Textdaten
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Autor: Hermann Eberhard Friedrich Richter
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Titel: Jackson’s Fingergymnastik
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aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 495–496
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[495] Jackson’s Fingergymnastik. Nächst der stärkeren Entwickelung des menschlichen Vorderhirnes ist es fast ausschließlich der Bau der Hand und ihre Kunstfertigkeit, was den Menschen über das Thier erhebt und zum Herrn der Erde gemacht hat. Wie jene Entwickelung von Jahrhundert zu Jahrhundert gestiegen ist, so daß die Schädelsform des berühmten vorsündfluthlichen Neanderthal-Schädels der Affenform näher steht, als der des heutigen kaukasischen, besonders germanischen Schädels, so hat auch die Geschicklichkeit der menschlichen Hand und ihre Leistungsfähigkeit von Jahrhundert zu Jahrhundert zugenommen, wie unsere heutigen Kunstprodukte lehren. Eine solche Zunahme kann aber nur durch gesteigerte und vielseitigere Uebung in’s Leben treten. Und so kann man mit Recht sagen: „Der Fortschritt des Menschengeschlechts in der Civilisation beruhe hauptsächlich auf Uebungen des Denkorgans und aus Uebungen der Hand und ihrer Einzeltheile.“

„Um die Leistungsfähigkeit der menschlichen Hand zu erhöhen, muß man die Hand- und Fingergelenke von Jugend auf möglichst vielseitig gymnastisch üben, theils in Freiübungen, theils mittels eigener Geräthe.“ Dies ist der Satz, welchen der Rentier und Friedensrichter Jackson aus England, zunächst in Bezug auf musikalisches Virtuosenthum (Piano und Geige) aufgestellt hat und theils durch ein paar Seiten Gedrucktes, theils durch öffentliche unentgeltliche Verträge in den größeren Städten Deutschlands zu verbreiten sucht. Er hat sich dabei natürlich vor Allem des Beifalls der Musiklehrer und Componisten zu erfreuen gehabt, weil diese am meisten alltäglich empfinden, wie ungeschickt und schwach bei vielen Lernenden die Hände sind und oft zeitlebens bleiben, wie sehr es noch allenthalben daran fehlt, daß die Finger und Hände für dauernde Ausführung feinerer Bewegungsweisen schon von Jugend an systematisch geübt und gekräftigt werden. Eine Menge der berühmtesten Musikmeister haben Herrn Jackson schriftliche beifällige Zeugnisse ausgestellt. Aber es giebt noch außer der Musik eine Menge von Künsten, für welche die Hand ebenfalls schon von Jugend an vorbereitet werden sollte, um in späteren Jahren Ausgezeichnetes mit Ausdauer leisten zu können, z. B. viele Handwerke, viele Maschinenhülfsarbeiten, die weiblichen Arbeiten, die Medicin und Chirurgie, das Schreiben und Zeichnen, sogar die neuere Kriegskunst (Zündnadelgewehre, Weittreffen) etc. Eine schlechtgeübte Hand wird in diesen Fächern entweder ungeschickt bleiben, oder sie wird durch Ueberanstregung bald erlahmen, wodurch eine besondere Art von Lähmung, mit Krampf verbunden, entsteht, welche besonders bei Schreibern bekannt ist, aber auch bei Musikern, Künstlern, Schuhmachern, Schneidern, Ciseleuren, Nähterinnen und andern Gewerben vorkommt – der sogenannte Schreibekrampf.

Die Turnlehrer haben diese Classe von Uebungen keineswegs ganz vergessen. In dem classischen Turnbuch von H. Spieß finden sich die Bewegungsmöglichkeiten der Hand und ihrer Finger, und die darauf zu gründenden activen (Frei-) Uebungen derselben vollständiger, als bei Hrn. Jackson. Allein auf den Turnplätzen hat man, trotzdem daß das Spieß’sche System in Deutschland allenthalben gilt, sehr wenig daran gedacht, diese feinern Gelenkübungen zu betreiben. Auch ein englischer Erziehungs-Gymnastiker, Henry de Laspée, führt in seinem hauptsächlich für Schulen bestimmten Buche „Callisthenics“ die Finger-, Daumen- und Handgelenks-Bewegungen einzeln aus und bildet sie auf mehrern Tafeln ab. Aber er muß doch in Großbritannien nicht durchgedrungen sein, sonst würde sein Landsmann nicht heutzutage mit der Ueberzeugung, eine neue Sache einzuführen, auftreten. Das Charakteristische und zugleich das Nützliche dieses Auftretens besteht eben in der einseitigen Energie, mit welcher Herr Jackson die bisherige Vernachlässigung solcher Uebungen den Musiklehrern wie den Lernenden begreiflich zu machen weiß, und in der Ermuthigung, die er auch den älteren Musiktreibenden gewährt, indem er durch sein eigenes Beispiel darthut, daß es noch in späteren Lebensjahren möglich ist, die Gelenke für derartige Zwecke, wie Piano- oder Violinspielen biegsamer, ihre Muskelbewegungen ausgiebiger zu machen und die bei angestrengter Kunstübung so leicht eintretenden Ermüdungen auf gymnastischem Wege theils zu heilen, theils zu verhüten.

Die Finger, und Handgymnastik Jackson’s besteht hauptsächlich aus drei Classen von Uebungen. 1. Zur Ausdehnung des Spielraums der Gelenke steckt er zwischen die Finger mehr ober weniger tief einen Cylinder (von Kautschuk oder gewöhnliche Korkstöpsel) und läßt damit die Fingergelenke auf- und abwärts biegen. – 2. Um die Fingermuskeln besonders zu Seitenbewegungen (Spreizen) fähiger zu machen, läßt er auf einem runden Stabe, in welchen abwechselnd Erhöhungen und Vertiefungen (letztere zum Hineinstellen der Fingerspitzen) gedrechselt sind, allerlei Greif- und Klopfbewegungen mit den Fingern ausführen. – 3. Um die das Handgelenk regierenden Vorderarm-Muskeln zu stärken, läßt er damit die auf unseren Turnböden wohlbekannten verschiedenen Handbewegungen vornehmen, auch wohl zu Beseitigung des Ermüdungsgefühles die locker gehaltene Hand hin und her schlenkern.

Einiges daran ist unleugbar neu, während andererseits wieder Einiges fehlt. Immer ist der uneigennützige Eifer zu loben, mit welchem Jackson seine Gymnastik zu verbreiten strebt. Vielleicht geht der von ihm gegebene Anstoß doch mit der Zeit aus den Musikschulen auf die Volksschulen, Kleinkinderschulen und Kindergärten über und bewirkt dort die Einführung oder regere Betreibung eines Zweigs der körperlichen Erziehung, welcher mehr als andere auch der geistigen Erziehung zu Gute kommt. Denn die Hand ist das vornehmste Werkzeug des menschlichen Geistes. Alles was uns in [496] der Beherrschung und Anwendung unserer Finger geschickter und kräftiger macht, kommt früher oder später auch den intellectuellen Fortschritten zu Gute, bei uns selbst oder bei Anderen. Man denke z. B. an Zeichnen, Malen, Bildhauen und jede andere Art von Darstellen. Daher sei die Angelegenheit der Fingergymnastik allen Erziehern hiermit an’s Herz gelegt.

Dr. Richter in Dresden.