Jagdscene (Gemälde der Dresdener Gallerie)
Da wo Altflandern in einer scharf vorgeschobenen Spitze an Frankreich stieß, in einer wenig bebauten, dafür aber desto malerischeren Gegend, aus Waldstrecken und Haiden mit einzelnen Hügelreihen gebildet, stand ein altes Herrenschloß inmitten einer hügeligen, von dichtem Walde umgebenen Lichtung.
Die Besitzer dieses Schlosses und zugleich des Grundes und Bodens auf viele Meilen weithin waren seit unvordenklichen Zeiten die Herren von Boprès. Der Krieg aber hatte die Reihen dieses Stammes gewaltig gelichtet, und als der letzte Mann desselben, Castre Teophile de Boprès, im Alter von fast neunzig Jahren starb, hinterließ er nur eine Erbin, seine jüngste Großtochter, Diana de Boprès, welche genau siebzig Jahre jünger war als er.
Diana stand in einer sehr unruhigen, wechselvollen Zeit als die Herrin weitläufiger Besitzungen da. Sie fürchtete indeß weder die französischen, noch die niederländischen Soldatenhaufen, denn sie besaß unendlich wenig, was die Raublust dieser Herren zu reizen vermochte, die in Hinsicht auf Erpressungen in der Regel keinen Unterschied zwischen Freund oder Feind finden konnten. Château Boprès war mit respectablen Mauern versehen und ein zwar sehr malerischer, aber doch ein Trümmerhaufen. Nur das eigentliche Wohnhaus war besser bewahrt, und Diana hatte im Geschmacke ihrer Zeit dadurch eine bedeutende Verschönerung bewirkt, daß sie die ehrlichen, altersgrauen Mauern mit profaner Kalktünche anstreichen ließ. Im Innern war dies auf solche Weise, wie eine Inschrift über der Thür besagte, „renovirte“ Herrenhaus mit seinen niedrigen schmalen Zimmern, mit den vielen halbrunden Erkerstübchen, ungemein wohnlich und bequem. Die Menschen jedoch waren in diesem Schlosse zu spärlich anzutreffen, als daß ein Fremder sich hier in diesen öden Hallen und Gemächern, heimisch hätte finden können.
Diana von Boprès besaß, wie gesagt, keine Angehörigen und hatte das Misgeschick, durch ihren verstorbenen, unsäglich proceßsüchtigen, alten Großvater mit den sämmtlichen edlen und unedlen reichen Familien der Nachbarschaft verfeindet zu sein. Sie blieb also einsam und verlassen, und nur einige Gläubiger statteten ihr von Zeit zu Zeit Besuche der unangenehmsten Art ab.
Zuerst weinte Diana über ihre Einsamkeit und fürchtete sich auf dem Schlosse, daß sie schon längst „das Eulennest“ getauft hatte. Der Mensch gewöhnt sich jedoch, mit Ausnahme des Sterbens, endlich an Alles. Auch Diana vergaß es, daß ihre Wohnung von allen Menschen abgewandt liege, daß dieselbe ein Aufenthalt für alle möglichen Menschen, nur nicht für ein schönes zwanzigjähriges Edelfräulein sei; sie dachte nicht mehr daran, daß das einzige weibliche Wesen, welches sich außer ihr auf Boprès befand, die getreue Kammerjungfer, Köchin, Gärtnerin und Viehmagd Genéviève, ungeachtet ihrer sonstigen Vorzüge, unbeschreiblich dick, häßlich und dumm war; ja es kam der jungen Dame nur sehr selten in den Sinn, in welcher wahrhaft [194] schutzlosen Lage sie sich befand, da sie nur einen Jägerburschen und einen halb blödsinnigen Bauer als männliche Besatzung ihres Schlosses aufzuweisen hatte.
Alle diese vielen und schweren Bedenken kamen seit längerer Zeit nicht bei der schönen Diana auf; denn eine Leidenschaft hatte sich ihrer bemächtigt und regierte in ihrem Herzen mit unbestrittenem Scepter. Diana war nicht etwa verliebt. Das wäre so ziemlich unmöglich gewesen: denn wenn sie sich auch noch so genau besann, so erinnerte sie sich doch nicht, je einen andern schönen, jungen, vornehmen Cavalier gesehen zu haben, als ihren unglücklichen Bruder, der zur Schlacht auszog und gleich in den ersten Minuten seiner ersten Schlacht den Tod fand. Ihr Jäger Pierre, mit dem sonnverbrannten, pockengrubigen Antlitze und der ungeheuren Stülpnase, durfte zu wenig Ansprüche auf Schönheit erheben, als daß ihn Diana anders angesehen hätte, als um auf Unkosten seiner Monstre-Nase ihm fortwährend Anzüglichkeiten sagen zu können.
Diana’s Leidenschaft war – die Jagd. Die Bewohner von Chateau Boprès hatten in dem Winter, als Theophilus, der Neunzigjährige, starb, zu ihrer größten Bestürzung einen ganz eigenthümlichen Gläubiger – den Hunger nämlich, bei sich anklopfen gefühlt. Pierre hatte es übernommen, diesen Gast zu verbannen. Aber so fleißig der treue Bursche auch Tag für Tag mit seinen Hunden arbeitete, so ward es ihm dennoch zu schwer, die sämmtlichen Hungrigen auf dem Schlosse mit Wildpret zu versehen. Pierre mußte nothwendig Beistand erhalten, und nachdem man hierzu ohne Erfolg einen Bauerburschen der nächsten Dorfschaft zu verwenden versucht hatte, entschloß die schöne Erbin von Boprès selbst sich dazu, das edle Waidwerk aus lieber Noth zu betreiben.
Pierre stöberte einen alten Damensattel auf und restaurirte ihn mit bedeutendem Aufwande von Zeit und Mühe. Er ritt auf dem Schloßhofe das beste der vorhandenen Pferde, einen schönen Dunkelbraunen, für die Herrin zu und brachte für sie die Leibflinte des verstorbenen Großvaters in brauchbaren Stand.
So bedacht konnte das Fräulein de Boprès an einem schönen Herbstmorgen mit dem häßlichen Pierre hoffnungsvoll aufbrechen und am Abende mit dem angenehmen Bewußtsein zurückkehren, zwar ihren einen Jagdhund mit einer guten Ladung Schrot angeschossen, durch ihr umsichtiges Verfolgen eines Rehbocks aber auch es dem Pierre möglich gemacht zu haben, denselben durch einen Blattschuß zu erlegen. Aber allgemach ward Mademoiselle de Boprès eine Jägerin, gegen deren Kunst sich selbst der brave Pierre nicht zu behaupten vermochte. Sie fürchtete sich nicht mehr, ihre Flinte abzuschießen und traf mit einer Sicherheit, die dem alten Jäger nicht selten Thränen der Bewunderung auspreßte. Tag für Tag sah sie der Wald und das weite, öde, hügelige Revier hoch zu Roß, von ihren Hunden gefolgt, mit eleganter Gewandtheit auf der Spur des Wildes, und noch tief in der mondlichten Nacht hörten die Bauern der Dörfer an den Grenzen der Besitzungen der Donna Diana ihre Schüsse knallen.
Diana ward sehr bald in der ganzen Umgegend bekannt als wilde Reiterin und Jägerin. Sie freute sich, als die alte Genéviève, von ihren mehre Stunden entfernt wohnenden Verwandten zurückkehrend, ihr diesen Umstand meldete, gerieth aber in eine ihr bisher noch unbekannte traurige Bestürzung, als die Dienerin den Namen hinzufügte, unter welchem man Donna Diana verstehe. Das Fräulein hieß nämlich: die arme oder die zerlumpte Jägerin, und der Pater [195] Guardian eines benachbarten Klosters, der Diana in seinem Leben nie gesehen hatte, hatte dieser Gottlosen, die nie eine Kirche besuchte, den Titel: die Reiterin von der erbärmlichen Gestalt, gegeben.
So hatte Diana noch nie geweint als an diesem Abende. Jetzt erst sah sie ihre Armuth ein und glaubte zu fühlen, daß ihr bisheriges Leben schrecklich, elend, bedauernswerth und ihre jugendliche Lust an der Natur und dem frischen Waidwerke ein ganz unzureichender Ersatz für die zarten Vergnügungen sei, die andern jungen Edeldamen an den Höfen der Fürsten und in den reichen, prächtigen Städten Belgiens bereitet wurden. Diana war gebildet, fast hätte man sie, die mit ihrem alten Großvater fertig Latein zu reden verstanden, gelehrt nennen können. Der verstorbene Boprès besaß viele und gute Bücher, und von den jungen männlichen Zweigen der Familie, welche in Paris, in London und am deutschen Kaiserhofe ehrenvolle Posten bekleidet hatten, waren nicht wenige Werke nach dem Stammschlosse gesandt, welche die ganze Eleganz und Galanterie der damaligen Zeit athmeten. Diana hatte, seit sie allein war, sehr wohl in den Stunden ihrer Einsamkeit gelernt, wie es in der Welt draußen eigentlich beschaffen sei, und ihre Phantasie hatte sich auf ihren abenteuerlichen Streifzügen nicht selten mit glänzenden, romantischen Plänen beschäftigt. Noch aber war immer ihre Leidenschaft für die Jagd siegreich geblieben, und sie hätte sich um keinen Preis von Boprès fortgewünscht.
Als Genéviève aber an jenem Abende zurückkehrte, war Dianens erster und einziger Gedanke, fort von dem alten Schlosse zu kommen. Aber sie sah ein, daß hierbei, wie sie in ihren Träumen vorausgesetzt hatte, nicht blos ihr Wille hinreichte. Sie konnte ihren Zustand nicht ändern. Sollte sie Boprès verkaufen? Wer denn wollte ihr einen genügenden Preis bieten in einer Zeit, wo nichts seltener als eben Geld war, wo selbst die Soldaten, französische, niederländische und deutsche, sowie sie, vor- oder rückwärts wogend, diese Gegenden passirten, kein Geld besaßen, obgleich sie dasselbe nahmen, wo und wie sie es erlangen konnten? Diana konnte Boprès für einen Spottpreis verschleudern, dann den Preis in irgend einer Stadt verzehren – sehr wahr. Aber dann der rettungslosesten Armuth, die gar keine Wehr mehr gegen das wirkliche Elend besitzt, anheimfallen – eben so wahr. Diana war also, was sie bei dem Gefühle ihres jugendlichen Muthes, bei ihrem unschuldigen Stolze auf sich selbst und ihr ehrwürdiges, edles Geschlecht nie geahnt hatte, die arme Jägerin, die zerlumpte Amazone, wenn auch nicht die Dame von der erbärmlichen Gestalt.
Daß sie wenigstens das Letztere nicht war, ergründete sie vor einem ungeheuer großen, aber vor Alter bereits sehr blind gewordenen Spiegel, dessen ursprüngliche Heimath Paris war. Ihre schlanke, junonisch üppige Gestalt, ihr reiches, dunkelbraunes Haar, die Züge ihres frischen Antlitzes und der glänzende Strahl ihres blauen Auges waren über allen Tadel erhaben. Ihre Haltung war stolz und frei und zeugte von der Federkräftigkeit ihrer ebenmäßigen Glieder, die in frischer Luft gestählt waren. Aber zerlumpt waren die Kleider dieser fürstlichen Gestalt und von Genéviève dabei unterstützt, weinte Diana über die Stellen ihres alten, grauen Tuchkleides, deren verdächtige Beschaffenheit das Abscheulichste, was es in dieser Hinsicht giebt, sauber aufgenähte Flicken nothwendig gemacht hatte. Die Garderoben der Großmutter, der Mutter und der alten Tanten wurden noch an demselben Abende einer strengen Musterung unterworfen, [196] welche es höchst problematisch ließ, ob aus den mürben, sonst so glänzenden Resten mehr als ein einziges Kleid sich für Diana herstellen lasse.
Einmal durch ein einziges Urtheil der Welt aus ihrer Ruhe gerissen, konnte sich das Edelfräulein nicht mehr von dem neuen Gedankengange, welcher sich ihrer Einbildung bemächtigt hatte, losmachen. Sie wollte gekleidet sein, wie es ihrem Range gebührte, und Niemand sollte auf den Einfall kommen können, ihr die Aermlichkeit ihres Anzugs zum Vorwurfe zu machen.
Nach längeren Debatten mit Genéviève, wobei auch Pierre als stimmfähiges Mitglied zugezogen werden mußte, stellte sich ein Mittel heraus, um ohne fühlbaren Schaden zu Gelde zu gelangen. Der Nachbar der Boprès war ein Herr von Albala, ursprünglich ein Spanier, welcher sich hier angekauft hatte. Der alte Herr de Boprès hatte mit diesem Edelmanne seit etwa fünfzehn Jahren einen Proceß geführt, welcher die einzige angenehme Unterhaltung des Großvaters der Donna Diana gebildet hatte. Es handelte sich um ein, dicht an Albala’s Besitzungen anstoßendes Hölzchen, in der Umgegend nur das Streithölzchen genannt. Diana wollte das Streithölzchen an den Mann verkaufen, welcher nach dem Besitze desselben ein so hartnäckiges, leidenschaftliches Verlangen bewiesen hatte.
Diana hatte den Herrn d’Albala noch nie gesehen, aber eben weil er ihr fremd war, faßte sie Muth, ihm gegenüber ihr Vorhaben auszuführen. Mit großem Aufwande von Kunst fertigten Diana und Genéviève die nächsten Tage einen leidlichen Anzug, und bald konnte Diana die Freude genießen, sich einigermaßen als Dame gekleidet im Spiegel zu bewundern. Genéviève machte ihrer Herrin eine Frisur, die an Höhe mit der jeder Herzogin wetteifern konnte, und eine Minute später saß Diana hoch zu Roß, den ernsten Pierre hinter sich, und trabte mit ihm zum Schloßhofe hinaus nach dem Hause des Marquis.
Als diese immerhin ungewöhnliche Cavalcade auf dem Hofe des Marquis ankam, ward’s schnell an allen Fenstern und Thüren lebendig. Zahlreiche Diener kamen vor das Haus und sahen sich, sehr ungewiß, was hier zu thun sei, an, und zwei kleine, sehr hübsche Pagen standen und stießen und knippen sich heimlich, indeß sie auf die Dame und ihren Rusticus von Diener mit den Fingern zeigten. Pierre hob seine Herrin vom Pferde, band die Thiere an und folgte Dianen, seine getreueste Flinte in der Hand behaltend.
Der Marquis selbst trat der Fremden auf dem Flur entgegen. Er war ein Mann von etwa fünfzig Jahren, dessen Gesicht, stark markirt, die spanischen Nationalzüge zeigte. Der Marderpelz, welchen er als Hauskleid trug, war so prächtig, daß Diana sich heimlich seufzend gestand, wie wenig sie hier mit ihrem, für Schloß Boprès allerdings ungewöhnlichen, Anzuge zu prunken vermöge.
Albala war die gewandte Höflichkeit selbst. Diana machte ihm den Vorschlag, er möge das Streithölzchen kaufen, und er ging mit Bereitwilligkeit darauf ein, obgleich er gestand, an dem Hölzchen liege ihm weniger, als an seinem Rechte darauf. Noch in derselben Stunde empfing die Herrin von Boprès einen bedeutenden Preis in guten Goldstücken ausbezahlt und empfing die Einladung, den Tag wenigstens bei Albala hinzubringen. Der Marquis war unverheirathet und so galant, als es ein Cavalier der damaligen Zeit immer sein konnte. Herr d’Albala schien ungemeines Gefallen an seinem Gaste zu finden, und er drückte dies auf die zarteste Weise von der Welt aus. Diana war entzückt, denn so verbindlich hatte sich noch Niemand je mit ihr [197] unterhalten, und sie verschwieg dies nicht. Der Marquis nahm ihren Arm und zeigte ihr seine reiche Bibliothek und eine vortreffliche Gemäldesammlung, meist aus Bildern von spanischen Malern bestehend. Diana staunte; denn obgleich Schloß Boprès nicht wenige Herren im Stahlkragen und Harnisch, mit unendlichen Pluderwämmsern und schweren Flambergen und Damen mit ellenbreiten Knippfraisen und thurmhohen Lockengebäuden im Bilde aufweisen konnte, so hatte das junge Mädchen dennoch nie eine Ahnung von dem Zauber gehabt, den ein in Farbengluth prangendes Meistergemälde auszuüben vermag. Völlig hingerissen aber ward Diana, als d’Albala ihr sein Gewächshaus öffnete und ihr eine tropische Natur mit aller ihrer geheimnißvollen Pracht in den damals noch sehr seltenen Pflanzen und Blumen erschloß. Blumen waren Dasjenige, was Diana über Alles liebte; ihr Entzücken war daher unbeschreiblich, als d’Albala von den schimmernsten Blüthen einen Strauß pflückte und ihr denselben überreichte.
– Wie glücklich sind Sie, Herr Marquis! rief Diana aus.
– Glücklich! erwiderte der Spanier, betroffen von dieser Aeußerung. Glauben Sie in der That, Donna Diana, daß Jemand in einem einsamen Leben, wie es das meinige ist, Glück finden kann?
– Herr Marquis, erwiderte Diana zögernd, auch ich bin auf Boprès sehr einsam, und wahrlich noch um Vieles mehr als Sie. Ich habe sehr oft fast entbehrt, und doch, denke ich, bin ich nicht unglücklich gewesen.
Albala lächelte fein.
– Wie alt sind Sie, wenn Sie entschuldigen? fragte er sanft.
– Ich werde zwanzig Jahr . . .
– Sehen Sie? Als wenn man sich mit zwanzig Jahren ennuyiren und abgrämen könnte. Aber werden Sie doppelt so alt auf Boprès, so werden Sie, reizendes Fräulein, sicherlich verstehen und zugeben, was ich sagte.
– Vierzig Jahre! flüsterte Diana für sich. Das ist ja gräßlich.
In diesem Augenblicke ahnte sie, was ihr denn eigentlich zu einem menschlichen Lebensglücke fehle; sie fühlte, daß sie ein Weib war, das Liebe geben und empfangen sollte, und mit fast abergläubigem Schrecken bebte sie vor der Perspective zurück, einst auch das zu werden, was ihre verstorbenen Tanten waren: alte, abgehärmte, lebenssatte Jungfern.
Albala geleitete die Edeldame eine gute Strecke Weges bis zu einer romantischen Stelle der Landschaft auf Diana’s Gebiete. Hier war leichtes Buschwerk; der Wald, zu welchem ein romantischer Hohlweg führte, war nahe, und über die Wipfel der Patriarchen der Eichen und Buchen erhoben sich stolz einige steil anlaufende Hügel, die ersten Vorposten einer sanft sich hinziehenden Bergkette.
Diana deutete auf eine Quelle dicht am Wege, deren Wasser klar wie Diamant blitzte und auf einen Sitz unter einem knorrigen Eibenbaume und sagte:
– Marquis, da sehen Sie meinen Lieblingsplatz, den ich sicher jeden Tag einmal besuche, Gestehen Sie, daß eine heiterere und reizendere Gegend zu denken unmöglich ist.
Albala blickte die Dame und dann die Landschaft träumerisch an. Er war seit längerer Weile sehr schweigsam geworden. Jetzt antwortete er gepreßt:
– Ihr Lieblingsplatz? Er möchte sich an dem wüstesten Orte der Welt befinden, so [198] würde ich ihn doch entzückend nennen. Ich weiß, daß Sie, will mir doch das Glück wohl, mich hier zuweilen sehen werden, denn es ist gewiß, dies hier wird von nun an das unabänderliche Ziel meines täglichen Spazierrittes werden.
Der Ton, in welchem Albala dies sagte, war so eigenthümlich, daß Diana den Spanier fragend anblickte. Er aber drückte seine hohe, mit Federn gezierte Pelzmütze in die Augen, setzte seinem Rosse die Sporen ein und flog pfeilschnell von dannen.
Von diesem Tage an hatte d’Albala keine Ruhe mehr auf seinem Schlosse. Er ritt täglich nach Diana’s Ruheplatze, und hatte die unaussprechliche Freude, seiner schönen Nachbarin mehr als ein Mal zu begegnen. Es ward Regel, daß der Marquis allemal mit ihr verabredete, wann die nächste Zusammenkunft sein werde, und diese war noch nie über zwei Tage hinausgeschoben worden. Albala war glücklich, denn mit einer Gluth, die er nie in seinem Herzen zu tragen geglaubt hatte, flammte in ihm eine täglich mächtiger und unwiderstehlicher werdende Liebe auf. Diana war in gewissem Sinne noch glücklicher als Albala, denn sie empfand nicht die Qualen des Zweifels und der Furcht vor einem drohenden Misgeschicke, wie sie die Brust d’Albala’s bewegten, sondern überließ sich mit der ganzen Hingebung der Jugend der Freude, glänzende Kleider zu tragen und ein herrliches Roß zu tummeln, daß sie von d’Albala zum Geschenk empfangen hatte, und dem reinen und ihr so ganz neuen Genusse, welchen ihr der Umgang mit einem höchst gebildeten Manne gewährte, dessen einziges Streben war, Diana zu gefallen.
Mit einem Male jedoch erwachte Diana aus dem angenehmen Traume, der sie umfangen hatte, und Bestürzung und Ratlosigkeit bemächtigten sich ihrer. Sie empfing diese Zeilen von Albala’s Hand:
- „Geliebte Diana!
Am ersten Tage, als ich Sie erblickte, nannten Sie mich glücklich, obgleich ich in jener unvergeßlichen Stunde mehr als je die niederdrückende Gewißheit hatte, daß mein Leben traurig, öde und freudenleer sei. Meine Ahnung hat sich verwirklicht, daß Sie, Diana, es sein würden, welche mir meine unerträgliche Lage doppelt fühlbar machen würden. Viel habe ich in dieser kurzen Zeit unsrer Bekanntschaft gelitten, so viel, daß ich unfähig bin, mein bisheriges Schweigen zu bewahren. Offen gestehe ich Ihnen das, was so oft sich in leisen Hindeutungen über meine Lippen drängte, ohne daß Sie es je versucht hätten, meine Worte in meinem Sinne zu deuten. Ich liebe Sie, Diana, und urtheilen Sie von der Stärke meiner Empfindungen daraus, daß ich den Muth habe, dieselben auszusprechen. Ich bin mehr als noch einmal so alt als Sie, und mit Ihrer reizenden Schönheit verglichen, bin ich nur noch eine unfreundliche Ruine. Aber ich weiß auch, daß sicherlich Niemand mehr Sie und die leiseste Bewegung versteht, welche durch Ihr Inneres zittert, als ich, daß Niemand so völlig sein ganzes Wesen Ihnen hingeben kann, als Derjenige, den man kalt und unbeugsam nennt. Ich weiß, daß ich, wie vielleicht der Schönste und Würdigste, reich genug an Geist und Herz bin, um ihnen das ungetrübte Glück des Lebens bereiten zu können. Ja, wenn Sie wollen! Können Sie sich entschließen, Ihrem bisherigen, väterlichen Freunde näher anzugehören? Können Sie meine Gattin werden? Sie sollen das Wort, das Sie an mich bindet, nie, nie bereuen . . . Ich hoffe, und doch bemächtigt sich meiner eine unsägliche [199] geheime Angst . . . In drei Stunden habe ich Antwort; Sie sehen mich bald auf ewig zu Ihren Füßen, oder ich scheide von diesem Fleck Erde auf immer.
Der festlich geschmückte Page stand vor Diana, und sein helles Seidenkleid, seine schöne breite Schärpe contrastirte seltsam mit dem düstern, alten Zimmer, wo ihn Diana empfing. Fast befangen blickte das Kind an die Wände mit den Ledertapeten und den alten Bildern. Es schien für seinen Herrn nichts Gutes zu ahnen.
– Nein! sagte jetzt Diana fest und laut, aus ihrem Sinnen erwachend.
Diana vermochte kaum sich zu fassen. Sie hatte etwa eine Empfindung, als sei sie unbewußt an einen tiefen Abgrund getreten, dessen erstarrende Nähe sie erst jetzt entdeckte. Bei dem lebhaften Mädchen hatte sich der bisherige Freund im Nu in ein abschreckendes Wesen verwandelt.
– Was soll ich meinem Herrn, dem Marquis, antworten, gnädige Dame? fragte der Page sehr schüchtern.
– Antworte ihm, rief Diana mit funkelndem Blicke, daß Derjenige, welcher Freundschaft zu erbärmlich eigennützigen Zwecken misbrauchen kann, der tiefsten Verachtung würdig ist.
Der Page verbeugte sich tief und ging. Marquis d’Albala begegnete ihm fast dicht vor Schloß Boprès.
– Ihre Antwort? keuchte er.
Kaum konnte der Page durch Drohungen gezwungen werden, seinem Herrn die volle, vernichtende Antwort der Herrin von Boprès zu überbringen. D’Albala sagte gar nichts; aber ein Zorn bemeisterte sich seiner, eben so glühend als nachhaltig. Seine südliche Natur machte sich geltend und er gelobte im Herzen der Angebeteten volle Rache. Aber noch immer flammte seine Liebe mächtig empor und verwarf verzweifelnd alle Anschläge, welche die Rache zur tiefen Demüthigung Dianens beschlossen hatte.
Der Marquis entschloß sich kurz. Ich will mich rächen; aber die Liebe selbst soll meine Rache sein! flüsterte d’Albala sich zu und machte die umsichtigsten Anstalten zur Ausführung eines eben so schlauen, als unverantwortlichen Planes.
Der Edelmann verbarg sich längere Zeit, und in der ganzen Gegend ging das Gerücht, er sei nach Spanien abgereist. Diana athmete erleichtert auf, aber schon nach einigen Tagen ward ihr von Albala eine Ueberraschung bereitet, wie sie dieselbe nie geahnt haben mochte. Es war früh Morgens um drei Uhr, als unten im Schlosse Boprès die Jagdhunde anschlugen, so daß Diana aus tiefem Schlummer erwachte.
Fünf oder sechs vorsichtig verlarvte Männer traten gleich darauf in ihr Schlafzimmer und führten, ohne Klagen oder Widerreden gelten zu lassen, die kaum halb angekleidete Dame mit Gewalt zu einer im Schloßhofe stehenden, inwendig fest verwahrten Kutsche. Diana hörte Genéviève schreien, den Pierre im Stalle fluchen, er sei geknebelt, und die Jagdhunde wüthend bellen.
Soviel Diana bemerken konnte, verfolgten die bewaffneten Räuber den Weg nach dem Schlosse des Marquis. Die Gefangene gerieth fast außer sich vor bitterem Zorn, als sie jetzt, [200] nachdem die erste Betäubung vorüber war, über den möglichen Urheber dieses Bubenstücks nachdachte. Das Fensterchen hinten in der Kutsche hatte man zu verwahren vergessen. Sie blickte hinaus und glaubte hinter ihrem Fuhrwerke den Marquis unter seiner dichten Verhüllung zu erkennen, wie er steif und unbeweglich im Sattel sitzend, als Arrièregarde dem Zuge nachzukommen suchte. Diana zerbrach das Fenster und rief mit durchdringender Stimme:
– Herr von Albala! Herr von Albala! Ich habe Sie erkannt! Versuchen Sie nicht, diesen Gaunerstreich weiter zu treiben.
Der muthmaßliche Marquis rührte sich nicht bei dem Anrufe; aber ein besonderes Leben zeigte er, als zwei Reiter, welche bisher der Kutsche vorangetrabt hatten, im Galopp zurückritten und ihm mit den Geberden des Schreckens etwas meldeten.
Diana lauschte athemlos, und es gelang ihr, ihre Thränen so weit zu unterdrücken, daß sie durch eine Ritze der Fensterblende an der Seite des Wagens gewahren konnte, was draußen vorging.
Der Weg kreuzte sich hier. Auf dem einen Seitenwege sprengten im kurzen Galopp vier Reiter daher. Der erste derselben war ein junger, schöner Cavalier, auf einem schäumenden Schweißfuchse. Den Hut weit aus der Stirn gesetzt, so daß seine langen Seitenlocken frei flogen, sang dieser Reiter ein spanisches Lied, das, uralt und hundert Mal umgeformt, noch heute seine Macht über die Herzen der Spanier nicht verloren hat. Es hieß etwa:
Serenos, alegres,
Valientes, osados
Cantemos, soldados
El himno á la lid!
De nuestros acentos
El orbe se admire,
Y en nosotros mire,
Los hijos del Cid!
Vor den Verlarvten machte der junge Soldat Halt. Er betrachtete diese sonderbar aussehende Escorte der dicht verwahrten Kutsche mit unverhehltem Erstaunen. Dann zog er seinen langen Stoßdegen von Toledo und kam mit seinen drei Gefährten dicht heran.
– Mui Señor mio! rief er denjenigen an, den Diana für den Marquis d’Albala angesehen hatte, indeß er sich dann der französischen Sprache bediente. Mein Herr! Erlauben Sie mir die Frage, weswegen der Carneval hier zu Lande so ungewöhnlich zeitig einfällt?
– Wer sind Sie?
– Enriquez Sancho d’Albala! rief der junge Mann, ein Name, der sich sicherlich in dieser Gegend nicht ohne Ruhm hören lassen darf, denn mein Oheim trägt denselben. Was aber habt Ihr in Eurer Kutsche, Señores, die Ihr mir verzweifelt verdächtigt auszusehen die Ehre habt . . .
Der Angeredete antwortete nicht. Diana fing jetzt aus allen Kräften zu schreien an und der junge Cavalier kam dicht an die Kutsche.
[201] – Oeffnet dies Fuhrwerk, Banditen! rief er. Und als die Begleiter der Kutsche auf ihn mit gezogenem Degen eindrangen, faßte er sein Reiterpistol und feuerte.
– Dasmal war’s nur Dein Roß; die zweite Kugel erhältst Du selbst, Amigo! rief der Spanier.
– Folgt mir! rief der Reiter, welcher hinter der Kutsche gewesen war, nach diesem blutigen Vorspiele des Ernstes. Und er ritt im Galopp davon, von seinen Helfern begleitet.
Enriquez d’Albala befreite die Gefangene, und jetzt erst, nachdem er ihr Misgeschick erfahren hatte, bereute er es, selbst dem Kutscher die Flucht nicht verwehrt zu haben. Einer seiner Diener nahm die Zügel, während der Spanier die Erlaubniß erhielt, sich in das Fuhrwerk neben Diana zu setzen.
Anderthalb Stunden später, als sie ausgefahren war, kam Diana auf Boprès wieder an. Sie hatte auf dieser kurzen Tour nichts weiter verloren, als ihr Herz. Das Mädchen war untröstlich, als Enriquez Abschied nahm, um sich zu seinem Oheim zu begeben. Diana wagte es nicht, ihm zu entdecken, wen sie als den Anstifter dieses unerhörten Raubes insgeheim anklagte. Enriquez schied mit dem Versprechen, bald wiederzukehren.
An demselben Tage jedoch empfing Diana ein Billet von der Hand des Marquis von Albala, in welchem er schrieb:
– Geliebte Diana, die ich bald Tochter nennen werde!
Vergessen Sie und schweigen Sie; aber kommen Sie nach Ihrem Lieblingsplatze und ich werde suchen, Sie für die erlittene Unbill reichlich zu entschädigen. Enriquez ist mein Vertrauter; er weiß, was geschah. Er wird mit mir kommen. Glauben Sie, daß ein Spanier, der sich einen Augenblick von seiner Leidenschaft hinreißen lassen kann, ebenfalls edel genug denkt, um der Beleidigten volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Diana schwankte. Aber der Kriegsrath auf Boprès, von Genéviève und Pierre gebildet, entschied. Diana schmückte sich, so schön sie es vermochte, und setzte sich zu Pferde. An ihrem Lieblingsplatze traf sie, als sie von Genéviève und Pierre geleitet ankam, den Marquis d’Albala mit einigem Gefolge. Bevor Diana noch angekommen war, mußte d’Albala’s Page schon den Versöhnungstrunk einschenken. Diana, eine neue Hinterlist fürchtend, bat sich Wasser, aber keinen Wein aus, und Genéviève bückte sich, um einen dargereichten Krug mit dem kristallenen Naß der geliebten Quelle anzufüllen. Pierre, das Gewehr schußgerecht quer über den Sattelknopf gelegt, war auf diesseit der Quelle, um mit seiner Kugel seine Herrin vor jedem unerwarteten Angriffe zu schützen. Es war der Marquis selbst, welcher graziös die Dame umschlang und sie nach der Quelle führte, indeß er auf einen im Gebüsche aufgestellten Satyr wies und sagte:
– Die beste Statue meines Gartens stehe hier als Zeichen meiner unsinnigen Anmaßung, um mich täglich an die Reue zu erinnern.
In diesem Augenblicke hallten im Hohlwege Hufschläge. Freudig erschreckt blickte sich Diana um. Enriquez d’Albala hielt dicht vor ihr und sprang vom Pferde. Der Marquis ergriff seines Neffen Hand und zog die widerstrebende Diana heran.
– Ein d’Albala sollte Sie besitzen! rief der Alte; durch einen sonderbaren Irrthum glaubte eben ich dieser d’Albala zu sein. Hier aber ist der Rechte . . . Haben Sie noch Einwendungen, Diana, wenn ich Ihnen in Ihrem Retter den Erben meiner ganzen Habe zuführe?
[202] Diana schüttelte sanft das Haupt. Die Jagdhörner erklangen, und wie durch Zauber liefen im Wald versteckt gewesene Diener herbei, um Tafeln aufzustellen und mit Speisen und Wein zu belasten, indeß die Edelleute der Umgegend herbeitraten, um ihren Glückwunsch zu der Verlobung des herrlichen Paares darzubringen.