Textdaten
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Autor: Georg Horn
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Titel: Kaiserin Augusta
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aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 73, 76–78
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Kaiserin Augusta †.

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Kaiserin Augusta.

Als bei Sedan die Kanonen donnerten und deutsche Tapferkeit Frankreich zu Boden warf, da blühte auf dem blutigen Schlachtfelde in einem Gärtlein, dessen Zierde längst von den Hufen der Rosse zertreten war, eine einsame weiße Rose. Ein schmucker preußischer Jägersmann, dem der blauen Bohnen an dem Tage schon viele um den Kopf geflogen waren, entdeckte die Blume und pflückte sie. Er legte sie in seine Brieftasche und dachte ihrer erst wieder am Abend, als der große Sieg errungen war. Die Rose vom Schlachtfeld von Sedan! Wem sollte er sie schicken? Er hatte weder Mutter, noch Schwester, noch Braut; da gedachte er der Frauen, die seit dem Ausbruch des Krieges pflegend, helfend und tröstend um die wunden Helden sich bemüht hatten, und rasch entschlossen sandte er die bleiche Blume an den Magistrat von Berlin, mit der Bitte, sie derjenigen Frau zu überreichen, die sich in der Pflege und Sorge für die Verwundeten am meisten hervorgethan habe. Der Magistrat von Berlin berieth nicht lange, für ihn lag’s klar zu Tage, wer die Rose verdient habe. Er überreichte sie der Königin, die sie freilich in edler Bescheidenheit zurückwies und im Betsaale des großen Barackenlazareths auf dem Tempelhofer Felde unter Glas und Rahmen aufhängen ließ. Aber der Magistrat von Berlin war im Recht: während König Wilhelm draußen im Felde seine Mannen zu Sieg und Ehre führte, hatte seine Gemahlin auch eine Fahne entrollt. In der flog freilich kein stolzer Adler auf, hob nicht dräuend ein Löwe die grimmigen Pranken, drohte kein trotziger Stier, es stand nichts darin als ein rothes Kreuz, und das Fahnentuch selbst war weiß. Das Wunderbarste aber war, daß dieser Fahne nicht nur Männer zueilten, sondern hauptsächlich Frauen vom jugendlichen Mädchen an bis zur betagten Greisin. Das Banner der Barmherzigkeit war’s, das die Königin entfaltet hatte. Dieses Banner in realer Gestalt mit dem eisernen Kreuze über das ganze Fahnentuch und dem rothen Kreuz oben in der Ecke, das einzige in dieser Gestalt existirende, welches Kaiser Wilhelm I. seiner Gemahlin verliehen hatte, ließ Kaiser Wilhelm II. der Heimgegangenen auf den Sarg legen, als ihr höchstes Schmuckkleid neben dem Krönungsmantel der preußischen Königin.

Selten hat eine Frau ihre vor aller Welt erhöhte Stellung in so hohem Sinne aufzufassen verstanden wie diejenige, die nach dem Zusammenbruch des alten Deutschen Reiches zuerst wieder den stolzen Namen einer Deutschen Kaiserin führen durfte. Von dem Tage an, da sie am 30. September 1811 zu Weimar als jüngste Tochter des damaligen Erbprinzen Carl Friedrich und dessen Gemahlin Maria Pawlowna, einer russischen Großfürstin, das Licht der Welt erblickte, bis auf den andern, jenen 7. Januar 1890, an dem sie eingehen durfte zur ewigen Ruhe – welch ein groß Stück Erdenwegs, welch eine Wandlung der Zeiten und Gedanken, welch ein Arbeiten in Prüfung und Kampf!

Betrachtet man das Leben der Kaiserin genauer, so findet man, daß der Gedanke an Fürsorge für die Nothleidenden nicht plötzlich in ihr auftauchte, sondern daß er mit ihr aufwuchs und reifte. Sehr jung, am 11. Juni 1829, war sie die Gemahlin des damaligen Prinzen Wilhelm geworden, aber sie war noch kein Jahr in der neuen Heimath, als man schon von ihrer offenen Hand zu erzählen wußte. Nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. erhielt Prinz Wilhelm den Titel eines Prinzen von Preußen, er war der Nächste am Throne, mit ihm fühlte sich seine Gemahlin als die Nächste in den Pflichten dieser erhabenen Stellung. Wo es eine Sammlung galt zu wohlthätigen Zwecken, ein rasches Geben bei plötzlichen Unglücksfällen, da war die Prinzessin von Preußen die erste, die gab und die reichlich gab, oft über ihre Mittel. Oft mußte sie sich selbst einen Lieblingswunsch versagen, um nur geben zu können, wie ihr Herz es wünschte. Und wo die Mittel nicht zureichten, verkaufte sie von ihren Schmucksachen. Nicht selten scherzte der hochselige Kaiser mit ihr über, man kann sagen – ihre Passion des Gebens. Sie nahm die erstaunten Blicke ihrer Schwägerin, der Kaiserin von Rußland, über ihre bescheidene Toilette hin und tröstete sich mit ihrem guten Bewußtsein. Sonst trat die Prinzessin damals noch wenig in den Vordergrund; sie sammelte bedeutende Menschen um sich und leitete selbst die Erziehung ihrer Kinder, des Prinzen Friedrich Wilhelm, des nachmaligen Kaisers Friedrichs III., und der Prinzessin Luise, der späteren Großherzogin von Baden. Aber schon damals begann man von ihr als von einer bedeutenden Frau zu reden, welche unablässig an sich selbst arbeitete in immer gesteigertem Drange nach jener höchsten Ausprägung des Menschlichen, wofür ihr Goethe, dessen Augen über ihrer Jugend geleuchtet hatten, ein Vorbild war.

Lange Jahre weilte sie am Rheine – ihr Gemahl bekleidete damals den Posten eines Gouverneurs der Rheinlande – und dort war sie ohne Zweifel die volksthümlichste Persönlichkeit. Koblenz ward ihr Lieblingsaufenthalt, und bis in ihr letztes Lebensjahr kehrte sie gern dahin zurück. Sie wohnte dann in den Räumen des Residenzschlosses, dessen stolzer Bau sich auf unserer Abbildung links vom Rheine nahe der Brücke erhebt. Sie hatte dieses Schloß geradezu ein zweites Mal geschaffen, den Kurfürstensaal darin einrichten lassen – ein Museum der Geschichte des Rheinlandes. Auf ihre Veranlassung war der Garten vor ihrer Wohnung angelegt worden, auf ihre Kosten entstanden die Rheinanlagen. In Koblenz begann sie auch zuerst in Bezug auf barmherzige Liebe schöpferisch vorzugehen. Sie rief wohlthätige Anstalten ins Leben, gründete und beförderte Stiftungen. Größere Reisen, namentlich auch nach England, erweiterten ihren Blick, und wenig beachtete sie es, daß ihre von Haus aus zarte Gesundheit immer schwächer wurde.

Die große Verehrung, die man in weiten Kreisen für die Prinzessin von Preußen zu hegen begann, zeigte sich zuerst deutlich bei der Feier ihrer silbernen Hochzeit. Zahllose Beweise des Dankes wurden ihr zu Theil, und ihr treues Koblenz ließ zum Andenken an den festlichen Tag eine Münze schlagen. Wenige Jahre darauf – ihre Tochter war schon vermählt – führte ihr zärtlich geliebter Sohn die älteste Tochter der Königin von England heim. Dann aber traten jene Ereignisse ein, die Erkrankung und schließlich der Tod des Königs Friedrich Wilhelm IV., welche den Prinzen von Preußen auf den Thron seines Bruders führten, die Prinzessin zur Königin erhoben.

Die erste Zeit ihrer neuen Würde war nicht leicht für die Königin; man kam ihr in ihrer Residenz mehr mit Achtung als mit Liebe entgegen. Der lange Aufenthalt am Rheine hatte sie

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Koblenz mit Blick auf das königliche Residenzschloß.

[77] den Berlinern entfremdet, aber festen Schrittes ging sie ihren Weg; sie vertraute darauf, daß sie ihres Volkes Herz gewinnen würde, und sie gewann es.

Am 18. Oktober 1861 setzte König Wilhelm in Königsberg die alte Preußenkrone auf das Haupt seiner Gemahlin, und auf einem Feste, das die Stadt dem neugekrönten Fürstenpaare gab, ward ein Lied gesungen, dessen Strophen in ihren Anfangsbuchstaben die Namen Wilhelm und Augusta bildeten. Die zweite Strophe lautete:

„Auch neig’ Du, Königin,
Unserem treuen Sinn
Gnädig Dich zu!
Und an des Königs Hand
Sei Mutter Deinem Land,
Thronend in Volkes Lieb
Augusta Du!“

Dieser Wunsch ist reich in Erfüllung gegangen. Ihre volle Kraft setzte die Königin an die Aufgabe, ihrem Lande eine rechte Mutter zu sein, und sie konnte dies bald beweisen, als im Januar 1864 der fünfzigjährige Friede, dessen Preußen sich zu erfreuen gehabt hatte, zum erstenmal wieder durch Krieg und Kriegsgeschrei unterbrochen wurde. Wohl blühten Preußens Lorbeeren aufs neue, aber der Lorbeer wächst nur unter Blut und Thränen, und sie zu stillen, das war die vornehmste Sorge der Königin.

Zwar zeigte sich gleich beim Ausbruch des Krieges die Barmherzigkeit in allen Schichten der Gesellschaft; aber es fehlte die einheitliche organisirende Leitung, die Stellung zur Armee war keine klare, so daß allerlei Unzuträglichkeiten sich ergaben. Die Königin hatte das erkannt, sie einte durch die Stiftung des preußischen Centralkomitees die verschiedenen Vereine und trat an die Spitze der gesammten deutschen Krankenpflege, in den Dienst des Rothen Kreuzes der Genfer Konvention, das jetzt mit einem Male von allen Lazarethen, von allen Arbeitsstuben der Barmherzigkeit wehte. Das wiederholte sich, mit stetigen Verbesserungen, in den entscheidungsreichen Sommertagen des Jahres 1866. In diesem Kriege erwies sich von neuem die hohe Bedeutung einer richtig geleiteten freiwilligen Krankenpflege.

Wie das Reich alle Zeit gerüstet sein muß, einem Angriff von außen zu begegnen, so muß auch die Liebe gerüstet sein für den Tag, da die Wunden und Kranken ihrer Hilfe begehren. Das war der Gedanke der Königin, und ihre Pläne gewannen Gestalt zuerst durch die Stiftung des „Vaterländischen Frauenvereins“ unmittelbar nach dem Kriege von 1866. Der Zweck dieses Vereins war, in Friedenszeiten sich bereit zu machen auf den Krieg, im Kriege ergänzend neben den militärischen Organen für Krankenpflege und neben den Männervereinen zu arbeiten, aber auch im Frieden bei schwerem Landesunglück helfend einzutreten. Dabei mußte in erster Linie die freiwillige Krankenpflege herangezogen werden. Auf den Antrieb der Königin ging man an die Bildung und Schulung von Krankenpflegerinnen, Handbücher für dieselben wurden auf ihr Geheiß von berühmten Aerzten verfaßt, und noch in jüngster Zeit hat sie einen hohen Preis auf die beste Herstellung eines beweglichen Feldlazareths ausgesetzt.

Als wirklicher Nothhelfer erwies sich der neue Verein zum ersten Male im Jahre 1868 bei dem großen Nothstand in Ostpreußen, der bis zum Hungertyphus führte. Die Königin selbst veranstaltete einen großen Bazar zum Besten der Nothleidenden im Berliner Schlosse.

Und dann kamen die unvergeßlichen Tage, da auf den französischen Schlachtfeldern die Blume der deutschen Einigkeit erblühte. König Wilhelm richtete den Orden vom Eisernen Kreuze wieder auf. Fürst Pleß ward an die Spitze der freiwilligen Krankenpflege gestellt. Das Oberkommando aber sozusagen übernahm die Königin. Auch sie bot ihren Heerbann auf: der Vaterländische Frauenverein ging zum ersten Male an seine eigentliche Aufgabe. Und während der Gemahl und der Sohn abermals in den Kampf zogen, begab sich die Königin wieder an ihr stilles, unermüdliches Wirken für die Verwundeten und Kranken. Das von ihr erbaute und eben fertig gewordene Augusta-Hospital wurde zur Aufnahme für Verwundete eingerichtet, unter ihrer besonderen Leitung stand eine Abtheilung des großen Barackenlazareths auf dem Tempelhofer Felde bei Berlin, und oft ging die Kaiserin von einem Bett zum andern.

Ja, die Kaiserin! Denn das war sie geworden in diesem großen Jahr. Aber diese Kaiserin saß anspruchslos belm Gottesdienst draußen in den Baracken mitten unter den Soldaten, die ihrem Gemahl geholfen hatten, mit ihrem Blute seine Kaiserkrone zu schmieden. Sie saß auch in den Lazarethküchen auf harter Holzbank und kostete das Essen. Auf Frankreichs Fluren aber spielte deutsche Militärmusik den „Kaiserin-Augusta-Marsch“, den sie selbst vor Jahren komponirt hatte.

Herrlich blühte das neue Reich auf, herrlich blühte auch auf, was die Kaiserin geschaffen hatte, namentlich ihre Lieblingsschöpfung: der Vaterländische Frauenverein. Einmal im Jahre, gewöhnlich im März, bald nach der Geburtstagsfeier des Kaisers, versammelte sie die Abgeordneten der Zweigvereine und die Mitglieder des Hauptvereins in einem der Ministerien um sich. Eine reiche Bauersfrau aus dem Magdeburgischen, die viel für den Verein gethan hatte, war einmal auch dabei, sie war in ihrer stattlichen Volkstracht erschienen, die der Kaiserin sofort auffiel. Sie lobte die Frau um diese Anhänglichkeit an ihre alte Sitte und schloß mit den Worten: „Ermahnen Sie auch die Jugend, festzuhalten an der Tracht ihrer Eltern. Es fällt mehr damit hin, als Sie glauben.“

Später verlegte sie diese Versammlungen in ihr Palais. Dabei richtete sie zum Schluß stets einige Worte an alle Anwesenden, und die leise Befangenheit, die sie beim Sprechen vor so vielen Zeugen nicht abstreifen konnte, der leise Anflug an den Dialekt ihrer thüringischen Heimath gaben diesen kurzen Ansprachen einen eigenthümlichen Reiz. Hing sie ja doch durch ihr ganzes Leben treu an der Stätte, wo ihre Wiege gestanden, wo sie ihre Jugend verlebt hatte. So lange ihre Mutter, die Großherzogin, noch lebte, kam sie jährlich mehrere Mal nach Weimar, und auch nach dem Tode derselben kehrte sie wenigstens einmal im Jahre im Schloß ihrer Väter ein. Mit ihrem Bruder, dem Großherzog Carl Alexander, war sie durch die zärtlichste Schwesterliebe verbunden. Auch ihren Jugendfreundinnen hat sie treue Freundschaft gehalten durch ihr ganzes Leben. Es waren deren vier, aber nur eine von diesen, Baronin von Gustedt, hat die Kaiserin überlebt, und sie bewahrt heute noch ihre jugendfrischen Erinnerungen an die Zeit, wo die damalige Erbgroßherzogin Maria Pawlowna mit ihren Töchtern Goethe allwöchentlich in seinem Heim aufsuchte. Frau von Gustedt hat Frau von Stein, freilich nur mehr als eine Greisin, noch am Fenster ihrer Parterrewohnung sitzen sehen. Als vor elf Jahren der Verfasser dieser Zeilen behufs eines biographischen Artikels über die Kaiserin Augusta in Weimar sich aufhielt, war Frau von Gustedt seine gütige Führerin. Sie ging mit ihm auch nach Belvedere und dort in einem der Gemächer der ersten Etage zeigte sie auf eine Ecke und sagte: „Sehen Sie, hier habe ich zum ersten Mal mit der Kaiserin – wir waren beide drei Jahre – gespielt, und zwar mit Bleisoldaten.“ Es war, als ob die Kaiserin Ihre Zukunft an der Seite eines Soldaten vorhergesehen hätte.

Einer der schönsten Züge im Charakter der Kaiserin war die unwandelbare Anhänglichkeit an diejenigen, welchen sie ihre Achtung und ihr Vertrauen geschenkt hatte. Nicht leicht konnte sie davon abgebracht werden, aber – es muß auch das gesagt werden – nicht leicht war es zu ermöglichen, ihr ein Vorurtheil zu nehmen, das sich in ihr gegen Dinge oder Personen festgesetzt hatte.

Reiche, schöne Jahre kamen nach dem Frieden für die Kaiserin. Sie sah die Vollendung des Kölner Domes, für die sie sich immer lebhaft interessirt hatte, sie wohnte der Hochzeit ihres geliebten Enkels, des Prinzen Wilhelm, des heute regierenden Kaisers, mit der Prinzessin Auguste Victoria von Schleswig-Holstein bei, die sie ganz besonders liebgewann, und dann kam Taufe um Taufe ihrer lieblichen Urenkel, in denen sie ein gesundes Geschlecht heranwachsen – in denen sie eine Bürgschaft für die Zukunft Deutschlands und Preußens sah. Die Kinder des Kaisers waren das Labsal ihres Alters. Jede Woche an einem bestimmten Tage kamen sie zu ihr, spielten um sie herum – und der Kinder höchste Freude war es, die Urgroßmama in ihrem Stuhle von Gemach zu Gemach fahren zu dürfen.

Das Jahr 1879 hatte sie im goldenen Hochzeitskranz gesehen. Es war ein Fest, an dem ganz Deutschland theilnahm. Dann kam 1883 die Silberhochzeit ihrer Tochter, der Großherzogin von Baden, die Vermählung ihrer Enkelin mit dem Kronprinzen von Schweden und die silberne Hochzeit des Kronprinzen, des späteren Kaisers Friedrich. Sie war die erste, die [78] dem geliebten Sohne ihre Segenswünsche brachte. „Ich war ganz starr,“ erzählte der Kronprinz, „als ich in aller Morgenfrühe schon den Wagen meiner Mutter erblickte.“

In den letzten zwanzig Jahren gestaltete sich das Leben der Kaiserin nach einem regelmäßig wiederkehrenden Turnus. Man kann nicht sagen, daß sie den Aufenthalt in Berlin demjenigen von Baden-Baden oder Koblenz vorgezogen hätte. Aber Berlin war ihr offizieller Wohnort, ihre Garnison als Offiziersfrau, wenn man so sagen darf. Hier im Palais pflegte sie, an der Seite ihres kaiserlichen Gemahls, jene großartige Geselligkeit zu üben, wie sie vielleicht an keinem europäischen Hofe mehr üblich ist. Wenn der Frühling kam, suchte die Kaiserin ihr geliebtes Baden-Baden auf, wo sie der Tochter nahe war. Dort pflegte sie bis Mitte Juni zu bleiben.

Sobald der Kaiser nach Gastein abgereist war, hörte man von der Kaiserin Augusta vier Wochen lang nichts mehr. Sie machte ihre Inkognitoreisen in die schweizer Berge, nach Ober-Italien, man sagte sogar, sie sei in den siebziger Jahren in das östliche Frankreich gegangen. Es war die Urlaubsreise der Kaiserin. Der Haushofmeister wurde als Kurier vorausgesandt, um Quartier zu machen für eine Gräfin v. Lingen; am Morgen ging sie oft allein mit dem Reisehandbuch unter dem Arme aus, und eines Tages – in Bologna im Campo Santo war es – sahen sie ihre Damen gar am Arme eines jungen Mannes daherkommen. Derselbe hatte die Kaiserin bei Besichtigung der Denkmäler angesprochen, sich von den feinsten Sitten und von der umfassendsten Bildung gezeigt und der Kaiserin dann den Arm geboten, den sie auch angenommen hatte. Auf diesen Reisen wußte sie ihr Inkognito so geschickt festzuhalten, daß sie nur selten erkannt wurde. Nur einmal in der französischen Schweiz geschah es doch. Sie kam auf einem Bahnhofe an, als eben der Zug, mit dem sie weiter fahren wollte, vorüber fuhr. Sie befahl, augenblicklich anzuhalten. „Das ist eine Königin!“ flüsterten die Bahnhofbediensteten sich zu. Die Endpunkte dieser Urlaubsreisen bildeten Besuche bei ihrer hochbetagten früheren Gouvernante in der französischen Schweiz und in Ouchy bei der Fürstin Wittgenstein. Sobald sie wieder auf deutschem Boden angelangt war, hatte das Inkognito ein Ende. In Freiburg erwartete ein Extrazug die Kaiserin und führte sie nach Baden-Baden, aber nur für kurze Zeit. Gegen den 10. August war der Kaiser von Gastein auf Babelsberg angekommen. Dorthin ging auch seine Gemahlin, um bis zur großen Herbstparade in Berlin an seiner Seite zu bleiben und dann mit ihm in die Provinz zu den Manövern zu gehen. Diesen folgte ein dreiwöchiger Aufenthalt des Kaisers in Baden-Baden, wo am 30. September der Geburtstag der Kaiserin gefeiert wurde, das letztemal im Jahre Jahre 1887. Damals war noch die Kaiserin von Brasilien dabei.

Gegen Mitte des Oktobermonats pflegte der Kaiser nach Berlin zu gehen; die Kaiserin blieb bis zu Ende in Baden-Baden, um dann noch vier Wochen nach Koblenz zu gehen und Ende November nach Berlin in das Palais zurückzukehren. So verlief das Jahr der Kaiserin.

Aber es kamen am Abend ihres Lebens auch noch schwere Prüfungen über sie. Mörderhände bedrohten wiederholt das Leben ihres Gemahls, und als kaum seine Wunden geheilt, da kam das Leiden über sie selbst. Mehrere Jahre war sie des Gebrauchs ihrer Füße gänzlich beraubt, und ein berühmter Arzt erklärte ihr rund heraus: „Euer Majestät werden nie wieder gehen können.“

„Wie Gott will, mein Lieber,“ entgegnete die Kaiserin wehmüthig. Und es kam anders! Langsam gewann sie den Gebrauch ihrer Füße wieder. Sie war fast genesen, als herberes Leid sie traf, die nagende Sorge um die Gesundheit ihres Sohnes. Die fürchterliche Wahrheit ließ sich nicht mehr verleugnen, daß dieser königliche Eichbaum krank sei bis ins Mark, und dann brachen sie herein, die furchtbaren Schicksalsschläge, einer um den andern, die erst den geliebten Enkel, dann den greisen Gatten, und endlich auch den todwunden Sohn von ihrer Seite rissen. Ihr, deren Leben es gewesen, Thränen zu trocknen, blieben die bittersten Thränen nicht erspart.

Und dann ein ruhiges, friedsames Ausklingen! In stiller Zurückgezogenheit lebt die kaiserliche Witwe ihren Erinnerungen und ihren alten Zielen; um das trauernde Haupt der Greisin aber webt eine scheidende Sonne noch manch goldenen Strahl, ausgleichend, versöhnend, verklärend. Dann sinkt sie hinab, die Sonne; das Haupt aber, dem noch ihr letzter Gruß gegolten, legt sich müde nieder – zum Sterben!

Und wie des Menschen Auge in wehmüthigem Sinnen auf der Stelle haftet, da der röthliche Glanz noch die Spuren des Tagesgestirns verräth, so bleibt des Volkes Gedenken ruhen auf dem Werke der Kaiserin Augusta.

Georg Horn.