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CCCXXXXIII. Italica bei Sevilla.




Italica bei Sevilla: diese Namen stehen bei einander, wie Leben und Tod, Hoffnung und Täuschung, Aufbau und Verwüstung. Wie alle Contraste in der That nur scheinbar sind und sich auflösen in ein verwandtschaftliches Berühren der Enden einer Kette – so geht es auch mit diesen. Das zweite Leben ist eine nothwendige Folgerung des ersten, und wo wird es geboren? im Grabe, und seine Wehmutter ist der Tod. Wo wohnt die Täuschung? wo die meiste Hoffnung wohnt; dort in den bunten, lichten Luftschlössern, die ein Jeder sich baut, und dort auf der Himmelskarte unserer Wünsche und Erwartungen ist ihr eigentliches Reich. Herrlichkeit und Graus, Aufbau und Verwüstung – eins wird ja durch das andere bedingt. Wenn Sternentrümmer im Weltenraume kreißen, müssen Welten vorher ihr Sterbeglöckchen läuten, und jeder Schutthügelkette muß ein früheres Zerschlagen eines Gebirgs voraus gehen. In den starren Leichnamen der todten Völker regen sich die Embryonen neuer Nationen, ohne das Kind wäre nicht der Greis, und so – im umgekehrten Sinne – bauete Sevilla sich aus Italica’s Scherben auf. – Darum laßt immerfort die Todtenglocken läuten über alles Irdische – es ist ja doch am Ende nur ein Kirchenläuten vom Thurme auf dem Tempel der Ewigkeit. –

Sevilla ist nicht blos die erste und schönste Stadt Andalusiens, sondern auch die lieblichste und heiterste Stadt in ganz Spanien; die Stadt, in der sich andalusisches Leben in seiner ganzen Fülle und Innigkeit entfaltet, und von der die Alten schon sagten, sie habe die Wonne und Lust des goldenen Zeitalters bewahrt. Schon haben wir an anderer Stelle[1] bei hellem Sonnenlichte in den Spiegel ihres Lebens geschaut; hier nur ein paar breite Pinselstriche noch, gerade genug zu einem rembrandtesten Clair-Obscur! – Denkt euch Sommernacht, Sternenhimmel, hellerleuchtete Straßen, Menschenwogen überall, schäkernd, lachend und voller Lust. Offen stehen die Thore aller Häuser, in jedem Thorweg lebt’s, in jedem Potio (Hof mit Säulengängen) hängen bunte Lampen; die ganze Stadt ist wie ein Festsaal, über dem das Firmament sich als Decke wölbt. Seht, für diese Potio's,


Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/79&oldid=- (Version vom 2.12.2024)