König Heinrich’s IV. Bussübung zu Canossa 1077

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Autor: Gerold Meyer von Knonau
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Titel: König Heinrich’s IV. Bussübung zu Canossa 1077
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aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 11 (1894), S. 359–363.
Herausgeber: Ludwig Quidde
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Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. B. und Leipzig
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[352] König Heinrich’s IV. Bussübung zu Canossa 1077. Für die Quellenkunde und die Erforschung der Geschichte des 11. Jahrhunderts bietet die neue Holder-Egger’sche Ausgabe der Annalen Lambert’s von Hersfeld, welcher die Studien des gleichen Verfassers zu Lambert von Hersfeld, in Bd. XIX des Neuen Archives der Gesellschaft für ältere Deutsche Geschichtskunde, zur Seite gehen, eine ganz ausgezeichnete Förderung; wenige mittelalterliche Geschichtschreiber werden eine so eindringliche, erschöpfende kritische Würdigung erfahren haben. Auch für den Schreiber dieser Notiz war bei der Vollendung seines 2. Bandes der Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Heinrich IV., für welchen wenigstens zum Theil die Holder-Egger’sche [360] Arbeit noch gerade benutzt werden konnte, die neue Edition vorzüglich erwünscht, wenn auch da das durchaus negative Urtheil Holder-Egger’s über Lambert nicht bis zu den allerletzten Folgerungen getheilt wird.

Doch erfordert wenigstens ein Capitel, auf welches in den Jahrbüchern nur in den Nachträgen kurz Bezug genommen werden konnte, hier noch eine Ausführung, dasjenige, das als Cap. VI. unter dem Titel „Canossa“ im dritten Theile der „Studien“, S. 537 ff., mitgetheilt ist.

Darin ist dem Kritiker ganz beizustimmen, dass Lambert’s Bericht auch hier in der Hauptsache sich überall als unbrauchbar herausstellt. Der von dem Annalisten behauptete Inhalt der geheimen Verhandlungen, die der Aussöhnung zwischen Heinrich IV. und dem Papste vorangingen, vollends die Darstellung der Feier des Abendmahls nach Vollzug der Wiederaufnahme des Königs in den kirchlichen Verband sind ganz zu verwerfen. Ebenso streicht Holder-Egger mit Recht die Uebertreibungen Lambert’s bei der Schilderung der Durchführung der Bussübung[1].

Allein ganz besonders möchte nun Holder-Egger auch diese Busshandlung des Königs in einer von der gewohnten Auffassung, bei der allerdings manche unglaubwürdige Züge aus Lambert’s Schilderung haften geblieben sind, sehr abweichenden Form erklären. Gestützt auf die von ihm in nachdrücklichster Weise herangezogene Erzählung Donizo’s, Vita Mathildis, Lib. II, v. 85 ff., nimmt er an, Heinrich IV. habe sich innerhalb der ersten Umwallung, wo wohl Mathilde nach Möglichkeit für Unterkunft gesorgt habe, während der drei Tage in seinem Quartiere – vielleicht in schnell herbeigeschafften Zelten – befunden, wohl im Bussgewande, und sei am dritten Tage in die Kapelle gekommen, wo mit der Gräfin und Abt Hugo verhandelt worden sei, woran sich die Lossagung durch den Papst geschlossen habe.

Doch diese Erklärung verträgt sich nicht mit den bestimmten Worten der allein in erster Linie zu beachtenden Quelle, Gregor’s VII. eigenen Worten über Heinrich IV. in seinem Bericht – Registrum IV, 12, Jaffé 5017 –, die bestimmt genug lauten: per triduum ante portam castri – – – discalciatus – – – persistens. Gewiss ist zuzugeben, dass ein Stehen während des ganzen Tages, in der argen Kälte, so wie das Lambert behauptet, als eine Unmöglichkeit sich herausstelle. [361] Aber erst Lambert hat ja die Worte: a mane usque ad vesperam hineingefügt. Sehr leicht lässt sich das Zeugniss des Papstes dahin interpretiren, dass sich Heinrich IV. im Verlaufe dreier Tage in dem kläglichen Aufzuge gezeigt habe. Dagegen fordert die Aussage des Papstes ganz entschieden, dass dieses – zeitweise geschehend – Stehen wirklich vor dem Eingange der eigentlichen Burg erfolgt sei, und die Heranziehung der Stelle der Chronica monasterii Casinensis, Lib. III, c. 49, welche sagt: ante pontificis curiam, qui tunc in unam Mathildae munitissimam arcem se contulerat – habe die Busshandlung stattgefunden, vermag diese ausdrückliche Aussage des Papstes nicht abzuschwächen, in dem Sinne nämlich nicht, dass der Chronist damit habe sagen wollen, der Papst habe in der „inneren Burg“ seine Wohnung aufgeschlagen gehabt, und nur diese „innere Burg“ habe auch Gregor VII. unter castrum gemeint. Ohne Zweifel verstand der Chronist unter pontificis curia nichts Anderes, als eben die munitissima arx – Canossa – selbst, die zur Zeit des Papstes Hofhaltung in sich enthielt. Ebenso schliesst auch die besonders in der ost-westlichen Richtung wenig ausgedehnte Grundfläche des Burgplateaus die Unterscheidung zwischen einer eigentlichen inneren und äusseren Burg – auf der Höhe von Canossa selbst – aus.

In meiner Darstellung des Ereignisses in den Jahrbüchern habe ich, l. c., S. 758 N. 23, sowie S. 899, von Donizo’s Schilderung vollen Gebrauch gemacht, aber freilich abweichend von Holder-Egger, und da dessen Erörterung hauptsächlich auf den Text Donizo’s sich stützt, so ist auf denselben hier auch ein besonderes Gewicht zu legen.

Donizo redet von v. 85 an von den Bemühungen für den Frieden zwischen dem Könige und der Kirche, wie zwischen den Parteien verhandelt wurde – drei Tage lang – und wie der König, da der Versuch misslungen war, schon wieder weggehen wollte. Da aber kam Heinrich IV. in die cappella sancti Nicholai, wo er weinend nochmals den Abt Hugo, seinen Taufpathen, beschwor, als Bürge einzutreten. Auf Hugo’s Ablehnung richtete der König an Mathilde seine flehentlichen Bitten. In v. 98 fährt die Erzählung fort: Ipsa (Mathilde) – – – exit ascendens sursum, stetit ac rex ipse deorsum. Dem folgt die Angabe, die Gräfin selbst habe jetzt den Papst für den König angeredet, und ihr habe Gregor VII. geglaubt, doch unter der Bedingung, dass der König treuen Gehorsam schwöre, worauf dieser das von ihm Geforderte gethan habe. In v. 105 setzt eine Schilderung der grossen damals herrschenden Kälte ein, und mit v. 107 beginnt die Schilderung, wie Heinrich IV. – cum plantis nudis a frigore captis – vor Gregor VII. vorgelassen worden sei. Man sieht, dass in dieser Erzählung ein Hauptmoment der eigenen [362] Berichterstattung Gregor’s VII. – in Jaffé 5017 – völlig fehlt, jene durch den Papst gänzlich zugegebene längere Weigerung der Verzeihung von seiner Seite, die bei den Augenzeugen ihm den Verdacht der „quasi tyrannicae feritatis crudelitas“ zugezogen habe.

Holder-Egger hält nun die von Donizo in v. 86 erwähnten „dies tres“ für die drei Tage, welche der Papst als diejenigen der Bussübung Heinrich’s IV. – per triduum – – – persistens – nennt, und die Scene aus der cappella sancti Nicholai (v. 88 ff.) rückt er unmittelbar vor die Aussöhnung mit Gregor VII.: „Die Gräfin erhebt sich – – – geht hinaus und steigt (die Treppe) hinauf zum Papste“ (denn Holder-Egger verlegt die Kapelle in die Burg Canossa selbst, während Donizo das von der sonst niemals von ihm erwähnten Kapelle keineswegs aussagt).

In meiner Behandlung des Ereignisses in den Jahrbüchern hatte ich dagegen, S. 758 N. 23, die Verhandlungen in v. 85–99, indem ich offen liess, ob nicht irrthümlich die Erstreckung über drei Tage auch hier hineingezogen worden sei, auf die Zeit vor dem Erscheinen des büssenden Königs in Canossa bezogen, auf Verhandlungen ausserhalb der Burg, die vorangingen und ohne Erfolg blieben, so dass eben der König danach sich entschloss, durch die Leistung der Busse in der von Gregor VII. selbst geschilderten Weise die Absolution für sich zu erzielen. So konnte ich auch den Gegensatz der Worte sursum und deorsum nicht auf eine zwischen Burgkapelle und oberem Stockwerk liegende Treppe, sondern nur auf den Höhenunterschied zwischen der am Fusse von Canossa liegenden Kapelle[2][WS 1] und der Höhe der Burg beziehen.

Gegen Holder-Egger’s Erklärung des Donizo’schen Textes spricht aber vorzüglich auch, wie er selbst übrigens nicht übergeht, die Vergleichung des SS. XII, Tab. III, reproducirten Bildes zu Donizo’s Vita Mathildis. Wie Holder-Egger sagt, war dieser bildliche Schmuck des Originalcodex, gleich diesem selbst, für die Gräfin bestimmt, angefertigt, der Herrin von Canossa mit der Schrift überreicht zu werden. Aber nun zeigt das Bild bei den Worten: Rex rogat abbatem, Mathildim supplicat atque – neben dem den Hirtenstab führenden, thronenden Abte Hugo die auf einem höheren Sitze befindliche Gräfin, [363] vor dieser knieend Heinrich IV., und zwar den König nicht im Büssergewande, nicht unbeschuht, sondern an den Füssen wohl bekleidet. So vermag ich diese Scene eben durchaus nicht in die vom Papste so fest bezeugten drei Busstage zu verlegen; sondern sie scheint mir nothwendig die Ansetzung in einen früheren Moment, also vor jenen drei Tagen, in der Zeit der Verhandlungen, die allerdings fruchtlos verliefen, zu fordern[3]. Der spät schreibende Donizo hat eben hier die Dinge verschoben, wenn er auch Manches aus dem Zusammenhang recht gut gekannt haben mag, was ich Holder-Egger völlig zugebe. Aber noch etwas, aus Donizo’s eigenem Textzusammenhang, kommt hinzu. Ist es nicht recht auffallend, dass der Verfertiger der Verse zwischen v. 105, wo die Erwähnung der Verhandlungen, allerdings schon mit Hereinziehung des Erfolges derselben, schliesst, und v. 107, wo die Versöhnung mit Gregor VII. einsetzt, die Nothwendigkeit fühlte, der grossen Kälte zu gedenken: Solitoque nivem mage frigus per nimium magnum Janus dabat hoc et in anno (v. 105 u. 106)? Sollte das nicht die Andeutung sein, dass zwischen Verhandlung und Versöhnung die Scene lag, die zu den plantae nudae a frigore captae (v. 109) des Königs den Anlass gab? Holder-Egger übersah nicht, wie unbeholfen Donizo’s Verse sind. Bei aller Hölzernheit des Ausdruckes ist doch zu erkennen, dass hier dem Erzähler ein gewisser Zusammenhang vorschwebte.

So dürften Donizo’s Worte zum Theil eher gegen, als für Holder-Egger’s Auffassung der Busshandlung sprechen. Jedenfalls aber – so möchte ich schliessen – reichen sie nicht aus, Gregor’s VII. eigenes classisches Zeugniss abzuschwächen, selbstverständlich nur Gregor’s eigene Worte, nicht die durch Lambert hineingelegten unechten Farben und Auszierungen.

G. Meyer von Knonau.     

Anmerkungen

  1. Auch Löwenfeld stand in seiner zweiten Auflage der Papstregesten Jaffé’s, Bd. I S. 620, noch unter Lambert’s Einfluss, wenn er mit diesem den König „nudis pedibus jejunus a mane ad vesperam“ stehen lässt.
  2. Der von der Seite von Pecorile, also von Osten, kommende Besucher der Burg geht in der Gegenwart, kurz ehe er zur Höhe der Burg die letzte Strecke ansteigt, bei einer kleinen Kirche links vorüber, die aber dem heiligen Paulus geweiht ist. Die Existenz einer weiteren ausserhalb der Burg liegenden Kapelle zur Zeit des Bestandes der Burg ist dadurch keineswegs ausgeschlossen. Wie die Burg selbst, können noch weitere ausserhalb liegende Gebäude zerstört worden sein.
  3. Als ein gewisses Argumentum ex silentio könnte gegen die Annahme des Bussestehens durch Heinrich IV. der Umstand angeführt werden, dass nur die – vorangegangene – Scene in der Kapelle zwischen dem König, der Gräfin und dem Abte, nicht aber jener viel berühmter gewordene Vorgang unter den Bildern des Codex Canusinus geboten sei. Aber diese Bilder schildern überhaupt nur Persönlichkeiten des Hauses Canossa: Atto und Ildegarda, Bischof Gottfried, Thedald und Willa, dann Bischof Thedald, Bonifacius und Beatrix, Konrad, endlich Mathilde, sowie Ereignisse, an denen diese Persönlichkeiten betheiligt waren. Eine Begebenheit, an der nur der König allein – Mathilde nicht – theilnahm, entzog sich ganz dem Programme des Illustrators: so ist ja auch Gregor VII., trotz seiner engen Beziehungen zur Gräfin Mathilde, nicht vorgeführt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage (in der Anmerkung): eher