LXXXI. Madras Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zweiter Band (1835) von Joseph Meyer
LXXXII. Ithaka
LXXXIII. Die Gallerie von Gondo an der Simplon-Strasse
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ITHACA

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LXXXII. Ithaka.




Dem fernen Indien, wohin das vorige Bild uns führte, enteilen wir auf den Fittigen der Phantasie, auszuruhen auf dem armen kleinen Ithaka, das von Priamus Zeiten her hohe Erinnerung trägt. – Wer kennt nicht Ithaka, dessen Ruhm älter ist, als der Athen’s? Ithaka und sein Aitos, das mit den 6 Schwesterstädten des alten Griechenlandes um die Ehre stritt, die Wiege des größten Dichters aller Zeiten zu seyn; Ithaka, das Reich des schlauen Ulysses und der edlen Penelope, deren Schicksale, Thaten und Fahrten Homer’s Odyssea verewigt!

Das heutige Ithaka (Theaki), dem ionischen Staate zugehörend, ist, wie Homer es schon beschrieb, ein holzarmes Eiland, voll Felsen und schroffer Gebirge. Es liegt in dem Canale, der das größere Cephalonien von der Küste Albanien’s trennt. 4½ Geviertmeilen groß, zählt es 6–7000 Einwohner, – meistens Fischer und Hirten.

Aitos, das berühmte, von dem der Stahlstich eine Ansicht giebt, mit seinem herrlichen Hafen, von welchem Homer sagt:

Durch hohes Gestade und höhere Vorgebirge,
Wird er vor Stürmen geschützt; das ruhende Fahrzeug
Bedarf nicht des sichernden Ankers. –

ist jetzt bloß ein ärmlicher Flecken mit niedrigen, unansehnlichen Hütten; aber die massiven Trümmer eines weit in das Meer ragenden Hafendammes, die Ruinen der Akropolis, welche den steilen Felsen über der Stadt krönen, und die Substruktionen, die den meisten der heutigen Wohnungen als Basis dienen, beweisen seine Bedeutung im Alterthum. Die Mauern der Akropolis sind in jenem rohen Styl aufgeführt, den man den kyklopischen nennt; sie bestehen aus großen, nur auf der Vorderseite behauenen, vielseitigen, unregelmäßigen Felsblöcken. Dieser Styl, ägyptischen Ursprungs, ist nur den ältesten Ueberresten attischer Bauwerke (z. B. in Mykenae) eigen. – Unfern der Akropolis finden sich viele altgriechische Gräber. Die vor einigen Jahren geschehene Untersuchung derselben ergab eine reiche Ausbeute des kostbarsten Schmucks an goldenen Ringen, Armbändern, geschnittenen Steinen etc. von einer Arbeit, die der altägyptischen gleicht und die als ihre Verfertigungszeit die Periode vermuthen läßt, wo Attika vom Nilthale aus colonisirt wurde. Leider sind diese schätzbaren Ueberbleibsel in die Kabinette der englischen Großen zerstreut worden und für eine wissenschaftliche, vergleichende Untersuchung so gut wie verloren.

[90] Die Quelle der Arethusa ist nächst den Ruinen von Aitos für den Alterthumsforscher, wie für den Gebildeten überhaupt, der interessanteste Punkt auf dem kleinen Eilande. Sie versorgte, wie Homer uns berichtet, die Stadt des Odysseus mit dem klarsten Brunnenwasser. Noch hat sie den alten Namen; aber mit den alten Göttern scheint auch die Nymphe entflohen zu seyn. Die Quelle ist zur sumpfigen, froschbevölkerten Lache geworden, und ihr Abfluß dient den Hirten der Gegend zur Viehtränke. – Als die Franzosen die Insel eroberten (1798), reinigten sie den Brunnen und errichteten neben demselben einen steinernen Sitz, und, damit es die Nachwelt nicht vergesse, wer ihn gemacht habe, gruben sie dem Steine die Worte ein: VIVE LA REPUBLIQUE! – LIBERTÉ, EGALITÉ ET FRATERNITÉ AUX PEUPLES DE L’UNIVERS! – Eine spätere Hand hat die Inschrift übertüncht und mit rother Farbe den Gegenspruch darauf gepinselt: VIVE LA RESTAURATION! – aber eine höhere Hand, die Hand der Zeit, hat auch diesen Firniß schon wieder gelockert, und lesbar sieht wieder die alte Inschrift hervor.