Instinct oder Ueberlegung? (Die Gartenlaube 1874/18)

Textdaten
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Autor: W. Höpke
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Titel: Instinct oder Ueberlegung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 298
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[298] Instinct oder Ueberlegung? Als ich vor längerer Zeit eines Abends einen Spaziergang durch den Garten machte, hörte ich in dem nahen Hühnerhofe ein Toben und Lärmen von den betreffenden Insassen, daß ich auf den Gedanken kam, es könnte vielleicht ein hungriger Iltis in den Stall gedrungen sein. Ich öffnete also rasch, aber doch ziemlich leise die Thür und gewann bald die Ueberzeugung, daß in diesen kleinen Staat keine äußere feindliche Macht gedrungen sei, merkte aber eben so schnell, daß das Reich hier mit sich selbst uneins geworden sei. Auf dem Querbalken des Hühnerhauses saßen oder vielmehr standen sechszehn bis zwanzig Hühner in der größten Aufregung. An dem Ende des Balkens stand der stolze Herrscher, der Hahn, und theilte mit seinem Schnabel einem Unterthan seines Reiches solche empfindliche Schläge aus, daß derselbe gezwungen wurde, das Weite zu suchen. Unten standen sechs Küchlein, die durch ihre kläglichen Stimmen zu erkennen gaben, daß sie der Mutter entbehrten, und augenblicklich ruhig wurden, als sie in der verstoßenen Henne die eigene Mutter erkannten. Letztere mochte es für überflüssig erachten, ihre schützende Decke noch länger über die Jungen auszubreiten, und in der Voraussetzung, daß die Kleinen folgen würden, hatte sie den alten Platz oben wieder eingenommen. Der Hahn suchte nun der lieblosen Mutter durch seine handgreifliche Vermittlung die Mutterpflicht wieder zum Bewußtsein zu bringen. Jedoch kaum war die Henne unten, so suchte sie an der entgegengesetzten Seite einen neuen Platz für sich aus, und unten entstand natürlich derselbe Lärm wieder. Der Hahn machte sich nun zum zweiten Male mit noch derberen Schnabelhieben über die Henne her, so daß die Federn davon flogen. Natürlich mußte die Henne wieder hinunter, kam aber eben so rasch wieder nach oben und gab durch solches Benehmen ihrem Gemahle zu verstehen, daß sie unter keiner Bedingung gewillt sei, auf seine Anforderungen einzugehen. Was that nun der Hahn? Er handelte, wenn auch unbewußt, nach dem Sprüchwort: „Nachgeben stillt den Krieg“, flog hinunter, stellte sich in eine Ecke des Hühnerhauses und lockte mit seiner groben Baßstimme so lange, bis er die ganze Nachkommenschaft unter seine Flügel gebracht hatte, und Alles war ruhig.

Bei denjenigen Vögeln, welche paarig leben, wo also Männchen und Weibchen für die Jungen sorgen, wird solches Handeln nicht sonderlich auffallen, wohl aber muß es wunderbar erscheinen bei den Vögeln, welche nicht paarig leben, wo also die Pflege der Jungen ausschließlich der Mutter überlassen ist.

W. Höpke.