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Das letzte Kloster steht bereits auf der alten Stadt. Ihre Stätte bildet eine Stufe von Schutt, welche 10 bis 25 Fuß sich über die Fläche erhebt. Keine einzige hohe Trümmer gibt Zeugniß von der alten Pracht, nur hier und da ragt das Fragment einer Mauer wie ein Felsstück aus dem Boden. Wo Italica gestanden, stehen jetzt mehre Dörfer, weite Saatfelder grünen, und hundertjährige Olivenhaine nehmen den Raum ein, wo die Tempel und Palläste prangten. Alle Gebäude der Flecken, Dörfer und Weiler der Gegend sind aufgerichtet aus Trümmerwerk. Da sieht man den Stumpf einer schönen, antiken Marmorsäule als Thürpfosten benutzt, ein Stück vom Friese eines Pallastes als Spülstein, kostbare Inschriften, auf welchen man die Thaten großer Männer zu verewigen gedachte, machen das Pflaster aus vor dem Eingange gebrechlicher Hütten, ober dienen dem Bauer zur Ruhebank, und marmorne Säulenkapitäler schirmen als Schutzsteine gebrechliche Thore von Holz, oder die Ecken der Häuser. Noch vor 200 Jahren waren die Ruinen so herrlich, als die des alten Palmyras. Die ganze Ebene war damals mit Marmor-Fragmenten bedeckt, und einzelne imposante Reste von Tempeln und Theatern trugen noch über der Fläche ihr Haupt. Seitdem ist alles weggeschleppt worden, größtentheils nach Sevilla, und aus den kleinern Bruchstücken brannten die Ziegler der Gegend Mörtel. Das einzige Gebäude, was noch größere Spuren zurückließ, ist das berühmte Amphitheater, welches Raum hatte für 35,000 Zuschauer. Noch im 14. Jahrhundert war es fast ganz erhalten; es war innen und außen mit Platten vom kostbarsten Marmor bekleidet, und von gleichem Material waren die Sitze. Man hat sie abgebrochen, was ganz blieb, nach Sevilla verkauft und den Rest zu Kalk benutzt. Man sprengte dabei die Sitze mit Pulver; denn so dicht und fest waren die Platten eingefugt, daß sie, obschon preisgegeben seit zwei Jahrtausenden den lockernden Wirkungen der Luft und des Wetters, doch dem Meißel und der Keilhaue widerstanden.

Seit 2 Jahren hat der Verein alterthumforschender Freunde in Sevilla, welcher meistens aus Ausländern besteht, auf der Stätte der Stadt Ausgrabungen begonnen. Sie führten zu bedeutenden Funden an Münzen, Waffen, Gefäßen und statuarischen Kunstwerken.

Dunkel ist die Geschichte Italica’s. Phönizischer, pelasgischer oder carthaginensischer Gründung, wurde sie im zweiten punischen Kriege zum erstenmale zerstört. Scipio Africanus baute sie wieder auf. Die Kaiser Roms, Adrian, Trajan und Theodosius der Große wurden hier geboren. Unter den Gothen bewahrte sie, wenn auch vielfach verheert, doch noch einen Theil ihres Glanzes; sie wurde Bischofssitz und selbst unter den Saracenen war sie noch herrlich, obschon Trümmer der classischen Zeit die Hälfte ihres Umfangs überdeckten. Indessen lockten die Begünstigungen, welche das nebenbuhlerische Sevilla von den maurischen Fürsten genoß, der Einwohner immer mehre aus Italica dahin, und was nach der freiwilligen Auswanderung zurückgeblieben, ging unter in den spätern Verheerungen des Kriegs. Ganz verlassen wurde die Stadt erst im 14. Jahrhundert, und gebrochen lag

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/81&oldid=- (Version vom 2.12.2024)