornach sie fragen, so antwortet man wohl: „mein kleiner Finger hat mirs gesagt,“ (auch im Französischen: „mon petit doigt me l’a dit“) Dies finden wir schon in einem altdeutschen Gedicht (Müller Samml. Bd. III. Fragm. und kl. Ged. St. IX. V. 119.):„min minnester ninger mirs verjach.“ –

[IX] 7. Wenn man Papier verbrennt, gibt man acht, wie die Funken auf dem schwarzen Grund hin und hergehen und nach und nach verschwinden, besonders auf den allerletzten. Man sagt, das seyen die Leute, die aus der Kirche gingen und der letzte sey der Glöckner oder der Küster, der die Thüre zuschließe. (Französ. que c’est l’abbesse qui fait coucher les nonnains.)

8. Frisches Brot aus neuem Korn wird Hasenbrot genannt und der Hase hat es im Walde gebacken; es gibt auch eine Pflanze, die Hasenbrot heißt briza media Linn.). Wenn auf den Bergen Nebel liegt, so ist es der Rauch aus seiner Küche: „der Has kocht.“ Im plattdeutschen: „de Voß badet sik,“ oder: „de Voß bruet;“ der Nebel heißt: „Voßbad.“

9. Aus den eddischen Liedern verdient es angeführt zu werden, wie Gudrun nach dem Verderben ihres Geschlechts und mitten im herbsten Schmerz der seligen Zeit gedenkt, wo sie mit ihrem Bruder Haugni in kindlicher Lust zusammengelebt. Atla-mál in grönlensku, Str. 68.

Alin vith upp vorom i eino husi,
lekom leik margan ok i lundi óxom,
gäddi ockr Grimhildur gulli ok háls-meniom.

Wir beide wurden auferzogen in einem Hause, manches Spiel spielten wir, in dem Walde wurden wir groß, Krimhild (die Mutter) schmückte uns mit Gold und Halsbändern.

Gudrun scheint vorzugsweise ihren Bruder Haugni geliebt zu haben. Wenn sich von mehrern Geschwistern immer zwei, wie [X] häufig geschieht, zusammenhalten und unzertrennlich sind, so pflegt man die beiden Messerchen und Gäbelchen zu nennen. Im plattdeutschen (nach Dähnert) heißen auch zwei zusammengewachsene Aepfel Kindappel.

10. Bei der Geburt eines Sohns pflegt der Vater einen Baum zu pflanzen, an manchen Orten den langsam wachsenden Lebensbaum thuia occident. (Vergl. unsere Edda S. 61 Anm. und Kopenh. Edda II. S. 59. Anm.) – In Schaffhausen, wenn ein Sohn geboren ist, trägt die Magd, die ihn den Verwandten ansagt, eine weiße Schürze und zwei Sträuße, einen vor der Brust, einen andern in der Hand; wenn es ein Mädchen ist aber nur einen. (Stalder II. 355.) – Bei der Taufe erhalten Kinder ein Geschenk von ihrem Pathen. Im heidnischen Norden geschah dies, wenn sie den Namen, meistens Zunamen erhielten und es hieß die Rafn-festi (Namensfestigung). Als die Wahlküre Swawa, den Sohn Hiorwards, der noch kein Wort gesprochen, Helge nennt, hebt er an zu reden und verlangt nun auch das Geschenk zu dem Namen. Edda II. 33. Dieselbe Sitte beschreibt die jüngere Edda Dämesaga 63. und die Heimskringla VI. 9. Vergl. auch die Thorstein Bäarm. Saga Cap. 4. Sie macht auch eine merkwürdige Stelle beim Paulus Diaconus de gestis Longob. I. 8. deutlich, wo Frea dem Wodan sagt, weil er den Langbärten einen Namen gegeben, (Odin heißt bekanntlich selbst Langbardur), so müsse er ihnen auch (als Geschenk) den Sieg verleihen. – Man pflegt heutzutage dem Kind etwas zu schenken, wenn es die ersten Kleider, Schuhe trägt u. s. w. Eine [XI] uralte Sitte ist das Geschenk des Vaters bei dem ersten Zahn, im Nordischen hieß es Tann Fé. und im Grimnismal Str. 5. wird gesagt, daß Freyr seinen Sitz Alfheim als Zahngeschenk von den Göttern erhalten habe.

11. Kinderspiele. Die Kindheit selbst wird damit bezeichnet. Hartmann von der Aue sagt, Manesse I. 179 a.

mir hat ein wip genade widerseit,
der ich gedienet han mit stetekeit
sit der stunde, daz ich uf mime stabe reit.

Lichtenstein (Frauendienst von Tieck S. 2.) noch so dumm, als ein Kind, das auf Gerten reiten will. Auch des Kriegspiels wird gedacht; im Titurel Str. 80.

swenn andriu kint diu iungen
ze velt unt an den strazzen
punierten unde rungen,
durch sende not so must er daz nu lazzen.

Konrad von Würzburg beschreibt die Jugend des Paris im Trojanischen Krieg, 612.:

swenne er unt ander hirtelin,
die sine gesellen waren,
ir spils begonden varen,
so tät er ie daz beste
unt was so tugendveste,
daz man in lobte denne.
si waren etswenne
mit strite sament gemeinlich,

[XII]

also daz si do teilten sich
unt machten krieges parte,
so was er ein gries-warte.
unt ein guot richter under in;
wan swer den sig do fuorte hin,
dem satzte er uf sin houbet
ein schapel wol geloubet,
damit er in do kronte
unt im der tugende lonte,
daz er so fromeklichen streit.

Das Spiel mit drei oder fünf kleinen Steinen wovon einer aufgeworfen und während dieser fliegt, die übrigen zusammengestrichen und in die Hand genommen werden, um jenen damit aufzufangen, findet sich überall und ist gewiß uralt[1]. – Ein altes Spiel sind auch die kleinen Windmühlen, zwei Querhölzer mit vier Flügeln, an einem längern Stock befestigt, der in der Hand gehalten wird. Geht kein Wind, so wird gelaufen und der daraus entstehende Zug treibt die Flügel herum. Zwei Knaben mit diesem Spielwerk findet man z. B in einem in Holz geschnittenen Anfangsbuchstab zu dem chronicon Freculphi [XIII] Lexovicensis episcopi ed. 1539. Tom. II. L. V. fol. CXLVIIIb. – Bei Hans Sachs Kempt. Ausg. I S. 465. findet sich folgende Stelle:

willt du bei guten Leuten sitzen
für alle Kürzweil Linsen spitzen
gleich wie ein Kind bei einem Jahr?

was heißt das? –

Ueber die Kinderspiele im Norden hat Sk. Th. Thorlacius antiquitt boreal. spec. V. p. 237. viel Schätzbares zusammengestellt[2]. Nachzutragen ist ein eigenthümlicher Zug in der Floamanna-Sage (nach der Uebersetzung ins Dänische von B. Thorlacius S. 53. 54.), welcher zeigt, wie früh schon bei Kindern in dem heidnischen Norden die Achtung vor ungezähmter Naturkraft geweckt war. Als Thorgil, der Held dieser Sage, fünf Jahr alt war, wollte er mit bei einem Knabenspiel seyn. Die andern weisen ihn ab, weil sie festgesetzt hatten: „daß der nur Theil an [XIV] ihren Spielen nehmen dürfe, der schon ein lebendes Thier umgebracht.“ Thorgil, mißvergnügt darüber, sticht in der Nacht ein Pferd todt, um die Bedingung zu erfüllen. Man vergleiche des Tacitus bekannte Stelle von dem eisernen Ring, den die jungen Chatten tragen mußten und nicht eher ablegen durften, bis sie einen Feind erlegt.

12. Einzelne Spiele.

Der Wolf und die Schaafe. Eins macht den Schäfer, eins den Wolf und mehrere die Schaafe. Der Schäfer spricht: „Schaap, Schaap kamt to Huus.“ – Die Schaafe antworten: „wi drövt (wir dürfen) nig!“ – „Worum nig?“ – „Dar steit en grooten Wulf vor de Dör.“ – „Wat deit he?“ – „Slippt Messen.“ – „Wat will he damit doon?“ – „He will uns all de Keel afsnieden.“ Der Schäfer sucht die Schaafe zu schützen, aber der Wolf fängt doch endlich eins, welches hernach an die Stelle des Wolfs tritt. (Schütze holst. Idiot. I. 261. IV. 17.) – Kätzchen und Mäuschen. Ist jenem ähnlich. Die Katze steht in einem Kreis, die Maus haußen, die Katze will immer heraus, der Kreis aber hält fest zusammen und singt:

„Mäuschen, laß dich nicht erwischen,
spring über Bänk und Tische:
husch! Mäuschen, husch!“

Bricht die Katze doch durch den Kreis, so wird das Mäuschen hereingelassen, und der Katze der Zugang versperrt, bis ihr endlich gelingt, das Mäuschen zu fangen. – Vom Berg ziehen. Einer steht oben auf dem Hügel die andern unten suchen ihn [XV] herabzuziehen und seinen Platz zu erhalten, dagegen wehrt er sich. Dabei wird gesungen:

„O Barg (Berg) min!“
„Wo lange is he din?“
„Hüt oder morgen.“
„Scheer heraf, lat der mi vör sorgen!“

Im Holsteinischen (Schütze III. 101.) doch auch anderwärts üblich. – Erbsenspiel. „Gib mir eine Erbse.“ – „Ich hab keine.“ – „Geh zum Müller und hol dir eine.“ – „Er gibt mir keine.“ – „So such dir eine.“ – „Ich finde keine.“ – „So blas ich dich.“ – „So wehr ich mich.“ – Nun blasen sich die Kinder ins Gesicht, wer es am längsten, ohne zu lachen aushält, bekommt von dem andern eine Erbse. – Ringelreihe. (plattd. Kringelkranz). Die Kinder fassen sich bei den Händen und tanzen im Kreis, dabei wird ein Lied gesungen, und wenn die Worte. „sitzt nieder!“ vorkommen, so setzen sie sich plötzlich und stehen wieder auf. Das Lied ist:

Ringel, Ringel, Reihe!
Sind der Kinder dreie,
sitzen auf dem Holderbusch,
schreien alle: musch! musch! musch!
     Sitzt nieder!
Es sitzt’ne Frau im Ringelein,
mit sieben kleinen Kinderlein.
Was essens gern? „Fischelein,“

[XVI]

Was trinkens gern? „rothen Wein.“
     Sitzt nieder!

Königstöchterlein. Ein Mädchen setzt sich in die Mitte, und zieht sein Röckchen über den Kopf in die Höhe, die andern Kinder stehen rings herum und halten den Rock. Eins geht um den Kreis und fragt:

„Ringel, Ringel, Thale ringen,
wer sitzt in diesem Thurm drinnen?“

Das Mädchen antwortet:

„Königs-Königstöchterlein!“ –
„Darf man sie auch anschauen?“ –
„Nein, der Thurm ist gar zu hoch,
du mußt einen Stein abhauen.“

Nun schlägt er auf eine Hand, die den Rock muß fallen lassen. Dann geht die Frage von neuem an. Sind alle Steine herunter, so springt das Königstöchterlein auf, und den übrigen, die davon laufen, nach. Wen es erhascht, der muß in den Thurm. – Der Reim lautet auch so:

„Zink, zink. Tellerlein,
da sitzt des Königs Töchterlein
in einem hohen, tiefen Thurm;
wer’s will sehen, muß die Stange brechen!“

Blinde Kuh oder blinde Maus. Einem werden die Augen verbunden, und so sucht er einen andern in einem bestimmten Umfang zu haschen, der dann an seine Stelle kommt. Im Anfang wird er von einem im Kreis herumgeführt, damit er nicht weiß, [XVII] an welchem Ort er steht; dabei ist im Holsteinischen folgendes Gespräch üblich (Schütze I. 115). Der Führer fragt: „Blinde Ko, ik leide di.“ – Der Blinde: „woneem hen?“ – „Na’n Bullenstall.“ – „Wat sall’k da doon?“ – „Klütjen (Klöße) un söt Melk eeten.“ – „Ik heff keen Lepel.“ – „Nimm en Schüffel (Schaufel).“ – „Ik heff keen Schüffel.“ – „Nimm en Tüffel (Pantoffel).“ – „Ik heff keen Tüffel.“ – „Sü to, wo du een krigst.“ Hier läßt der Führer die blinde Kuh laufen. - Fischart Garg. S. 166 a. gedenkt dieses Spiels. Es wird auch so gespielt, daß der Blinde mit einem Stock in der Hand mitten in einem Kreis steht, der um ihn tanzt. Stößt er mit dem Stock auf die Erde, so muß alles still stehen, er rührt darauf einen an und hält ihm den Stock hin, dabei pfeift oder brummt er. Jener muß den Stock fassen und den Laut nachahmen, der Blinde aber sucht ihn, nachdem der Laut dreimal wiederholt ist, an der, gewöhnlich verstellten Stimme zu errathen. – Fischerspiel. Einer ist Fischer, die andern sind Fische. Der Fischer spricht: „ich fische, ich fische in meines Herrn Teich, ich habe die ganze Nacht gefischt, und habe nichts gefangen als einen Weißfisch,“ oder welchen Namen er will. Der Genannte steht auf und spricht: „ich dachte, es wär ein Hecht gewesen,“ und nennt immer andere Fische, der Fischer muß antworten, und darf nicht ja oder nein sagen. Fischart Garg S. 165 b. gedenkt schon dieses Spieles, ähnliche gibt es mehrere, z. B. die Kinder stellen Getraide vor, einer hat aber ein Täubchen und spricht: „ich lasse mein Täubchen fliegen in Gerste.“ Nun antwortet die Gerste: „nein, in [XVIII] Hafer.“ u. s. w. – Der Fuchs geht herum. Die Kinder stellen sich in einen Kreis, halten die beiden Hände auf den Rücken und stecken die Köpfe zusammen. Einer geht um den Kreis, hat ein zusammengewundenes Tuch in der Hand und spricht:

„Sieh dich nicht um,
der Fuchs geht herum!“

Wer sich gegen das Verbot umsieht, erhält einen Schlag auf den Rücken. Der Fuchs gibt nun einem das Tuch in die Hand der seinen rechten Nebenmann so lang damit jagt und schlägt, bis dieser um den Kreis herum wieder zu seinem vorigen Platz gelangt ist. Dafür wird der Geschlagene der Fuchs.[3] - Etwas anders kommt das Spiel im Holsteinischen vor. (Schütze II. 52). Der herumgeht spricht:

„De Goos (Gans), de Goos, de leggt dat Ei,
un wenn et fallt, so fallt et twi!“

und läßt das Tuch hinten einem fallen. Räth es dieser, d. h. sieht er sich um und es trifft zu, so ist das Umgehen an ihm, und jener nimmt seinen Platz im Kreis ein. Dreht er sich aber um und das Ei liegt nicht hinter ihm, so bekommt er Schläge oder gibt ein Pfand. – Stirbt der Fuchs, so gilt der Balg! Ein Hölzchen wird angezündet, und einer reicht es dem andern, indem er dazu spricht:

„Stirbt der Fuchs,
so gilt der Balg,

[XIX]

lebt er lang,
so wird er alt,
frißt er viel,
so wird er dick
und zuletzt gar ungeschickt.“

so lang das Hölzchen brennt, lebt der Fuchs, bei wem er stirbt, der muß die bestimmte Strafe geben. – Flederwisch. Die Kinder sitzen um einen Tisch, unter dessen Platte ein Bindfaden herumgeht, an welchem ein Flederwisch hängt. Jeder hält den Faden mit beiden Händen und schiebt ihn fort, dabei wird gesungen:

Flederwischchen, Flederwischchen,
gucke nur nicht übers Tischchen!

Ist das dreimal gesungen, so wird still gehalten, und bei welchem sich dann das Flederwischchen findet, der muß die bestimmte Strafe geben. – Der Baum. Eins ist Rechenmeister, eins gibt Acht, die andern sind Zahlen. Der Rechenmeister spricht:

„Auf einem meiner Bäume,
den ich hab daheime,
hab ich eins, zwei, drei Blätter.
Auf dem dritten Blatt war eine Schnecke,
die hatte ein Haus zur Decke,
die kroch unter drei, vier Zweige,
sie wollte sitzen treige (träge).
Mit ihren zwei Hörnern,
kroch sie auf zwei Dörner,
und da kamen behende,

[XX]

fünf, sechs, sieben Hände,
und nahmen die Schnecke
mit fünf (mit zehn) Fingern hinweg.

Die Zahlen sind willkührlich, der Rechenmeister kann nur eine oder mehrere, auch zusammengesetzte, nennen. Die aber genannt werden, müssen aufstehen und sich vor ihm neigen. Jener, der Acht gibt, muß die Strafe einsammeln, wenn der Rechenmeister eine Zahl nennt die nicht da ist, oder wenn eine, die genannt ist, nicht aufsteht, oder wenn eine falsche aufsteht. – Alle Vögel fliegen. Die Kinder sind Vögel, sitzen um einen Tisch und legen die beiden Zeigefinger auf den Tisch. Einer ist der Meister und spricht: „alle Vögel fliegen!“ und hebt die Finger in die Höhe, worauf alle die Finger in die Höhe heben und fliegen. Dann nennt er einen Vogel der zugegen ist, Lerche, Elster u. s. w. und fliegt, und der genannte Vogel fliegt mit, nennt er aber einen, der nicht zugegen ist, oder ein Thier das nicht fliegt, wobei er jedoch, um die andern zu irren, die Hände in die Höh hebt, und die andern thun es ihm nach, so sind sie in Strafe verfallen. – Buk, sta vast un wipper nig! Einer als Bock steht gebückt, die Hände auf dem Knie, und die andern springen über ihn her (Dähnert pommer. Idiot. u. das Brem. Wörterb.). Ein ähnliches Spiel heißt in Frankreich cheval fondu, jeder sucht auf den Rücken des Gebückten zu springen, wer nicht herabrutscht und sitzen bleibt, klatscht mit den Händen. – Wo ist gut Bier feil? Jedes von den Kindern erhält einen bestimmten Platz (gewöhnlich wird es unter Bäumen gespielt), bis [XXI] auf eins, das durch Abzählen übrig bleibt[4]. Dieser muß herum gehen und obige Frage an einen richten, er erhält dann zur Antwort: „bei meinem nächsten Nachbar.“ Während der Zeit wechseln die übrigen ihren Stand, und der fragende muß sehen, daß er zu einem der verlassenen Plätze gelangt; worauf der übrigbleibende an seine Stelle kommt. – Aehnlich ist das Klingelspiel. Die Kinder sitzen in einem Kreis und singen:

Sa, sa sa,
der Wirth ist nicht zu Hause,
wenn er wird nach Hause kommen,
wird er wohl geklinget kommen!

Jetzt klingelt einer mit der Schelle, worauf alle die Plätze wechseln müssen, und der klingelnde sich einzuschieben sucht. – Die Kitz. Jedes Kind gibt von seinen Nüssen, bis ein großer Haufen davon auf dem Tisch liegt. Dann geht eins hinaus, die übrigen wählen unter den Nüssen eine, welche die Kitz (Katze) heißt. Ist dies geschehen, so wird jenes herein gerufen; es darf so lange Nüsse von dem Haufen wegnehmen, bis es auf die bestimmte trifft, so wie es die angreift, rufen alle mit großem Geschrei: die [XXII] Kitz! - Das Kruscheln, in der Schweiz üblich. (Stalder II S. 138) Kleine Münze wird in Krusch (Kleie) versteckt, und hernach bildet man aus der ganzen Masse so viel Häufchen, als Kinder dabei sind. Bei solchen Glücksspielen sagen die Knaben im Holsteinischen (Schütze III. 30.), wenn es nur noch auf die letzte Entscheidung ankommt:

„de letzte Hand
klopft an de Wand,
de werd mi nig verlaten!“

Ringe schnellen. Ein altes Kinderspiel, dessen Wolfram von Eschilbach im Parcifal gedenkt:

10980
ame hove er sine tohter vant

unt des burcgraven töhterlin,
diu zwei diu snalten vingerlin.

Vielleicht waren es Reife, die eins dem andern mit einer schwanken Gerte zuschnellte; ein noch heute bekanntes Spiel. – Das Ballspiel, ist weit verbreitet und mannigfaltig. Die alten Dichter sahen es als ein Zeichen des Frühlings an, und Walter spricht: „wenn ich die Mägdlein auf der Straße sehe den Ball werfen, so kommt uns der Vögelein Schall;“ und Nithart (Maness. II. 79 a.)

es wirfet der jungen vil
uf der strazen ein bal;
dast des sumers erstez spiel.

Die Mägdlein spielen auch mit (Vgl. Stanheim Maneß. II. 56. die megde wurfen ouch den bal), und Nithart sagt weiter:

[XXIII]

 wi si toben!
swenne er den bal werfen soll, sost in wol,
wan er welt, wem er den bal dur die lüfte sende,
si biutent im ir hende,

hernach:

swelhiu den bal kan bejagen,
diu sol lop ze vorderst tragen.

Und einer ruft: „wirf mir her, ich wirfe dir wider.“ Walter sagt auch gleicherweise, Maness I. 126 b.

swer mich ufhebt in balles wis.

Im Westerwald theilt sich eine Anzahl Knaben in zwei Theile, welche auf einer Ebene von wenigstens 150 Schritten auf beiden Seiten Endpuncte annehmen. Jeder Theil sucht nun einen gemeinschaftlichen runden Baumknorren mit einem sogenannten Saustecken, (der von Dorn oder Hasel, unten krumm seyn und einen Knopf haben muß), über den Endpunct der andern Partei zu schleudern. (Schmidt wästerwäld. Idiot.)[5]. Im Märchen vom Froschkönig (Nr. I.) spielt die Königstochter mit einer goldnen Kugel.

13. Viel stätige Sitte ist noch in andern Vergnügungen der Kinder. Da schöne, bunt punctirte Marienwürmchen setzen sie auf die Fingerspitzen und lassen es auf und abkriechen, bis es fort fliegt. Dabei singen sie:

Marienwürmchen, fliege weg! fliege weg!
dein Häuschen brennt! die Kinder schrein!

[XXIV] Ein ganzes Lied theilt das Wunderhorn I. 235 mit. Die Northern Antiquities I. 322. bemerken dieselbe Sitte in England und selbst den Reim:

Lady-bird, lady-bird, fly and begone!
your house is a-fire and your children at home!

Ein ähnliches Liedchen wird gesungen, wenn ein Maikäfer, der an einen Faden gebunden ist, auffliegen soll:

Maikäferchen, flieg!
dein Vater ist im Krieg,
deine Mutter ist im Vaterland,
das Vaterland ist abgebrannt!
Maikäferchen, Maikäferchen, fliege weg!
dein Häuschen brennt,
dein Mütterchen flennt,
dein Vater sitzt auf der Schwelle:
fliegt in Himmel aus der Hölle!

Soll eine Schnecke die Fühlhörner herausstrecken, so wird sie mit folgenden Worten dazu gereizt:

Schneck im Haus,
streck die Hörner raus!
werf ich dich in Graben,
fressen dich die Raben;
hol ich dich heraus,
frißt dich die Maus,
Schneck im Haus!

Im Holsteinischen (Schütze IV. 144.)

[XXV]

Sniggenhuus!
stik din veer, fief, Hörner ut,
vullt du se nig utsteeken,
so willk din Huus terbreeken.
Sniggenhuus!

Im Wunderhorn Anhang S. 81. steht noch ein anderes Liedchen. – Dem fliegenden Storch wird nachgerufen:

Storch, Storch, Steinel,
mit dem langen Beinel,
flieg in das Bäckerhaus,
hol mir einen warmen Weck heraus!

Die jungen Katzen werden von den Kindern geneckt, indem sie ihnen ein Reis, einen Halm, vorhalten und sie auf diese Art hin und herlocken. Im Oranse wird daher ein Gleichniß genommen:

ir liebe ist ein katzenspiel
si ziuchet unt zuckit,
glich der den halm ruckit
dur schimpf den jungen katzen vor.

Bruder Wernher (Maness. II. 163 a.) wirft der Welt vor, der er folgen müsse,

du ziuhest mir den halm
als einer jungen katzen vor.

und in Püterichs Ehrenbrief heißt es von Montevillas Grabstein Str. 134.

Dem helm ob ein mörkhaz (Mohrkatze) sas,
dargegen ain sy zugen den khazen-knebl,

samb thun zu hof die pueben
vill dikh das spill, das ainer fellt auf dem gebl.

Mancherlei Spiele gibts mit Pflanzen und Blumen. Aus den Stielen der gelben Cichorienblüte werden Ringe und Ketten gemacht, oder sie werden bis zur Hälfte vierfach gespalten und in einen Brunnen gelegt, worauf sich das Gespaltene zusammenzieht und das Ansehen einer Hyacinthenglocke bekommt. – Die gelben Butterblumen hält man ans Kinn, und der gelbe Widerschein bedeutet, daß man gern Butter ißt. – Die Näpfchen der Eicheln mit den Stielen daran werden nach den verschiedenen Formen abgetheilt und als Soldaten aufgestellt. Ueberhaupt aus Stielen und Stengeln machen sich Kinder ihre Waffen, Spieße und Pfeile und schon bei Notker 63, 3. heißt es von ihnen: „diu uzer stengelen iro scoz machont.“ – Aus der abgezogenen Weidenrinde schneiden sich die Knaben Pfeiffen. Um sie unverletzt vom Holz zu lösen, klopfen sie den Zweig auf den Knien und singen dazu tactmäßig:

Fabian, Sebastian,
lat mi de Weidenflöt afgahn!

Am Tage dieses Heiligen soll der Saft in die Bäume treten. (S. Voß Idylle V. v. 179.).

14. Noch haben die Knaben besondere Belustigungen, die sich gewöhnlich nach den Jahreszeiten richten. Im Frühjahr bei der zuerst warm scheinenden Sonne, werden diejenigen vorgenommen, die besondere Bewegung des Körpers erfordern. Der Kreisel von der Peitsche herumgetrieben ist ein altes Spiel; schon im Parcifal kommt es vor:

[XXVII]
4469
hie diu geisel, dort der topf[6]

laz kint in umbe triben,
so lobt manz vor den wiben.

Und ein Ausdruck bei Reimar dem Alten (Maness. I. 80 b.) ist wahrscheinlich darnach zu erklären: „so wenent topfknaben wislichen tuon,“ dumme Knaben, die mit dem Kreisel spielen, dünken sich weise, kluge Leute. – Scherben auf dem Wasser tanzen lassen, welchem der abprallende Stein am meisten Sprünge thut, der ist der Sieger. Ein uraltes, weit verbreitetes Spiel. Die Griechen kannten es unter den Namen ἑποστρακισμός (s. Meursii Graecia ludibunda); engl. Shipping, dänisch: at slaae Pläder (Thorlac. antiq. boreal. sp. IV. 237.) französ. faire des ricochets. Die äußerst mannigfachen bildlichen Ausdrücke die in Deutschland üblich sind, verdienten einmal vollständig zusammengestellt zu werden (einen Theil findet man im Morgenblatt 1816 Nr. 16-19.), sie sind fast immer von der hüpfenden Bewegung des flachen Steins genommen, z. B. die Braut führen, die Braut, die Jungfrau schlagen (in Hessen), weil diese nämlich lustig tanzt und hüpft. So auch das Bäuerlein lösen; Ferner: im katholischen Schwaben: die liebe Frau lösen. Wasserjungfern, das Wassertäucherlein machen, Frösche werfen, oder: Brot schneiden, Butterbrot streichen, und die einzelnen Ausdrücke: pflinzern, plätschern, schiffeln, stelzeln u. s. w. – Tatze, Dotze, heißt in der Schweiz das [XXVIII] allgemein verbreitete Kinderspiel, wo wechselsweise einer mit den zwei ersten Fingern auf die nämlichen Finger des andern schlägt (Stalder). – Im Herbst, wenn die Winde beständig sind, und in den freien abgeerndeten Feldern, kommt die Reihe an die fliegenden Drachen; auch mit dem abgefallenen Laub gibts Belustigung, einer z. B. läßt sich von den übrigen hinein begraben und ganz verhüllen. Für den Winter bleiben die Schneeballen und Schneemänner, das Abdrükken der Gestalt in den Schnee (s. Bronners Leben I 118.).

15. Auch eigene Loose, sortes, haben die Kinder, um das zukünftige zu erfahren. Bei den alten Dichtern finden wir das Halm messen, die Art und Weise dabei ist nicht ganz deutlich, wahrscheinlich wurden die Knoten des Halms berücksichtigt, so daß der eine Zwischenraum bejahte, der andere verneinte. Walter von der Vogelweide (Maness. I. 140 b.)[7] sagt:

mich hat ein halm gemachet fro,
er giht, ich sule gnade vinden.
ich maz daz selbe kleine stro,
als ich hie vor gesach bi den kinden.
höret unde merket, ob siz denne tuo:
sine tuot, si tuot! sine tuot, si tuot! sine tuot, si tuot!

swie dike ich also maz, so was ie daz ende guot;
da höret ouch geloube zuo.

Und der Misenere (Alt Meister Ges. Buch S. 43.):

weiz aber ein man, ob ich noch rechte milte muge irwecken?
ich tuon, ich entuon! ich tuon, ich entuon! (trostet baz ir werden recken!)
ich tuon, ich entuon! ich mezze ein halm zuo lange:[8]
waz geschen ist, daz weiz man wol, was ez offenbare gemeine,
waz noch geschen sol, wer weiz daz? nieman wenne Got alters eine.

Vielleicht hangt, damit zusammen das noch heute übliche kurz oder lang ziehen, wer das kurze Stück bekommt, hat verloren. (Daher sich auch die Redensart: den kürzern ziehen, erklärt). Gewöhnlich werden zwei ungleiche Stückchen von einem Halm dazu von den Kindern genommen, weshalb man auch wohl bloß sagt: den Halm ziehen, wie schon unter den Spielen bei Fischart Garg. S. 169. „das Hälmlein ziehen.“ – Einen Kranz knüpfen. Eins hält eine Anzahl, meist fünf, Stiele oder Binsen in der Mitte zusammen, das andere verknüpft sie oben und unten nach Gutdünken; zeigt sich zuletzt, daß gerade ein Kranz daraus geworden, so trifft ein, was man sich in den Sinn genommen hat. – Bekannt ist das Zupfen der weißen Sternblume, es werden fünf Blätter nach einander ausgezogen, dabei folgende Worte gesprochen: „du liebst mich, von Herzen, mit Schmerzen, ein wenig, [XXX] gar nicht!“ und dann wird wieder von vorn angefangen, bis das letzte Blättchen auf einen von jenen Aussprüchen fällt, der dann das wahre verkündigt.

15. Kinderfeste.

Die heiligen drei Könige. Sie erscheinen am 6ten Januar, wo sonst die morgenländische Kirche die Geburt Christi feierte; doch schon früher in unserer Weihnachtzeit ziehen drei Knaben, als die heil. drei Könige verkleidet, umher. Gewöhnlich haben sie nur ein weißes Hemd übergethan, einen Gürtel um den Leib und eine Krone von Goldpapier auf dem Kopf; einer hat sich als Mohr Gesicht und Hände geschwärzt. Sie lassen in einem kleinen Kästchen, über dem der Stern steht und das auf einer Stange in die Höhe gehalten wird, das Christkind in der Krippe, die Anbetung der Hirten u. s. w. sehen. Die Vorstellungen sind beweglich und werden herumgedreht, einer beleuchtet sie mit der Laterne. Sie heißen daher auch die Sterndreher. Dabei wünschen sie in einem besondern Spruche Glück zum neuen Jahr. Im Anhang des Wunderhorns S. 30. steht ihr Lied, hier in Hessen wird es mit einigen Abänderungen gesungen:

wir wünschen dem Herrn einen goldenen Tisch
und in der Mitte einen gebratenen Fisch,
auf alle Ecken ein Glas mit Wein;
da können die Herrn frei lustig bei seyn,
frei lustig bei seyn und immerdar,
wir wünschen dem Herrn ein fröhlich Neujahr.
Wir wünschen dem Bursch ein neues Kleid,

und über das Jahr ein junges Weib.
Wir wünschen der Jungfer einen goldnen Ring
und über das Jahr ein kleines Kind;
ein kleines Kind, ein großer Gott,
der kann uns helfen aus aller Noth.

Fastnachtdienstag. Im Neckarthal gehen die Knaben mit papiernen Kappen auf dem Kopf und hölzernem Säbel an der Seite, oft auch mit Schnurbärten, im Dorfe von Haus zu Haus und singen so lange:

„Eier raus, Eier raus,
der Marder ist im Hühnerhaus!“

bis sie einige erhalten die sie Abends verzehren oder verkaufen. (Badische Wochenschrift 1807. Nr. 12.) In Hamburg singen die Kinder:

„Is düt nig Fastlabendfest?
lustig sünd de Buuren,
lustig sünd de Börger overall,
lustig sünd de Swien im Stall!“

Schütze holst. Id. III. 60. – Im Mecklenburgischen bringen arme Kinder den reichern einen grünen Strauß in das Haus, welcher der grüne Fastelabendbusch heißt, oder sie sagen:

„Ich bring zum Fastelabend einen grünen Busch,
habt ihr nicht Eier, so gebt mir Wurst!“

Wofür sie eine kleine Gabe empfangen. Sonst trugen sie lange mit grünem Laub umwundene Stecken herum. (Lübbert Fastnachtsteufel S. 6. Auch schlagen sie sich mit Ruthen, wie zu Ostern [XXXII] in Schlesien geschieht (Schmidt Fastelabendsgebräuche). Ueberhaupt fällt dieses Fest mit der Sommerverkündigung zusammen. Im Unter-Engadin in der Schweiz gehen am ersten März die Knaben mit Schellen behängt von Haus zu Haus um den Heustock herum, als wollten sie ihn einsegnen und erhalten dafür eine Gabe.

Das Gregoriusfest. Ein Schulfest, das auf den 12. März, den Gregoriustag, fällt, doch auch später im April gefeiert wird; die Landesgesetze schränken es immer mehr ein, oder haben es ganz aufgehoben. Nachricht davon gibt M. Andr. Weber origo festi Gregor. Helmstad. 1714. und Joh. Caspar Wetzel in der Vorrede zu H. Müllers hymnologia sacra. – Aus den Schülern wird einer zum Bischof gewählt und zwei andere zu Pfarrern. Diese drei erhalten eine angemessene Kleidung, die übrigen Schüler gehen in ihrer gewöhnlichen Kleidung, nur die kleinern werden phantastisch ausgeputzt mit Federbüschen und Bändern und tragen Fahnen und Degen, auf welche nach Denis Lesefrüchten I. 129. auch wohl Limonen gesteckt wurden. Der Zug geht in Begleitung der ordentlichen Lehrer, unter dem feierlichen Geläute der Glocken, nach der Kirche. Dort setzen sich der Bischof und seine zwei Untergeistlichen vor den Altar auf drei Stühle und machen beständig seltsame und lächerliche Geberden Der ordentliche Prediger hält eine Rede; sobald er fertig ist, wird ein Gregoriuslied angestimmt und nun spricht, oder vielmehr agirt, der Bischof die Bischofspredigt, die gewöhnlich in Reimen abgefaßt ist. Darauf besteigt er sein Pferd, die Untergeistlichen gehen [XXXIII] neben ihm zu Fuß, und das Umsingen durch die ganze Stadt hebt an. Die ältern Schüler singen, die jüngern in Apostel, Heilige, Engel, Könige, Priester, Edelleute, Schneider, Narren und Heiden verkleidet, sammeln an allen Thüren Geschenke ein. Dem Bischof werden zwei Maien, Zuckerbäume und Stangen mit Pretzeln und Bändern vorgetragen. Die Lehrer folgen dem Zug und erhalten dafür eine Pretzel und Geldgabe. Abends gibt der Bischof oder sein Vater einen Schmaus. – Tob. Petermann gab 1654. zu Dresden zwölf christliche Lieder auf dies Fest heraus, doch ist kein eigentliches Volkslied darunter.

Sommerverkündigung. Frühlingsanfang oder der heil. Sonntag zu Mittfasten, Lätare Jerusalem, der Rosensonntag, wird (nach der alten Ansicht, die das Jahr nur in Winter und Sommer abtheilt), auch der Sommertag genannt und von den Kindern, Knaben und Mädchen, gefeiert. In der Pfalz und den umliegenden Gegenden gehen sie an diesem Tag auf den Gassen herum mit hölzernen farbigen Stäben, an welchen eine mit Bändern geschmückte Pretzel hängt, und singen von Haus zu Haus den Sommer an, worüber sich jedermann freut und wofür sie etwas erhalten. Das Lied steht im Anhang zum Wunderhorn S. 39. 40. und abweichend im Morgenblatt 1819. Nr. 171. Noch kennen wir es nach mündlicher Ueberlieferung aus Gernsheim im Darmstädtschen, wo es anhebt:

Stab aus!
dem Winter gehn die Augen aus,
Veilchen, Rosenblumen!

holen wir den Sommer,
schicken wir den Winter übern Rhein;
bringt uns guten, kühlen Wein!

Wird den Kindern nichts gereicht, so singen sie:

der Fuchs der kriecht ins Hühnerhaus
und frißt die Eier alle aus!

Auch gehen oft zwei erwachsene junge Bursche in einer Verkleidung herum, indem einer den Sommer, der andere den Winter vorstellt. Sie kämpfen mit einander und der Winter verliert. Man erinnere sich dabei, wie häufig die Minnesänger den Kampf zwischen Sommer und Winter beschreiben. Im Kraichgau tragen die Mädchen bei diesem Fest einen mit Immergrün umwundenen Reif auf einem Stecken, an diesem hangen kleine Spiegel, Goldflitter und Pretzeln. Die Knaben aber tragen viele solcher Kränze, nur kleiner, an ihren Stecken, und geben immer einen als Gegengabe in jedem Hause ab, wo sie für ihren Gesang Geld, Eier, Schmalz oder Mehl erhalten. Dieser Kranz wird mitten in der Stube über dem Tisch an einem Faden aufgehängt und bleibt, bis er im nächsten Jahr durch einen frischen abgelöst wird. Durch die aufziehende Ofenwärme bewegt sich der Kranz zuweilen, dann sagen die Kinder, das bedeute etwas Gutes; kommt aber eine Hexe in die Stube, so sagt man, stehe der Kranz still. – In Schlesien war es sonst an diesem Tage allgemeine Sitte den Tod auszutreiben, sie hat sich jetzt nur noch auf dem Land und in kleinern Städten erhalten. Es wurde ein Bild von alten Lumpen mit eigenen Gesängen durch die Stadt [XXXV] getragen und zuletzt ins Wasser geworfen (Henelii Silesiographia renov. II. p. 11.). Jetzt gehen die Kinder mit geschmückten Tannen- oder Fichtenzweigen, wie es heißt: zum Sommer, nämlich von Haus zu Haus umher und singen:

wir haben den Tod hinausgetrieben
und bringen den lieben Sommer wieder,
den Sommer und auch den Maie:
der Blümelein sind mancherleie!

Oder:

„Kleene Fischel, kleene
schwimmen uf em Teiche,
rothe Rosen, rothe
stehen uf em Stengel!
der Herr is schön, der Herr is schön,
die Frow is wie a Engel.

Sie erhalten dafür Pretzeln oder anderes Backwerk, und werden die Sommerkinder genannt. (Flögel Gesch. der kom Lit. IV. 10. 11. Büsching Wöchentl. Nachr. III. 166.) – In Sachsen (nach Hilscher Gedanken über das Tod austreiben. Dresd. 1701.) tragen sie auf den Sonntag Lätare den Tod in einem Bilde von Stroh in den Straßen herum. Sie lassen es manchmal zu einem Fenster hineinsehen, da glaubt man, es müsse jemand aus dem Hause in diesem Jahr sterben, und um es abzuwenden, gibt man ihnen gern Geld. Sie singen dabei allerlei Gesänge z. B.:

„Nun treiben wir den Tod hinaus,
den alten Weibern in das Haus

den Jungen in den Kasten;
Morgen wollen wir fasten!“

In Balth. Schnurrs Kunst- und Wunderbuch S. 127. V. 151 lauten diese Verse etwas verschieden; und dann weiter:

„Wir treiben ihn über Berg und tiefe Thal,
das er nicht wieder kommen soll.
Wir treiben ihn über die Heide,
da thun wir den Schäfern zu Leide.“

Oder in Nürnberg:

„Heut ist Mittfasten, wohl ist das!
trägt man den Tod ins Wasser wohl ist das!“

Bei diesem Zug laufen die Knaben geschwind, wie die Todtengräber, wenn sie eine arme Leiche tragen. Draußen vor dem Thor stürzen sie das Bild ins Wasser[9] oder werfen es auch wohl auf den Rabenstein; man glaubt, daß dadurch die Pest abgewendet werde. Ist nun der Winter getödtet, so bringen sie den Sommer. So heißt nämlich ein mit Kuchen, bunten Eierschalen, farbiger Wolle, silbernen Gürteln, Winterkränzen geschmückter Baum, den die Knaben in die Stadt tragen und gegen ein Geschenk vor die Thüre Neuvermählter setzen; es ist der Baum der Glückseligkeit. Ziehen sie damit durch Dörfer, so werden sie beschenkt mit Pretzeln, Eiern und Bohnen. Fromme Leute schicken den [XXXVII] Waisenkindern an diesem Tage ein Erbsengericht. Das Fest ist auch in Franken und Thüringen bekannt (wie Eccard fr. orient. I. 438. gleichfalls bezeugt), selbst in Pohlen und in Moskau wird es gefeiert. Oft ist nur einer der Gebräuche herrschend, entweder das Austragen des Strohbildes oder das Eintragen des Sommerbaums. - Im Holsteinischen, besonders im Flecken Neumünster, tragen die Knaben, wenn sie bei der Sommerverkündigung von Haus zu Haus ziehen, einen todten Fuchs oder eine Krähe voraus. Wahrscheinlich bedeutete diese, so wie der Fuchs, mit dem schon oben Böses gewünscht wurde, nichts anders, als den besiegten bösen Geist, den Winter. S. Schütze Idiot. III. 165-167. wo auch das Lied, das dabei gesungen wird, mitgetheilt ist. Sie fordern darin milde Gaben in Geld und Speisen[10]. An einigen Orten, auch in Frankfurt am Main, wird das Fest noch früher, schon Ende Februar, zur Fastnacht gefeiert, wo nämlich der Storch sich zum erstenmal zu zeigen pflegt, dessen Ankunft sonst in mehreren Städten durch den Stadttrompeter feierlich angekündigt wurde; wofür dieser einen Trunk aus dem Stadtkeller ehielt (s. die Alpenrosen für 1817. S. 51.). Der Anhang des W. H. theilt, S. 21., ein Lied aus den Rheingegenden mit, welches zum Theil mit jenem Holsteinischen übereinstimmt. Die Kinder tragen hier bei ihrem Umgang einen gebundenen Hahn, der also die Stelle des Fuchses vertritt. Merkwürdig ist, daß bei den Griechen eine ähnliche Frühlingsfeier statt fand (s. Zell über die [XXXVIII] Volkslieder der Griechen im Morgenblatt 1819. Nr. 170. 171.). Nachricht darüber hat sich beim Athenäus erhalten (VIII. 60. p. 360.). Nämlich zu Anfang des Frühlings trugen die Kinder auf Rhodus eine Schwalbe herum, sammelten Eßwaaren und sangen ein Lied dabei. Dies nannte man schwalbeln (χελιδονίζειν) und einer der sieben Weisen, Kleobulus aus Lindus, soll bei einer Hungersnoth die Sitte eingeführt haben. Die Schwalbe, die schwarz ist und unten weiß zu werden beginnt, scheint ein Bild von der in das Licht übergehenden Nacht, oder des besiegten Winters zu seyn. Das Lied ist dieses:

Die Schwalbe ist wieder
ist wieder gekommen,
sie bringet den Frühling
und liebliche Tage.
Weiß ist sie am Bauche,
schwarz am Rücken.
Wie? giebst du nicht eine Feige
uns aus dem reichen Haus?
Eine Schaale mit Wein,
ein Körbchen mit Käs und Mehl,
Eiersemmeln auch
liebet die Schwalbe.
Nun, sollen wir was kriegen oder soll’n wir gehn?
dein Glück, wenn du uns gibst, wir lassen dich sonst nicht,
wir schleppen dir die Thüre mit der Schwelle fort,
aber auch die Frau, die drinnen sitzt, die holen wir.

[XXXIX]

Klein ist sie ja, leicht holen wir die kleine Frau.
Doch bringst du etwas, bringe uns recht viel und gut.
Mach auf die Thür, der Schwalbe mach die Thür auf;
nicht alte sind wir, sind ja junge Knaben noch[11].

Ein Kinderfest in Spanien, das Laborde (Itiner. I. 57. 58.) beschreibt, zeigt nur die Vernichtung des Winters. In Barcelona nämlich, laufen die Knaben den Tag von Mittfasten in Haufen von dreißig oder vierzig durch alle Straßen, einige mit Sägen, andere mit Scheitern, andere mit Tüchern, in welche man ihnen Geschenke legt. Sie singen dabei in der Landessprache ein Lied, welches enthält, daß sie die allerälteste Frau in der ganzen Stadt suchen, um sie mitten durch den Leib entzwei zu sägen, zur Ehre der Mittfasten. Von Zeit zu Zeit stehen sie still, besonders vor den Läden, und verdoppeln ihren Gesang. Sie thun, als ob sie die Alte gefunden hätten, sogleich fassen einige die Säge an beiden Enden und nehmen die Stellung Sägender an. Einige schenken ihnen Geld, Brot, Eier und auch Holz, um damit die entzweigesägte Alte zu verbrennen. Aus Dankbarkeit heben sie noch einmal ihren Gesang an. Werden sie aber abgewiesen, oder wohl gar mit Wasser begossen, so antworten sie durch höhnisches Schreien. Es ist offenbar nichts anders, als das Austreiben des Todes oder Winters, welcher hier als eine alte Frau dargestellt und vom Feuer oder der Sonne verzehrt wird.

[XL] Maitag. In Schwaben gehen die Kinder mit Sonnenaufgang in den Wald, die Knaben tragen Stäbe mit seidenen Tüchern, die Mädchen Zweige mit Bändern. Ihr Führer ist ein Maikönig, der sich eine Königin wählen darf. Beide fangen den Tanz an, der mit dem Kußtanz schließt, wo ein Kreis gebildet wird, in dessen Mitte ein Knabe steht, der nach seinem Gefallen einem Mädchen das Tuch zuwirft und es küßt. Darauf kommt dieses in den Kreis und fordert auf, so geht es weiter. In England wurde am Maitag vormals (bis zur Reformation) um eine mit Bändern geschmückte Stange getanzt. Ein Knabe war als Jungfrau Maria verkleidet, ein anderer wie ein Mönch, und noch ein dritter ritt auf einem Steckenpferd mit Klingschellen und bunten Streifen. - In Schlesien peitschen die Kinder einander scherzweise zu Ostern mit bunten, aus Weiden geflochtenen Peitschen, die Schmagostern heißen, und bespritzen sich mit Wasser. Sie bekommen bunte Eier, Kuchen und ein zu diesem Feste gebackenes Geldbrot geschenkt. Mit einem ausgeschmückten Maibaum ziehen sie, während bestimmte Lieder gesungen werden, von Haus zu Haus und erhalten Geld und Fastenpretzeln. Auf der Spitze des Baums, gewöhnlich eine Fichte oder Tanne, sitzt eine Lappenpuppe, die mit Goldpapier, farbigen Eierschalen und Strohgewinden umhangen ist (Allg. Anzeiger der Deutschen 1808., Nr. 250.) Merkwürdig, daß auch in Marseille der Gebrauch herrscht, sich mit Wasser zu bespritzen (Millins Reise ins südl. Frankr. Bd. 3.). Das Peitschen ist eben so im Erzgebirge üblich. - Im Oestreichischen wählen die Dorfjungen zu Pfingsten einen Pfingstkönig, [XLI] kleiden ihn mit grünen Zweigen, schwärzen ihm das Angesicht und werfen ihn auch wohl in kleine Bäche (Denis Lesefrüchte I. 129.). Es zeigt sich auch hier die Idee von dem besiegten, schwarzen Winter.

Johannistag. Bekanntlich wird dieser Tag der am höchsten stehenden und daher auch fallenden Sonne durch mancherlei Gebräuche, meist durch ein Bergfeuer und durch einen ausgehängten Frucht- und Blumenkranz, gefeiert. In Kreuznach und andern Städten des Rheins werden an dem Johannistag auch die Brunnen gereinigt und neue Brunnenmeister erwählt, wobei sich die Nachbarn versammeln und ein kleines Fest geben. Die Kinder ziehen umher und sammeln Eier, die sie in einen mit Feldblumen geschmückten Korb auf Blätter legen und sich Abends zu einem Feste backen lassen. Man hat Nachricht von dieser Sitte bis ins fünfzehnte Jahrhundert. Das Lied, das sie beim Einsammeln singen, steht im Anhang des Wunderh. S. 40. 41. Im Anspachischen trugen die Knaben sonst einen geputzten Baum durch die Straßen und sangen dabei (Fischer Gesch. von Anspach S. 178). In Schlesien wird am Johannistag bei der Bildsäule des Johannes von Nepomuk, oft auch ohne diese, von Birken eine Laube gesteckt, in welche sich ein hübsches, armes Mädchen in seinen Sonntagskleidern, mit Blumenkränzen und Bändern ausgeschmückt, setzt und die Braut heißt. Andere Mädchen springen unter Gesang herum und jeder Vorübergehende muß ihnen eine Gabe reichen. Eben so gab es sonst in Leipzig ein Johannismännchen, mit welchem am Gesundbrunnen viel Lärm getrieben wurde. (Allgem. [XLII] Anz. der Deutschen 1803. Nr. 250.) In den Nürnberger Vorstädten ziehen die Knaben vor die Häuser und betteln Holz, indem sie ein eigenes Lied dazu singen:

I, o, heu o,
zündt der Madt ihrn Rockn o!
geht zsamm, ihr leibn Boube,
Scheidla wolln mer zsamma souchn.
Wollt er as ka Scheidla gebn,
wolln mer’s Jauhr nimmer derlebn.
I, o, heu o,
zündt der Madt ihrn Rockn o!

Die zusammengebrachten Scheiter fahren sie auf einem Schubkarrn an den Bleicherweiher beim Spittelthore, zünden sie an, und wenn das Holz brennt, springen sie darüber, wie aller Orten beim Sonnenwendefeuer geschieht. Man erhält dadurch Gesundheit aufs ganze Jahr. Sie laden die Vorübergehenden zu diesem Sprunge ein, die einige Kreuzer für diese Erlaubniß geben. Auch im Oestreichischen ist es Sitte der Knaben (Denis Lesefrüchte I. 130.).

Der heilige Nicolaus, (Klas, Klobes, Sinter). Er kommt den 6. December Abends. Doch schon einige Tage vorher poltert sein Knecht Barthel an der Thüre, rasselt mit Ketten, macht auch wohl die Thüre auf und wirft, ohne sich sehen zu lassen, den guten Kindern Nüsse, gedörrtes Obst, Rosinen hinein, man spricht dann: „der heil Niklaus meldet sich!“ Endlich erscheint er selbst als Bischof (der heilige Nikolaus war Bischof zu [XLIII] Myra) angethan, und nimmt eine Prüfung mit den Kindern vor; die guten dürfen ihr Körbchen irgendwo hinsetzen und finden es dann den andern Morgen voll Geschenke; die bösen aber werden von dem Knecht Barthel geängstigt, bis sie Besserung versprechen (Denis Lesefrüchte I. 131). In der Grafschaft Mark und Homburg versammeln sich die Kinder Abends vorher und jedes hat einen seiner Schuhe mit Hafer gefüllt. Dieser wird auf eine große Schüssel geschüttet, um das Pferd des heil. Niklas, der in der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember anlangt, damit zu füttern. Am Morgen finden die Kinder seine Gaben in der schönsten Ordnung aufgestellt. Die Zuckerbäcker bilden ihn als einen geharnischten, reisigen Mann ab. In der Grafschaft Mark, so wie in allen westwärts liegenden Ländern wird nur an diesem Tag bescheert, im Homburgischen auch noch Weihnachten. (Reichs Anzeiger 1796. I. S. 166.) Die Holländer sagen, er komme auf einem kleinen, weißen Pferde zum Schornstein eingeritten (Grabners Reise in den Niederlanden S. 365.). An vielen Orten, in Oberschwaben, auch in Hessen, wird er als Vorgänger der Christbescheerung angesehen, auch wohl mit dem rußigen, Schrecken einjagenden Knecht Ruprecht verwechselt, so daß von diesem allein die Rede ist. Guten Kindern bringt er Aepfel, Nüsse, Spielzeug, den bösen aber eine vergoldete oder mit Goldflittern geschmückte Ruthe. Ein Kinderlied darüber steht im Anhang des Wunderh. S. 28. 29. (Vergl. Scheffers Haltaus S. 155. 156.) In Thüringen verfertigt man an diesem Tage Niklaszöpfe, ein Backwerk in Gestalt eines geflochtenen Haarzopfes. Die Sitte [XLIV] wird durch eine Sage erklärt, wornach der heil. Niklas einem armen Manne, der seine drei Töchter in der höchsten Noth, der Verführung überliefern wollen, einen Beutel mit Gold in die Kammer geworfen; wofür diese bei ihrer Verheirathung dankbar dreifache Semmeln gebacken und unter arme Kinder ausgetheilt. (Reichs Anzeiger 1794. II. 1406.) –

Weihnachten. Am 25. Dezember, dem Tage der wiedersteigenden Sonne, wo die Geburt des Heilands gefeiert wird, ist das höchste Fest für Kinder: da kommt das Christkind und bescheert. In Franken klopfen die Kinder drei Donnerstage vorher, bald einzeln, bald truppweise, mit einem hölzernen Hammer an Thüren und Fenster; sie sagen etliche Reime her, deren es verschiedene gibt, und erhalten dafür Geld, Eßwaaren, alte Kleidungsstücke und dergleichen. Diese Sitte ist auch in Holland und in der Schweiz bekannt und soll das Verlangen der Welt nach dem Heiland bedeuten, sie klopft an die Thore ihres Gefängnisses an, damit sie sich öffnen und der Herr erscheine (Spieß archival. Nebenarbeiten II. 86. und Scheffers Haltaus S. 263.). Am Christtage freut sich die ganze Natur, man glaubt, daß selbst das Vieh in der Nacht sich aufrichte, im Holsteinischen wird ihm besseres Futter vorgelegt und vor die Krippe ein Licht gestellt; auch gingen sonst die Männer hinaus in den Wald, klopften an die Bäume und sprachen: „frouwet ju jy Böme, de hillige Karst is kamen!“ diese Worte hatten die Kraft, daß Eichen und Buchen reichliche Früchte trugen. Unter den Gaben des Christkinds sind drei eigenthümlich und beständig: der Baum, der mit Wachslichtern und [XLV] Goldflittern hell erleuchtet und mit allen Früchten des Jahres geschmückt ist. Er scheint die neu beginnende, von einer neuen Sonne erleuchtete, Welt unter dem alten Bilde eines Baums darzustellen, und ist das Gegenstück zu dem, welcher am Lätarefest herumgetragen wird; wie überhaupt diese beiden die eigentlichen und Hauptfeste und die andern davon abgeleitet sind. Ferner: das Backwerk aus Honig, denn der Honig ist aus der ältesten Zeit die reine, himmlische Nahrung, weshalb auch die Jungfrau Maria mit der Biene verglichen wurde (s. altd. Wälder II. 208 209). Er steht dem irdischen und schweren Bohnen- und Erbsengericht entgegen, das am Lätarefest gereicht wurde. Endlich: die Gestalten und Figuren in Zucker, Teig oder Wachs abgedrückt, oder in Holz geschnitzt, welche allerlei Früchte, Puppen, Thiere, alles Lebende was fliegt und kriecht, darstellen, das sich um den Lebensbaum zu versammeln scheint. Bei den Saturnalien der Alten, welche am 23. Dezember sich schlossen, wurden gleichfalls Wachslichter angezündet, Honig und kleine Bilder (sigilla) geschenkt, daher schon Gedike in einer ausführlichen Abhandlung (Berliner Monatsschrift 1784 S. 78-87.) beide Feste in Verbindung gebracht. Allein auch an den altnordischen Jolabend, der mitten im Winter gefeiert wurde und ohne Zweifel ein Fest der steigenden Sonne war, darf man erinnern, zumal da König Hagen Adelstan befahl, es auf den Christtag zu legen, so daß dieser jetzt durch Joltag bezeichnet wird. – Bescheert wird entweder den Abend vorher, welcher im plattd. daher Kindjeesabend heißt, oder den Christtag Morgens früh, immer aber bei Licht, und das Christkind verkündigt sich durch Klingeln [XLVI] (daher auch im plattd. Klinggeestabend), welches die im Finstern harrenden Kinder herbeiruft. Wo es am Morgen geschieht, da erlaubt man Abends vorher den Kindern, wie beim Niklasfest, ihre Teller an einen bestimmten Ort, jedoch umgekehrt, zu setzen, oder wie es in Hessen heißt: zu stülpen, auf welche dann die Geschenke gelegt werden. Armen und nicht zur Familie gehörigen Kindern, welchen man etwas schenken will, sagt man daher, sie sollten ihre Teller bringen und stülpen.

Kindertag. Der 28. December, an welchem nämlich Herodes die unschuldigen Kinder zu Bethlehem ermorden ließ, führt gewöhnlich diesen Namen. Schon in den alten Zeiten wurde er als ein Festtag angesehen und unter dem Namen Fest oder Tag der unschuldigen Kindlein (dies innocentium puerorum) mit allerlei Gebräuchen begangen. Vorzüglich war er für die Kinder feierlich; noch letzt läßt man die Chorknaben bei der Messe und Vesper in beinah priesterlicher Kleidung erscheinen und weiset ihnen ihren Stand in den vornehmsten Klappstühlen des Chors an. An manchen Orten wird er auch Fitzel- oder Pfefferleins-Tag genannt. Die Eltern pflegen nämlich Morgens ihre Kinder im Scherz mit Ruthen aus dem Bett zu treiben; welches man Auskindeln, Fitzeln, auch Dingeln nennt. In Franken ist der umgekehrte Gebrauch, daß die Eltern von den Kindern mit den sogenannten Kindelruthen begrüßt werden. S. Scheffers Haltaus S. 166. Dies Auskindeln ist bei den Protestanten eben so üblich, wie bei den Katholiken. Die Ruthen werden von solchen Gewächsen gebunden, welche um [XLVII] diese Jahrszeit noch grün sind, oder es werden auch nur einzelne Zweige von Buchsbaum, Rosmarin, Lorbeer, Pomeranzen genommen und damit gefitzelt. Gemeinlich geschieht es auf die Hände, dazu spricht man: „schmeckt der Pfeffer gut?“ oder auch:

„Ist das Pfefferleinsbrot gut?
ists gesalzen?
ists geschmalzen?“

An manchen Orten haben die Bauern noch einen besondern Reim:

„Frischa, frischa, gruna,
sollt mer oisig lona (sollt mir jetzo lohnen)
Pfeffernüß und Brondaweiy,
und an ganzen Dohler dreiy;
get mer oisig müt. (gebt mir ihn gleich mit).

Man gibt darnach den Kindern einen sogenannten Fitzelslohn an Geld oder Eßwaaren. Es fitzeln auch Erwachsene, Eheleute, Anverwandte und Bekannte einander. Zuweilen überschickt man auch nur eine schöne Fitzelruthe, zum Zeichen, daß man an einander denke. An manchen Orten wird umgewechselt, und am Kindertage das weibliche Geschlecht von dem männlichen, am Neujahrstage das männliche von dem weiblichen mit der Ruthe geschlagen, dabei haben die Mädchen einen besondern Reim:

„wachsa, wachsa, grun,
der liben Fra ir Sun,
schmeckt’s Neujahr gut?
schmeckt’s Neujahr gut?“

An einigen Orten (Haltaus führt namentlich Regensburg an) [XLVIII] wählten sonst die Kinder an dem Kindertag einen Bischof aus ihrer Mitte, welcher der Kinderbischof oder Schulbischof genannt und mit Gepränge in der Stadt herum geführt wurde. also wie bei dem Gregoriusfest.

16. Geschenke. Wenn Eltern oder Freunde von einer Reise heimkehren, bringen sie den Kindern Geschenke mit, die Knaben erhalten Spielzeug, ein Pferdchen, eine Jagd, Pfeife und Trommel, Bilder; die Mädchen aber Kleider und Putzsachen. Die Eltern fragen auch wohl bei der Abreise: „was soll ich dir mitbringen?“ wie im Märchen vom Löweneckerchen vorkommt (Nr. 88) und im Aschenputtel (Nr. 21.) So wird vom armen Heinrich erzählt:

330.
unt daz kinden wol dohte

zuo ir kintlichem spil,
des gap der herre ir vil;
ouch half in sere, daz diu kint
so lihte zuo gewenende sint.

335.
er gewan ir swaz er veile vant,

spiegel[12] unde harbant
unde swaz kinden liep solde sin:
gurtel unde vingerlin.

Cunrat Dankbrotsheim (aus Hagenau?) fängt sein heiliges Namenbuch (handschriftlich zu Straßburg Ms. Johann. B. 142. [XLIX] und gedichtet im Jahr 1435.) in Beziehung auf jene Sitte, auch wohl auf die Weihnachtsbescheerung, folgendergestalt an:

Jhesus, Marien liebes Kint,
dem himel und erde gehorsam sint, –
in des namen angefangen
habe ich dis buchlein bedraht
und jungen kinden das gemaht,
das si darinne leren,
das sich ir selde werde meren.
welch knabe zu disem buch hat minne
der vindet ein guldin rössel drinne
stiff gesattelt und vin gezoumet,
dast ernst und ist mir nit getroumet,
dann es ein luter wahrheit ist,
und komet das kindelin Jhesus Crist
mit sinem guldinen bredigerstul
und seczet sich nebent in die schul
und bringet im das rössel darin.
ist aber das kint ein megetin,
so bringet des lieben kindes muter
rocke, mentel und vehe-futer[13],
sidene borten mit gold beslagen,
und was ein töchterlin sol tragen:

[L]

nuwe huben, berlechte löcke,
flucken-belcze und bouwel röcke
und uff sin houbet ein stiffe kron[14],
als wolte es zu dem dancze gon,
und wirt lutselig und wol herkant
und ist das heilig nambuch genant
und kan den kinden zu schulen locken
und simelkuchen in milchroum brocken
und in den sussen hunigseim
und mahte es Cunrad Danckbroczheim.

17. Neckereien. Wenn das Kind bei der Abreise fragt: „was bringst du mir mit, wenn du wiederkommst“ so antwortet man wohl: „ein silbern Warteinweilchen, ein golden Nixchen in einem Niemalen-Büchschen.“ – Wollen sie etwas erzählt haben, so fängt man an: „et was mol Männeken, wull Nüte (Nüsse) plücken, will ju et gerne hebben, so will ick et vertellen?“ Die Kinder antworten dann ja und nun gehts wieder von vornen an: „et was mol Männeken, wull Nüte plücken u. s. w.“ Hierher gehören auch die Märchen vom Fuchs und den Gänsen (Nr. 86.) und vom goldenen Schlüssel (Nr. 161.).

[LI] 18. Kindersprache. Außer den häufig angewandten Diminutiven giebt es hier viele Klangwörter, vorzüglich die Thiere werden nach ihren Naturlauten genannt. Z. B. Muh-kuh (plattd. Bu-köken), Piephuhn (plattd. Tüt-hönken), Kikeriki-Hahn, Blälamm, Wauhund oder Wauwau, Misekatz, Bibi (Federvieh), Wulle-Gans, Bil-Ente, Hottpferd, Hies-Fäleken (Füllchen) u. s. w. – Die Worte, die zuerst gelernt und gesprochen werden, sind in ihrer Wurzel oft nicht zu erkennen. Dädi, Vater (in der Schweiz) erklärt sich noch durch Atte, Tatte; aber unverständlich ist schon Nännä und Dodoch, Mutter, oder Dodooli und Großdodoch, Großmutter. Ditti, klein Kind, hört man auch noch in den Maingegenden, dagegen du Appeli (Närrchen) Göf, Goov und Fitsch, Fitscheli (s. Stalder), Schmeichelnamen kleiner Kinder, wohl nur in der Schweiz allein. Man schmeichelt ihnen auch indem man sie Täubchen, Hühnchen, Püterken, nennt. Das jüngste und gewöhnlich das liebste Kind heißt Nestquackchen, im plattd. Neest-kiken, Neest-puuk, in der Schweiz Grättschi. Dagegen ein Kind das Tücke im Kopf hat, wird dort Kufer genannt; ein unbehilfliches im Oestreichischen Hascherl. – Dann sind auch für sie oder bei ihnen eigene bildliche Ausdrücke gebräuchlich. Das Trinkwasser heißt Gänsewein (Gooswin), in die Wiege (plattd. die Eija), ins Bett gehen: in die Federallee spatziren gehn; sich verneigen: ein Jümpferli machen. Von einem unartigen Kind sagt man in Pommern: dat is mi een Krüdken (Kräutchen)! oder man droht ihm: Moder ward di dat Lendenbrood [LII] gewen! mit der Ruthe kommen!“ Auch sagt man im Scherz: dat di dat Müseken beit (das Mäuschen beiße)! – Ein hübsches Kindergebet ist im Holsteinischen (Schütze Idiot. III. 63.) üblich: „leeve Gott, lat mi fromm un good waren un min Hemd to lütje (zu klein, d. h. laß mich wachsen).“ Und in Hessen:

„im Himmel steht ein Baum,
dran häng ich meinen Traum,
dran häng ich meine Sünden;
in Gottes Namen schlaf ich ein!“

19. Kinderlieder. Sie enthalten einen einzelnen poetischen Gedanken, ein Bild, ein Gleichniß, oft ohne einen weitern Zusammenhang. Das Kind blickt mit seinen reinen Augen umher, ein Vogel fliegt vorbei, ein Käferchen setzt sich auf seine Hand, ein Blümchen liegt neben ihm im Gras, ein armes Mädchen sitzt unter einem Baum und weint, das wird ganz unschuldig und kindlich vorgestellt, und darin liegt der eigene Reiz dieser Lieder. Gälur heißen sie im nordischen und scharfsinnig wird eine Stelle in dem dunkeln eddischen Hrafnagalldr (Edda I. S. 221.) aus diesen einschmeichelnden Gesang bezogen (quo nutriculae deliniunt tristes puerulos et somnum iis alliciunt). Eine Sammlung deutscher Kinderlieder enthält ein Anhang zum Wunderhorn, und eine spätere: „Dichtungen aus der Kinderwelt“ erschien in Hamburg 1815. Auch Meinert in den Liedern des Kuhländchens hat einige S. 381-83. mitgetheilt.

[LIII] 20. Die erste Kindheit Wolfdieterichs, wie sie die eigenthümliche Darstellung des, in Dresden handschriftlich sich befindlichen Heldenbuchs erzählt, verdient hier mitgetheilt zu werden, da sie ohnehin wie ein Märchen lautet und in der (Inhalt und Sprache nach so sehr verderbten) Ueberarbeitung noch das naive und lebendige der früheren Dichtung durchblickt.

Als Hugdieterich von der Heerfahrt heim kommt, wird ihm sein, während der Zeit geborenes, Kind entgegen gebracht; er freut sich, daß es so schön ist. Ein Einsiedel, der es christlich getauft, hatte ihm ein mitwachsendes Hemd gegeben, wodurch es gegen jede Gefahr, vor jeder Wunde, Wasser- und Feuersnoth gesichert war und jedes Jahr seine Kraft um Mannestärke wuchs. Das war heimlich geschehen, weil Hugdieterich, noch ein Heide, nichts davon wissen durfte. Jetzt war das Kind vier Jahr alt und schon so stark als vier Männer; wenn man ihm ein Brot gab und ein Hund wollte es ihm wegnehmen, so packte es ihn und schlug ihn an eine Wand. Der ungetreue Sabin nimmt von dem Gerede, das darüber entsteht, Anlaß, dem König den Ursprung des Kindes verdächtig zu machen, als sey es vom Teufel gekommen (ein vertauschter Wechselbalg?) und bringt es endlich dahin, daß er es will tödten lassen.

23.
König Hugo zu Puntung sprache: „heimlich must tödten mein Kind!

ich trag dirs aus dem Gemache, wenn sie entschlafen sind.“
Puntung, vor Schrecken rothe, sprach: „edler König rein,
ich will an seinem Tode wahrlich unschuldig seyn.“

[LIV] Hugdieterich droht ihm aber:

„und laß dich willig finden, wann ich im Willen bin:
du hast sechszehn Kinder, die häng ich an die Zinn
dazu dich und dein Fraue zu allervorderst an!“

Er heißt ihn vor seine Kammer kommen: wenn alles entschlafen sey, wolle er ihm das Kind geben.

der König ging zu seim Bette, da lag das Messer sein,
das Kind aufheben er thäte, er sprach: „und thust du wein’,

32.
ich stoß dirs in dein Herze, du unreines Kind!“

doch behüt’ es Gott vor Schmerze, daß es schlief; gar geschwind
wohl aus der Kemenate der König sein Kind ihm gab.
Puntung eilt dannen drate (schnell), thät von der Burg hin trab’.

33.
Da er kam weit hin danne, das Kind thät rühren sich,

es sah den Tag gar schöne, sprach: „Mutter, decke mich!“
Puntung der sprach: „schweig stille!“ wie bald es da geschwieg!
thät an seim Harnisch spielen. Sie vermieden die rechten Stieg

34.
und kamen auf ein Heide, da niemand bei ihnen was:

Puntung zog aus der Scheide, setzt das Kind auf das Gras.
Da es das Schwert sah glitzen, das Kind, so wohl gethan,
vor Freuden nimmer wollt sitzen, wollt das Schwert greifen an.

Da erbarmt ihn des Kindes und sein Herz wird weich, daß er, der allein hundert Männern den Tod schon gegeben, selbst nicht [LV] das Leben ihm nehmen kann. Er stößt sein Schwert ein und führt es zu dem Rand eines Brunnen, auf dessen Wasser Rosen liegen. Er zeigt ihm diese und denkt, es würde sich darnach bücken[15] und so sich selbst hineinstürzen, aber das Kind achtet der Rosen nicht, sondern legt sich nieder ins Gras und wälzt sich darin. Puntung versteckt sich eine Ackerslänge weit und hat acht, was geschieht. Als es Nacht werden will, kommen viele Thiere, die gern beim Wasser sind, Eber, Hirsche, Bären; auch die hungrigen Wölfe laufen daher, sie sehen das Kind, aber die göttliche Gnade waltet, daß sie es nicht anrühren. Puntung, als er das Wunder schaut, erstaunt und spricht. „du bist kein Teufelskind! doch will ich dich noch versuchen.“ Er machte ein Kreuz von Holz und stellte es ihm hin. So wie das Kind das Kreuz erblickt, greift es darnach, betrachtet es und nimmts in den Arm.

Puntung sprach: „bist du worden getauft, du bleibst gesund,
kein Thier thät dich nicht morden.“ Er küßt es an den Mund:

43.
„Weib und Kind will ich wagen, will sie eh verderben lan.“

Das Kind thät er hintragen, saß auf sein Roß wonnesam.
Er sprach:„ du bist genesen vor den Wölfen wunderlich,
darum dein Nam’ soll wesen hinfür: Wolfdieterich!“

21. Rudolf von Montfort hat in seinem noch ungedruckten Gedicht von Wilhelm von Orlenz, sehr natürlich und lieblich das [LVI] Kinderwesen geschildert. Der Knabe kam an den Hof des Königs von England, um dort in ritterlicher Zucht aufzuwachsen. Der König führte ihn in das Gemach der Frauen, die ihn zu sehen wünschten, weil sie von seiner Schönheit und seinen tugendreichen Sitten gehört hatten. Als Wilhelm eintrat, sahen sie ihn mit Lust an, und grüßten ihn liebreich. Neben der Königin saß ihr Töchterlein, Amalie, ein blühendes Maienreis und eine Wonne der Augen, denn es war nicht anders, als der helle Sonnenglanz. Nie hat eine Mutter schönere Kinder geboren, als die beiden da waren. Der König faßte sein Töchterlein bei der Hand und sprach: „liebes Kind, du hast dir schon lange einen Spielkammeraden gewünscht, da hab ich einen gefunden. Komm, ich will dich mit ihm bekannt machen und ihm sagen, daß er artig mit dir umgeht. Er ist ein Kind, wie du, ihr könnt ohne Arg manchen Tag mit einander spielen. Sey du aber auch freundlich gegen ihn, wenn er bei dir ist.“ Nun war das Mädchen nicht älter als sieben Jahr und sprach, ohne sich dessen zu schämen: „Väterlein, das freut mich gar sehr, es soll mein Spielkammerad seyn, ich will gehen und mich zu ihm setzen. Sag ihm auch, daß er zu mir geht.“ „Ja, Wilhelm, komm her,“ sprach der König. Da ging das Mädchen zu ihm und sagte: „setz dich zu mir.“ Blöd und schüchtern, wie Knabensitte ist, wollte er nicht, ob ers gleich von Herzen gern gethan hätte. Es faßte ihn aber bei der Hand und nun saßen die beiden schönen Kinder beisammen, und wer nur da war, mußte die Augen auf sie richten. Was sie wollte, das that er; was er wollte, das that sie. Sie erzählten sich einander ihre Geschichten, [LVII] sie sagte ihm vielleicht, daß ihre Docke[16] so hübsch wäre und ihre Nachtigall so schön sänge und so süßen Schall hätte. Er wußte etwa von seinem Habicht (Sprinzelin, falco cyaneus) zu sagen, wie er ihn habe steigen gesehen[17]. So saßen sie bei [LVIII] einander, bis sie scheiden mußten. Da sprach sie: „Wilhelm, Gott behüte dich, komm bald wieder zu mir.“ „Ja, antwortete er, das thue ich gerne“[18].

22. Einige hierher gehörigen Strophen aus einem Liede des Meister Alexander (hinter Gottfrieds Tristran S. 144.) mögen schließen:

Hiebevorn, do wir kinder waren
unt diu zit was in den jaren,
daz wir liefen uf die wisen,
von jenen her wider zuo disen,
da wir understunden
viol funden:
da sicht man nu rinder bisen.

[LIX]

Ich gedenke wol, daz wir sazen
in den bluomen unde mazen
wellich diu schoneste mochte sin?
da schein unser kintlich schin
mit dem nuwen kranze
zuo dem tanze:
alsus gat diz zil von hin!

Secht, do liefe wir erdberen suochen
von der tannen zuo der buochen
uber stoc unde uber stein,
der wile daz diu sunne schein.
do rief ein walt-wiser
durch die riser:
„wol dan kinder, unt gat hein!“[19].

[LX]
Kinderglauben.

1. Wenn ein Brüderchen oder Schwesterchen geboren wird, und die Kinder fragen, woher es gekommen sey? so sagt man ihnen: aus dem Brunnen, da hole oder schöpfe man sie heraus. Fischart im Gargantua führt das schon an. Gewöhnlich ist aber an dem Ort ein gewisser Brunnen, auf den man verweist, und wenn sie hineingucken, sehen sie ihre eigenen Köpfe unten im Wasser und glauben desto mehr daran. Kindibrunnon kommt schon in alten Diplomen (Pistorius III. 544. als ein Ortsname vor. Kanne (im Chronus S. 133. Anm.) bezieht diesen Glauben auf die durch die Mythe der ganzen alten Welt gehende Idee von Tod und Wiedergeburt im Wasser. Er bemerkt noch, daß bei Detmold ein solcher Geburtsbrunnen Lünsborn heiße.

Oder man sagt: ein Engel bringe sie, und der habe zugleich das Zuckerwerk mitgebracht, das ihnen bei der Kindtaufe oder vorher gegeben wird; gewöhnlich sind es bunte Zuckererbsen. Oder: der Storch fische die Kinder im Wasser und bringe sie in seinem rothen Schnabel getragen, darum wird er angesungen:

Klapperstorch, Langbein,
bring meiner Mutter ein Kind heim,
leg es in Garten,

[LXI]

will es fein warten,
legs auf die Stiegen!
will es fein wiegen.

Oder auch niederdeutsch:

Ebeer Langbeen
wenneer wult du to Lande teen etc.

Der Name des Storchs Adebar, bedeutet nach einigen Kindträger, von baren, tragen, andere erklären Oudevar durch: alter Vater. Unter den Nürnberger Spielwaaren ist der Storch mit dem Wickelkind im Schnabel sehr häufig. Er bringt, nach Fischart, auch die rothen Schuhe mit.

In Frankreich sagt man, die Kinder wüchsen aus dem Kohl und lägen oben in den großen Häuptern. Doch scheint die Idee von dem Lebensbrunnen auch in der Bretagne nicht fremd. Cambry voyage dans le Finisterre I. 175. gedenkt des Volksglaubens, wornach man ein Kinderhemd in gewisse Brunnen lege; gehts unter, so stirbt das Kind im Jahre, schwimmts dagegen, so lebt es lang. Man thut das feuchte Hemd den Kindern an und glaubt sie dadurch vor Schaden zu bewahren.

Bronner erzählt in seinem Leben (Zürch 1795. I. 23. 24): „da fragte ich meinen Vater einst bei Tisch: wo ist denn unser Brüderlein hergekommen? Die Hebamme saß auch dabei. Diese Frau da, sagte er, hat es aus dem Krautgarten hereingebracht, du kannst noch heute den hohlen Baum sehen, aus dem die kleinen Kinder immer herausschauen, die man denn abholen läßt, sobald man ihrer verlangt.“ Es war eine hohle Weide an einem [LXII] Teich, Bronner schaute hinein und sah den Knaben im Wasser; sein Vater hieß ihn rufen: „Buben, wo seyd ihr?“ und er zweifelte nicht mehr. - In einem Kinderlied kommt vor:

die andere geht ans Brünnchen
und findt ein goldenes Kindchen.

2. Wenn die Kinder, die noch in der Wiege liegen, mit ihren Händchen spielen, darnach greifen, als hätten sie ein besonderes Wohlgefallen daran, so glaubt man, sie thäten es bloß darum, weil ihnen ihre Aermchen und Händchen ganz wie von Gold und glänzend vorkämen. - Lächeln sie im Schlaf, so reden die Engel mit ihnen. – Wenn sie das Schluchsen bekommen, sagt man: „nun wächst ihnen das Herz.“ – Fällt ein Kind, so sagt man: „da liegt ein Spielmann begraben!“ Hungert es: „die Frösche murrten in seinem Leib“ (stomachus latrat) wie Fischart anführt. Nach Schütze (holst. Idiot.) pflegt man zu sagen: Jung iß, sonst kommt der Hund und frißt dir den Magen weg. – Will es nicht schlafen, so legt man ihm einen Schlafapfel, den moosartigen Auswuchs an der wilden Rose unter das Kissen; man glaubt, es erwache nicht eher, als bis er wieder weggenommen werde. (Stalder II. 321.)

3. Kinder gehen oft gefährliche Wege, über eine schmale Brücke oder die Balken unterm Dach, aus dem Brunnenrand, und doch begegnet ihnen kein Unglück; das macht, weil jedes Kind seinen Engel hat, der es bewahrt, hält und führt. Auch die Worte, die es reden soll, giebt er ihm in den Mund. So [LXIII] heißt es in einem altdeutschen Gedicht der Koloczer Sammlung S. 148. V. 127.

daz kint sprach mit sinne,
als im sin engel gab die lere.

und S. Georg 3200 ff.

daz kint von deme keiser gie,
jene, disse unde die
hatten vmme ez grozen gedranch;
hin durch si tet ez den wanch,
man het ez furwar ertreten,
wan daz zu ime was geweten
ein engel, daz ime niht gescach.

Vergl. eine Erzählung von Hans Sachs: die Engelshut, Kempt. Ausg. II. 4. Abth. S. 170-172. – Damit hängt wohl zusammen der Glaube von dem Kindlein in Kindesaugen, das zornig herausschaut, wenn es unzufrieden mit ihm ist. S. Brentano’s Gründung von Prag. S. 110. und Anmerkung S. 434.

4. Wenn die Kinder Abends vor Müdigkeit mit den Augen blinzen und gleichwohl noch gern wach blieben, aber nicht können, so heißt es: das Sandmännchen kommt! plattdeutsch de Sandsaier (Sandsäher) kumt. (Dähnert und Schütze holst. Idiot. IV. p. 3. 4.). Schütze meint Sandsaier sey entstellt aus Saatsaier; das Kind, wenn es schläfere, sey still, wie es still ist, wann gesäet wird. Offenbar gezwungen: es liegt die Idee zum Grund, daß Sand ausgesäet und in die Augen gestreut werde, was [LXIV] ja auch als sprüchwörtliche Redensart bekannt ist. – In Baien sagt man: das Pechmännchen kommt! (Schmidt Westerwäld. Idiot.) das nämlich mit Pech die Augen zuklebt. - Nach der griechischen Mythe sprengt der Schlaf, wie dort Sand, Lethewasser in die Augen, und weht mit seinen Flügeln bis man entschläft. Bei Zeus setzt er sich auf die höchste Tanne des Ida in das stachelvolle Gezweig (Ilias XIV. 290.). –

5. In Baiern schreckte man zur Zeit Aventins (B. Chronik 171 b) die Kinder mit dem Ausruf: „schweige, die Drud kommt über dich!“ In Franken und Schwaben sagt man: „still, die eiserne Bertha kommt!“ In Hessen und Thüringen fürchten sich die Kinder vor der Frau Holle, sie zieht sie in ihren Teich (s. das Märchen Nr. 24.), die guten macht sie zu Gluckskindern, die bösen zu Wechselbälgen (s. deutsche Sagen I. S. 7.). In Pommern (nach Dähnert ist es de olle Möme (die alte Mutter) oder auch de Water-möme; auf der Insel Föhrde: de blinde Jug. Sonst zeigt sich dort als Schreckbild de ruge Claas (der rauhe Niklas), und um Weihnachten de Bullkater (welches auch der Name für ein heranziehendes dickes Regen- und Donnergewölk ist). Im Ditmars. de Pulter (Polter)-Klas. Im Oestreichischen Klaubauf, Grambus auch Berthel (Denis Lesefrüchte I. 131.). In der Schweiz heißt (nach Stalder) das Gespenst Bauwi, Baui, womit wahrscheinlich der holstein. Buman und unser Bautzemann, Botzemann zusammen kommt; gewöhnlich vermummt sich jemand [LXV] mit weißen Tüchern und nimmt einen Besen in die Hand, man hat in Hessen noch einen Reim darüber:

Es geht ein Botzemann auf unserm Boden herum,
er rüttelt sich, er schüttelt sich,
er wirft sein Säckchen hinter sich,
es geht ein Botzemann auf unserm Boden herum!

Der Knecht Ruprecht dagegen, welcher den Kindern den 6. December erscheint, hat ein berußtes, ganz schwarzes Gesicht. Schon im Wartburger Krieg droht Ofterdingen: „Ruprecht, min knecht, muoz uwer har gelich den toren schern!“ Maness. II. 2 b. In der Lausitz wird dieser noch heute Dieterich von Bern genannt (Altd. Wälder I. 323). Im Hanauischen sagt man zu einem unartigen Kind: „wart, der Großvater kommt!“

6. Manchmal ziehen viele kleine Wolken, die man Lämmerchen heißt, am Himmel ganz langsam, und scheint nun die Abendröthe darüber, so sagt man den Kindern: „da füttert der liebe Gott seine Heerde Schäfchen mit Rosenblättern. – Nach Fischart sind die Wolken bei den Kindern Wolle oder Blumendolder, das Gewölk Spinneweb oder Schinhut (Schaubhut, Scheinhut, umbella bei Oberlin; Schinhut bei Hebel; vergl Troj. Kr. 5936). Wenn die Wolken fallen, kann man alle Lerchen sehen. (Bei Gruter germanica proverbia p. 95: „wenn die Wolken fallen, so ists gut Lerchen fangen.“) – Wenn die Sterne Nachts hell blinken und die Kinder wollen noch nicht zu Bett, so heißt es: „seht Kinder, die Himmelsthüre hat der liebe Gott auch schon zugemacht.“ Die Sterne sind die [LXVI] goldnen Nägel, womit das Thor beschlagen ist und der Mond ist das Schloß daran.“

7. Fällt Schnee, so sind es Federn aus dem großen Bett, das dem lieben Gott aufgegangen ist; oder Frau Holle macht ihr Bett. Hierzu gehört eine merkwürdige Stelle Herodots (Melpom. c. 7 ), wonach bereits die alten Scythen glaubten, die nördlichen Weltgegenden seyen unsichtbar und unzugänglich, weil Erde und Himmel mit Federn angefüllt seyen und dies deutet er weiterhin (c. 31.) selbst auf Schnee.

Vom wehenden Schnee in großen Flocken: „Müller und Bäcker schlagen sich mit einander“ (s. Jean Pauls Ouintus Fixlein S. 102.) Das sagt man auch, wenn es zugleich regnet und schneit. Schnee ist Mehl (wie Fischart auch anmerkt), im Isländischen miöll, nix candidissima, gerade wie wir Mehlthau haben. – Der Wind ist ein gieriges Thier, das Nahrung für seine Kinder sucht. Prätorius führt an in der Weltbeschreibung I. 49.: „zu Bamberg in Franken zur Zeit eines starken Windes, hat ein alt Weib ihren Mehlsack in die Hand gefaßt, und denselben aus dem Fenster in die freie Luft nebenst diesen Wörtern ausgeschüttet:

lege dich, lieber Wind,
bringe das deinem Kind!

Sie wollte hiermit den Hunger des Windes stillen, da sie glaubte derselbige wüthe darum, wie ein fräßiger Löwe, oder ein grimmig Wolf.“ In der Rockenphilosophie S. 265. „wenn der [LXVII] Wind sehr wehet, so kann man solchen stillen, wenn man einen Mehlsack ausstäubet und darzu spricht:

sieh da Wind,
koch’ ein Mus für dein Kind!“

8. Das Blut der Kinder macht alles, was es anrührt, wieder rein und gesund oder stellt den natürlichen Zustand wieder her, und zwar darum, weil es selbst als etwas ganz reines betrachtet wird. So vernichtet es in dem Märchen von dem treuen Johannes den Zauber und gibt dem Stein das menschliche Leben wieder. Man hat viele Sagen, daß es allein den sonst unheilbaren Aussatz hat heilen können (s. Armer Heinrich S. 173 ff.). Auf dieser Reinheit der Kinder beruht noch ein anderer Glaube, daß nämlich Mauern über ein Kind gebaut allein unverrücklich fest ständen. Nach einer Dänischen Sage (s. die Sammlung von Thiele I. S. 3.) stürzten die Wälle von Kopenhagen immer wieder ein, bis ein unschuldiges Kind, das man auf einen Stuhl an einen Tisch mit Spielzeug gesetzt und von zwölf Maurern schnell hatte überwölben lassen, zur Grundlage derselben genommen wurde. Verwandt ist die Brittische Sage von dem Gebäude eines Königs, das nicht zu Stande kommen konnte, weil jede Nacht wieder verschwand, was am Tage gebaut war. Worauf die Zauberer behaupteten, es werde nur dann stehen, wenn der Kalk mit dem Blute eines der ohne Vater geboren worden (also eines ganz reinen Kindes), gemischt werde. Das war aber das Kind Merlin. Mart. Poloni chronicon bei Schilter script. rer. ger. p. 353.)

[LXVIII] 9. In der Idee der Reinheit und Unschuld der Kinder liegt es auch, wenn die Entscheidung durch das Loos häufig in ihre Hand gelegt wird, noch heute pflegen bei den öffentlichen Glücksspielen Knaben in das Rad zu greifen. Aber schon in dem altfriesischen Gesetz (Tit. 14. bei Georgisch S. 422.) war bestimmt, daß wenn kein Priester zugegen war, „jeder unschuldige Knabe“ eins von den verhüllten, auf den Altar oder heilige Reliquien gelegten Stäbchen hervorziehen konnte, wodurch entschieden wurde, ob die Angeklagten an einem Morde schuldig oder unschuldig waren.

[LXIX]
Inhalt.
87. Der Arme und der Reiche Seite     1
88. Das singende, springende Löweneckerchen 6
89. Die Gänsemagd 14
90. Der junge Riese 22
91. Dat Erdmänneken 32
92. Der König vom goldenen Berg 38
93. Die Rabe 45
94. Die kluge Bauerntochter 53
95. Der alte Hildebrand 58
96. De drei Vugelkens 63
97. Das Wasser des Lebens 68
98. Doctor Allwissend 76
99. Der Geist im Glas 78
100. Des Teufels russiger Bruder 84
101. Der Teufel Grunrock 89
102. Der Zaunkönig und der Bär 92
103. Vom süßen Brei 96
104. Die treuen Thiere 97
105. Märchen von der Unke 102
106. Der arme Müllerbursch und das Kätzchen 103
107. Die Krähen 107
108. Hans mein Igel 111
109. Das Todtenhemdchen 118
110. Der Jude im Dorn 119
111. Der gelernte Jäger 123
112. Der Dreschflegel im Himmel 130

[LXX]

113. De beiden Künnigeskinner Seite     131
114. Vom klugen Schneiderlein 142
115. Die klare Sonne bringts an den Tag 146
116. Das blaue Licht 148
117. Das eigensinnige Kind 152
118. Die drei Feldscheerer 153
119. Die sieben Schwaben 156
120. Die drei Handwerksburschen 160
121. Der Königssohn, der sich vor nichts fürchtet 164
122. Der Krautesel 172
123. Die Alte im Wald 181
124. Die drei Brüder 184
125. Der Teufel und seine Großmutter 186
126. Ferenand getrü un Ferenand ungetrü 190
127. Der Eisen-Ofen 197
128. Die faule Spinnerin 204
129. Die vier kunstreichen Brüder 207
130. Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein 212
131. Die schöne Katrinelje und Pif, Paf, Poltrie 222
132. Der Fuchs und das Pferd 224
133. Die zertanzten Schuhe 225
134. Die sechs Diener 230
135. Die weiße und schwarze Braut 239
136. De wilde Mann 245
137. De drei schwatten Princessinnen 249
138. Knoist un sine dre Sühne 251
139. Dat Mäken von Brakel 252
140. Das Hausgesinde 252
141. Das Lämmchen und Fischchen 253
142. Simeliberg 256
143. Up Reisen gohn 259
144. Das Eselein 260
145. Der undankbare Sohn 264
146. Die Rübe 265
147. Das junggeglühte Männlein 269
148. Des Herrn und des Teufels Gethier 271
149. Der Hahnenbalken 272

[LXXI]

150. Die alte Bettelfrau Seite     273
151. Die drei Faulen 274
152. Das Hirtenbüblein 275
153. Die Sternthaler 276
154. Der gestohlene Heller 277
155. Die Brautschau 278
156. Die Schlickerlinge 279
157. Der Sperling und seine vier Kinder 280
158. Das Märchen vom Schlauraffenland 283
159. Das Dietmarsische Lügenmärchen 285
160. Räthsel-Märchen 285
161. Der goldene Schlüssel 286
Kinder-Legenden.
1. Der heilige Joseph im Walde 289
2. Die zwölf Apostel 293
3. Die Rose 294
4. Armuth und Demuth führen zum Himmel 295
5. Gottes Speise 297
6. Die drei grünen Zweige 298
7. Mutter-Gottes-Gläschen 301
8. Das alte Mütterchen 301
9. Die himmlische Hochzeit 303
[LXXII]
Druckfehler.
S. 32. Z. 5. von oben statt Lievhawer l. Leivhawer.
34. 10. – unten – nu l. un.
35. 8. – oben – goen l. gaen.
36. 12. – – – drucke’n l. druckete’n.
37. 7. – – – Erdmännekes l. Erdmännekens.
" " – – – Ton l. Don.
67. 9. – – – trog l. drog.
68. 2. – – – Kinnekes l. Kinnerkes.
81. 12. – – – haben!“ „Denkst l. haben! Denkst
133. 3. – unten – Axt l. Exe.
" 5. – – – Axt l. Exen.
134. 5. – – – to enne l. to Enne (zu Ende).
155. 11. – oben – eines l. einer.
175. 2. – unten – die Fliegen l. die fliegen.
" 9. – – – es ihr l. es ihm.
245. 9. – – – sök l. söt.
" " – – – nimmt l. nieemt.

  1. Niebuhr sah es bei den Kindern am Euphrat zwischen Basra und Helle. Es heißt bei den Arabern Lakud. Er macht dabei die Bemerkung: „die Spiele der Bauernkinder scheinen in der ganzen Welt dieselbigen zu seyn.“ Reise nach Arabien I, 171. Clarke fand dieses Spiel in ganz Rußland wieder und gedenkt einer griechischen Vase, auf welcher es abgebildet ist. Reise durch Rußland S. 196. (bei Bertuch).
  2. Ossian gedenkt auch der Kinderspiele seines Volkes: wie die Distel ein Hirsch, die wandernde Samenwolle ein Reh war (Gall Alterthümer I. S. 51). Rührend ist, wenn der sterbende Curach zum Ossian sagt (S. 303.) „gieb dieses Schwert (einst) meinem Sohne! In dem grünen, binsenreichen Thale von Sliruth verfolgt er (jetzt noch ein Kind) die Samenwolle, die auf dem Fittich der scherzenden Geister flieht. Der Schall des fallenden Wassers dringt zu des Knaben Ohr. Ich höre, sagt er, die Schritte meines Vaters. Mit dem ungleichen Schritt der Freude läuft er mich zu treffen, aber er sieht den grauen Strom. Kehre zurück mein Kind und verfolge deine Samenvögelchen, mein Auge wird vor Freude schimmern. wenn ich dich von meiner schwebenden Wolke erblicke.“
  3. Auf ein ähnliches Spiel scheint Shakspeare im Hamlet IV, 2. hinzudeuten, wo es heißt: hide fox and all after!
  4. Die beim Abzählen üblichen Reime und Lieder stehen im Anfang zum Wunderhorn. S. 84. 88-91. Und in den Dichtungen aus der Kinderwelt S. 83 ff. 8. auch das Märchen Nr. 141. In Hessen haben die Kinder auch einen ganz kurzen Spruch dafur:

    Wenn ein Ritter will sein Pferd beschlagen,
    Wie viel Nägel muß er haben?
    Drei oder viere!

    Es wird natürlich immer nach Sylben nicht nach Wörtern abgezählt; auf jeden fällt eine Sylbe.

  5. Aehnlich ist das schottische Golfspiel, nur ausgebildeter. Ausführlich beschrieben in einer Reise durch Schottland, übers. von Soltau I. 90. ff.
  6. topf ist der Kreisel (noch gebräuchlich in Dilltopf); engl. top, franz. toupie.
  7. Dieselbe Strophe kommt auch jedoch nur sechszeilig und mit einigen Abweichungen, S. 122 b. vor, doch hat sie gerade die entscheidenden Worte „sie thuts nicht, sie thuts!“ richtiger gestellt, und darnach ist die Zeile hier, die mit der Bejahung anfing, und der Verneinung schloß, verbessert.
  8. Der Dichter sagt: ich beschäftige mich zu lange mit der vergeblichen Arbeit. Nur Gott allein weiß die Zukunft.
  9. Man erinnert sich hierbei einer altrömischen Sitte. Am 15ten Mai pflegten die vestalischen Jungfrauen, in Begleitung der Magisträte und Priester die Bilder von dreißig alten Männern, aus Binsen gemacht, auf den pons sublicius zu tragen und in die Tiber zu werfen.
  10. Das Betteln auf eine Krähe war auch bei den Griechen bekannt; s. Athenäus VIII. 59., der das Volkslied dabei anführt.
  11. Eine freie aber glückliche Uebersetzung von Prätorius ist im Wunderhorn I. 161. (Bettelei der Vögel) mitgetheilt.
  12. Ein Theil des Haarschmuckes.
  13. Pelzfutter, vielleicht ist zu lesen: mit vehe-futer da ein Vehen-mantel noch sonst vorkommt. Salomom u. Markolf V. 1617.
  14. Neue Hauben: außen mit Vögeln seidegenäht bei Nithart. Maness. S. 76 a breite, in der Kaiserchronik Heidelb. Hs. Bl. 73 b. – Perlenschnüre in die Locken zu flechten. – Ein flockiger Pelz. – Baumwollne Röcke. – Eine starke Krone, wohl von Golddraht geflochten, ähnlich den Goldbändern, die Schapel hießen (Nibel. 6630.). Im Weinschwelg V. 46. werden „chrone, tschappel unde chranz“ zusammen genannt.
  15. Kriemhild sagt, im ungedruckten Rosengarten 253,2: „sie sollen wie ein kint spielen in den rosen rot.“
  16. Docke ist der alte Name, und Puppe, (zunächst wahrscheinlich aus dem Französischen poupée eingeführt) findet sich vor dem 16. Jahrh. noch nicht. Die gloss. pez. hat mima, tohcha und die gerbertische p. 47. Dokka est simulacrum puellarum. Es heißt wie pupa, κόρη, eben sowohl eine Jungfrau, geschmücktes Mädchen (s. Stalder schweiz. Idiotikon I. 236.), als ein ausgestopftes und bekleidetes Bild desselben. Ueber das lateinische pupa, poppea findet man Nachweisungen bei Ducange; es ist bekannt, daß die römischen, wie die heutigen Mädchen, schon Puppen hatten. womit sie als Kinder spielten und welche sie, sobald sie herangewachsen waren, der Venus opferten: tanquam virginitatis suae insignia, ut fauste futurum matrimonium cederet, wie sich Forcellini ausdrückt. Ob von daher die Docken geradezu gekommen, oder ob sie mit altheidnischen Lappenfiguren zusammenhangen, welche der Indiculus superstitionum simulacra de pannis facta nennt, darf um so eher unentschieden bleiben, als ja beide einen gemeinschaftlichen oder verwandten viel ältern Ursprung haben können. Es sind die kleinen wohlthätigen Wesen, deren Leben an das eines Menschen gebunden ist, dem sie daher willig und zugethan sich bezeigen. Eccard bemerkt bei der Erklärung des Indiculus (fr. orient. I. 436.), daß man in Wurzburg ein Kindergespenst Hullen-Pöpel nenne; das heiße der Frau Holle Puppe und zu der Ehre dieser Göttin seyen jene heidnischen Puppen verfertigt worden. An die Alraunen denkt er aber auch, und das läßt sich in sofern hören, als auch diesen pflegen Hemdlein angelegt zu werden (s. deutsche Sagen I. 136.) – Eschenbach redet im Oranse (II. 16 a) von seiner mit der Docke spielenden Tochter und gedenkt ihrer auch im Parcifal 11009, 11802; für spätere Zeit ist Fischart anzuführen, der im Gargantua sagt, 74 a: „Und was ists Wunder, daß die Weiber so fein wissen mit ihren Ehegetrauten umzugehen, da sie es doch von Jugend auf mit Docken und Puppen spielsweise also gewohnen.“
  17. Dies ist ein epischer Zug. Gerade so kommt er bei Ottokar von Horneck vor, S. 166 a.

    sie redeten kintlich
    – do die mait
    von ir docken sait,
    wie die weren gestalt,
    do engegene er ir verzalt,
    waz sin sprinz het gevangen.

    Ueber das Spiel der Kinder mit dem Sprinz, vergl. auch Parcifal 12838 ff.

  18. Parcifals Kindheit und Jugend ist auch herrlich in dem Gedicht von ihm beschrieben. Aus dem 16. Jahrh. hat sich das lebendigste Bild in Fischart’s Gargantua im 14ten Cap. erhalten. In der neuern Zeit ist das Kinderwesen schön und rührend und mit großer Wahrheit dargestellt, von Jean Paul in Fixlein (S. 96. 102,) im Leben des Schulmeister Wutz, hinter der unsichtbaren Loge (II. 370. ff.) und im Jubelsenior S. 72-75. Von Arnim in Traugotts Erinnerung aus seiner Jugend im ersten Band der Gräfin Dolores. Auch Ernst Wagners Kinderjahre gehören hierher.
  19. Understunden, zuweilen – bisen, wild herumrennen – Blumen messen, welche die schönste sey; Walter von der Vogelw. erzählt von dem Streit der Blumen (Man. I. 177 b.):

    „du bist kurzer, ich bin langer!
    alse stritent si uf dem anger
    bluomen unde kle.“

    diz zil, diese Zeit – ein walt-wiser, ein Förster, Waldhüter.