Kabale und Liebe, großes Oratorium von Fr. von Schiller

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Titel: Kabale und Liebe, großes Oratorium von Fr. von Schiller
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aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 48
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[048] Cabale und Liebe, großes Oratorium von Fr. von Schiller. Unter diesem Titel ging in San Francisco am vergangenen Sonntag jenes ergreifende Trauerspiel unseres deutschen Lieblingsdichters über die Bretter, welche die Welt bedeuten.

Die deutsche Muse ist in der großen Goldstadt am Stillen Meere in eine wunderliche Stellung gerathen; am Sonntag wagt sie sich nur im geistlichen Gewande auf die Bühne. Ein altes californisches Gesetz verbietet nämlich am Sonntage „Stiergefechte, Hahnenkämpfe, Theater und andere barbarische Vergnügungen“ (bull fights, cock fights, theatres and other barbarous amusements). Da aber Alles unter dem Namen heilig (sacred) am Tage des Herrn erlaubt ist, so giebt es hier doch mitunter dann deutsches Theater, das als heiliges Concert, als Oratorium oder dergleichen annoncirt wird, damit es den gottesfürchtigen Amerikanern nicht gar zu anstößig werde. Concerte, bei denen Tanz- und Opernmusik die Hauptrolle spielt, werden als „heilige Concerte“ (sacred concerts) aufgeführt; sogar heilige Seiltänzer und heilige Circusreiter etc. haben schon in San Francisco ihre Kunst an Sonntagen zum Besten gegeben.

Seit Jahren haben die hiesigen Deutschen bei den Gerichten des Landes darauf hingearbeitet, daß jenes pietistische Gesetz in Bezug auf deutsche Theatervorstellungen am Sonntag für ungültig erklärt werde. Die californischen Richter entschieden aber in höchster Instanz, daß Theatervorstellungen unter die Classe von barbarischen Vergnügungen zu zählen seien, und dabei blieb es. Bierkeller und Tanzlocale dagegen dürfen nach californischem Gesetze am Sonntag offen sein; einen Schluck vom edlen Gerstensafte kann ein ehrlicher Deutscher in San Francisco auch am Sonntag zu sich nehmen, ohne, wie in manchen östlichen Städten der Union der Fall ist, dafür straffällig zu werden.

Nur zu Zeiten, wenn die Amerikaner die Deutschen als Stimmgeber bei Wahlcampagnen gebrauchen und wenn die herrschende Partei in der Stadt es nicht mit ihnen verderben will, drückt die hohe Obrigkeit ein Auge halb zu und nimmt keine Notiz von einer deutschen Theatervorstellung an einem Sonntag. Die Zeit der Freude dauert aber selten lange. Trotz aller frommen Ausflüchte und der größten Vorsicht seitens der Deutschen, den Amerikanern nicht durch zu große Publicität jener unschuldigen Amüsements unangenehm zu werden, werden ihre allerdings nichts weniger als heiligen Sonntagsconcerte, Oratorien etc. in der Regel grausam vom Gesetze verfolgt. Wenn keine Wahlen in Aussicht stehen, pflegen die Amerikaner in dieser Beziehung hier wenig Federlesens mit ihren den Sonntag entheiligenden barbarischen deutschen Mitbürgern zu machen: die als Minimum angesetzte Geldstrafe von fünfzig Dollars folgt den theatralischen Vorstellungen auf dem Fuße und wird an jedem Sonntag verdoppelt, und bald müssen jene bis zur nächsten Wahl immer seltener werden oder ganz aufhören. Die Sonntage sind aber die Haupttage für die hiesige deutsche Theatercasse und ohne Sonntagsvorstellungen kann in San Francisco kein deutsches Theater auf die Dauer bestehen. Die deutsche Muse fühlt sich daher leider am Gestade des Stillen Oceans immer noch nicht recht wie zu Hause; nur gelegentlich stattet sie uns eine Visite ab, und wagt sich, wie gesagt, auch dann am Sonntag nur im geistlichen Gewande auf die Bühne.

San Francisco, am 23. November 1869.

Theodor Kirchhoff.