Israel auf Markt und Straße
„Er warf die Tische der Wechsler und Händler um und trieb sie hinaus aus dem Vorhofe des Tempels.“ Also spricht die Schrift. Der Fluch des Tempels, die Brandmarkung des Christenthums verfolgte die Hinausgestoßenen auch noch weiter von Jahrhundert zu Jahrhundert. Sie verstoben in alle Welt, mischten sich in alle Völker, krochen in alle Winkel der Erde. Die Verfolgung ging ihnen nach, aber sie vermochte sie nicht zu erdrücken, ja nicht einmal den Stempel ihres Ursprungs von ihnen zu wischen.
Es liegt etwas fast grauenhaft Erhabenes in dieser zähen Stetigkeit des auserwählten Volkes Gottes, die es sich zu bewahren vermocht hat innerhalb aller nationalen Ver- und Entwickelungen. Es ist die Geschichte dieses Volkes offenbar eins der interessantesten Probleme der Völkerpsychologie. Sie, die vertriebenen Wechsler und Händler des Tempels, haben der Handelswelt ein Schnippchen geschlagen, denn ohne daß man recht dessen inne ward und wird, haben sie sich die Gewalt und Herrschaft über sie erobert.
Wir denken dabei nicht blos an die großen Nabobs, bei denen „Könige betteln gehen,“ wir meinen ebenso gut die „kleinen Leute“ unter ihnen. Es ist in der That nicht blos das Israel der Paläste, es ist auch das Israel der Landstraße, welches in seinen bestimmten Territorien die Herrschaft über das Capital sich errungen hat. Es giebt namentlich in unserem Deutschland gewisse Landstriche, in welchen jüdische Niederlassungen sich finden, während andere ganz und gar von ihnen frei sind. Jene sind besonders die Gegenden, in welchen Viehzucht den Hauptnahrungszweig bildet. Zu ihnen gehören, wie uns Auerbach’s Dorfgeschichten belehren, der Schwarzwald, ferner – vergleiche Fritz Reuter – Mecklenburg und in Mitteldeutschland namentlich die Gegend vom Eichsfeld bis gen Franken, zwischen Thüringer-Wald und Spessart (Werrathal, Vogelsberge, Rhön).
Aus letzterer Gegend stammen die in dieser Skizze zusammengedrängten Beobachtungen, welche lediglich ein rein objectives culturhistorisches Interesse in Anspruch nehmen wollen.
Die Niederlassung verzweigt sich gewöhnlich nicht über das ganze Land, sondern concentrirt sich in einzelnen Ortschaften. Es sind dies zumeist solche, in welchen zu Zeiten des weiland heiligen römischen Reichs deutscher Nation Reichsritter und Reichsfreiherren als kleine selbstständige Herrscher saßen. Sie machten von dem ihnen vom Kaiser unmittelbar verliehenen Privileg, Juden aufnehmen zu dürfen (receptio Judaeorum), namentlich dann einen entsprechenden Gebrauch, wenn ihre eigene Finanzlage in eine bedenkliche Krisis getreten war. Sie erhoben von den eingezogenen Juden zu Gunsten ihrer Privatschatulle ein Schutzgeld und vertrauten gleichzeitig die Ordnung ihrer derangirten Cassenverhältnisse dem Scharfsinn und den specifisch rechnerischen Talenten eines von ihnen erwählten Hofjuden. Es ist dies der actlich angenommene Name dieser kleinen Finanzminister. Den Profit der Zukunft aus diesem Verhältnisse zog regelmäßig der tyrannisirte – um im Style der alten Zeit zu reden – Kammerknecht, indem er den noblen, aber kostspieligen Passionen seines Herrn neben den bereits gerühmten Talenten die Eigenschaften der Nüchternheit, Sparsamkeit und Genügsamkeit entgegensetzte.
Die Wiege so mancher Vorfahren unserer hohen Financiers stand an jenen Miniaturausgaben deutscher Fürstenhöfe.
Der so eingebürgerte Stamm Juda wußte sehr bald mit den gegebenen Verhältnissen zu rechnen, und die Verhältnisse waren auch seiner Rechnung günstig. Vor Allem traf er in den erwähnten Gegenden auf einen Bauernstand der seinen Wünschen entgegenkam. Geistige Unbeholfenheit und Beschränktheit, genährt und großgezogen durch Aberglauben und allerhand geistliche Einflüsse, auf der einen und eine schwere Belastung des ohnedies kärglichen Zins tragenden Grundbesitzes auf der andern Seite hatten die Hand in Hand gehende materielle und intellectuelle Entwicklung dieses Standes gehemmt. Das war eine Domäne für die geächteten Händler des Tempels. In diese träge Masse gossen sie bald die Quellen des ihnen zu Gebote stehenden Geldcapitals, machten es flüssig und nutzbar, während sich gleichzeitig ihr scharfer speculativer Verstand des vorhandenen geistigen Capitals bemächtigte. Daß er dafür sorgte, dabei nicht den Kürzeren zu ziehen, sondern sich das beste Theil gewann, wer dürfte ihm das verdenken? So geschah’s, daß der Jude der geistige und materielle Herrscher im Lande wurde, in dessen Besitz sich fast das ganze bäuerliche Betriebscapital befindet. Aeußerlich freilich sieht ihm Das Niemand an.
Nein, wahrlich nicht, wie er so dahingeht auf der Landstraße, den Leib halb übergebeugt, die Kniee einwärts gebogen, die starke orientalisch gekrümmte Nase aus einem Wuste langsträhniger oder lockig gerollter, glänzend schwarzer oder feurig rother Haare hervorragend, [503] von unten begrüßt von einem nach ihr emporstrebenden Kinn, – eine lange aufgeschossene, ausgedörrte oder im directen Gegensatze dazu eine kleine fette, rundliche Figur mit einem Rocke, dessen Schnitt und Aussehen sein Ursprungszeugniß auf ein hohes Alter zurückdatiren – in der Hand einen Stecken und quer über den Schultern einen schmutzig weißen Sack – wie er so dahingeht, oder in erhöhter Potenz auf einem von einem mageren Klepper gezogenen Wägelchen fährt, unberührt von den Segnungen von Kamm, Seife und Bürste, aber ausstrahlend des Knoblauchs würzigen Duft: da, nein, wahrlich, da tritt seine Kraft nicht zu Tage, da ist von der Herrschaft nichts zu spüren, da erscheint er immer noch als der alte kaiserliche Kammerknecht seligen Angedenkens.
Gehen wir mit ihm, um sein Treiben, seine Machtsphäre zu verfolgen. Er tritt in ein Dorf ein; es liegt am Ausgange der Rhön, da, wo dieselbe den Thüringer Bergen die Hand über die trennende Werra zureicht. Von den gesegneten Kornfeldern des Thüringer Flachlandes ist da freilich nichts zu verspüren; nur in nächster Nähe des Dorfes, da, wo das Thal sich etwas weitet, wächst kurzhalmige Körnerfrucht, abwechselnd mit Krautstauden. Aber oberhalb derselben und da, wo das Thal sich wieder verengt, steigen grüne Matten weit hinauf bis an den Buchen- und Eichenwald, der die an die Wolken ragende Höhe krönt. Hinter diesem Walde aber fällt es nicht wieder ab zu Thal, sondern hier breitet sich ein mächtiges Höhenplateau aus, auf welchem weite Weideflächen den Wald wieder verdrängen und auf einzelne Gruppen beschränken. Auf diesen Matten hängen grasende Herden braun- und schwarzhaarigen Rindviehes. Mit innerem Behagen blickt das Auge des wandernden Nachkommen Isaak’s nach dem beweglichen Bilde, nicht etwa aus malerischem Interesse, nein, sein Behagen wird von dem Gedanken erzeugt, daß diese ganze Herde theilweis rechtlich, theilweis factisch sein eigen ist; ein Theil derselben bildet in der That einen Stamm seines Handelscapitals. Er kann das Vieh, mit dem er handelt, nicht ernähren, das Gesetz hat ihm, dem Verfehmten, verboten, Grundbesitz zu erwerben. Was thut’s? Er bedarf dessen nicht, um sein Vieh zu ernähren, und wenn die neuere humane Gesetzgebung es ihm auch erlaubt, Grundbesitzer zu sein, er wird sein Vermögen doch nicht so „unbeweglich“ anlegen. Auch sagt ihm wohl der Viehhandel, nicht aber die Viehwirthschaft zu, und wenn auch Isaak und Jakob sich auf Landwirthschaft und Viehzüchten excellent verstanden – das Recept ist den Nachkommen verloren gegangen. Dagegen haben diese das Problem gelöst, Vieh zu besitzen und zu züchten, ohne Grund und Boden zu haben. Dies geschieht also: In dem Dorfe sitzen so und so viel Bauern, welchen der Jude zum Ankauf von Acker und Vieh, zum Ablösen der Lasten und zu sonstigen Bedürfnissen Geld vorgeschossen hat. Diesen Schuldnern bürdet er die Pflicht auf, sein Vieh bis zum Verhandeln in ihren Ställen unterzubringen, auf ihre Weide gehen zu lassen, kurz, es zu pflegen und zu ernähren. Er weiß, daß sein Vieh da gut aufgehoben ist, denn einmal schützt ihn gegen eine tückische Mißhandlung die Ehrlichkeit der Bauernnatur, andererseits aber die Rücksicht, welche der Schuldner dem Gläubiger gegenüber zu nehmen hat.
Verfolgen wir nun unsern „Jüd“ bis hinein in’s Dorf, so machen wir bald die Erfahrung, daß derselbe dort eine allbekannte Persönlichkeit ist. Auf der Landstraße, welche quer durch den Ort führt, und auf welche die verschiedenen Gehöfte mit ihrer Giebelseite stoßen, rufen ihn die zahlreich sich herumtummelnden Kinder an und die Mägde, welche auf dem Rande des hölzernen Brunnenbottichs sitzen, nicken ihm zu. Bald ist’s im ganzen Dorf bekannt, daß das „Schmulche“ da ist, und das Schmulche ist in der That eine höchst wichtige Persönlichkeit für’s ganze Dorf. Der Einzug, den er da hält an der Spitze seines Gefolges, ist äußerlich zwar das gerade Gegentheil von Glanz, in Wirklichkeit ist es aber doch der Einzug eines kleinen Herrschers, eines Dorftyrannen, denn das Dorf, das er betrat, ist seine Grafschaft, deren unumschränkter Herrscher er ist.
Er hat es nach und nach dahin gebracht, daß alle Schuldverbindlichkeiten der Bauern in ihm als alleinigem Gläubiger sich vereinigt haben. So ist er der allgemeine Dorfgläubiger geworden, und in diesem Verhältnisse ruht seine Macht. Alles Geschäftliche geht durch seine Hand, er besorgt den ganzen Viehhandel nach Ein- und Verkauf, er vertreibt die gewonnenen Producte, er ist der Banquier des Dorfes; er vermittelt geradezu den Verkehr mit der Außenwelt. Wenn es einer der Dorfbauern wagen wollte, mit einem Andern aus der zahlreichen jüdischen Genossenschaft anzubinden, die Vergeltung der Rache würde ihm auf dem Fuße folgen, sie würde bald die Gestalt des gefürchteten Mannes mit dem gelben Schilde und der streifigen Mütze, des gerichtlichen Executors, annehmen. Aber auch die jüdische Sitte respectirt das Verhältniß wenigstens insoweit, als sie einem handelnden Juden verbietet, in ein Haus einzutreten, in dem bereits ein anderer Jude sich des Handelns wegen befindet.
Schmulche, der Fürst des Capitals, lenkt seine Schritte nach dem Dorfwirthshause, dort ist sein Empfangsbureau, dort giebt er Audienz; die Wirthin empfängt den Eintretenden an der Schwelle zur Küche mit einem treuherzigen: „Grüß’ Gott, Schmulche“, und mengt in diesem Augenblicke Christen- und Judengott in Eins. Sie reicht ihm die harte Hand, die sie sich an der weißen Schürze getrocknet, und macht ihm Platz zum Eintritt in die Küche. In der That richten sich dahin die ersten Schritte der Männer von Israel. Die Wirthin nimmt ein Paar separat hängende Töpfe und Schüsseln von der Wand und zeigt sie den Eintretenden. Diese halten sie an’s Licht und machen da die Bemerkung, daß das nach dem letzten Gebrauche inwendig darauf gekreidete Zeichen noch dortsteht. Töpfe und Schüsseln sind sonach inzwischen nicht von einer christlichen Hand oder einem christlichen Mund entweiht worden. Sie sind „koscher“ und die Frau Wirthin kann sich anschicken, den „braunen Mocca“, das jüdische Lieblingsgetränk, zu bereiten. Inzwischen hat Einer vom Gefolge in der danebenliegenden Wirthsstube den Inhalt eines mächtigen Ranzen, den er umhängend trug, entleert. Derselbe besteht namentlich aus gekochten Eiern, Brod, Gänsewurst, Rettig und Zwiebeln. Letztere werden bekanntlich in ziemlichen Massen als Zugemüse oder Compot zu den übrigen Speisen gegessen. Während das Mahl verzehrt wird, haben sich indessen die Dörfler in der Schenkstube zahlreich eingefunden und es beginnt nunmehr die Dorfbörse. Heute steht gerade ein sehr wichtiges Geschäft auf der Tagesordnung. Einer der kleinen Bauerngutsinhaber, dem der Hals immer fester zugeschnürt war und der vergebens nach Luft schnappte, hat beschlossen, nach Amerika auszuwandern. Er hat zu diesem Behufe seinen Grundbesitz in vielen Parcellen auf den Verstrich gebracht. Die zahlreichen Ersteher der einzelnen Stücke sind jedoch nicht im Stande, die Kaufpreise auf einmal zu bezahlen. Der Verkäufer hat ihnen deshalb nachgelassen, dieselben in halbjährlichen Raten auf eine längere Reihe von Jahren hinaus abzutragen, natürlich gegen Verzinsung. Der auswandernde Verkäufer muß aber andererseits sein Geld in den Händen haben, sonst kann er nicht auswandern. Aus diesem Dilemma hilft ihm der Jude; er kauft ihm seine Rechte und die rückständigen Fristengelder um eine natürlich weit geringere Summe, als deren Gesammtwerth ausmacht, ab. Damit ist Beiden geholfen. Der Auswandernde hat sein Geld gleich baar in den Händen und der Jude nicht nur sein Capital zu einem recht leidlichen Zins angelegt, sondern auch die Person des Käufers mit ihrem ganzen Credit sich zu eigen gemacht, da sie mit jedem versäumten Zahlungstermine ihm auf Gnade und Ungnade verfallen ist.
Aber auch noch verschiedene andere Hülfesuchende haben sich auf der Judenbörse eingefunden. Sie sind in Noth gerathen, sie wollen Vieh kaufen, eine Wirthschaft sich einrichten – kurz, sie brauchen Geld. Der christliche Capitalist, die Sparcassen und andere Institute verlangen ausreichende Sicherheit oder haben allerhand andere Bedenken. Der Bauer kann dieselben nicht erfüllen, er geht zum Juden; dieser borgt ihm auf Treu’ und Glauben. Er verlangt keine Sicherheit, aber freilich desto mehr – Zinsen. Das ist vielleicht nicht recht löblich von ihm, aber er hilft doch, wo kein Anderer hilft. Er ist in der That der allgemeine Helfer in der Noth und macht somit aus dieser eine Tugend.
Für den Leichtsinnigen oder Arbeitsscheuen hat das leichte Creditgeben freilich große Gefahr; es bringt ihn immer mehr in Abhängigkeit von seinem Gläubiger. Dann schreit er, der Christ, oft in sehr unchristlicher Weise, über Wucher und Judenbedrückung und verlangt Schutz dagegen. In früheren Zeiten meinte die christliche Regierung auch helfen zu müssen. Sie erließ zum Schutz der christlichen Unterthanen einseitig strenge Gesetze gegen die jüdischen Gläubiger. Sie entzog z. B. den Forderungen der [504] Juden aus Handelsgeschäften mit Christen alle Klagbarkeit, so lange nicht eine förmliche gerichtliche Verlautbarung mit gleichzeitiger Verwarnung des Christen vorhergegangen war. Abgesehen von dem Umstande, daß damit die geistige Unmündigkeit des Christen gegenüber dem Juden geradezu anerkannt war, wirkten diese in der Neuzeit wohl überall aufgehobenen Gesetze nach beiden Seiten hin demoralisirend. Während sie die Juden zwangen, auf Mittel zu sinnen, sich auch ohne Hülfe der Gerichte bezahlt zu machen, stempelten sie auf der andern Seite den Christen zum privilegirten Betrüger. Erhöhte Bildung und ein rationeller Wirthschaftsbetrieb auf Seiten des Bauernstandes in jenen Gegenden werden die Factoren sein, welche dort eine richtige Ausgleichung herbeizuführen im Stande sind.
Kehren wir indeß zu unserer Judencolonie zurück. Sie hat sich nach Abwickelung ihrer Geschäfte in ihre Schlafkammer zurückgezogen. Es ist lichtscheue Dämmerung in dem engen Gemache, an dessen Wänden hin ein Strohlager sich breitet. Die dunklen Gestalten der Männer stehen umher und der am Fenster Stehende hält ein Buch in den Händen, dessen große hebräische Ziffern das hereinfallende Licht noch nothdürftig erhellt. Es ist ein hebräisches Gebet, das er aus dem Buche vorliest. Nach also vollbrachter Andacht nehmen die Juden ohne weitere Umstände auf ihrer primitiven Lagerstätte Platz. Ihr Anzug ist nicht von der Beschaffenheit, daß eine so unmittelbare Bekanntschaft mit Stroh und Diele ihn in seiner Reinheit noch wesentlich beeinträchtigen könnte.
Unter den Begleitern des Schmulche tritt namentlich ein hagerer Gesell hervor, der ein äußerst lebhaftes Mundwerk und eine sehr ausgeprägte Gesticulation hat. Es ist dies ein sogenannter „Schmuser“ (vom hebräischen schmuath, nach jüdischer Aussprache Schmuas, d. h. Geschwätz), eine sehr wichtige Person, ein Zureder, ein Unterhändler bei Handelsgeschäften der Bauern untereinander, eine Art Notar, nur von diesem wesentlich dadurch unterschieden, daß er zu seinem Geschäfte weder Tinte noch Feder braucht. Sein einziges Handwerkszeug ist seine Zunge. Oeffentlichkeit und Mündlichkeit der Verhandlung war bei ihm weit eher eingeführt als in den Gerichtssälen. Seine Domaine ist der Viehhandel, sein Forum der Hof und freie Markt. Der Umfang und das Gewicht seiner Wirksamkeit datirt aus der feststehenden Thatsache, daß in den geschilderten Landstrichen kein Viehkauf ohne Vermittelung eines oder einiger Schmuser abgeschlossen wird.
Der Bauer versteht sich nicht auf’s Feilschen. Er ist geistig viel zu unbeweglich. Er bringt’s allein absolut nicht fertig. Er holt sich daher den Schmuser, diesen läßt er für sich handeln. Derselbe geht erst wie eine Art Plänkler oder Tirailleur vor. Er begiebt sich zu dem Viehbesitzer, deren er immer verschiedene in Vorrath hat, schaut sich das Rind an und beginnt mit dem Angebot. Dann stattet er dem Kauflustigen Rapport ab, holt dessen Instruction, beginnt von Neuem das Feilschen, rapportirt wieder, bis nach und nach die Parteien sich nähern und der Handel perfect wird. Am unmittelbarsten treten die einzelnen Phasen seiner Thätigkeit hervor auf offenem Markte. Viehmärkte wären ohne die Schmuser gar nicht möglich. Sie würden geradezu ins Stocken gerathen. Durch die Schmuser kommt erst Fluß in die trägen Massen, gewinnen die Märkte ein dramatisch belebtes, in verschiedene Gruppen vertheiltes Bild.
Ein solches Gruppenbild macht sich schon ohne die dazu gehörigen Worte verständlich. Da steht auf der einen Seite der lauernde Verkäufer, eine große breitschulterige Bauernfigur mit blauem Kittel, den breitkrämpigen braunen Filzhut tief über den Kopf hereingezogen. Die linke Hand hat er in den langen graubraunen Hosen von grobem Beidermannsstoffe. Er klimpert offenbar mit dort bereit gehaltenen Geldstücken. Auf der andern Seite steht sein leibhaftig Ebenbild. Man könnte ihn für seinen Bruder halten. Seine Gestalt ist nur etwas gedrungener und die Hosen reichen nur bis an’s Knie, um da von blauen gezwickelten Strümpfen ersetzt zu werden, welche in großen Schnallenschuhen stecken. Um die eine Hand hat er die Leine vom Halse des vor ihm stehenden Ochsen geschlungen, die andere aber hat der Schmuser in Beschlag genommen. Er rückt und zerrt an ihr, offenbar um sie dem Verkäufer näher zu bringen. Das lebhafte Spiel seiner Gesichtsmuskeln, die geschleuderten Blicke der dunkeln Augen begleiten diese Anstrengung. Noch aber ohne Erfolg. Denn der in Angriff Genommene verzerrt keine Miene, bewegt keinen Fuß von der eingenommenen Stelle. Nunmehr läßt der Zwischenhändler ihn los und wendet das langgeschnittene Gesicht dem Andern zu, so rasch, daß die schwarzen glänzenden Haarsträhne wie Schlangen um dasselbe sich schütteln. Er legt den geschmeidigen Leib wie einen Mantel um ihn und zischelt ihm, den Kopf dicht an dessen Gesicht gelegt, lebhaft in’s Ohr. Nach einiger Zeit weiß er ihm ein zustimmendes Nicken abzulocken. Nun wendet sich der Schmuser wieder zu dem Erstern und beginnt ein lebhaftes Fingerspiel unmittelbar vor dessen Gesicht. Ein ablehnender Ausdruck in den noch immer unbeweglichen Zügen[WS 1] verräth ihm, daß das Spiel ein vergebliches ist. Er muß neue Truppen in’s Feld ziehen und seinen Feldzugsplan ändern. Er tritt jetzt an den Ochsen heran, der bisher mit größter Gleichgültigkeit dem um sein theures Ich sich drehenden Streite gefolgt ist, beguckt, betastet, dreht und wendet ihn von und nach allen Seiten.
Ein bedenkliches Schütteln ist das Resultat seiner Besichtigung. Jetzt auf einmal kommt Leben in die steinerne Gestalt des Verkäufers, jetzt, wo es sich um einen Angriff auf die Fehllosigkeit seines Ochsen handelt, wird ihm die Situation doch etwas ängstlich. Unruhig schaut er nach – Hülfe, nach Beistand aus. Er braucht nicht lange darnach zu spähen. Ein zweiter Schmuser stand schon auf der Lauer und hat nur auf den günstigen Moment gewartet, der ihm seine Mitbetheiligung am Handel sichert. Es bedarf kaum noch des leisen Winkes, er kommt schon heran. Nunmehr verlegt sich die ganze Beweglichkeit in die Mitte des Bildes, während die beiden Bauern zu Statisten erstarren, zu leblosen Zuschauern des Geschicks, das ihnen von den beiden Mittelfiguren bereitet wird. Diese peitschen die Luft mit ihren langen Armen, die sie bald hoch emporschleudern, bald wieder rasch niedersenken, bald einander nähern, bald wieder verstecken, dabei aber immer dem gemeinsamen Ziele, der Vereinigung ihrer Hände, nachstrebend, denn der Handschlag schließt den Handel. Dabei entfalten ihre Zungen eine keineswegs geringe Fertigkeit.
Ob es ihnen wirklich Ernst ist bei dem Streite, ob es nicht ein bloßes Scheingefecht ist, das sie fechten? Ja, wer kann es sagen! Endlich klatschen die Hände ineinander. Die Schmuser haben den Handel zu Stande gebracht. Sie holen nun auch die beiden Hauptpersonen heran. Diese folgen ihnen ohne weiteres Widerstreben und lassen geduldig ihre Hände ineinandergleiten. Der Schmuserlohn ist dabei gleich mitbedungen.
Die Schmuser gehören unter die Aermeren in der Judengemeinde, denen kein Capital zum Betriebe eines Handels zu Gebote steht.
Außer mit Viehhandel und Schmuserei treibt ein anderer Theil dieses fahrenden Israel auch Handel mit Fellen, Hausirhandel, Ankauf von Hadern, Thier- und Menschenhaaren. Aber auch diese letzten Handelsromantiker der Landstraße beginnen sich zu lichten, seitdem namentlich die ihnen sonst verschlossenen Thore der Städte sich öffneten. Sie machen sich dort gern seßhaft. Der noble Schnittladen mit den glänzenden Spiegelscheiben in der Hauptstraße der Stadt läßt es dann schwer ahnen, daß die Inhaber einst im Lande umherzogen mit Stecken und Ranzen. Es hat in der That auch viel Ungemach, dieses beutesuchende Umherziehen von Dorf zu Dorf, in Wind und Wetter, voll Arbeit und Entbehrung. Aber die zähe Ahasvernatur hält es aus. Zwei mächtige Gedanken sind es, die sie vorwärts treiben, der Gedanke an Gewinn und der Gedanke an die Heimkehr zu jener Zeit des Zwielichts am Freitag Abend, wo die Schabbeslampe das kleine bescheidene Wohngemach erleuchtet und die geputzte Familie um den einzigen Tisch sich gruppirt, in Andacht harrend des heimkehrenden Herrn. Denn in der Familie herrscht noch das alte strenge Patriarchenthum.
Nun ruht auf einen Tag alles Feilschen, alles Jagen nach Arbeit und Gewinn. Nach dem rauhen Materialismus der Woche gehört ein Tag dem Idealen. Am Sabbath kehren die Engel ein in’s Haus des Juden, sagt die alte Satzung, und an der Satzung hält auch noch treu und fest – das Israel auf Markt und Straße.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Züge