Kalewala, das National-Epos der Finnen/Einundzwanzigste Rune
Selbst die Wirthin von Pohjola,
Sie, die Alte Sariola’s,
War gerade nicht zu Hause,
War mit Arbeiten beschäftigt,
Hört vom Sumpf die Peitsche knallen,
Von dem Strand den Schlitten rauschen,
Warf die Augen hin nach Nordwest,
Kehrte ihren Kopf zur Sonne,
Dachte nach und überlegte:
An dem Strande, o ich Arme,
Sind es große Kriegesschaaren?“
Blickte näher nach dem Orte,
Sucht ihn näher zu betrachten,
Waren keine Kriegesschaaren,
War das große Volk der Freier,
In dem Haufen war der Eidam,
In der Schaar der guten Leute.
Selbst die Wirthin von Pohjola,
Als den Eidam sie erblicket,
Redet Worte solcher Weise:
„Glaubte, daß der Wind dort stürme,
Daß ein Haufen Holz dort stürze,
Daß des Meeres Strand erbrause,
Daß der Kiessand lärmend tose,
Blickte näher nach der Stelle,
Sucht’ sie näher zu betrachten,
War kein Wind, der dorten stürmte,
Nicht erbraust der Strand des Meeres,
Nicht getobet hat der Kiessand,
Waren meines Eidams Leute,
Waren zweimal hundert Männer.“
„Wie erkenne ich den Eidam,
In der Männer Schaar den Eidam?
Kenntlich ist er in dem Haufen
Wie der Elsbeerbaum im Walde,
Wie die Eiche in dem Haine,
„Fährt dort mit dem schwarzen Rosse,
Das dem gieren Wolfe gleichet,
Einem beutefrohen Raben,
Einer Lerche, die da flattert,
Sechs der goldnen Vöglein zwitschern
An der Wölbung von dem Krummholz,
Sieben blaue Vöglein trällern
An den Riemen von dem Joche.“
Lärmen hört man von der Straße,
Auf den Hof gelangt der Eidam,
Und des Eidams Schaar zum Hause,
In dem Haufen stand der Eidam,
In der guten Männer Mitte,
Stand dort nicht zu sehr nach vorne,
Stand auch nicht zu sehr nach hinten.
„Knaben kommt und Helden eilet,
Auf den Hof, o längste Männer,
Um das Brustband abzunehmen,
Um die Deichsel schnell zu senken,
Um den Eidam einzuholen!“
Eilends lief das Roß des Eidams,
Schleuderte den bunten Schlitten
Längs des Hofs des Schwiegervaters;
Sprach die Wirthin von Pohjola:
„O du Knecht, den ich gemiethet,
Schönster Diener in dem Dorfe!
Nimm nun rasch das Roß des Eidams,
Aus dem kupfernen Geschirre,
Aus dem zinnbeschlagnen Bande,
Aus den Riemen, die gar theuer,
Aus dem Krummholz, das von Weiden,
Führe du das Roß des Eidams,
Leite du es gar bedächtig
Mit den seideweichen Zügeln,
An den silberreichen Riemen
Zu dem weichen Platz zum Wälzen,
Auf die stillen Schneegefilde,
Auf das Land mit Milchesfarbe!“
„Tränke du das Roß des Eidams
Aus der Quelle in der Nähe,
Deren Naß stets munter fließet,
Gleich den Molken lebhaft sprudelt
An der goldnen Fichte Wurzel,
An der Tanne voller Schatten.“
„Füttre du das Roß des Eidams
Aus der kupferreichen Schachtel
Mit gelesnem Korn und Gerste,
Mit gekochtem Sommerweizen,
Mit gestampftem Sommerroggen!“
„Führe dann das Roß des Eidams
Zu der allerbesten Krippe,
Zu der allerhöchsten Stelle,
Zu der hintersten der Hürden,
Binde dort das Roß des Eidams
An die eisenreichen Haken,
An die Stütz’ vom Masernholze;
Gieb dem Rosse meines Eidams
Eine Mulde voll von Hafer,
Eine zweite heugefüllet
Und voll Spreu gieb ihm die dritte!“
„Striegle du das Roß des Eidams
Mit der Bürst’ aus Fisches Gräten,
Daß die Haare nicht verderben,
Decke du das Roß des Eidams
Mit der silberreichen Decke,
Mit dem golddurchwirkten Tuche,
Mit der kupferreichen Hülle!“
„Küchlein ihr, des Dorfes Knaben,
Führt den Eidam in die Stube,
Mit den unbedeckten Haaren,
Mit den Händen ohne Handschuh!“
„Möchte sehen, ob der Eidam
Ohn’ die Thüre auszuheben,
Ohn’ die Pfosten wegzuschaffen,
Ohn’ das Querholz zu erhöhen,
Ohn’ die Schwelle zu vertiefen,
Ohn’ die Eckwand einzureißen
Und die Balken zu verrücken!“
„Nicht gelangt zur Stub’ der Eidam,
In die Wohnung nicht dieß Goldstück,
Ohn’ die Thüre auszuheben
Ohn’ das Querholz zu erhöhen
Und die Schwelle zu vertiefen,
Ohn’ die Eckwand einzureißen
Und die Balken zu verrücken,
Einen Kopfhoch ist der Eidam,
Eine Ohrenlänge höher.“
„Hebet nun der Thüre Querholz,
Ohne daß die Mütz’ er lüfte,
Laßt die Schwelle tiefer werden,
Schaffet fort die Seitenpfosten,
Öffnet weit die Eingangsthüre,
Wenn herein der Eidam schreitet,
Wenn der Brave näher kommet!“
„Gott der gute sei gepriesen,
Eingetreten ist der Eidam!
Möchte in die Stube blicken,
Meine Augen dahin richten,
Ob die Tische dort gewaschen,
Ob die Planken wohl gescheuert
Und die Bretter wohl gekehret!“
„Blicke in der Stube Innres,
Kann es durchaus nicht erkennen,
Nicht, aus welchem Holz die Stube
Und das Schutzdach wohl gezimmert,
Wo die Wände hergenommen
Und die Planken so gefüget.“
„Igelknöchern sind die Seiten,
Vielfraßknöchern ist die Thürwand,
Lämmerknöchern ist das Querholz.“
„Apfelhölzern sind die Sparren,
Masernholz die schönen Pfosten,
Blumen sind des Ofens Stützen,
Brachsenschuppen sind die Decke.“
„Ganz von Eisen ist die Sitzbank,
Deutsche Planken sind am Boden,
Goldgeschmückt sind auch die Tische,
„Kupfern ist des Ofens Masse,
Gute Steine sind am Herde,
Meeresstein am Dach des Ofens,
Kalew’s Baum dient zum Verschlage.“
In die Stube drang der Freier,
Eilt’ behende in die Wohnung,
Redet Worte solcher Weise:
„Laß, o Gott, Gesundheit kommen
Zu den weitberühmten Sparren,
Sprach die Wirthin von Pohjola:
„Voll Gesundheit sei dein Kommen
In den kleinen Raum der Stube,
In das Haus, das niedrig stehet,
In die tannenreiche Wohnung,
In die fichtenreiche Stätte!“
„Heda! Mädchen, das mir dienet,
Du gedungne Magd des Dorfes!
Bringe Feuer mit der Rinde,
Daß den Eidam ich betrachte,
Ich des Freiers Auge schaue,
Ob sie bläulich oder bräunlich
Oder weißlich wie die Linnen.“
Brachte nun das kleine Mädchen,
Die gedungne Magd des Dorfes
Feuer mit der Birkenrinde,
Bracht’ es auf des Kienspans Spitze.
„Auf der Rinde lärmt das Feuer,
Eidams Auge würd’ geräuchert,
Und geschwärzt des Antlitz’s Farbe;
Bringe Feuer mit der Kerze,
Mit dem Licht von weißem Wachse!“
Brachte nun das kleine Mädchen,
Die gedungne Magd der Dorfes
Feuer mit der langen Kerze,
Mit dem Licht von weißem Wachse.
Glänzend ist der Rauch des Wachses,
Macht des Eidams Augen sichtbar,
Läßt des Eidams Wangen glänzen.
„Sah bereits des Eidams Augen,
Sind nicht bläulich, sind nicht röthlich,
Sind nicht weißlich wie die Linnen,
Glänzend wie der Schaum des Meeres,
Bräunlich wie des Meeres Binsen,
Schön zu schauen wie das Schilfrohr!“
„Küchlein ihr, des Dorfes Knaben,
Hin zu hochgelegnen Sitzen,
Zu dem allerhöchsten Platze,
An der blauen Wand der Rücken,
Mit dem Kopf zum rothen Tische,
Allen Gästen zugewendet,
Mit der Brust zum Lärm des Haufens!“
Darauf speist des Nordlands Wirthin,
Speist und tränkt sie ihre Gäste,
Sättigt sie mit weicher Butter,
Ihre eingeladnen Gäste,
Vor den andern ihren Eidam.
Aufgeschichtet waren Lachse,
An den Seiten Schweinebraten,
Vollgefüllet die Geschirre,
Daß die Ränder kaum noch halten
Zu der Eingeladnen Speisung
Und des Eidams vor den andern.
Sprach die Wirthin von Pohjola:
Bringe Bier nun in den Krügen,
Bring es in den doppelöhr’gen
Zu den eingeladnen Gästen,
Zu dem Eidam vor den andern!“
Brachte nun das kleine Mädchen,
Sie die Magd, für Geld gemiethet,
Her den Krug, daß er nun wirke,
Daß der reifenreiche wandre,
Daß die Bärte von dem Hopfen,
Bei den eingeladnen Gästen
Und vor allen bei dem Eidam.
Was geschah nun wohl dem Biere,
Was wohl sprach das reifenreiche,
Als es in des Sängers Nähe,
Zum Verherrlicher gekommen,
Zu dem alten Wäinämöinen,
Zu des Sanges kräft’ger Stütze,
Ihm, der kunstreich war in Liedern
Nahm das Bier vor allen andern,
Redet Worte solcher Weise:
„Liebes Bier, du schön Getränke,
Laß die Leut’ nicht schweigend trinken;
Treib die Männer zum Gesange,
Zu dem Lied mit goldnem Munde!
Wundern müssen sich die Wirthe,
Also sprechen muß die Wirthin:
Schon gewelket sind die Lieder,
Habe schlechtes Bier gebrauet,
Schlechten Trank hier eingegossen,
Da die Sänger gar nicht singen,
Liedersprecher sich nicht rühren,
Nicht die goldnen Gäste lärmen
Und der Jubelkuckuck schweiget.“
„Wer soll hier ein Lied erheben,
Wessen Zunge hier ertönen
Bei des Nordlands großem Schmause,
Nimmer singet hier die Sitzbank
Ohne Leute, die sie decken,
Nicht ertönet hier der Boden
Ohne Leute auf demselben,
Munter werden nicht die Fenster
Ohn’ die Wirthe an dem Fenster,
Lärmen nicht des Tisches Kanten
Ohn’ die Männer an den Kanten,
Nimmer wird das Rauchloch toben
Auf dem Boden saß ein Knabe,
Auf der Ofenbank ein Milchbart,
Sprach der Knabe von dem Boden,
Von der Ofenbank das Kindlein:
„Bin noch klein und jung an Jahren,
Bin gar schwach und dünn am Leibe,
Aber sei dem, wie ihm wolle,
Da die Fetteren nicht singen,
Nicht die kräft’gen Männer sprechen
Will ich, magrer Knabe, singen,
Ich, das dürre Kindlein, trällern,
Aus dem magern Leibe singen,
Bei den fettberaubten Hüften
Zu des Abends größrer Freude,
Zu des schönen Tages Ehre.“
Auf dem Ofen lag ein Alter,
Redet Worte solcher Weise:
„Singen sollen hier nicht Kinder,
Lügenreich sind Kinderlieder,
Unwahr sind der Mädchen Weisen:
Gieb das Lied dem Weisheitsvollen,
Dem, der Platz hat auf der Sitzbank!“
Selber sprach drauf Wäinämöinen,
Er, der Alte, diese Worte:
„Giebt es hier in dieser Jugend,
In dem hochgeehrten Stamme,
Der die Hand zur Hand wohl legte,
Der an’s Singen sich dann machte,
Frohe Lieder dann erhöbe
Zu der Freude dieses Tages,
Zur Verherrlichung des Abends?“
Sprach der Alte von dem Ofen:
„Nie hat man hieselbst gehöret,
Nie gehöret, nie gesehen,
Nie, so lang’ die Zeiten währen,
Einen Sänger, der da besser,
Als ich war, da ich geträllert,
Da als Kind ich oft gesungen,
Auf des Wassers weitem Busen,
Auf den Fluren laut gelärmet,
In dem Föhrenwald gerufen,
In dem dichten Hain gesprochen.“
„Stark und schön war meine Stimme,
Meine Weisen waren herrlich,
Flossen gleich dem schönsten Flusse,
Glitten wie auf Schnee der Schneeschuh,
Auf der Fluth die Segelschiffe;
Schwer ist jetzo es zu sagen,
Schwerer ist es zu erkennen,
Was die starke Stimm’ gebrochen,
Was die liebe Stimm’ gesenket,
Nicht mehr ist sie gleich dem Flusse,
Strömt nicht mehr mit Fluthenfülle,
Gleicht der Hark’ auf Stubbenfeldern,
Einem Schlitten in dem Sande,
Einem Boot auf trocknen Steinen.“
Selbst der alte Wäinämöinen
Redet Worte solcher Weise:
„Wenn kein anderer erscheinet,
Um mit mir zugleich zu singen,
Mach’ ich mich allein an’s Singen,
Lass’ allein die Lieder schallen,
Da zum Sänger ich geschaffen,
Frage nicht den Weg von andern,
Nicht der Lieder Ziel von Fremden.“
Selbst der alte Wäinämöinen,
Er, des Sanges ew’ge Stütze,
Macht sich an das Werk der Freude,
An die That des Liedersingens,
Läßt die Freudenlieder tönen,
Kräft’ge Worte laut erschallen.
Sang der alte Wäinämöinen
Fehlt ihm nicht an guten Worten,
Nicht an Stoff zu schönen Liedern,
Eher fehlet Stein dem Felsen,
Einem Binnenwasser Blümlein.
Sang der alte Wäinämöinen
Zu der Freud’ des langen Abends,
Daß die Weiber alle lachten,
Froh der Männer Laune wurde,
Daß sie lauschten, daß sie staunten,
Welche Staunen allen Hörern,
Staunen auch den Müß’gen brachten.
Sprach der alte Wäinämöinen,
Redet, als den Sang er endet:
„Bin als Sänger nicht bedeutend,
Bin es nicht als Zaubersprecher,
Kann nicht viel als solcher leisten,
Habe nur ein schwach Vermögen;
Wenn der Schöpfer singen wollte,
Würd’ er kräftig Lieder singen,
Würd’ er zauberkräftig sprechen.“
„Säng’ des Meeres Fluth zu Honig,
Seinen Sand zu schönen Erbsen,
Meeres Kies zu gutem Malze,
Säng’ zu Salz des Meeres Steine,
Säng’ zu Kornland breite Haine,
Laubwald rasch zu Weizenfluren,
Berge bald zu süßen Kuchen,
„Würde singen, würde zaubern,
Würde reden, würde sprechen,
Würd’ zu diesem Hofe zaubern
Voll von Kühen eine Hürde,
Ställe voll von buntgestirnten,
Fluren voll von milchbegabten,
Hundert Hörnerträgerinnen,
Tausend euterreichen Kühen.“
„Würde singen, würde zaubern,
Einen Luchspelz unserm Wirthen,
Einen Tuchrock unsrer Wirthin,
Feste Schuhe ihren Töchtern,
Rothe Hemde ihren Söhnen.“
„Gott, gewähre du beständig,
Gieb, o Schöpfer voller Wahrheit,
Daß auf diese Art man lebe,
Daß man also sich befinde
Auf dem Schmause von Pohjola,
Daß das Bier in Strömen fließe,
Sich der Honigtrank ergieße
In den Stuben von Pohjola,
In Sariola’s Wohngebäuden,
Daß die Tage man hier singe,
An dem Abend freudig lärme
In der Lebenszeit des Wirthen
Und so lang’ die Wirthin lebet!“
„Gott, gewähre du Belohnung,
Unserm Wirthen an dem Tische,
Unsrer Wirthin in dem Speicher,
Ihren Söhnen bei den Netzen,
Ihren Töchtern an dem Webstuhl,
Daß ja keiner Reu’ empfinde,
Niemand in dem nächsten Jahre
Über dieses lange Schmausen,
Über dieses Trinkgelage!“