Textdaten
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Autor: Gustav Kopal
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Titel: Kieler Bücklinge
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 94-98
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[094]
Kieler Bücklinge.

Vor einigen Jahren gab Julius Stettenheim ein niedliches Büchlein heraus: „Die Berliner Wespen im Aquarium“, das unter Anderm eine Lobhymne auf den Häring enthielt. Sie pries den schätzenswerthen Seebewohner in allen Gestalten, unter denen er des Menschen Herz erfreut, und so lautete die vierte Strophe:

„Köstlich ist der wundersame
Meerdurchwimmler anzuschauen,
Wenn der Rauch der heil’gen Flamme
Ihn geschmückt mit gold'nem Braun.

Und er fährt im Hundenwagen.
Wenn der Himmel lenzlich blaut;
Wenn die Nachtigallen schlagen,
Ruft man seinen Namen laut.

Drei und auch vier für den Groschen erhaltend
Kauft ihn die Hausfrau, und, mütterlich waltend,
Zieht sie ihm ab seine goldene Haut.“

Drei bis vier Bücklinge (oder vielleicht richtiger, wie man in Süd- und Mitteldeutschland meistens sagt: Pöklinge) für zehn

[095]

Bei den Bückling-Räucherern in Ellerbeck.
Nach der Natur aufgenommen von Wilhelm Claudius.

[096] Reichspfennige wäre übrigens, wenn hier keine poetische Licenz obgewaltet hat, ein ganz außerordentlich billiger Marktpreis, jedenfalls eine locale Berliner Notirung, denn z. B. in Hamburg hat Schreiber dieser Zeilen stets bedeutend höhere Ansätze zahlen müssen. Fünf Pfennig etwa kostet daselbst der kleine, acht bis zehn Pfennig der große, „schöne“ Bückling. Auserlesene Exemplare im Frühjahre werden von den Leckermäulern der Hansestadt selbst mit zwanzig bis fünfundzwanzig Pfennig das Stück gern bezahlt.

Wenn der Durchschnittspreis im Inlande erheblich billiger ist, so mag das daran liegen, daß nur der frischgeräucherte Bückling, wie man ihn in Nordalbingien direct aus der Räucherei erhält, eine Delicatesse ist, die auch an den feinsten Tafeln Liebhaber findet. Schon vierundzwanzig Stunden später hat er an Wohlgeschmack bedeutend verloren, wird daher von der „wohlsituirten Minorität“ im Inlande meistens verschmäht und muß zu niedrigeren Preisen an die ärmeren Classen losgeschlagen werden.

Um so großartiger gestaltet sich aber eben durch den qualitativen Verlust seine Betheiligung an der Mission des Härings: den Segen der Ernte des Meeres bis in die entlegenste Hütte zu tragen, und auch auf diese Erscheinungsform des unschätzbaren Faches paßt Brehm’s Ausspruch: „Die Bedeutsamkeit der Fische für den Haushalt des Menschen läßt sich mit dem einzigen Worte Häring verständlich genug ausdrücken. – Wenn irgend ein Fisch es verdient, Speise des Armen genannt zu werden, so ist es dieser, welcher, auch dem Dürftigsten noch käuflich, in gar vielen Häusern die Stelle des Fleisches vertreten muß. Es giebt keinen, welcher unentbehrlicher wäre, welcher größere Beachtung und Theilnahme verdiente, als er.“

Die hat er denn auch gefunden. Ueber den Häring in seiner ursprünglichen Gestalt, über Naturgeschichte, Fang, Einsalzung, Verpackung etc. dieses Fisches, seine medicinische Wirkung bei derjenigen Alkoholvergiftung, welche man als Katzenjammer zu bezeichnen pflegt, sowie über seine Bedeutung als Handelsartikel ist bereits so viel geschrieben worden, daß wir das Wesentlichste als allgemein bekannt voraussetzen dürfen und sofort zu der Wandelung übergehen können, welche den „gemeinen Häring“ (Clupea Harengus L) zum „Kieler Bückling“ werden läßt.

Nur über die Abstammung der letzteren Bezeichnung mag noch kurz dasjenige bemerkt werden, was gleichfalls wohl den meisten unserer Leser schon bekannt: Bückling ist selbstverständlich von einpökeln (bökeln) abgeleitet, welches Wort auf den biederen holländer Fischer Willem Beukelson (Böckel) zurückzuführen ist, der gegen Ende des 14. Jahrhunderts starb, nachdem er sich durch die nach ihm benannte Erfindung des Einsalzens der Fische unsterbliches Verdienst erworben. Das ist durchaus ernst gemeint, denn bis dahin blieb die gesammte Fischerei in der Kindheit, da nur die Küstenländer von ihrem Ertrage profitirten; erst als auch das Binnenland zum Absatzgebiete wurde, nahm sie enormen Aufschwung.

Was die nähere Bezeichnung als „Kieler Bücklinge“ betrifft, so geht es hiermit ähnlich wie mit den Havannacigarren und dem Mokkakaffee. Kiel ist eine der Städte, welche die feinsten und zartesten Bücklinge versenden, und hat weit und breit das bezügliche Renommée; viele Käufer verlangen daher vorzugsweise Kieler Waare, und so wird ihnen denn unter diesem Namen das Product aller benachbarten Orte verkauft. Ja, es mag hiermit ebenso gehen, wie mit den Cigarren, die aus der Pfalz nach der Havanna exportirt werden, nun von dort als „echt“ wieder „importirt“ zu werden. Höchst wahrscheinlich wird mit mancher Partie Bücklinge ebenso verfahren, und ganz bestimmt wissen wir von den gleichen Wanderungen seines Gattungsverwandten, des „Sprott“ (Sprotte, harengulus sprattus), denn alle Welt verlangt und kauft „Kieler Sprott“, aber Hunderttausende und aber Hunderttausende in der Elbe und Nordsee gefangener Breitlinge werden nach Kiel gesandt, um von dort als echte Kieler Sprott wieder zur Ausfuhr zu gelangen. Das kann um so leichter geschehen, als nur sehr feine Zungen den Unterschied zwischen der echten und der untergeschobenen Waare merken.

Jedenfalls steht fest, daß das, was im deutschen Inlande als Kieler Bücklinge verkauft wird, größtenteils nicht aus Kiel stammt. Die Kieler Räuchereien produciren sehr ansehnliche Quantitäten, aber ebenso bedeutend sind die Räuchereien in Lübeck und Hamburg, wie denn auch in einer langen Reihe von Städten Schleswig-Holsteins und Hannovers im Großen geräuchert wird; nicht einmal ausschließlich die Küstenstädte betreiben diesen Erwerbszweig, und so ist z. B. in Neumünster eine ansehnliche Räucherei, desgleichen in Lüneburg. Bemerkt sei hier, daß der besondere Ruf des Kieler Products auch mehr im Inlande verbreitet ist, als im Norden, z. B. in Hamburg hat der Name der Lübischen Bücklinge einen wohl ebenso guten Klang, und hört man die Waare oft als solche anpreisen. – Die in der Schlei bis Schleswig gefangenen Häringe sollen die besten Bücklinge geben. – Die eigentliche Stadt Kiel befaßt sich, wie hier noch gesagt werden muß, hauptsächlich mit dem Vertriebe, weniger mit dem Räuchern selbst, welches vornehmlich in dem ihr benachbarten freundlichen Fischerdörfchen Ellerbeck, wohl fast jedem Besucher Kiels bekannt, beschafft wird.

Was den Proceß des Räucherns anbelangt, so hatten wir das Vergnügen, einen erfahrenen Räucherer zu „interviewen“ und von ihm Folgendes zu erfahren.

Unser Gewährsmann nahm zunächst das diesen Artikel beigegebene Bild, von dem wir ihm einen Abzug avant la lettre vorlegen konnten, mit großem Interesse in Augenschein und sprach sich so äußerst befriedigt darüber aus, daß der Zeichner seine Freude am Zuhören gehabt haben würde.

„Sehen Sie,“ sprach der Kritiker, der in diesem Falle gewiß so zuständig war, wie der bekannte Besucher des Apelles, „das ist getreulich nach der Wirklichkeit und das sind unsere Fischersleute, wie sie leiden und leben. Da ist nichts vergessen, selbst die Enten nicht, die um den Fischabfall lungern.“

Uebrigens kann auch der Schreiber dieser Zeilen bestätigen, daß das Bild, abgesehen von der hübschen Auffassung, an realistischer Treue nichts zu wünschen übrig läßt. Mit dem Costüme der Fischer auf Maskeraden hat die Tracht der guten Ellerbecker nicht die geringste Aehnlichkeit. Es ist ein kerniges, kräftiges Geschlecht, das der Ost- und Nordseefischer, welches Deutschlands junger Flotte den Stamm trefflicher Seeleute sichert; ihr Wahlspruch ist: „Mehr Sein als Schein“; von Flitter und Putz wollen sie nichts wissen. Mit ihrem Beruf vertragen sich auch besser die gestrickte wollene Jacke und Mütze des Mannes, die „holten Tüffeln“ (Holzpantoffeln) des Ehepaares oben im Hause und die „Krempers“ (Krempstiefel) und „Südwester“ (wasserdichten Hüte), welche die Fischer unten auf dem Bilde tragen und die daneben und oben ihrer Wichtigkeit halber noch besonders dargestellt sind. Von den trophäenartig arrangirten Fischereigeräthschaften an beiden Seiten des Bildes bedürfen die meisten keiner Erläuterung; nur des schiffchenartigen Apparates sei gedacht, der rechts vom Beschauer über dem Netze, neben dem „Ketscher“ (Handnetz), der Oeljacke und den geräucherten Flundern hängt. Das Ding, dessen Größenverhältniß zu den übrigen Geräthen ein ganz richtiges, ist ein sogenannter „Jäger“; es dient zur Aufnahme von feinen Fischen als Schnepel, Resen etc., die möglichst lange am Leben erhalten werden sollen, um recht frisch auf den Markt zu kommen. Dieselben wandern daher sofort nach dem Fange in den „Jäger“, der hinten am Fahrzeuge angebunden wird und durch zahlreiche Löcher den Gefangenen fortwährend frischen Vorrath des ihnen unentbehrlichen Elemente zuführt.

Doch zurück zu unserm Gewährsmann!

„Der Hauptfang,“ erzählte er, findet bei Korsoer statt. In der Kieler Bucht werden gewöhnlich kleinere, sehr feine Häringe in geringerer Anzahl gefangen; bei Korsoer fischt man die großen Quantitäten. Von dort bringt der Dampfer die Häringe nach Ellerbeck, wo sie des Morgens um halb fünf Uhr anlangen. Zuerst werden sie ausgenommen (die Eingeweide entfernt) und dann in Kisten gesalzen, die etwa vier bis fünf „Wall“ fassen. Der Wall ist das Maß für Häringe und Sprotten, nämlich achtzig Stück. Auch in den Handel gehen die Bücklinge nach Wall, das heißt in Kiel und in den meisten übrigen nordischen Städten; nach dem Binnenlande wird in Kilogrammen gehandelt, besonders im Großhandel. – Im Salz bleiben die Fische etwa vierundzwanzig Stunden.

Das Salzen, sei hier aus anderer Quelle eingeschaltet, geschieht auch auf folgende Weise. Wenn das am Abend vorher ausgeworfene Netz am Morgen mit den gefangenen Häringen [097] (manchmal 120 bis 140,000 auf einen Zug) auf’s Schiff gezogen worden ist, wozu drei Stunden Arbeit erforderlich, werden die Eingeweide und Kiemen sofort herausgenommen, dann die Fische in starke Lake von Boysalz gelegt und in eichene Tonnen verpackt; zwischen jede Schicht Häringe wird wiederum Boysalz gestreut, welches bald zur Lake wird. Diese Art ist das „weiße Einsalzen“ und dauert nur eine Nacht. Wenn dagegen die zu Bücklingen bestimmten Häringe zwei Nächte hindurch in der Lake liegen bleiben, so nennt man dies das „rothe Einsalzen“.

„Nach Beendigung des Salzens,“ fuhr der Räucherer fort, „werden die Fische gewaschen, leicht an der Luft getrocknet, sortirt, auf hölzerne Stangen gezogen und kommen nunmehr in den Räucherofen.“

„Hat derselbe eine besondere Bauart?“

„Nein. Es ist eigentlich nur ein gewöhnlicher deutscher Heerd. Man räuchert oft mit Pappelholz, am liebsten aber mit Ellerholz.“

„Feucht, nicht wahr?“

„Beileibe nicht. Möglichst trocken gehacktes Holz, sogenannte Hackspähne. Der Räucherer sorgt für ganze Böden voll Vorrath von diesen Spähnen, damit sie gehörig austrocknen; feuchtes Holz giebt schlechte Bücklinge. Zunächst muß helles Feuer sein, damit die Bücklinge rasch trocken werden und eine glatte Haut bekommen. Nachher wird dann mehr auf Rauchentwickelung gehalten. Gute Bücklinge müssen groß, fett, zart, biegsam und wunderhübsch goldigbraun sein. Auch recht klare Augen nach dem Räuchern sind ein Zeichen der Güte.“

„Und wie lange dauert das Räuchern?“

„Je nachdem - die Zeit ist verschieden eine Menge von Umständen hat Einfluß darauf, das Holz, die Jahreszeit, die Frische der Fische etc. Die Durchschnittszeit mag etwa zwei bis drei Stunden sein. Durch das Anfühlen prüft man sie, ob sie gahr sind. Ist das Räuchern und das Abkühlen vorbei, so geht es an’s Verpacken. Nach Hamburg und anderen naheliegenden Städten verschickt man sie in Körben, weiter in’s Binnenland hinein in Kisten.“

„Geht das Geschäft das ganze Jahr hindurch?“

„Leider nicht. Im Sommer geht es gar nicht; vom Mai bis Ende Juni wird nicht geräuchert. Nach dem 1. August sind die Bücklinge am besten.“

Hier sei zum Verständnisse des später Folgenden eingeschaltet, was Karl Vogt in seiner „Nordfahrt“ zur Widerlegung der alten Fabeln von den Wanderzügen der Häringe bemerkt: „Der Häring lebt weder vorzugsweise am Polarmeere, noch macht er weite Reisen. Er bewohnt die Tiefen derjenigen Meere, an deren Küsten er laicht, wird dort zu allen Zeiten vereinzelt gefangen, namentlich mit solchen Geräthschaften, welche in die größeren Tiefen reichen, und hebt sich aus den Tiefen nur zur Laichzeit empor, um der Küste zuzusteuern, an welcher er seine Eier ablegt. Die Laichzeit, während welcher der bedeutendste Fang geschieht, fällt in die Wintermonate, scheint aber, je nach der Witterung und anderen ziemlich unbekannten Einflüssen, oft um Wochen und Monate zu schwanken. Die Fischer haben verschiedene Anzeichen, aus welchen sie das Herannahen der Häringsschwärme beurtheilen, doch sind dieselben sehr trügerisch. Auch sind die Jahre sehr verschieden; in einem Winter erscheinen ungeheuere Massen, in dem anderen gerathen nur einzelne Fische in’s Netz. Die Ursachen dieser Erscheinungen sind noch gänzlich unenträthselt.“

Auch in anderer Hinsicht ist (nach Brehm) die Lebenskunde des Härings dunkel und unklar. Nicht immer sind es Schaaren fortpflanzungslustiger Fische, die sich zeigen, sondern es kommen auch alljährlich große Heere sogenannter Jungfern- oder, wie die Holländer sagen, Matjes- (Mädchen-) Häringe aus ihrer heimatlichen Tiefe hervor. Ueber das Leben in den tieferen Gründen wissen wir so gut wie nichts; mit Sicherheit haben wir noch nicht einmal die Nahrung besagen können, welche der Häring genießt. Auch eine bestimmte Laichzeit hat er nicht, mit Ausnahme des Juni und December fängt man in allen übrigen Monaten Stücke, die von Milch oder Rogen strotzen. Die hauptsächlichsten Laichmonate mögen im Frühling Februar und März, in der späteren Jahreszeit August und September sein.

Lassen wir jetzt wieder unseren Räucherer reden und zwar von der Wirkung der soeben vorgeführten Ursachen:

„Auch im Winter geht das Geschäft nicht jeden Tag, sondern richtet sich nach dem Fange. Der Wind spielt dabei, wie an der Küste überhaupt in vielen Dingen, die Hauptrolle. Ist der Fang gut gewesen, kommen reichlich Fische, so herrscht reges Leben und Treiben überall von früh bis spät, alle Arbeitskräfte der Fischerdörfer werden ausgeboten; Alles muß heran, Männer, Frauen und Kinder; da giebt’s Geld zu verdienen. Die Frauen besorgen namentlich das Aufziehen der Fische auf die Räucherstöcke. Die kleinen Kinder selbst, die nicht mit arbeiten können, freuen sich solcher guten Zeit; fällt da einmal ein Bückling vom Stock, wenn die Fische aus dem Ofen an die Luft zum Abkühlen getragen werden, so erhaschen ihn die Jungen und thun sich gütlich daran, wenn viel da ist, kommt’s auf ein Stück mehr oder weniger nicht an.“

Hiermit scheint die von uns wahrgenommene Thatsache zusammenzuhängen, daß so ein richtiger Kieler oder Ellerbecker Eingeborener auch ganz unglaubliche Quantitäten „Buckel“ oder Sprott vertilgen kann; des Brodes braucht er zu der fetten Speise nur so verschwindend wenig, wie Falstaff desselben zu seinem Sect.

Unser Gewährsmann erwähnte dann noch nebenbei des Umstandes, daß bei so günstigen Verhältnissen gar mancher Räucherer den brillanten Verdienst durch extra-riesige Portionen äußerst „steifen“ Grogs zu feiern pflegt, welches erwärmende Getränk ja überhaupt als Schutzmittel gegen atmosphärische Einflüsse der nordischen Küstenbevölkerung stets so lieb und werth sein wird, daß alle Mäßigkeitsvereine nichts dagegen ausrichten können.

Der Vollständigkeit wegen seien hier neben den Kieler Bücklingen noch einige andere Sorten erwähnt. Da ist zunächst der „Häringsbückel“, eine im Großen fast ausschließlich in Hamburg bereitete Sorte, zu welcher man große, bereits längere Zeit in Tonnen aufbewahrte gesalzene Häringe nimmt, die ausgewässert und dann geräuchert werden. Viele Leute schätzen sie als Delicatesse; Schreiber dieser Zeilen hat der äußerst derben, sehr zähen und thranig duftenden Speise nie Geschmack abgewinnen können. Die beste Sorte derselben heißt auch Speck- oder Lachsbückling. - Flohm-, Flick-, Flack- oder Fleckhäringe (ziemlich theuer) sind holländische Bücklinge; auf dem Rücken ausgeschnitten sind sie auf etwas andere Art geräuchert und werden in der Regel nicht roh verzehrt, sondern gebraten, gewöhnlich in Gesellschaft von Spiegeleiern. Endlich giebt es eine untergeordnete Qualität. Stroh- oder Tonnenbücklinge, über Kohlenfeuer geräuchert, schrecklich trocken schmeckend, aber sehr billig im Preise.

Dagegen gehört, wie schon Eingangs dieser Zeilen erwähnt, ein richtiger Kieler Bückling Prima-Qualität in der besten Jahreszeit mit Recht zu den von Feinschmeckern allseitig anerkannten Delicatessen; so zart ist das Fleisch, so lockend der Geruch, so fein das unter der goldigen Haut sitzende Fett. Einige ziehen die „Milchner“, andere die „Rogener“ vor, nebenbei erwähnt, birgt ein weiblicher Häring 40,000 bis 50,000, ja selbst 60,000 bis 70,000 Eier. Recht störend wirkt es beim Genuß, wenn man, wie das wohl vorkommt, einen mangelhaft ausgenommenen Bückling zerlegt und anstatt des gehofften Rogens ein abscheulicher Brei von halbverdauten Krebschen zu Tage tritt. Diese winzig kleinen Krebse, wie sie in ungeheuren Massen die See und namentlich die Ostsee erfüllen, bilden die Hauptnahrung des Härings. Möbius sagt hierüber:

„Die Hauptnahrung der Häringe, die in der Nord- und Ostsee gefangen werden, bilden wenige Arten sehr kleiner Krebse aus der Ordnung der Spaltfüßler (Copepoden). Im Februar 1872 wurden in der Kieler Bucht sehr viele Häringe gefangen. Fast alle, die ich öffnete, um ihre Nahrung kennen zu lernen, hatten ihren Magen mit Spaltfüßlern angefüllt, die fast ausschließlich einer einzigen Art (Temora longicornis) angehörten. In dem Magen eines großen Härings, der prall mit Temorabrei angefüllt war, betrug die Zahl der verschluckten Krebschen nach einer sicheren Zählung 60.895 Stück. Ein anderer Häring hatte 19,170 Stück im Magen. Diese Beispiele zeigen, daß unsere flachen Küstenmeere trotz ihrer Armuth an Arten ungeheure Mengen thierischer Individuen erzeugen.“

Die Bedeutung der „Kieler Bücklinge“ als Handelsartikel ist, wie aus allem Gesagten hervorgeht, sicherlich eine nicht geringe; an zuverlässigen statistischen Abmachungen hierüber fehlt [098] es indessen sehr. Das liegt in erster Linie daran, daß, wie schon oben erwähnt, eine außerordentlich große Anzahl von Städten respective Dörfern die Räucherei betreibt; in den meisten derselben werden Declarationen der verarbeiteten Quantitäten behördlicherseits nicht verlangt. Des Weiteren geben auch die Ein- und Ausfuhrlisten und andere statistische Nachweise der größeren Handelsplätze hierüber insofern nur ganz unklare Auskunft, als man nicht die Rubrik „Bücklinge“, sondern nur diejenige der geräucherten Fische zu führen pflegt, also Aal, Sprott, Lachs, Dorsch, Flunder, Makreele, Maifisch, Schnepel etc. Diese gesellen sich also in den Registern zum Bückling und können nicht wieder von ihm getrennt werden. Eine annähernde Schätzung könnte man allenfalls auf Grund der Angabe Brehm’s versuchen, daß durchschnittlich jährlich 10,000 Millionen Häringe gefangen werden. Deutschlands Fischerei steht leider noch auf so niedriger Stufe, daß noch nicht drei Procent hiervon auf seinen Anteil kommen. Es ließe sich annehmen, daß von diesen 300 Millionen Häringen 10 bis 15 Procent in Bücklingsgestalt zum Vertrieb kommen, doch können wir für diese Zahl nicht einstehen, da unsere sämmtlichen Versuche, Genaueres hierüber zu erkunden, erfolglos geblieben sind.

Gustav Kopal.