König Humberts Einzug in Berlin am 21. Mai
König Humberts Einzug in Berlin am 21. Mai.
Dem nachdenklichen Beschauer drängten sich eigene Gedanken auf, wenn er am Tage vor dem Einzuge des italienischen Herrschers die Hauptstraßen des Centrums durchwanderte und einen Blick auf die Vorbereitungen zum Empfange des Königs Humbert warf.
Unwillkürlich kam die Erinnerung an die Todtenhuldigung, welche die Stadt Berlin ihrem großen Kaiser im vorigen Jahre bereitet hatte. – Damals Trauerfahnen, dunkle Banner, gesenkte Fackeln, Todtenurnen und Schwarz und Grau und düstere, ernste Farben, wohin das Auge sich wandte. –
Nun aber freudiges Leben, geschäftige Hände, die wie von Zauberkraft unterstützt die Triumphbogen und Hallen, die Baldachine, die Sockel und Flaggenstangen aufrichteten und sie mit Schmuck versahen. –
Auch die Besitzer der Häuser in den Feststraßen, der Königgrätzerstraße und Unter den Linden, waren nicht zurückgeblieben. Ja, etwas von der südlichen Eigenart schien man absichtlich haben nachahmen zu wollen, denn buntfarbige, meist orientalische Teppiche sah man von zahlreichen Fenstern herabhängen.
Bau- und Bildnerkunst hatten Großartiges und wahrhaft Farbenprächtiges geschaffen, als der junge Maimorgen anbrach und die letzten Arbeiter, die die Nacht über, von elektrischem, Gas- und bengalischem Lichte unterstützt, ihre Thätigkeit nicht unterbrochen hatten, die Stätte ihrer Wirksamkeit verließen.
Ein jubelnder, gleichsam siegreicher Tag der Freude und Erwartung! Nicht vergessen, aber zurückgedrängt war die Erinnerung an die ernste Zeit, die uns den edlen Kaiser Wilhelm dahinriß. Heute feierten die Linden den Triumph des Lebens, der Wiedergeburt in ihrem märchenhaften Schmucke. – Eine neue Zeit, ein neuer Herrscher, ein kräftiger, zielbewußter, seine Aufgaben ernst nehmender Monarch, Preußens König, Deutschlands Kaiser, ein Fürst des Friedens! Und als Friedensfürst zog ein am Morgen in das erwartungsvolle, geschmückte, des bedeutungsvollen Tages sich bewußte Berlin auch ein Freund des Friedens, durch sein Kommen der Welt bestätigend: „Wir reichen uns die Hände hier auf deutschem Boden wie jüngst auf italienischem als Bundesgenossen, und unser Bündniß hat die Bedeutung, den Völkern die Segnungen der Arbeit zu verschaffen, ruhige Entwickelung zu fördern, die Brandfackeln des Krieges fern zu halten!“ –
Wohl keine Zeitung im ganzen deutschen Lande, die nicht über die Einzelheiten berichtet hat, aus denen sich das Empfangsbild zusammensetzte. Deshalb will ich auch nur versuchen, einige Eindrücke des Tages wiederzugeben.
Schon Stunden vor dem Eintreffen der Monarchen hatte sich die Bevölkerung vom Anhalter Bahnhof herab bis an das Schloß aufgestellt. Aus allen Theilen der Stadt, aus Norden, Süden, Osten und Westen eilten bereits die Menschenmassen ins Centrum. Im Westen gab’s keine Wagen mehr. Die Droschkenhalteplätze waren leer. Je mehr man sich dem Brandenburger Thor, der Leipziger- und Friedrichstraße näherte, um so eilfertigeres Leben – Wagen, Equipagen, Droschken, Fiaker, Kremser mit Menschen, sich drängende Männer, Frauen und Kinder.
Um 9 Uhr mußte alles nach einer Bekanntmachung des Polizeipräsidiums Aufstellung genommen haben. Dem Publikum war bereitwillig Zutritt versprochen, an den Ordnungssinn und die Gesittung hatte die Behörde – und nicht umsonst appellirt.
Als ich um 10½ Uhr, die Ankunftszeit König Humberts, die Linden durch ein Privathaus betrat und die beiden Seiten durchwanderte, ging kaum einmal ein leises Summen durch die Menge. Jeder in dieser tausendfältigen Masse verhielt sich ruhig, und nur bei dem Panoptikum Unter den Linden entstand einmal ein kleiner Auflauf, als eine dort befindliche italienische Bänkelsängergesellschaft in reizend phantastischen Kostümen vom Balkon herab ihre Instrumente ertönen und ihre Stimmen erschallen ließ.
Ich wandte von einem erhöhten Platz wiederholt den Blick die Linden hinab bis an das Brandenburger Thor und andererseits bis an das Kaiserliche Schloß. Ein Anblick von berückender Schönheit! Ein Tag, begünstigt vom Himmel wie kaum ein zweiter durch eine italienisch blaue Luft, – durch goldenes, alles umstrahlendes Sonnenlicht.
Das war ein Flimmern und Blitzen und Leuchten an den Spitzen, Giebeln und Vorsprüngen der geschmückten Häuser. Guirlanden, Fahnen, bunte Tücher, Teppiche, Grün, Blumen an den Fassaden, wohin man blickte, in allen Fenstern Menschen, Tausende und aber Tausende. Die Balkone, fast brechend von Zuschauern; in den Dachluken, auf den Dächern menschliche Gestalten und hoch über allem wimpelnde Fahnen in den Farben des Reichs und vornehmlich in den Farben der Halbinsel, deren Herrscher erwartet wurde.
Und jedes öffentliche Gebäude geschmückt – beladen! Dazwischen unter den Linden die durch golddurchwirkte Netze verbundenen Ehrenpforten, die mächtigen Baldachine mit ihren Figuren, Statuen, Kronen und Inschriften, und zu ihren Füßen die langen Reihen des aufgestellten Militärs zu Fuß und zu Pferde, mit blitzenden Helmen, Kürassen und Degen, die Führer hoch zu Roß mit Federbüschen und Ordenssternen, die Musik mit ihren funkelnden Blechinstrumenten, und die Linden selbst mit ihrem kraftvollen, herrlichen Grün und den breiten, von der Bevölkerung besetzten Reit- und Fahrwegen! – Eine Pracht, eine Ueppigkeit, eine Farbenfülle, ein Reichthum sondergleichen und eine das Auge erfreuende Ordnung, wie sie bei solchen Massen kaum möglich erscheint!
Endlich, 40 Minuten nach der angesagten Zeit, machte sich eine allgemeine Bewegung bemerkbar. Kanonenschläge ertönten. Ueber den Reitweg galoppirte ein Schutzmann dem Brandenburger Thor zu. Die Reihen der Truppen schlossen sich fester aneinander, die Musiker griffen zu ihren Instrumenten, die Offiziere zu Fuß und zu Pferde reihten sich enger in die Ordnung ein – stramm, bewegungslos stand alles da. – Und nun ein seltsames, allmählich immer mehr anschwellendes, gleich Meeresrauschen wirkendes, brausendes Getöse, das sich zuletzt auflöste in einen einzigen, ungeheuren Sturm der Begeisterung.
Die Musik setzte ein, die Trommeln wirbelten, die Trompeten schmetterten, die Pferde rissen ungeduldig an den Zügeln und bäumten sich. – Und dann unter einem unbeschreiblichen Jubel, unter Tücherschwenken und tausendfältigem Hurrah – die Monarchen, der fürstliche Gast, König Humbert von Italien neben ihm der deutsche Kaiser Wilhelm II., im vierspännigen Wagen, eskortirt von einer Eskadron Garde-Kürassiere.
Und immer noch Jubelruf. Fürst Bismarck, neben Crispi, dem italienischen Ministerpräsidenten, der junge Prinz von Neapel und Prinz Heinrich, Graf Moltke, der übrige Hof, das Gefolge in zwei- und vierspännigen Wagen, die Generalität, ein farbenreiches Bild, ein das Auge des Publikums fesselndes, herrliches Schauspiel.
Endlich war auch kein Halten mehr! – Zu sehen, wie sich diese Menschenmassen auflösten, wie sie an der Ecke der Friedrichstraße und der Linden durcheinander sich mischten und drängten, die Massen der Wagen stockten und dieser Bienenschwarm sich ergoß in die angrenzenden Straßen, machte fast einen sinnverwirrenden Eindruck.
Erst spät in der Nacht leerten sich die Linden. Endlose Wagenreihen rollten, langsam sich fortbewegend, auf und nieder.
Als mit der einbrechenden Dunkelheit die Lichter in allen Häusern angezündet wurden, als die venetianischen Lampions aufblitzten, das elektrische Licht seine Ströme über die Straße warf, die golddurchwirkten Netze der Ehrenpforten durchfluthete und die Spitzen der Baldachine umleuchtete, als alle diese Licht- und Farbentöne, ausstrahlend von den lebendigen und todten Dingen, das Auge trafen, da war’s dem Beschauer, als wirke ein Märchentraum nach; nicht Wirklichkeit sei, was er in sich aufnehme!
Als ich spät nach Hause wanderte, leuchtete unter dem elektrischen Licht vom Potsdamer Platz am Hotel Bellevue die weithin sichtbare Inschrift: „Evviva Roma, Capitale d’Italia!“
Ein Zuruf an die ewige Stadt, nicht an den Herrscher! Aber in der That, auch die Augen der beiden großen Städte im Norden und Süden richteten sich heute aufeinander wie die Blicke der beiden Monarchen und beglückwünschten sich freudeerregt und hoffnungsvoll bei dieser unvergeßlichen festlichen Feier des großen Friedensbündnisses im Frühjahr 1889! –
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