Kampf der lutherischen Kirche um Luthers Lehre vom Abendmahl/Das Interim

« Melanchthon und die Augustana Heinrich Friedrich Ferdinand Schmid
Kampf der lutherischen Kirche um Luthers Lehre vom Abendmahl
Inhaltsverzeichnis
Der Streit Westphals »
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Zweiter Abschnitt.

 Derselbe leitet sich ein und wird erzeugt durch das Interim. Mit diesem hängen zwar die Streitigkeiten über das Abendmahl, zu deren Beschreibung wir nun übergehen, nicht unmittelbar zusammen. Dieselben gehen nicht in gleicher Weise, wie die adiaphorischen, majoristischen, synergistischen und antinomistischen Streitigkeiten aus dem Zerwürfniss hervor, das auf Anlass des Interims unter den lutherischen Theologen entstanden war, aber sie können doch nur recht verstanden werden, wenn man die Zeit genau kennt, in der sie geführt wurden, und diese eben ist durch das Interim bestimmt.

 Ihm wenden wir uns also zuerst zu.

 Wir beginnen mit einem kurzen Ueberblick über die Geschichte der beiden Interims, des Augsburger und des Leipziger, und halten uns dabei zumeist an die 1559 von Wittenberg ausgegangene expositio eorum, quae theologi academiae Witebergensis de rebus ad religionem pertinentibus .. monuerint.

 Auch nach dem Sieg des Kaisers über die Schmalcalder Verbündeten lagen die Dinge doch nicht so, dass er dem Protestantismus sofort hätte ein Ende machen können, immer hielt er noch an dem Gedanken fest, durch ein allgemeines Concil die Einheit der Kirche wieder herzustellen. In Erzielung eines solchen Concils unterstützte ihn aber der Papst nicht so, wie er es erwartete, er fasste also den Entschluss, vorerst eine Kirchenordnung zu erlassen, welche für beide Theile Geltung haben sollte, bis durch ein allgemeines Concil eine definitive Ordnung der kirchlichen Dinge erreicht werde. Diese Kirchenordnung ist das vielberühmte Augsburger Interim. Dieses gab sich allerdings den Schein, als enthalte es einen Vergleich zwischen| Protestanten und Katholiken, in Wahrheit aber stand es, darin dem Regensburger Interim von 1546 immerhin sehr unähnlich ganz auf katholischer Seite. Dennoch gab sich der Kaiser der Hoffnung hin, die Protestanten zur Annahme desselben zu bewegen. Zwei Monate vor Veröffentlichung desselben fing er an, die Fürsten zu sondiren, am 17. März wurde es dem Kurfürsten Moritz von Sachsen vorgelesen, und natürlich legte der Kaiser ein besonderes Gewicht darauf, dass es in dessen Lande, der Wiege der Reformation, eingeführt würde. Der Kurfürst verweigerte die Annahme, bevor er es nicht seinen Theologen vorgelegt hätte, und bat den König Ferdinand, die Erlaubniss dazu bei dem Kaiser auszuwirken, Ferdinand aber rieth, er möge von Melanchthon absehen, denn dieser sei bei dem Kaiser besonders schlecht angeschrieben, und leicht könne es kommen, dass er dessen Auslieferung verlange. Am 24. März verhandelte dann der Kaiser in Person mit dem Kurfürsten und liess ihm durch den orator sagen, er hoffe, er werde sich gleich den anderen Fürsten fügen. Der Kurfürst antwortete, er hätte den Seinen versprochen, sie nicht zur Verleugnung ihrer Religion zu zwingen und die Sache im alten Stand zu lassen, bis dieselbe auf einem freien Concil entschieden wäre. Das habe der Kaiser selbst zugestanden, er bitte daher um die Erlaubniss, nach Hause reisen zu dürfen, um sich mit den Seinigen zu berathen. Der Kaiser erwiederte: was ein Fürst mit den Ständen in Sachen der Religion beschlossen habe, das müssten die Unterthanen annehmen, so sei es Sitte, die Theologen aber, mit denen der Kurfürst sich berathen wolle, seien gerade die, welche sich wider die kaiserliche Majestät aufgelehnt hätten, und unter diesen sei Melanchthon der ärgste, den solle er ihm ausliefern. Darauf entgegnete der Kurfürst: da er mit Zustimmung des Kaisers seinen Unterthanen jenes Versprechen gegeben, so sei seine Lage eine andere als die der anderen Fürsten. Den Melanchthon suchte er zu entschuldigen.
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 Die Erlaubniss, den Reichstag zu verlassen, um die er bat, konnte der Kurfürst noch nicht auswirken. Er hatte sich aber bald nach dieser Unterredung eine Abschrift des Interims zu verschaffen gewusst, diese sendete er an seine Theologen und forderte sie| zu einem Gutachten darüber auf. Ein kurzes, aber dem Interim ungünstiges, Gutachten Melanchthons, das dem Kurfürsten überschickt wurde, genügte ihm nicht, er verlangte ein ausführlicheres, und ordnete an, dass sich die Theologen Cruciger, Major, Pfeffinger und Melanchthon zu diesem Endzweck am 20. April 1548 in Celle versammeln sollten. Das da abgefasste Gutachten (vom 24. April) beschäftigte sich vorzugsweise mit dem Hauptartikel, dem vom Glauben. Die Theologen erklärten, in die Form, in welche dieser Artikel im Interim gefasst sei, könnten sie nicht willigen und dem Kurfürsten die Annahme nicht rathen.

 In diese Zeit fällt nun die Weigerung der katholischen Stände, das Interim anzunehmen, sie wollten, es solle nur den Protestanten proponirt werden. Dadurch bekam das Interim einen ganz anderen Charakter, denn jetzt konnte es nicht mehr als ein zwischen beiden Theilen getroffener Vergleich betrachtet werden. Darum ging die Meinung Melanchthons, der diesen Unterschied wohl einsah, jetzt dahin, dass man alle weiteren Verhandlungen aufgeben solle.

 Das war aber nicht nach dem Sinne des Kurfürsten, er forderte vielmehr (noch von Augsburg aus) seine Theologen, indem er ihnen das Interim zuschickte, zu einem neuen Gutachten auf, das er den Ständen vorlegen könne, und empfahl ihnen darin möglichste Nachgiebigkeit. Das Gutachten, das auch von Melanchthon unterschrieben war (vom 16. Juni), brauchte ihn wenigstens nicht zu entmuthigen. Darin war zwar erklärt, dass das Interim in vielen Artikeln der rechten Lehre zuwider sei, aber es wurde darin doch nicht der früher gegebene Rath, die Verhandlungen jetzt abzubrechen, wiederholt, vielmehr heisst es zuletzt, es sei Sache des Fürsten, für den Fall, dass Krieg um dieser Sache willen drohe, zu erwägen, was er zur Vertheidigung der Kirche zu unternehmen oder zu ertragen habe, sie, die Theologen, aber seien bereit, als Privatpersonen zu leiden. Dem Kurfürsten war also doch freie Hand gelassen. Er entschloss sich jetzt, die Sache vor einen Ständeausschuss zu bringen, und berief denselben nach seiner Rückkehr von Augsburg, denn der Kaiser hatte ihm jetzt die Erlaubniss dazu ertheilt, nach Meissen. Daher legte er ihnen, indem er ihnen das Interim übergab, ans| Herz: ut ne Caesari obedire atque obsequi recusarent in omnibus, quae ullo modo salva veritate verbi Dei et sine laesione bonae conscientiae fieri possent, idque pacis et concordiae causa, et ad multiplicia pericula avertendum.[1]

 Man nahm es in Meissen doch genauer, als der Kurfürst mochte erwartet haben, man forderte von den da versammelten Theologen (Melanchthon, Cruciger, Pfeffinger, Gresser [aus Dresden], G. Major, Joh. Forster [aus Merseburg]) ein Gutachten, das diese am 6. Juli einreichten, dann trat man in Berathung, was dem Kaiser zu antworten sei. Erst wollten die Stände, es solle dem Kaiser eine summa doctrinae überschickt werden, aus welcher er ersehen könne, worin man abweiche und worin nicht. Demgemäss machte sich Melanchthon an die Arbeit, dann aber wurden die Theologen doch bedenklich darüber, ob es der Kaiser gut aufnehmen werde, wenn man eine solche, dem Interim widersprechende, summa doctrinae ihm vorlege, und machten den Vorschlag, die Stände sollten an den Kaiser einfach die Bitte richten, er möge ihnen gar keine Aenderung, weder in der Lehre noch in den Ceremonien, zumuthen;[2] die Stände aber beschlossen jetzt, den Kurfürsten zu bitten, er möge diese Bitte an den Kaiser bringen. Der Kurfürst war aber überzeugt, dass damit bei dem Kaiser nicht zum Ziel zu kommen sei und meinte, es müsse wenigstens in den adiaphoris Nachgiebigkeit gezeigt werden.[3] Er wendete sich zu diesem Behuf in der Stille an die noch katholisch gebliebenen Bischöfe seines Landes, an die von Meissen und Naumburg, ob er von ihnen nicht Aenderungen erlangen könne.

 Die Bischöfe sagten zu, am 23. August nach Pegau zu kommen. Auch die Theologen, obwohl sie erkannten, welchen Verdacht sie sich dadurch zuzögen, glaubten doch, sich der Sache nicht entziehen zu dürfen und kamen dorthin, die Theologen Melanchthon, Forster, und, weil Cruciger krank geworden war, Paul Eber.

 In Pegau verzeichnete man erst die Punkte, an denen man| festhalten müsse, dann, auf Verlangen der Bischöfe, die Punkte im Interim, an denen etwas auszusetzen wäre. Bei den Verhandlungen darüber kam es doch dahin, dass die Theologen ihre Ausstellungen am Interim auf vier Punkte beschränkten, die von der Rechtfertigung, der Busse, der Messe und dem Heiligendienst. Sie legten aber weiter den Bischöfen einen Aufsatz vor, welcher ihr Bekenntniss über diese Punkte enthielt. Ihre Lehre von der Rechtfertigung konnte zwar im protestantischen Sinne verstanden werden, aber auch die Römische Lehre hatte darin Platz, und sogar ein weiteres Zugeständniss machten sie in dieser Lehre an die Bischöfe. Jetzt gestanden dieselben zu, dass sie sich die Lehre in dieser Fassung gefallen lassen könnten, auf die anderen drei Punkte aber liessen sie sich nicht ein, unter dem Vorwand, dass es dann zu Aenderungen im Interim komme, zu denen sie sich nicht berechtigt erachteten. Auch stellten sie weiter noch so viele Forderungen, dass man sah, weiter käme man doch nicht mit ihnen. Die Verhandlungen wurden daher abgebrochen. Nur noch die Frage wurde erwogen, ob man dem Kaiser willfahren solle, wenn er eine neue Formel wolle, welche die Mitte zwischen der papistischen und der lutherischen Lehre halte? Der Kurfürst drängte, man solle nachgeben, so viel man mit gutem Gewissen könne. Die Sache schien aber so wichtig, dass man die Meinung aussprach, dass alle Stände dazu mitwirken müssten. Diese wurden daher nach Torgau auf den 18. October berufen. Dort erinnerte sie der Kurfürst, dass man doch immer versprochen habe, Zugeständnisse zu machen, so weit es salva et integra veritatis doctrina geschehen könne und forderte sie dazu auf. Er machte auch geltend, dass eine Gleichheitlichkeit der Ceremonien und Kirchenordnungen wünschenswerth sei. Er kam aber mit den Ständen doch nicht so weit vorwärts, als er wünschte. Man verschob die Sache auf einen Convent, auf dem die Theologen in grösserer Anzahl versammelt wären. Ein solcher kam zu Celle zu Stand, am 16. Novbr. Dort wurden die zahlreicher versammelten Theologen aufgefordert, einen Agendenentwurf mit zu Grundlegung der Agende des Herzogs Heinrich zu fertigen und in denselben das aufzunehmen, worüber man in Betreff der adiaphora schon| in Torgau übereingekommen war. Der gefertigte Entwurf stimmte, was die adiaphora anlangt, so ziemlich mit dem Interim. Dennoch wünschten einige Räthe noch grössere Annäherung an dasselbe und legten den Theologen einen anderen Entwurf vor, in welchem auch auf die Lehre Bezug genommen war. Es war darin die Lehre des Interim von dem Status ante et post lapsum acceptirt, die Lehre von der Rechtfertigung zwar mehr lutherisch ausgedrückt, aber doch bemerkt, man wolle damit nicht anders lehren, als man mit den Bischöfen in Pegau übereingekommen sei. Und die Theologen liessen sich auch diesen Entwurf gefallen.

 Die Sache war jetzt so weit gediehen, dass der Kurfürst die sämmtlichen Stände einberufen und ihnen die Sache zu solenner Annahme vorlegen konnte. Das geschah auf dem Landtag zu Leipzig im December 1548. Auf ihm erinnerte der Kurfürst erst an das, was in Meissen verhandelt worden, machte bemerklich, dass die Lehre rein erhalten sei, insbesondere die von der Rechtfertigung, dem Genuss von Leib und Blut Christi im Abendmahl und der Priesterehe, das Gewissen sei überall gewahrt. Er bat, sie sollten jetzt, wo es nicht Noth thue, keine Schwierigkeiten machen. Darauf wurde ihnen die neue Kirchenordnung vorgelegt, angeblich die in Celle vereinbarte, in Wahrheit war aber auch diese ohne Gutheissung der Theologen etwas verändert worden. Die Stände, dadurch vielleicht misstrauisch gemacht, billigten zwar die Artikel von der Rechtfertigung, den guten Werken, der kirchlichen Autorität, der Reue, der Ehe, die Bilder, Gesänge, die Fasten, die Artikel über die Kirchenzucht, Ordination und Messe, machten aber doch allerlei Ausstellungen, so über die Confirmation, das Oel, und meinten, das solle unterlassen werden, aber die Theologen waren es, welche die Stände zu beruhigen und ihre Bedenken zu beschwichtigen suchten. Das gelang freilich nur unvollkommen, und eigentlich waren weder die Stände noch die Theologen mit dem Verlauf der Dinge recht zufrieden, Widerspruch wurde aber doch nicht eingelegt, der Kurfürst wurde vielmehr gebeten, die Sache des Weiteren mit den Bischöfen zu ordnen. Er nahm also an, dass er am Ziel angelangt sei.

|  Der weitere Verlauf war dann der: die Theologen mussten eine neue Agende ausarbeiten, in welche alles das aufgenommen war, worüber man sich in Leipzig verständigt hatte. Zu diesem Endzweck hatten sie eine Zusammenkunft bei dem Herzog Georg von Anhalt (dem Coadjutor der Magdeburger Diöcese) in Merseburg, auf dieser sollten aber auch über die vornehmsten Lehren piae formulae institutionis eingereicht werden. Diese Arbeit wurde im März 1549 fertig. Am 13. April sollte die neue Agende in Torgau verlesen werden, die Verhandlungen wurden aber durch die eingelaufene Schrift eines Flacianischen Sendlings gehindert, worin dieser die Theologen beschuldigte, das Land zum Abfall von der lutherischen Kirche verleiten zu wollen, und diese Schrift hatte viele von der Ritterschaft abwendig gemacht. Erst, nachdem man hoffen konnte, durch eine Gegenschrift den Eindruck dieser Schrift verwischt zu haben, berief der Kurfürst (im Mai) die Stände und Theologen nach Grimma, da wurde die neue Agende approbirt und am 4. Juli 1549 an alle weltliche Obrigkeiten hinausgegeben, mit dem Befehl, die Einführung zu vollziehen.

 So war es zu dem Leipziger Interim gekommen. Man unterscheidet da gewöhnlich ein grosses und ein kleines Interim. Unter dem ersteren versteht man die auf dem Leipziger Landtag approbirten Artikel, unter dem anderen die von dem Kurfürsten zum Landesgesetz erhobene Verordnung über den Gottesdienst.

 Bilden wir uns nun ein Urtheil über dasselbe.

 Man kann dasselbe recht eigentlich ein Werk des Kurfürsten Moritz nennen. Schon das Augsburger Interim hatte er nicht einfach abzulehnen gewagt. Seine Stellung zur Sache legt die expositio klar dar.[4] Er meinte, er müsse eines von beiden thun: entweder dem Kaiser erklären, das vorliegende Interim enthalte viel Falsches, aber auch manches, das nicht gottlos sei, und er müsse dann sagen, wie weit er nachgeben könne, oder er müsse geradehin dem Kaiser Gehorsam versagen und dann auf Krieg gefasst sein. Er entschloss sich zum Ersteren| und sein Plan ging nun dahin, einen Entwurf zu Stande zu bringen, in welchem die evangelische Lehre erhalten bliebe, in allen anderen Punkten aber möglichst viel nachgegeben und so der neue Entwurf dem Augsburger Interim möglichst nahe gerückt werde. Er drückte das immer so aus, es solle mit Wahrung der reinen Lehre und des rechten Gebrauchs der Sacramente in adiaphoris nachgegeben werden, und er hegte dabei die Hoffnung, dass der Kaiser auf die Aenderungen, welche in der Lehre vorgenommen würden, kein Gewicht legen, oder sie auch übersehen werde, ja dass er sich zufrieden geben werde, wenn das Werk nur den Namen Interim trage. Für diesen Plan musste er aber seine Theologen zu gewinnen suchen, denn ohne sie war im Lande nichts auszurichten. Die Theologen erklärten sich nun freilich ungünstig über das Interim, aber schon das erste Gutachten war ein gemässigtes, und als der Kurfürst durch Vertraute sie ausholen liess, konnte er sogleich die Hoffnung schöpfen, dass sie ihm willfährig sein würden. Schon in jenem berüchtigten Brief Melanchthons an den Rath v. Carlowitz vom 28. April (also wenige Tage nach dem in Celle abgegebenen Gutachten), auf den wir noch zurückkommen werden, nannte Melanchthon die Bedingungen des Kaisers mediocres. Es war nun Sache des Kurfürsten, die Theologen festzuhalten, und es gelang ihm Schritt für Schritt, sich dieselben dienstbar zu machen.
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 Zuerst waren die Theologen noch von der Voraussetzung ausgegangen, dass das Interim beiden Theilen gelten solle und hatten unter dieser Voraussetzung sich erboten, die Hand dazu zu bieten. Als aber dann das Interim von den katholischen Ständen abgelehnt worden war, und der Kaiser dennoch wollte, dass es die Protestanten annähmen, wollten sich freilich die Theologen zurückziehen, liessen sich aber doch bald darauf wieder auf ein Gutachten ein, das keineswegs der Art war, dass der Kurfürst dadurch entmuthigt wurde. Sie erklärten sich darin bereit zur Nachgiebigkeit in den Mitteldingen, und überliessen es dem Kurfürsten, was er im Fall, dass ein Krieg drohe, zur Vertheidigung der Kirche unternehmen oder ertragen wolle, sie aber seien bereit als Privatpersonen zu leiden. Dess also konnte der Kurfürst gewiss sein, dass die Theologen ihm in keinem| Fall Widerstand leisten würden. Er brachte sie aber auch noch zu Weiterem. Er bestimmte sie, ihm zu dem Versuch (in Pegau), die Bischöfe zu gewinnen, behülflich zu sein. Dass da die Theologen sich im Interesse des Friedens zu einem Lehrentwurf verstanden, welcher bereits der protestantischen Sache etwas vergab, und dass sie dann noch ein weiteres nicht unbedenkliches Zugeständniss an die Bischöfe machten, haben wir schon mitgetheilt. Weiter vermochte der Kurfürst auf dem Convent zu Celle die Theologen zu einem Agendenentwurf, welcher in Betreff der adiaphora der Hauptsache nach mit dem A. Interim stimmte. Und mehr noch, die Theologen liessen sich einen anderen Entwurf gefallen, der auch auf die Lehre Bezug nahm und darin nicht unbedenkliche Zugeständnisse machte. Endlich liessen sich die Theologen auf dem Leipziger Landtag einen Agendenentwurf gefallen, der ohne ihre Gutheissung verändert worden war, und unternahmen es schliesslich auch noch die Stände, welche bedenklicher waren, zu beruhigen.

 Der Kurfürst hatte also alle Ursache, mit seinen Theologen zufrieden zu sein.

 Was bestimmte diese aber zu solcher Stellung in der Sache?

 Eingestandenermassen nicht die Hoffnung, damit die lang ersehnte Einheit der Kirche zu erreichen. Mit dieser Hoffnung war es vorbei, so bald es Römischer Seits feststand, das Interim nicht anzunehmen. Noch weniger glaubte irgend ein Theologe, die Kirchenordnung, welche das Leipziger Interim enthielt, sei besser, als die, welche man verlassen habe. Der Gesichtspunkt, von dem bei dem Interim die Theologen so gut wie der Kurfürst ausgingen, war ausgesprochenermassen der der Zugeständnisse. Man wollte sich darin dem katholischen Wesen nähern, so viel als nur immer ohne völlige Preisgebung des evangelischen Bekenntnisses möglich war, und das wollte man aus Furcht vor dem Kaiser und dem Krieg, mit dem er drohte. Dass der Kaiser dem protestantischen Wesen ein Ende machen wollte, wusste jeder. Er war in seiner Forderung freilich nicht so weit gegangen, dass er den einfachen Uebertritt zur Römischen Kirche begehrt hätte, er hielt ja noch an seinem alten Gedanken fest, dass die Kurie die Hand zu Aenderungen, welche den Protestanten| den Uebertritt leichter gemacht hätten, bieten solle, und darum drang er auf ein allgemeines Concil, und nannte er die in Augsburg erlassene Kirchenordnung nur ein Interim. Indem er dieses aber noch, nachdem die katholischen Stände es abgelehnt hatten, aufrecht erhielt, und gerade jetzt erst publiciren liess, gab er deutlich zu erkennen, was seine Intention damit sei. Es war die, den Protestanten in der milden Form des Interim alles specifisch Evangelische zu entziehen, bis Mittel und Wege gefunden wären, eine vollständige Zusammenschmelzung der jetzt noch getrennten Religionsparteien vorzunehmen.

 Wie konnte man aber unter diesen Umständen hoffen, den Kaiser durch dieses, das Leipziger Interim, zu befriedigen? In Wahrheit konnte es nur dadurch geschehen, dass man ihm Sand in die Augen streute. Gewiss ist, dass das die Absicht des Kurfürsten war. Er hoffte, den Kaiser dadurch, dass er sich in Sachen der Ceremonien und kirchlichen Ordnungen der Römischen Kirche accommodirte, zu täuschen. In Wahrheit war sein Gedanke wohl der, in seinem Lande die Sachen im alten Stand zu lassen. Dafür spricht, dass er, nachdem das Interim zu Stand gekommen war, nicht einmal mit der Einführung des kleinen Interim einen rechten Ernst machte.[5] Gewiss aber hätte er dem Kaiser gegenüber seinen Zweck nicht erreicht, wenn nicht die späteren Kriegsereignisse den ganzen Plan des Kaisers über den Haufen geworfen hätten, und ohne Frage waren es unlautere Mittel, deren sich da der Kurfürst zur Erreichung seines Zweckes bediente.

 Waren die Theologen auf die Gedanken des Kurfürsten eingegangen? Das kann man nicht sagen. Ihre Stellung zur Sache war die: sie hatten sich von dem Kurfürsten überzeugen lassen, dass ein einfaches Ablehnen des Interims unausbleiblich zum Krieg führe, mit dem die ganze Existenz der evangelischen Kirche bedroht wäre. Der Kurfürst war da sehr klug zu Werk gegangen. Nachdem er ihnen auseinandergesetzt, dass nur die Alternative vor ihm liege, entweder an den Kaiser Zugeständnisse zu machen, oder durch Verweigerung des Gehorsams den| Kaiser zum Krieg zu reizen, hatte er sie aufgefordert, ihm zu sagen, ob auch Grund genug vorhanden sei, gegen die oberste Gewalt zu den Waffen zu greifen und sein Land in einen gefährlichen Krieg zu verwickeln, bevor man nicht den Versuch gemacht habe, den Kaiser durch Zugeständnisse zu gewinnen.[6] Die Verantwortung des Kriegs wollte er damit auf ihre Schultern wälzen. Vor Uebernahme dieser Verantwortung bebten sie zurück, und die Stellung, welche sie zum Kurfürsten einnahmen, war nun die: was der Kurfürst zum Wohl des Landes und zur Abwehr der drohenden Gefahr zu thun oder zu lassen habe, das, erklärten sie, sei nicht ihre, sondern seine Sache, was er da auch unternehme, sie würden sich ihm nicht hinderlich in den Weg stellen. Glaube er aber auf dem Weg der Zugeständnisse den Krieg vermeiden zu können, so seien sie bereit, ihn in Erzielung aller die evangelische Lehre nicht antastenden Zugeständnisse zu unterstützen, denn sie wollten sich wohl hüten, durch Verweigerung aller Nachgiebigkeit die Fackel des Aufruhrs zu entzünden. Damit war die Gränze bezeichnet, bis zu welcher sie mit dem Kurfürsten gehen würden, zugleich aber auch dem Kurfürsten angedeutet, dass, wenn er über diese Gränze hinausgehe, er keinen Widerstand von ihrer Seite zu fürchten habe.
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 Das Letztere nun ist das Bedenklichste. Sie versprachen für den Fall, dass der Kurfürst Wege einschlüge, welche mit ihrem Gewissen nicht vereinbar wären, sich einfach als Privatpersonen zur Sache zu verhalten. Als Solche waren sie entschlossen, zwar eher zu leiden als dass sie sich zu etwas bewegen liessen, was wider ihr Gewissen gewesen wäre, aber auch zu dem, was der Kurfürst thue, zu schweigen und schweigend es geschehen zu lassen. Dabei sahen sie also ganz ab von dem Beruf, den sie als Diener des göttlichen Wortes hatten, denn der ging doch dahin, ihre Stimme laut zu erheben, wo der Kirche eine Schädigung drohte. Von diesem Beruf aber wollten sie absehen in einer Zeit, in welcher die Kirche von der grössten Gefahr bedroht war, in welcher man vor allem die Geistlichen auf ihrem Platz erwartete| und in welcher Hunderte von Geistlichen, weil sie ihrer Zeugenpflicht und ihres Wächteramtes genügt hatten, in der Verbannung lebten oder im Gefängniss seufzten. Sie mochten immerhin sagen, sie hätten, indem sie zum voraus erklärt hätten, dass sie für ihre Person eher leiden als die Wahrheit verleugnen würden, bewiesen, dass sie nicht durch persönliche Furcht sich in der Stellung, die sie da einnahmen, leiten liessen. War es dann auch nicht persönliche Furcht, welche bewirkte, dass sie dem Kurfürsten so freie Hand liessen, so ging dieselbe doch aus einer Rathlosigkeit hervor, welche eines evangelischen Geistlichen unwürdig war. Sollte denn ein evangelischer Geistlicher nicht zu sagen wissen, was zu thun sei und gethan werden müsse, wenn man den Frieden, oder auch die Existenz nur mit Preisgebung der Wahrheit erkaufen könne?

 Indessen nach der eigenen Ansicht dieser Theologen kam es nicht so weit, dass sich ihre Wege, als die von Privatpersonen, von denen des Kurfürsten scheiden mussten: was dieser erzielte, dazu glaubten sie auch mit gutem Gewissen ihm die Hand bieten zu können, zu Zugeständnissen in adiaphoris.

 Beschränkten sich die Zugeständnisse nun wirklich auf adiaphora, und liessen dieselben sich aus den vorliegenden Umständen rechtfertigen?

 Wir werfen zur Beantwortung dieser Fragen einen Blick auf den Inhalt des Leipziger Interims.

 In ihm haben wir die Lehre und die Kirchengebräuche zu unterscheiden.

 Die lutherische Lehre ist darin der Hauptsache nach erhalten, doch nicht immer in ihrer vollen Reinheit. In den Artikel von der Rechtfertigung hatte man schon in Pegau auf Andringen der Bischöfe einen Satz über die justitia infusa aufgenommen, welcher sich mit dem sola fide, das man auch nicht in das Bekenntniss aufnahm, nicht wohl vertrug.[7]

 In dem Artikel von der Kirche hiess es: „was die wahre christliche Kirche, die im heiligen Geist versammelt, in Glaubenssachen erkennt, ordnet und lehret, das soll man auch lehren| und predigen; wie sie denn wider die heilige Schrift nichts ordnen soll noch kann.“

 In dem Artikel von den Kirchendienern hiess es: „dem obersten und anderen Bischöfen, die ihr bischöflich Amt nach Gottes Befehl ausrichten, sollen alle andern Kirchendiener unterworfen sein.“

 Diese beiden Artikel lassen sich freilich evangelisch deuten, setzten aber doch die Evangelischen einer nicht geringen Gefahr aus, denn auf Grund derselben konnte Unterwerfung unter die Satzungen der Kirche und die Befehle der Bischöfe begehrt werden.

 Es hiess nun freilich in dem einen Artikel, dass die Kirche nichts wider die heilige Schrift ordnen solle, und in dem anderen, dass die Bischöfe ihr Amt nach Gottes Befehl ausrichten sollen, aber wie schwer war doch mit der Kirche und den Bischöfen über diesen Punkt zu rechten!

 Endlich waren die sieben Sacramente beibehalten. Sie führen zwar im Interim nicht diesen Namen, aber es wird doch nicht auf den Unterschied aufmerksam gemacht, welcher zwischen den beiden Sacramenten (der Taufe und dem Abendmahl) und jenen anderen heiligen Akten ist; es ist in dem Artikel von der Busse des Glaubens nicht gedacht und es ist vom Abendmahl nicht so gelehrt, dass der Unterschied zwischen der Römischen und der evangelischen Lehre daraus erkennbar wäre.

 Sonach ist in Betreff der Lehre fast zu wenig gesagt, wenn man behauptet, die Lutherische Lehre sei darin nicht zu ihrem vollen und klaren Ausdruck gelangt.

 Wenden wir uns zum anderen Theil des Interims, so finden wir darin allerdings nichts, was geradehin mit der evangelischen Lehre unverträglich wäre.

 Sind aber damit schon alle Zugeständnisse gerechtfertigt, und hatten die Theologen ein Recht, von allen den Aenderungen, in welche sie willigten, zu sagen, sie seien adiaphora?

 Wäre die Sache damit abgethan, dass man sagen könnte, es seien keine Ceremonien und keine kirchlichen Ordnungen zugelassen, welche gegen die evangelische Lehre verstiessen, so wären die Theologen freilich gerechtfertigt. Aber wer wollte die Sache von so kurzer Hand abmachen? Wir müssen vielmehr| den Zustand der kirchlichen Dinge ins Auge fassen, zu dem es durch diese Zugeständnisse kam, und müssen ins Auge fassen, was damit für die evangelische Kirche aufgegeben war.

 Man hatte sich zu Ceremonien und einer Kirchenordnung bequemt, welche denen der Römischen Kirche gleich waren, und hatte sich der Ordnung und Ceremonien begeben, an denen man bisher die evangelische Kirche erkannte.

 Das Leipziger Interim enthält die ganze Messordnung mit der Bestimmung, dass die Messe mit Läuten, Lichtern und Gefässen, Gesängen, Kleidungen und Ceremonien gehalten werde. Das Evangelium sollte lateinisch gesungen und nur dem Volk deutsch vorgelesen werden; nur in den Pfarren, die nicht Stifte sind, sollte man statt des Graduale deutsche Lieder singen dürfen; fast alle Feste der Römischen Kirche waren beibehalten, die Marienfeste und das festum corporis Christi, auch die Fasttage sollten wieder eingeführt werden.

 Musste die Einführung von dem allem nicht zum mindesten den üblen Schein erwecken, als ob man der Römischen Kirche zugefallen wäre, und konnte nicht aller Aberglaube, welcher in der Römischen Kirche sich daran anschloss, auch in die protestantische Kirche sich einschleichen? Wer ferner weiss, wie die Gemeinden gerade in solchen Dingen empfindlich und misstrauisch sind, der musste voraus wissen, dass Anstoss und Aergerniss damit erzeugt würde. Denken wir uns ein Gemeindeglied in einer Kirche mit solchen Ceremonien, musste sich ihm nicht die Frage aufdrängen, bin ich denn nicht in einer Römischen Kirche?

 Und, das dünkt uns die Hauptsache, konnte mit diesen Zugeständnissen ein befriedigender Zustand erreicht werden? Man kennt die Ziele des Kaisers, und der Kurfürst und seine Theologen kannten sie auch. Sie gingen auf Vernichtung des Protestantismus. Das Interim, das er herbeiführen wollte, war nur das erste Stadium dieses Ziels. Das Leipziger Interim war also keineswegs die Bedingung, unter der die evangelische Kirche in ihrem Bestand erhalten werden konnte, es war höchstens die Bedingung, unter der man eine sofortige Vergewaltigung von Seite des Kaisers abhalten konnte. Indem es feststeht,| dass diess der Endzweck des Kaisers war, und die Theologen das wussten, kann man auch nicht annehmen, dass sie sich etwa der Hoffnung hingaben, durch die Zugeständnisse, welche sie jetzt gemacht, würden sie die Kirche über diese Zeit der Gefahr hinüberretten in eine bessere Zeit, und für diese sei doch etwas erhalten, während wenn sie jetzt Widerstand erhöben, der Kaiser den ganzen Bestand der Kirche zerstören würde. Eine solche bessere Zeit ist allerdings gekommen, aber die Lage der Dinge war damals nicht so, dass man auf eine solche hätte hoffen können, und wahrhaft unverantwortlich wäre es gewesen, wenn sie bei ihren Zugeständnissen ihr Absehen auf eine solche Zeit gerichtet hätten. Viel näher lag vielmehr die Gefahr, dass der Kaiser über kurz oder lang inne werden würde, dass man ihn mit dem Leipziger Interim getäuscht habe und dass er dann die Zugeständnisse, welche darin gemacht waren, zu einem Strick machen würde, mit dem er sie in die Römische Kirche zöge.
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 Fassen wir die Sache so, so können wir uns ganz der Mühe überheben, auf den Streit zwischen Flacius und den Philippisten über den Begriff der Mitteldinge einzugehen. Schon die Thatsache, dass mit der Annahme des Interims die evangelische Kirche eine Gestalt gewonnen hätte, an welcher man sie nicht mehr als solche hätte erkennen können, und dass damit alle die Gefahren gesetzt waren, welche wir angedeutet haben, spricht dafür, dass von diesen Theologen der Begriff der Mitteldinge zu lax gefasst war. Man kann zugeben, dass die Rücksicht auf die besondere Lage der Dinge an und für sich Zugeständnisse, welche die Lehre nicht schädigten, erlaubt hätte, und dass Flacius diesen zu wenig Rechnung trug und zu viel Aufhebens von einzelnen Zugeständnissen machte; darin aber wird man ihm Recht geben müssen, dass man Ceremonien und Gebräuche nicht sofort schon da Mitteldinge nennen darf, wo sie nicht einen Lehrirrthum in sich schliessen oder eine Lehre nicht schädigen. Die Ceremonien und Kirchengebräuche sind freilich nicht von Gott geboten, wie es die Lehre ist. In diesem Sinne sind sie dann freilich Mitteldinge, aber auch nur in diesem; sie sind es aber nicht in dem, als wenn es gleichgültig wäre, wie sie überhaupt| beschaffen sind, wenn sie nur eben die Lehre nicht beeinträchtigen. Vielmehr, wie das sittliche Leben, ohne dass es durch bestimmte göttliche Gesetze geregelt ist, doch aus dem Glauben heraus sich gestalten und durch diesen normirt sein muss, so müssen Ceremonien und Kirchengebräuche durch das Bekenntniss der Kirche normirt sein, und müssen sie zwar der freie, aber auch der reine Ausdruck des Glaubenslebens der Gemeinde sein. Man wird dem Flacius endlich darin Recht geben müssen, dass Ceremonien und Gebräuche, welche die Eigenthümlichkeit der evangelischen Kirche verläugnen und ihre Gestalt vielmehr der Römischen näher bringen, aufhören adiaphora zu sein.
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 Erwägt man diess aber, so wird man die Zugeständnisse, welche in dem Leipziger Interim gemacht worden sind, nicht billigen und sie mit der damaligen Lage nicht entschuldigen können, ja wird man diese Theologen nicht von dem Vorwurf freisprechen können, dass sie durch dieses Interim den Bestand der evangelischen Kirche gefährdet haben. Dieser Vorwurf ist am stärksten, mit schneidender Schärfe und nicht selten ohne die rechte Maasshaltigkeit, von Flacius gegen sie erhoben worden, wie denn überhaupt dieser Theologe der vornehmste Bestreiter des Interims und der eigentliche Wortführer in dem Streit wider die kursächsischen Theologen war: allein keineswegs steht er mit seinem Urtheil allein. Früh schon haben andere Theologen ihre Bedenken gegen die Nachgiebigkeit der kursächsischen Theologen geäussert. Zu den Ersten, die das thaten, gehören die Hamburger Theologen in einem Schreiben an Melanchthon vom 16. April 1549.[8] Früher noch als sie erhob Brenz seine Stimme, und warnte den Melanchthon, er möge für seine Nachgiebigkeit sich nicht auf die Kirche berufen, der man helfen müsse.[9] Und auch die Urtheile aus der Schweiz| sind keine beifälligen. Noch 1551 schreibt Calvin dem Melanchthon, er könne ihn nicht ganz von Schuld freisprechen, ja, er macht ihm sehr starke Vorwürfe.[10]

 Doch es bedarf kaum so vieler Worte, um den Beweis zu führen, dass die kursächsischen Theologen sich mit ihrer Nachgiebigkeit im Interim verfehlt haben. Sie verrathen früh selbst durch ihre Haltung eine gewisse Unsicherheit. Und wie sollte es auch anders sein? Früh werden sie inne, dass der Kaiser mit Nachgiebigkeit in geringen Dingen sich nicht begnüge; früh, dass der Kurfürst sie weiter dränge, als sie ursprünglich gedacht haben; früh, dass man in manchen Kreisen ihre Nachgiebigkeit so deute, als ob sie auch zur Annahme des vom Kaiser ausgegangenen Interims bereit wären.[11] Die Position, die sie nahmen, war darum früh nur die, dass sie ihren redlichen Willen bezeugten, dass sie betheuerten, nicht um zeitlichen Vortheils willen und nicht aus persönlicher Furcht hätten sie so gehandelt. Sie geben dann zu, dass der andere Gesichtspunkt, von dem die Gegner ausgehen, auch etwas für sich habe, sie wären zufrieden, wenn man dem ihrigen nur auch Gerechtigkeit widerfahren liesse. Schliesslich bekennen sie auch, dass sie sich nicht ganz von Schuld frei wissen.[12]

|  Da nun das Interim, das Augsburger wie das Leipziger, in Bälde hinfällig wurde, und durch den Passauer Vertrag, dann durch den Augsburger Religionsfrieden der Bestand der evangelischen Kirche gesichert war, möchte man erwarten, dass der ganze Streit alsbald in Vergessenheit gerathen wäre und keine weiteren Folgen gehabt hätte. Dem war aber nicht so. Vielmehr beide Theile verbitterten sich nach dieser Zeit erst recht, und erst jetzt wurde der Streit so recht ein persönlicher. Was da beide Theile sich vorwarfen, und aus welchen Ursachen die gegenseitige Erbitterung sich steigerte, das möge bei Preger nachgelesen werden.[13] Wir können uns des sauren Geschäfts, abzuwägen, auf welcher Seite das grössere Unrecht war, entschlagen, würden aber keinen Anstand nehmen, das grössere Unrecht auf Seite des Flacius und der Seinen zu erblicken, wenn sie in der Spannung nur darum verblieben wären, weil sie den Anderen ihre Schwäche nicht hätten vergeben können, und wenn sie fortgefahren hätten, diese Schwäche ihnen nachzutragen. Der Grund der entstandenen und fortgehenden Spannung ist aber ein anderer und ein tieferer.
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 Diess führt uns noch einmal in die Geschichte des Interims zurück, und zwar zu dem berüchtigten Brief, den Melanchthon schon am 28. April 1548 an den kurfürstlichen Rath von Carlowitz geschrieben hat und dessen wir früher nur vorübergehend gedachten.[14] Dieser Brief, bei dem wohl zu beachten ist, dass er zu einer Zeit geschrieben ist, in welcher es sich noch um das Augsburger Interim handelte, man der Stellung Melanchthons zur Sache noch gar nicht gewiss war, ja der Kaiser ihn für den| gefährlichsten Gegner hielt, gab die überraschende Gewissheit, dass man von Melanchthon nichts zu fürchten habe. Gleich zum Eingang kündigte er an, dass er dem Kurfürsten überlasse zu thun, was er für sich und den Staat für räthlich erachte, und er verspricht, nichts dagegen zu thun, im schlimmsten Fall werde er weichen oder tragen. Er spricht sich ferner über das Interim in einer überaus milden Weise aus. Die evangelische Lehre will er zwar nicht verläugnen, aber er hegt die Hoffnung, dass der Kaiser das auch nicht wolle; er bezeichnet es als einen Akt der Frömmigkeit des Kaisers, dass er die Kirche heilen und verbinden wolle, und nennt die von demselben vorgeschlagenen Bedingungen mediocres; er erklärt ausdrücklich seine Zustimmung zu einigen Punkten, welche von den Protestanten bisher entschieden verworfen worden waren, zur Annahme der Ceremonien und Anerkennung der bischöflichen Autorität.

 Das Mitgetheilte reicht schon aus, um begreiflich zu machen, dass dieser Brief, als er bekannt wurde, grosses Aufsehen erregte, von dem Kurfürsten und dem Kaiser aber sehr gut aufgenommen wurde. Ratzeberger erzählt, er sei in Augsburg als eine Monstranz zur Schau getragen worden, und als er vor den Kaiser gebracht worden, habe dieser gesagt: „Diesen habet Ihr nun, sehet zu, dass Ihr ihn behaltet.“[15]

 In dem Brief steht aber noch Bedenklicheres. Er enthält auch, freilich nur dunkle, Andeutungen, welche darauf hinweisen, dass Melanchthon mit dem ganzen Gang, den die Reformation genommen, vielfach unzufrieden war, aber auch die Verantwortung dafür ablehnte, weil Luther ihn nicht habe aufkommen lassen. Er spricht darin in unzarter Weise von einem harten Joche, das Luther, der bei seiner streitsüchtigen Natur öfter ihr als dem gemeinen Besten gedient, ihm auferlegt habe; er macht geltend, dass er den Religionsstreit nicht begonnen, sondern mitten in denselben hineingekommen sei, und deutet an, dass er von Anfang an nicht alle Meinungen Luthers getheilt, um des vielen Guten willen aber, das Luther vertreten, sich an| ihn angeschlossen habe und nun bemüht gewesen sei, ungereimte Meinungen zu beseitigen oder zu mildern, was ihm freilich früh den Vorwurf einer zu grossen Mässigung zugezogen habe;[16] er betont endlich die Anhänglichkeit an die alte Kirche, die er von Jugend auf bewahrt habe, und die es ihm leicht mache, manches von dem, was die Reformation ausgestossen habe, sich wieder anzueignen.
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 Halten wir nun das zusammen mit der anderweitig bekannten Thatsache, dass Melanchthon Luthern sehr ungern in seinem Bruch mit der Römischen Kirche gefolgt ist, und eigentlich von da an seine Stellung eine andere wurde; erinnern wir uns an die auf dem Schmalcalder Convent vom Jahr 1537 kund gegebene Bereitwilligkeit Melanchthons, unter gewissen Bedingungen auch den Papst als obersten Bischof der Kirche anzuerkennen, an seine Stellung zum Cöllner Reformationsentwurf, wo Melanchthon in eine Combination der drei Elemente, des lutherischen, schweizerischen und katholischen willigte; erinnert man sich ferner, dass Melanchthon auch in etlichen Lehrartikeln angefangen hatte, sich von Luther zu entfernen, in der Lehre von der Bekehrung, den guten Werken, vor allem vom Abendmahl, so liegt doch der Gedanke nahe, dass sich bereits ein ziemlich bestimmter Gegensatz zwischen Luther und Melanchthon herausgebildet hat. Melanchthon will der Römischen Kirche gegenüber die Brücke noch nicht abbrechen, er will auch der Schweizer Kirche gegenüber so wenig als möglich eine exclusive Stellung einnehmen, er bringt es auch nicht in allen Punkten der evangelischen Lehre zu bestimmtem Abschluss, und ist darum seiner Natur gemäss mehr geneigt, die Gegensätze zu verwischen, als sie in ihrer Bestimmtheit herauszustellen. Das alles war früher schon bemerkt worden, von dem Kurfürsten,| der seinem Misstrauen gegen Melanchthon nicht selten Raum gab; von Luther, der mit Besorgniss sich nach Männern umsah, welche nach seinem Tod die Kirche leiten könnten.[17] Das alles brachte die Stellung Melanchthons im Interim aufs neue ins Gedächtniss.
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 Man kann den Gegensatz dahin zusammenfassen, dass Melanchthon an der evangelischen Kirche der Gegenwart gerade das aussetzt, dass sie den Gegensatz gegen die Römische Kirche so bestimmt ausgeprägt hat, und dass Melanchthon eine gewisse Abneigung hatte, den Principien der evangelischen Kirche volle Rechnung zu tragen und sie zu einem festen abgeschlossenen Kirchenkörper auszubilden. Dieser Gegensatz musste aber dann auch nothwendig über die Zeit des Interims hinauswirken. Man hätte die im Interim eingenommene Stellung Melanchthons vergeben oder vergessen können oder wenigstens sollen, wenn sie ihren Grund nur in Charakterschwäche gehabt hätte. War der Grund aber ein tieferer, war er ein principieller, so konnte mit dem Fall des Interim die Sache nicht abgethan sein. Der Gegensatz blieb vielmehr, wurde jetzt erst klarer gefasst und wurde ein Gegensatz zweier Fraktionen innerhalb der lutherischen Kirche: denn Melanchthon hatte seine Partei, wie Flacius sie hatte. Die Lutheraner glaubten, nachdem der Bruch mit der Römischen Kirche vollzogen war, müsse man den Gegensatz in seiner vollen Schärfe erfassen, und in Gestaltung der evangelischen Kirche die evangelischen Principien schärfstens zum Ausdruck kommen lassen; man müsse einen festen Kirchenkörper bilden und damit allem Eindringen fremder Elemente, welche dann eine Macht hätten gewinnen können, wehren. Die Philippisten aber suchten das gerade zu vermeiden, fuhren fort in der Geneigtheit zu mildern und zu vermitteln. Sie klagten dann die Lutheraner einer unduldsamen Schroffheit an und einer vorzeitigen Abgeschlossenheit. Ihnen aber wurde diese Stellung als Gleichgültigkeit gegen| die evangelischen Principien gedeutet. So war ein gegenseitiges Misstrauen entstanden, das bei allen den Lehrfragen, welche von jetzt an zur Vorlage kamen, an den Tag trat und ihre Erledigung erschwerte, die einheitliche Entwicklung aber hatte ein Ende. Von jetzt an gingen beide Theile gesonderte Bahnen, die sich wohl berührten, aber nicht deckten.

 Das ist die Signatur der neuen Zeit, die mit dem Interim eingetreten ist. –

 Wenden wir uns nun zu den Streitigkeiten über das Abendmahl.



  1. Exp. E. c. 2.
  2. Exp. L. I. 2.
  3. Exp. M. m. 2.
  4. Exp. H. h. h. 4.
  5. Preger, M. Flacius Illyricius und seine Zeit I, 97.
  6. Exp. H. h. h. 4.
  7. Das Nähere darüber bei Preger l. c. I, 186 sq.
  8. C. Ref. VII, 366.
  9. C. Ref. VII, 289 sq. Brenz an Melanchthon (wie es scheint zu Anfang des Jahres 1549) .. manifestum est, quod Interitus (Interim) pugnat cum verbo Domini. Inter tam pugnantia quae potest inveniri concordia? Succurrendum putas ecclesiis et piis ministris. Recte, si id sine contumelia Christi fieri potest. Existimas forte, Interimistos toleraturos piam doctrinam, si nos accipiamus omnes ipsorum ceremonias faciendas. Sed an nescis, perspicue in prooemio [115] Interitus mandari, ne quis loquatur aut scribat adversus hunc librum? Quae est ista doctrinae libertas? Quare si ecclesia et pii ministri non possunt alia ratione quam cum contumelia piae doctrinae servari, commendemus eos Christo, filio Dei; huic erunt curae; nos interea feramus patienter nostrum exilium et exspectemus Dominum.
  10. Ep. Calvin: Tu res medias et indifferentes nimis longe extendis ... Tu si ad cedendum fuisti mollior, id tibi vitio a multis verti, non est quod mireris. Adde quod eorum, quae Tu media facis, quaedam cum Dei verbo manifeste pugnant. .. Tam mulla abs te Papistis concedi non oportuit, partim, quia laxasti, quae verbo suo Deus adstringit, partim quia proterve evangelio insultandi materiam dedisti. .. Alia, ut nosti, est tua quam multorum conditio; plus enim ignominiae ducis vel antesignani trepidatio, quam gregariorum militum fuga sustinet .. Itaque plures tu unus paululum cedendo querimonias et gemitus excitasti, quam centum mediocres aperta defectione ... (bei Schlüsselburg p. 635 sq.)
  11. Die Belege bei Frank, die Theologie der Concordienformel IV, p. 10, 94 und 95.
  12. So Melanchthon in seinem Brief an Flacius vom 5. Septbr. 1556 (C. R. VIII, 841). .. Doctrinam confessionis nunquam mutavi. Ego etiam de ritibus [116] his mediis minus pugnavi, quia jam antea in plerisque ecclesiis harum regionum retenti erant. Postea vos contradicere coepistis. Cessi, nihil pugnavi. Ajax apud Homerum proelians cum Hectore contentus est cum cedit Hector, et fatetur, ipsum victorem esse. Vos finem nullum facitis criminandi. Quis hoc hostis facit, ut cedentes et arma abjicientes feriat? Vincite, cedo; nihil pugno de ritibus illis, et maxime opto, ut dulcis sit ecclesiarum concordia. Fateor etiam hac in re a me peccatum esse, et a Deo veniam peto, quod non procul fugi insidiosas illas deliberationes. Sed illa, quae mihi falso a te et Gallo objiciuntur, refutabo.
  13. Preger I, 418 sq. II, 1–63.
  14. Der Brief in C. R. VI, 879 sq.
  15. Die handschriftliche Geschichte Ratzebergers über Luther und seine Zeit von Dr. Chr. G. Neudecker. 1850. p. 201.
  16. C. R. VI, 880. Nec movi has controversias, quae distraxerunt rempublicam; sed incidi in motas, quae cum multae essent et inexplicatae, quodam simplici studio quaerendae veritatis, praesertim cum multi docti et sapientes applauderent, considerare eas coepi. Et quamquam materias quasdam horridiores autor initio miscuerit, tamen alia vera et necessaria non putavi rejicienda esse. Haec cum excerpta amplecterer, paulatim aliquas absurdas opiniones vel sustuli vel lenii.
  17. Ulenberger, vit. Flacii, p. 376. A fide dignis familiaribus Lutheri audire memini, tanquam genii sui hominem illum {Flacium) summo loco habuisse, hunc fore ominatus, in quem se vita functo spes inclinata recumberet. Bei Preger I, 35.


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