Künstliche Kälteabarten von Pflanzen und Tieren

Textdaten
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Autor: Dr. –dt
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Titel: Künstliche Kälteabarten von Pflanzen und Tieren
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 228 d
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[228 d] Künstliche Kälteabarten von Pflanzen und Tieren. Hoch oben auf den Bergen und hoch oben im Norden sehen viele Tier- und Pflanzenarten anders aus als in der Ebene oder in südlicheren Gegenden. Diese nordischen Abarten und Höhenformen sind, wie die Wissenschaft lehrt, im Laufe langer Zeiträume unter dem Einfluß einer fortschreitenden Veränderung des Klimas entstanden.

In der Neuzeit haben die Naturforscher versucht, diese Einflüsse näher zu ergründen und durch Veränderung der Lebensbedingungen neue Abarten von Pflanzen und Tieren zu erzeugen. Die Lösung dieser Aufgabe ist nicht leicht, denn solche Aenderungen in der Tier- und Pflanzenwelt vollziehen sich äußerst langsam. Immerhin sind neuerdings einige Beobachtungen und Versuche gelungen, die uns einen Einblick in die Art und Weise gewähren, wie durch den Einfluß der Kälte neue Pflanzen- und Tierformen erzeugt werden. Daß schon die Temperatur allein imstande ist, Formenänderungen bei Pflanzen herbeizuführen, haben schon vor mehreren Jahren zwei Forscher, Ettingshausen und Krašan, nachgewiesen. Sie stellten nämlich in der Form der Blätter einzelner Eichen und Buchen Verschiedenheiten fest, die auf die gewöhnliche Art durch Lichtmangel sich nicht erklären ließen. Durch Zufall kamen die Forscher dahinter, daß diese Bäume, gerade als ihre Blattknospen im Aufbrechen begriffen waren, stark unter Frost gelitten hatten. Sie beobachteten weiter und fanden ihre Ansicht, daß diese so veränderten Blätter Frostformen darstellten, bestätigt. Und als sie nun diese Frostformen mit vorweltlichen Eichen- und Buchenblättern aus dem Tertiär verglichen, zeigte es sich, daß sie mit letzteren übereinstimmten. Hier hatte die Kälte also an Eichen und Buchen besondere Abarten von Blättern erzeugt, die selbst das Auge dieser Forscher nicht mehr ohne weiteres als Eichen- oder Buchenblätter erkennen konnte, und die sie atavistische oder Rückschlagsformen nannten.

Ueber den Einfluß der Kälte auf die Gestaltung der Tiere haben jüngst amerikanische Blätter berichtet. Man hatte dort in die großen Höhleneiskeller einzelner Brauereien zur Vertreibung der daselbst in Unmasse hausenden Mäuse Katzen eingesetzt. Diese Katzen hätten nun schon nach kurzer Zeit, infolge der in den Kellern herrschenden Kälte, trotzdem draußen Sommer und die Zeit zur Anlegung des Winterpelzes noch gar nicht gekommen gewesen sei, ihr Winterkleid angezogen und überhaupt nicht wieder abgelegt. Und siehe da, auch die jungen, in den Eiskellern geborenen Kätzchen seien gleich mit Winterpelzen auf die Welt gekommen. Man habe nun, einmal aufmerksam geworden, auch die Mäuse daraufhin untersucht und gefunden, daß auch diese ein viel dichteres und dunkleres Fell hatten als ihre Brüder und Schwestern draußen und daß auch die jungen Mäuse gleich mit einem solchen veränderten Fell geboren wurden. Diese Berichte sind jedoch wissenschaftlich nicht verbürgt und müssen darum mit aller Vorsicht aufgenommen werden.

Ueber jeden Zweifel erhaben sind aber die Untersuchungsresultate einer Anzahl von Entomologen, denen es thatsächlich gelungen ist, künstliche Kälteabarten von Schmetterlingen zu erzeugen. Wir wollen hier nur die Arbeiten Dr. Fickerts erörtern. Seine Untersuchungen knüpften an die Thatsache an, daß die verschiedenen Jahresgenerationen mancher Schmetterlingsarten verschiedene Kleider tragen, je nachdem ihre Puppen überwintert haben oder nicht. Indem er nun Sommerpuppen in einem Eisschrank oder Eiskeller aufbewahrte und zum Auskriechen brachte, gelang es ihm auf diese Weise eine Form zu erzielen, die derjenigen gleich oder doch ähnlich war, welche gewöhnlich aus den überwinterten Puppen auszuschlüpfen pflegt. Später wurden diesen Versuchen auch Schmetterlinge unterworfen, welche keine nach den Jahreszeiten verschiedene Abarten zeigen, so unser gewöhnliches Pfauenauge, und auch bei diesen wurden Veränderungen in der Färbung, namentlich Verdüsterungen und Rückbildung der Augenflecke, erzielt. Noch vorteilhafter aber erwies es sich, die Puppen, anstatt einer Eisschranktemperatur von 1 bis 3° über 0, wirklichen Kältegraden bis zu 20° unter 0 auszusetzen, denn dadurch erhielt Fickert bei dem „Kleinen“ und „Großen Fuchs“, dem „Trauermantel“ und dem „Pfauenauge“ Abarten, welche in der freien Natur nur höchst selten vorkommen.

Als möglichst frische, 1 bis 2 Tage alte Puppen in einem kleinen Zinkkasten der Einwirkung einer täglich erneuerten Kältemischung von Eis und Salz eine Woche lang ausgesetzt wurden, erhielt man vom Kleinen Fuchs neben einer Anzahl normaler Tiere auch verschiedene Abarten, darunter vier Stück einer neuen, bisher völlig unbekannten, bei welcher die Hinterflügel bis auf geringe Spuren gelblicher Randflecke ganz braunschwarz gefärbt sind. Auf die gleiche Art und Weise gelang es, vom „Braunen Bär“ eine neue prachtvolle Abart zu erhalten, mit fast ganz einfarbigen, chokoladebraunen Vorderflügeln und schwarzen, nur am inneren Viertel mennigrot behaarten Hinterflügeln; auch der Hinterleib war, bis auf die beiden ersten Hinterleibsringe, oben braun-schwarz gefärbt.

Während nun aber nach Ettingshausen und Krašan die Kälteabarten der Eichen- und Buchenblätter einen Rückschlag auf frühere Formen vorstellen, ist dies nach der Ansicht Fickerts bei den Kalteabarten von Schmetterlingen nicht der Fall, weil „die Beobachtung der Farbenentwicklung in den Puppen und die Untersuchung der Stammesentwicklung durch Vergleichung fertiger Formen zeigt, daß das Zusammenfließen von Flecken und das Einfarbigwerden, wie die Kälteformen es zeigen, stets einen Fortschritt bedeutet“.

Es bleibt nun noch übrig, zu versuchen, Kälteabarten zur Paarung zu bringen und die aus deren Eiern ausschlüpfenden Raupen zu Schmetterlingen aufzuziehen, um zu sehen, ob die neuerworbenen Kennzeichen auch vererbt werden. Dr. –dt.