Johannes Scherr als Novellist

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Titel: Johannes Scherr als Novellist
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aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 140
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[140] Johannes Scherr als Novellist. Wer Johannes Scherr bisher nur aus seinen zahlreichen Leistungen aus dem historischen, politischen und literarisch-historischen Gebiete kennen gelernt hat, der wird bei einigem Blicke für schriftstellerische Begabungen wohl längst erkannt oder herausgefunden haben, daß in der blutwarmen Eigenartigkeit dieses hervorragenden Geschichtsschreibers, dieses tapfern Kritikers und Publicisten auch das volle Zeug zu einem Poeten steckt. So scharf und lebendig finden sich in den Producten seiner wissenschaftlichen Arbeit schon alle die Züge ausgeprägt, deren Vereinigung auch das Talent des wirksamen dichterischen Schilderers, des eindrucksvollen Romanschriftstellers und Novellisten bildet. In der That hat denn auch Scherr auf dem Felde des freien poetischen Gestaltens sich hinlänglich bewährt und im Laufe der Jahre unsere novellistische Literatur mit einer ganzen Reihe werthvoller und anziehender Schöpfungen bereichert, die schon durch seine gedankenreiche Weltanschauung und umfassende Bildungstiefe sich empfehlen, welche zu allen Zeiten die unentbehrliche Grundlage auch alles bedeutsamen dichterischen Schaffens gewesen ist. Die Bücher haben aber ihre Geschicke wie die Menschen, und trotz aller nachdrücklichen Hinweisungen der Presse ließen manche äußerliche Zufälligkeiten die Erzählungen des beliebten Autors nicht zu einer so weiten Verbreitung gelangen, wie sie der Mehrzahl seiner anderweitigen Schriften geworden ist. Wir haben jedoch allen Grund zu der Hoffnung, daß dieser Bann sich jetzt lösen wird, seitdem eine tätige Hand (die Verlagshandlung von J. E. Günther in Leipzig) der Sache sich angenommen und eine Nebeneinanderstellung jener Schätze dem Publicum zu bequemerem Genusse dargeboten hat.

Vor uns liegen zu unserer Freude neun elegant gebundene und hübsch ausgestattete Bände dieser Sammlung Scherr’scher Novellen, eine bunte Mannigfaltigkeit von Gaben, nicht gleichartig allerdings in Bezug aus ihren Werth, hie und da auch unserer eigenen Auffassungs- und Empfindungsweise nicht entsprechend, meistens aber Erzeugnisse einer mächtigen Darstellungskraft, fesselnd durch Form und Gehalt, durchwärmt auch von dem mannhaften Ernst, dem reichen Gemüthsleben und dem urkräftig-drastischen Humor des charaktervollen Denkers und Dichters. Da ist zunächst „Michel, Geschichte eines Deutschen unserer Zeit,“ unter den Romanwerken Scherr’s wohl das älteste und am meisten bekannt gewordene, da es jetzt bereits in dritter Auflage erscheint. Wir müssen davon absehen, die sittliche und literarisch-ästhetische Bedeutung dieses vielseitigen Lebensgemäldes hier mit einigen Strichen bezeichnen zu wollen, gewiß aber würde es uns als ein Fortschritt in den Geschmacksrichtungen des Publicums erscheinen wenn für derartige Lectüre eine immer größere Empfänglichkeit sich zeigte. An den „Michel“ schließt sich sodann das siebenbändige „Novellenbuch“, dessen Stütze gleichfalls eine Perle Scherr’scher Darstellungskunst bildet, eine zweite Auflage der in urtheilsfähigen Kreisen längst hochgeschätzten culturgeschichtlichen Novelle „Schiller“ , so recht eine Lectüre für die Winterabende gebildeter deutscher Familien. In den weiteren Bänden folgt dann ein reicher Wechsel der verschiedensten größeren wie kleineren Erzählungen. Nicht jeder gerade dieser Leistungen und nicht allen Einzelheiten in jeder derselben vermögen wir unbedingt beizustimmen - eine selbstständig geartete Natur wie Scherr wird immer Manches zeigen, was eben nur als Ausfluß dieser Individualität berechtigt ist. Dennoch aber hat eine wiederholte Prüfung uns jetzt wiederum das Urteil bestätigt, daß dieses „Novellenbuch“ eine durchweg charakteristische und im Ganzen außerordentlich wert- und reizvolle Erscheinung ist. Das Gebotene wirkt meistens durch das eigenthümliche Gepräge der Schilderung, durch den von dem Autor ausstrahlenden Zauber des Colorits, der Ausführung und Auffassung. Auf seinen Wanderungen und Erholungsreisen in das Schweizergebirge, inmitten einer großartigen, meisterhaft von ihm geschilderten Naturscenerie, hat er vielfach die Menschengestalten und Lebensläufe, die Cultur- und Gesellschaftsbilder gefunden, die er mit frischester Lebendigkeit und in stets bedeutsamer Weise vor uns ausrollt. Ergreifende und idyllische Gemälde aus der Abgeschiedenheit des Dorflebens, Geschichten aus der philiströsen Enge der kleinen Städte wechseln da mit weiten Ausblicken in die brausende und glänzende Welt des modernen Bewegens, und aus aller dieser Mannigfaltigkeit der Farben und Gestalten blicken uns in eigenthümlicher poesie- und humorvoller Beleuchtung die ernsten Fragen der Zeit, die großen Probleme des Menschendaseins entgegen. - Die Romane und Novellen Scherr’s haben einen Eroberungszug angetreten; wir glauben, daß ihnen der Sieg nicht fehlen kann.

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