König Sigmund und Filippo Maria Visconti im Jahre 1413

Textdaten
<<< >>>
Autor: Karl Schellhass
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: König Sigmund und Filippo Maria Visconti im Jahre 1413
Untertitel:
aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 7 (1892), S. 323–326.
Herausgeber: Ludwig Quidde
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung J.C.B. Mohr
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Freiburg i. Br
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[323] König Sigmund und Filippo Maria Visconti im Jahre 1413. In seinem Buche „Filippo Maria Visconti und König Sigismund 1413 bis 1431“[1] gibt Ernst Kagelmacher im Gegensatze vor Allem zu [324] Aschbach[2] sein Urtheil über den Zug des Luxemburgers nach Italien i. J. 1413 dahin ab[3]: „sein Erscheinen in Italien war hervorgerufen durch seine Kirchenpolitik, nicht aber durch einen Kriegszug gegen das Haupt der Lombardei, Mailand.“ Während für Aschbach das Resultat des Zuges, die Berufung eines allgemeinen Concils nach Konstanz durch Papst Johann XXXIII., ein durch eine Kette von Zufälligkeiten herbeigeführtes ist[4] und als der eigentliche Zweck der Heerfahrt von ihm die Unterwerfung des Mailänders betont wird[5], leugnet Kagelmacher letzteres auf’s Entschiedenste und sieht in dem Zustandebringen des Concils den Hauptgrund für das Ueberschreiten der Alpen seitens des Römischen Königs[6]. Diese Auffassung, der die ganze Darstellung in der Berner Chronik des von Kagelmacher einfach bei Seite geschobenen Conrad Justinger widerspricht[7], kann als abgethan gelten, nachdem Th. von Liebenau[8] aus dem Baseler Staatsarchiv zwei Briefe vom Juli und September 1413 veröffentlicht hat, in denen klar und deutlich von dem beabsichtigten Zuge Sigmunds gegen Mailand die Rede ist.

Kagelmacher verweist zur Begründung seiner Ansicht einzig und allein auf eine Verordnung Filippo Maria’s vom 20. Mai 1413, durch die Freudenfeste angesagt werden „wegen der Gunst und Gnade, die ihm Sigmund erwiesen“[9]: „nam prefata regia serenitas – – – nos in proprium dignata est assumere filium“ etc. Dies gute Verhältniss, meint er, habe bis in den November hinein Bestand gehabt. – Es verlohnt der Mühe, jenes Actenstück näher anzusehen[10].

In dem an den Podestà etc. von Mailand gerichteten Schreiben des Herzogs heisst es: „Super omnia que mens nostra cordialiori semper [325] appeteret desiderio continuo quesivimus et optavimus, ut sacra Cesarea Majestas, a qua tot benefitia celeberrime memorie illustrissimus dominus genitor noster honorandissimus susceperat, ut exinde tota domus nostra sit notabiliter et granditer sublimata, nos etiam filiali affectione respiceret et tractaret“. Das sei endlich geschehen. „Nam prefata regia serenitas inexausta sua clementia nos in proprium dignata est assumere filium et assumpsit disposita omnino, ne dum nos in nostris juribus et honoribus conservare atque protegere, sed suis semper continuis propitiis favoribus adaugere“. Er wünsche, „quod ob inde triduo fieri fatiatis luminosa falodia cum sonitibus campanarum“. (Folgt Datum u. s. w.)

Es drängt sich die Frage auf, von welchem Herrscher Johann Galeazzo, der Vater (genitor noster) des i. J. 1412 zur Regierung gelangten Herzogs, so viele Gunstbezeugungen erfahren hatte? Die Antwort lautet: von dem Römischen König Wenzel, der schon 1380 dem Hause Visconti mit grossem Wohlwollen entgegengetreten war[11], und der dann dem Johann Galeazzo durch die Erhebung zum Herzog am 11. Mai 1395 zu einer vom Reiche so gut wie unabhängigen Stellung verholfen hatte[12]. Gehörte doch die Entfremdung Mailands vom Reiche mit zu den Gründen der Absetzung Wenzel’s. Der Römische König, dessen Zuneigung Filippo Maria am 20. Mai 1413 gewonnen zu haben sich rühmen durfte, ist demnach nicht Sigmund, der auch gar nicht namentlich genannt wird, sondern der Bruder desselben, der 1400 abgesetzte Wenzel[13].

Dass Letzterer es verstanden hatte, zu jener fürstlichen Partei, die um 1413 nicht Sigmund, sondern ihn selbst als Römischen König anerkannte[14], auch den Visconti hinüber zu ziehen, ist eine bisher völlig unbekannte Thatsache, die um so mehr Beachtung verdient, als sie auf den Gang der Ereignisse des Jahres 1413 neues Licht zu werfen geeignet ist. Die Sigmund von Justinger in den Mund gelegten Worte, mit denen er am 24. August 1413 die Eidgenössischen Boten in Chur um Hilfe gegen Mailand bittet[15], gewinnen jetzt erst [326] rechte Bedeutung: „derselb von Meylan wil sich nit gen uns bekennen noch lechen von uns empfachen als er solte“. Um dem Einfluss Wenzel’s entgegenzuwirken und den Visconti zum Gehorsam gegen das wahre Oberhaupt des Reiches anzuhalten, ward demnach der Zug in die Lombardei angetreten. Nahegelegt war derselbe dem Könige schon durch Giovan Carlo Visconti, der, ebenso wie sein Vetter Estorre Visconti durch Filippo Maria aus der Herrschaft verdrängt, den Deutschen Herrscher für seine und Estorre’s Interessen in Bewegung zu setzen sich mühte. Man darf sagen, wenn sie beide dem Könige Lehenspflicht und Gehorsam gelobten[16], so geschah es in bewusstem Gegensatz zu Filippo. Wie dieser an Wenzel, so suchten sie an Sigmund ihren Halt. Es ist klar, dass, wenn nach solchen Vorkommnissen im Herbste d. J. 1413 der Herzog sich mit dem auf Italienischem Boden befindlichen Könige in Verhandlungen einliess[17] und ihm im Oktober durch Gesandte den Treueid und Versprechungen leistete[18], dies kein gering anzuschlagender Erfolg war. Er bedeutete das Aufgeben Wenzel’s durch den Visconti und eröffnete, obwohl die Verhandlungen damals schliesslich[19] scheiterten, zum ersten Male die Möglichkeit eines engeren Verhältnisses zwischen Filippo und Sigmund.

Karl Schellhass.     

Anmerkungen

  1. Ein Beitrag zur Geschichte des 15. Jahrhunderts. Berlin 1885.
  2. Geschichte Kaiser Sigmund’s Bd. I p. 367.
  3. a. a. O. p. 6 unten.
  4. Aschbach a. a. O. p. 390. Max Lenz, König Sigismund und Heinrich der Fünfte von England, p. 48 oben neigt derselben Ansicht zu.
  5. a. a. O. p. 367.
  6. Kagelmacher p. 5.
  7. Die Berner-Chronik des Conrad Justinger, ed. G. Studer, p. 213 ff. Kagelmacher p. 5 oben.
  8. Im Anzeiger für Schweizerische Geschichte Bd. V (Jahrg. 1889) p. 322–323. Auch H. Finke (Forschungen und Quellen zur Geschichte des Constanzer Conzils, Paderborn 1889) wendet sich im 1. Cap. (zur Vorgeschichte des Konstanzer Concils) p. 9 gegen Kagelmacher und sagt p. 11: „genug, neben den kirchlichen (sc. Concilsplänen) verfolgte Sigismund sehr weltliche Pläne (nach F. insbes. die Lombardische Frage), aber nur die ersteren verwirklichten sich“.
  9. a. a. O. p. 4 unten und p. 2 Note 3.
  10. Gedr. Osio, Documenti diplomatici tratti dagli archivi Milanesi II p. 17, Nr. 15.
  11. Th. Lindner, Geschichte des Deutschen Reiches unter König Wenzel Bd. I p. 182 u. 183.
  12. Lindner a. a. O. Bd. II p. 326–335; p. 350, 12 ff.; p. 351; p. 491, 8 ff. Kurze Inhaltsangabe resp. Abdruck der verschied. Privilegien s. bei Giulini, Memorie spettanti alla storia di Milano, nuova ed. Bd. VII Documenti p. 246; 258; 261; 264.
  13. Auch Finke sieht noch a. a. O. p. 10, 3 ff. in dem Römischen König, wegen dessen gnädiger Gesinnung Filippo Maria am 20. Mai ein Freudenfest feiert, Sigmund.
  14. Aschbach a. a. O. 1 p. 392 unten.
  15. Justinger a. a. O. p. 213 unten.
  16. Aschbach a. a. O. p. 370.
  17. Kagelmacher p. 8 f. Finke p. 10. Man darf annehmen, dass der Verordnimg des Herzogs vom 13. Okt. 1413 (Osio a. a. O. p. 24–25) bis in den September zurückreichende langwierige Verhandlungen zwischen Sigmund und Filippo vorangegangen sind. In der Verordnung heisst es, dass der König nur mit Erlaubniss des Herzogs Mailand betreten werde.
  18. Finke p. 10. Auf p. 311–314 druckt er aus einem Codex des Frankfurter Stadtarchivs das Notariatsinstrument über Eid und Versprechungen, die beide inserirt sind, ab. Bei den Worten der Eidesformel (p. 312, 18 ff.): treu sein „contra omnem hominem mundi“ – – – nicht im Einverständnis sein mit „proditoribus aut rebellibus vestris et ipsius sacri Romani imperii“ mag man an Wenzel denken, desgl. bei den Worten der „promissiones“ p. 313, 15 ff.): in Sigmund’s Abwesenheit von der Lombardei auf eigene Kosten und Verlangen „guerram facere, prout eidem mandabimus contra et adversus quoscumque reges principes duces“ [etc. etc.], „qui sunt essent vel erunt in futurum rebelles vel alias inimici quovis modo“.
  19. Kagelmacher p. 9 ff. Finke p. 10.