Isolde Kurz (Die Gartenlaube 1891)
[84] Isolde Kurz. Wir haben im Jahrgang 1889 unseres Blattes die formenschönen Gedichte von Isolde Kurz besprochen. Es verdient die Thatsache Erwähnung, daß diese Gedichte bereits die zweite Auflage (Stuttgart, G. J. Göschensche Verlagshandlung) erlebt haben. Dann erschienen von derselben Verfasserin die „Florentiner Novellen“ (Stuttgart, ebenda), welche sich wie jene Gedichte durch ein stilvolles Gepräge der Darstellung auszeichnen. Wenn man von einer Schule Paul Heyses sprechen darf, so muß man Isolde Kurz zu den Schülerinnen des Münchener Novellisten zählen. Paul Heyse hat eine nicht unbeträchtliche Zahl von Novellen geschrieben, die ihren Stoff den Chroniken italienischer Städte entnehmen, sie tragen auch meist den Ausdruck der gewaltthätigen Zeiten, denen sie entnommen sind – und noch mehr ist dies bei den Schöpfungen von Isolde Kurz der Fall. An blutigen Kämpfen, an Ermordungen, an Schrecknissen und Greueln jeder Art fehlt es in den „Florentiner Novellen“ nicht, ja in zwei Erzählungen spielt die Pest ihre verhängnißvolle Rolle.
Die erste Novelle der Sammlung, „Die Vermählung der Todten“, haben die Leser im Jahrgang 1889 der „Gartenlaube“ kennen gelernt. Die zweite, „Die Humanisten“, schildert uns die gelehrte Bildung aus der Zeit des Lorenzo von Medici, die sich für das neuerweckte Alterthum begeistert. Auch hier ist die entscheidende Wendung grell genug: durch einen Schlaftrunk und durch Brandlegung sucht ein Gelehrter, der seinen Ruf der Handschrift eines Werkes von Cicero verdankt, die insgeheim in seinen Besitz gekommen ist und mit deren Federn er sich geschmückt hat, den Ueberbringer einer Abschrift des klassischen Werkes aus dem Wege zu räumen. Der Plan wird allerdings vereitelt, und zwar in einer nicht ganz glaubwürdigen Weise, aber als treues Zeitgemälde ist die Erzählung von Interesse. – In der dritten Novelle, „Der heilige Sebastian“, begeistert sich ein schwärmerisches Mädchen Pia für das Kirchenbild eines Malers und für diesen selbst, der keineswegs den Preis der Schönheit in Anspruch nehmen kann. Da kommt das Modell, der heilige Sebastian selbst, der Jugendfreund des Malers, ein leichtfertiger Kardinal, und gewinnt das Herz des Mädchens, fällt aber als ein Opfer der Rache, die der Bruder an dem Verführer nimmt. Die Beschreibung des alten verfallenen Schlosses am Arno und des gefahrvollen nächtlichen Stelldicheins ist sehr lebendig. Hintergrund der freierfundenen Fabel ist der geistige Kampf in Florenz zwischen den Anhängern des Savonarola und seiner strengen Sittenlehre und dem Schönheitsinn der künstlerisch begeisterten, aber sittenlosen Anhänger der Medici. Durch die harmonische Darstellung bei aller grell flackernden Beleuchtung, besonders aber durch die Spannung in der Verkettung der Ereignisse werden sich diese Novellen zahlreiche Freunde erwerben.
Ganz andere Töne werden in der letzten Veröffentlichung von Isolde
Kurz angeschlagen. Es sind „Phantasien und Märchen“, kühn durchgeführte
Gedankenspiele voll sinniger Betrachtung, geistreicher Satire und
anmuthigen Humors, das alles in jener schlichten Redeweise, wie sie dem
richtigen Märchen eigen ist, vorgetragen. Man lese in dem kleinen Bändchen (ebenfalls bei Göschen erschienen) das „Sternenmärchen“ und man wird, wenn man daneben zurückdenkt an die „Florentiner Novellen“, erstaunen über die Vielseitigkeit dieser glücklichen Dichternatur.
†