Italica bei Sevilla
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Italica bei Sevilla: diese Namen stehen bei einander, wie Leben und Tod, Hoffnung und Täuschung, Aufbau und Verwüstung. Wie alle Contraste in der That nur scheinbar sind und sich auflösen in ein verwandtschaftliches Berühren der Enden einer Kette – so geht es auch mit diesen. Das zweite Leben ist eine nothwendige Folgerung des ersten, und wo wird es geboren? im Grabe, und seine Wehmutter ist der Tod. Wo wohnt die Täuschung? wo die meiste Hoffnung wohnt; dort in den bunten, lichten Luftschlössern, die ein Jeder sich baut, und dort auf der Himmelskarte unserer Wünsche und Erwartungen ist ihr eigentliches Reich. Herrlichkeit und Graus, Aufbau und Verwüstung – eins wird ja durch das andere bedingt. Wenn Sternentrümmer im Weltenraume kreißen, müssen Welten vorher ihr Sterbeglöckchen läuten, und jeder Schutthügelkette muß ein früheres Zerschlagen eines Gebirgs voraus gehen. In den starren Leichnamen der todten Völker regen sich die Embryonen neuer Nationen, ohne das Kind wäre nicht der Greis, und so – im umgekehrten Sinne – bauete Sevilla sich aus Italica’s Scherben auf. – Darum laßt immerfort die Todtenglocken läuten über alles Irdische – es ist ja doch am Ende nur ein Kirchenläuten vom Thurme auf dem Tempel der Ewigkeit. –
Sevilla ist nicht blos die erste und schönste Stadt Andalusiens, sondern auch die lieblichste und heiterste Stadt in ganz Spanien; die Stadt, in der sich andalusisches Leben in seiner ganzen Fülle und Innigkeit entfaltet, und von der die Alten schon sagten, sie habe die Wonne und Lust des goldenen Zeitalters bewahrt. Schon haben wir an anderer Stelle[1] bei hellem Sonnenlichte in den Spiegel ihres Lebens geschaut; hier nur ein paar breite Pinselstriche noch, gerade genug zu einem rembrandtesten Clair-Obscur! – Denkt euch Sommernacht, Sternenhimmel, hellerleuchtete Straßen, Menschenwogen überall, schäkernd, lachend und voller Lust. Offen stehen die Thore aller Häuser, in jedem Thorweg lebt’s, in jedem Potio (Hof mit Säulengängen) hängen bunte Lampen; die ganze Stadt ist wie ein Festsaal, über dem das Firmament sich als Decke wölbt. Seht, für diese Potio's, [46] den Schmuck Sevilla’s, und ihre tausend Säulenhallen, gab Italica den Stoff. Alle sind mit Marmorplatten gepflastert, und in ihrer Mitte springt kühlendes Wasser und fällt in ein Bassin zurück, in welchem Goldfische schimmern. Blühende Blumen in Töpfen auf Fußgestellen prangen zwischen den Säulenbögen, duftende Sträucher ranken an den Hallen hin; Bäume des Südens, Citronen und Orangen, füllen gruppenweise die Winkel aus, und mitunter ragt eine schlanke Palme mit ihrem Kronenrund hoch über die Dächer auf. Ist der Abend zumal ein Festabend, dann ist in jedem Hofe Gesang und Guitarrenklang, und zwischen den Wasserstrahlen, Blumengewinden, Marmorsäulen und Baumgruppen gauckeln anmuthige Gestalten umher. Es hat ein solcher Anblick in der That was Zauberisches, Feenhaftes, und macht die Schilderungen arabischer Mährchenerzähler gleichsam wahr. Dies Leben dauert bis Mitternacht; dann schließen sich hie und da die Thorwege, Gruppen und Parthieen trennen sich vom Gewühl auf den Straßen und Plätzen ab, man hört sich gute Nacht wünschen, die Hausthüren knarren, die Riegel schieben; Glanz und Lichter erlöschen; der Feuer-Schein, der die ganze Stadt wie mit einem Nimbus umgibt, wird matter; nur dann und wann kommt noch eine dicke Menschenwoge daher, einer Musikbande folgend, die irgendwo einem gefeierten Manne eine späte Serenade bringt. –
Zwei kurze Leguas von diesem Schauplatz des Lebens ist die öde Grabesstätte Italica’s – Italica’s, wo noch vor einem Jahrtausende ein Leben blühete, viel größer und herrlicher noch, als das ist, was wir eben betrachteten. Von der Größe der alten Stadt kann man sich einen Begriff machen, wenn man erfährt, daß sie 7 spanische Leguas (etwa 12 Stunden) Umfang hatte, und von ihrer Pracht, wenn man weiß, daß viele Jahrhunderte hindurch der architektonische Schmuck, nicht nur für Sevilla, sondern auch für die Klöster, Schlösser und Städte auf 20 Meilen in der Runde ihren Trümmern entnommen wurde. In Sevilla allein sollen über 30,000 Säulen dem alten Santiponce gehören, wie das Volk, Italica’s Namen vergessend, die Trimmer genannt hat.
Wandern wir hinaus zu seiner Stätte! Durch die blühende Thalebene des Quadalquivir geht der Weg. Rechts und links stehen prächtige Klöster von Strecke zu Strecke, wohl vier oder fünf. Marmor ist ihr Baumaterial, und tausende von Bruchstücken, von Inschriften, Ornamenten etc. etc. lassen ihren Ursprung deutlich erkennen. Diese großen Behausungen des beschaulichen Nichtsthuns sind von ihren Insassen verlassen, die Zellen sind leer, kein Mönch lustwandelt mehr unter den schattenden Palmen, und nur ein Pächter der Grundstücke wohnt bescheiden in einer Ecke, bis ein Käufer sich findet, der herausbricht, was Metallwerth hat, und das Uebrige der Zeit und dem Wetter, Fledermäusen und Eulen überläßt, welche das Verwüstungswerk vollenden. Schauerlich hallen des Besuchenden eigene Fußtritte in den hohen Räumen dieser Klosterpalläste wider, die der Nation Millionen zu erbauen kosteten, und welche sie jetzt zu so viel hundert Piaster verkauft.
[47] Das letzte Kloster steht bereits auf der alten Stadt. Ihre Stätte bildet eine Stufe von Schutt, welche 10 bis 25 Fuß sich über die Fläche erhebt. Keine einzige hohe Trümmer gibt Zeugniß von der alten Pracht, nur hier und da ragt das Fragment einer Mauer wie ein Felsstück aus dem Boden. Wo Italica gestanden, stehen jetzt mehre Dörfer, weite Saatfelder grünen, und hundertjährige Olivenhaine nehmen den Raum ein, wo die Tempel und Palläste prangten. Alle Gebäude der Flecken, Dörfer und Weiler der Gegend sind aufgerichtet aus Trümmerwerk. Da sieht man den Stumpf einer schönen, antiken Marmorsäule als Thürpfosten benutzt, ein Stück vom Friese eines Pallastes als Spülstein, kostbare Inschriften, auf welchen man die Thaten großer Männer zu verewigen gedachte, machen das Pflaster aus vor dem Eingange gebrechlicher Hütten, ober dienen dem Bauer zur Ruhebank, und marmorne Säulenkapitäler schirmen als Schutzsteine gebrechliche Thore von Holz, oder die Ecken der Häuser. Noch vor 200 Jahren waren die Ruinen so herrlich, als die des alten Palmyras. Die ganze Ebene war damals mit Marmor-Fragmenten bedeckt, und einzelne imposante Reste von Tempeln und Theatern trugen noch über der Fläche ihr Haupt. Seitdem ist alles weggeschleppt worden, größtentheils nach Sevilla, und aus den kleinern Bruchstücken brannten die Ziegler der Gegend Mörtel. Das einzige Gebäude, was noch größere Spuren zurückließ, ist das berühmte Amphitheater, welches Raum hatte für 35,000 Zuschauer. Noch im 14. Jahrhundert war es fast ganz erhalten; es war innen und außen mit Platten vom kostbarsten Marmor bekleidet, und von gleichem Material waren die Sitze. Man hat sie abgebrochen, was ganz blieb, nach Sevilla verkauft und den Rest zu Kalk benutzt. Man sprengte dabei die Sitze mit Pulver; denn so dicht und fest waren die Platten eingefugt, daß sie, obschon preisgegeben seit zwei Jahrtausenden den lockernden Wirkungen der Luft und des Wetters, doch dem Meißel und der Keilhaue widerstanden.
Seit 2 Jahren hat der Verein alterthumforschender Freunde in Sevilla, welcher meistens aus Ausländern besteht, auf der Stätte der Stadt Ausgrabungen begonnen. Sie führten zu bedeutenden Funden an Münzen, Waffen, Gefäßen und statuarischen Kunstwerken.
Dunkel ist die Geschichte Italica’s. Phönizischer, pelasgischer oder carthaginensischer Gründung, wurde sie im zweiten punischen Kriege zum erstenmale zerstört. Scipio Africanus baute sie wieder auf. Die Kaiser Roms, Adrian, Trajan und Theodosius der Große wurden hier geboren. Unter den Gothen bewahrte sie, wenn auch vielfach verheert, doch noch einen Theil ihres Glanzes; sie wurde Bischofssitz und selbst unter den Saracenen war sie noch herrlich, obschon Trümmer der classischen Zeit die Hälfte ihres Umfangs überdeckten. Indessen lockten die Begünstigungen, welche das nebenbuhlerische Sevilla von den maurischen Fürsten genoß, der Einwohner immer mehre aus Italica dahin, und was nach der freiwilligen Auswanderung zurückgeblieben, ging unter in den spätern Verheerungen des Kriegs. Ganz verlassen wurde die Stadt erst im 14. Jahrhundert, und gebrochen lag [48] sie über ein ganzes Jahrhundert, ehe die ersten Versuche gemacht wurden, ihren Schutt der Kultur zu gewinnen. So entstanden die Flecken und Dörfer und Weiler, die Felder und Olivenpflanzungen, so sproßten auf dem Grabe der Riesenstadt die Keime neuen, jungen Lebens.
- ↑ Universum, IV. Bd. S. 85. V. Bd. S. 116.