In einer persischen Turnhalle

Textdaten
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Autor: Julius Cäsar Häntzsche
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Titel: In einer persischen Turnhalle
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 28–30
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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In einer persischen Turnhalle.
Von Dr. J. C. Häntzsche.


Daß die Perser Turner sind, dürfte in Deutschland noch wenig bekannt sein. Wie lange sie diese Uebung treiben und durch wen das Turnen bei ihnen überhaupt eingeführt worden, vermag ich nicht anzugeben. Vermutlich stammt es, wie alles das wenige Gute, welches sie noch besitzen, aus der vorislamischen Zeit und ist vielleicht von den Griechen bei ihnen hangen geblieben, denn es steht, wie ihr ganzes Bischen Civilisation, die seit dem Eindringen des starren Islam keinen Schritt vorwärts gethan hat, noch auf einer sehr primitiven Stufe und findet sich, meines Wissens, bei anderen muhammedanischen Völkern nicht, wenigstens konnte ich bei den nomadischen Kurden und Turkmanen und bei den trägen Türken nichts davon entdecken. Plagen wir uns indessen nicht mit trockener Geschichte, sondern treten wir durch die niedrige Thür in das Turnhans (sorchane) ein, um uns das Treiben darin näher zu besehen.

Die Perser turnen nur bei nüchternem Magen, daher am frühen Morgen bei Tagesanbruch. Eine Ausnahme hiervon rücksichtlich der Zeit findet im Ramasan, dem muhammedanischen Fastenmonate, statt, wo bis Sonnenuntergang von Erwachsenen beiderlei Geschlechts durchaus nichts genossen werden darf, daher dann das Turnhaus nur erst eine und eine halbe Stunde etwa vor Sonnenuntergang besucht wird. Diese Zeit im Ramasan wählte ich, um das eine der beiden in der Stadt Rescht befindlichen öffentlichen Turnhäuser in Augenschein zu nehmen. Die Vornehmern daselbst sind jetzt theils zu sehr in ihren Vermögensverhältnissen zerrüttet, theils zu geizig, um sich ihre eigenen Turnlocale zu halten, von denen man wohl hin und wieder Spuren in verfallenden großen Häusern in Rescht, gut erhaltene Räume aber sonst in allen größeren Städten Persiens findet, in denen man persischer, d. h. ostentiöser ist, als in Rescht, wo Alle nur auf Geld noch etwas halten.

Schon außerhalb des fraglichen Locals, welches in einem elenden Basargebäude gelegen ist, tönte mir die bekannte monotone persische Handtrommel entgegen, und nachdem ich in den viereckigen niedrigen, durch ein Paar halb zerbrochene schmutzige Fensterchen matt erleuchteten dunstigen Raum mit gebücktem Kopfe eingetreten war, wäre ich beinahe über sie und einen Luti weggestolpert, welcher die bewußte Handtrommel über ein Kohlenbecken hielt, um die Feuchtigkeit aus dem schlaff gewordenen Felle zu verjagen und es dadurch beim Schlagen tönender zu machen, eine Manipulation, die bei jedem persischen Concerte in den feuchten kaspischen Provinzen alle 20–25 Minuten wiederholt werden muß, sollen nicht am Ende die Töne ganz stecken bleiben. Der Vorturner (Pehlewan), ein halbnackter hagerer Mollah mit röthlich gefärbtem Barte und stereotypem weißen Turban, entpfing mich und geleitete mich an dem einfachen Orchester, bestehend aus besagter Handtrommel und einem persischen Schellentamburin, vorüber nach dem Ehrenplatze dem Eingange fast gegenüber, wo ich mich mit gekreuzten Beinen (ein Vorrecht, welches nur Europäern und der Kadscharenfamilie öffenltich zukommt, während die Perser knieen, was für Europäer noch viel unbequemer sein würde, als das türkische Sitzen, an welches man sich leichter gewöhnen kann) an der Wand niederließ, um dem Turnen neben mir und vor und unter mir einige Zeit zuzuschauen.

Der eigentliche Turnplatz nämlich besteht in einer ziemlich großen, etwa mannshohen runden Vertiefung, die hier an den Seiten mit Backsteinen ausgekleidet, am Fußboden mit gelbem Sande beschüttet war. Die zwischen dieser Vertiefung und den schmutzigen vier Wänden hinlaufende schmale Erhöhung dient zum Einzelturnen oder zum Turnen mit den großen viereckigen Bretern, auf die ich weiter unten noch zurückkommen werde. In Teheran und in anderen größeren Städten in Persien soll die Vertiefung manchmal vieleckig und an den Seiten mit Filz ausgekleidet sein. Der Fußboden wird dort mit Reisig und Filzdecken, auf die man Sand aufschüttet, belegt, um ihn elastisch zu machen. Hier in Rescht bemerkte ich aber nichts von Elasticität; möglich, daß sie verloren gegangen war, wenn sie je bestanden hatte.

Zuerst stieg der halbnackte Mollah in den vertieften Raum, wohin ihm mehrere Turner folgten, Perser und Schwarze, fast alle in gleicher Naturtracht, d. h. in aufgestreiften oder kurzen blauen Baumwollenhosen, einige wenige in ganz kurzen Lederhosen, andere gar nur mit der rothblauen baumwollenen persischen Badeschürze bekleidet. Mit aufgehobenen Händen und Zeigefingern hüpften sie, ähnlich wie man bei uns den Chinesentanz nachahmt, im Gänsemarsche, Einer nach dem Andern, im Raume rund herum, indem sie dabei die Beine abwechselnd stark anzogen und in den Knieen beugten, die Hände ebenso abwechselnd erhoben und senkten. Dieser Einleitung folgte zu je Zweien das Ringen der Pehlewan, welche, wie die Widder bei ihren Kämpfen, stets mit den Köpfen beginnen, die sie sich in die Achselgegend gegenseitig einsetzen, und mit dem Rücken endigen, auf den der überwundene Gegner zu liegen kommen muß. Außerdem hat das Ringen nichts Besonderes, nur kommt es hierbei nicht sowohl auf die Kraft an, als mehr auf gewisse von den Pehlewan eingelernte Kniffe oder Kunstgriffe, die oft in unehrlicher Weise angebracht werden. Nach den Ringern producirten sich Einige ebenfalls paarweise mit den ungeschickten hölzernen Mil, schweren Keulen mit kurzen Griffen, die etwa unseren Handeln entsprechen, nur daß sie bei weitem größer sind, die sie aber recht geschickt zu handhaben wissen. Sie drehen erst eine in weitem Bogen herum, dann mit der anderen Hand die andere, hierauf beide zusammen. Endlich schwingen sie beide abwechselnd über dem Kopfe, und Manche gehen so weit, diese unbeholfenen Klötze in die Luft zu schleudern und sie dann ganz geschickt an dem kurzen Stiele wieder aufzufangen. Zwei kurze, kräftige schwarze Luti besaßen hierin sowie im Ringkampfe ganz besondere Fertigkeiten und stachen die eigentlichen Perser weit aus.

Währenddem turnten die Einzelnen auf dem oberen Raume, der mir dazu viel zu schmal und zu beengt erschien. Einige stemmten sich auf Füße und Hände zugleich, den Kopf nach vorn und häufig nach unten, und machten so vom Platze aus Vor- und Rückwärtsbewegungen, manche mit Ein- und Ausbeugen des Rückgrats zugleich, ähnlich wie bei unserer Bauchriege. Andere bedienten sich stehend oder auf dem Rücken liegend je zweier großer, länglich viereckiger schwerer Breter, ähnlich großen Holzschilden, die in der Mitte mit einem Loche versehen sind, in dem ein Querholz als Handhabe steckt. Diese Breter suchten sie mit ausgestreckten Armen einander zu nähern und von einander zu entfernen, wobei sie liegend den Fußboden mit ihnen berührten, stehend die Arme nach hinten zogen, so weit sie konnten.

Fast alle diese einfachen, zum Theile höchst schwerfälligen Uebungen können allerdings einen directen Einfluß vorzugsweise auf Kräftigung der Streck- und Beugemuskeln der Extremitäten und der Brustmuskeln ausüben. Die übrigen Körpertheile nehmen meist nur indirect an diesen Vorgängen Theil, und es sind daher vom persischen Turnen bei weitem nicht die Vortheile zu verlangen, die man vom schwedischen oder deutschen Turnen hoffen kann. Zudem wird dasselbe planlos und ohne ärztliche Indication getrieben, wiewohl es die persischen sogenannten Aerzte manchmal als Kräftigungsmittel nach erschöpfenden Krankheiten und bei Verdauungsbeschwerden anrathen sollen, wie sie auch das Kneten der Weichtheile in und außer den Bädern zuweilen verordnen, Beides natürlich ohne anatomische, physiologische und pathologische Kenntnisse.

Indessen bleibt es ein nicht zu verwerfendes Hülfsmittel für den europäischen Arzt, nach vollständig oder bei großentheils geheilten Lähmungen, zur Unterstützung des Chinins und Eisens bei Wechselfieberkachexieen, bei starken Milzanschwellungen nach Wechselfiebern u. s. w., und in diesen Fällen habe ich mich desselben oft mit Vortheil bei meinen persischen Kranken bedient. Denn ihnen eine Gymnastik zumuthen zu wollen, wie sie z. B. in Dr. Schreber’s vortrefflichem Werke enthalten ist, nach welchem ich dortige europäische Kranke im Zimmer turnen ließ, würde heißen, sich bei dem Perser lächerlich, folglich unmöglich machen. Ohnehin lauert er jeder Bewegung des Europäers auf, um ihr etwas in seinen Augen Lächerliches, weil Rasches oder ihm Ungewohntes, abzulauschen. Das Bewegen und Reiben der Gelenke und das Drücken, Reiben und Kneten des ganzen Körpers oder einzelner leidender Körpertheile in und außer den warmen Bädern, eine Art passiver Gymnastik, sind ausgezeichnete Mittel in manchen Gelenkkrankheiten und in Fällen, wo es darauf ankommt, ohne gleichzeitige große Ermüdung des Patienten, die peripherische Blutcirculation zu bethätigen und dadurch namentlich die Haut zu vermehrter Thätigkeit anzuregen, und [29] sie verdienten in Europa zu gleichen Zwecken weit mehr nachgeahmt zu werden, als dies bis jetzt geschieht.

In einer persischen Turnhalle.

Die Pehlewan, deren ich vorhin erwähnte, sind Ringer von Profession, und jeder Reiche oder Hochgestellte hält deren einen oder mehrere, um sich von ihnen etwas vorbalgen zu lassen. Auch sie kommen in Rescht mit dem Verfalle des Privatturnens immer mehr in Abnahme, und die wenigen, die noch vorhanden sind, gehören zu der Classe der Luti, d. h. der Lustigmacher, Musikanten, Tänzer, Sänger, Taschenspieler etc., die alle bei den Persern in demselben Rufe und Ansehen stehen, wie vor alten Zeiten bei uns etwa die Schauspieler. Daß auch Schwarze in den Turnhäusern mit turnen, könnte den Europäern auffallen, die da wähnen, daß der schwarze Sclave in Asien in demselben Abhängigkeitsverhältnisse zu seinem Herrn stehe, wie der schwarze Sclave in Amerika. Letzteres ist keineswegs der Fall, und die schwarzen Sclaven beiderlei Geschlechts, zumal wenn sie schon von Jugend auf in demselben Hause leben, gehören eben so gut zu der patriarchalischen Familie des Muhammedaners, wie die übrigen Diener, unter denen die älteren, weiße und schwarze, manchmal sogar einen großen Einfluß erlangen. Uebrigens giebt es sehr viele freigelassene Schwarze, und sie mit ihrem heiteren Naturell wenden sich dann häufig den freien Künsten zu, d. h. sie werden Luti. Und die Luti sind ja auch die Hauptbesucher der öffentlichen Turnhäuser. Daß Frauen und Mädchen von jeder Art Turnens gänzlich ausgeschlossen sind, versteht sich bei Muhammedanern von selbst. Der weiblichen Luti giebt es bei weitem weniger, und sie produciren sich nur in dem Harem.

Nachdem sich die Leute erhitzt und bei dem glühenden Kohlenbecken und dem furchtbaren Dunste in der Maihitze in Schweiß gebracht hatten, rieben sie sich gegenseitig trocken, zogen sich an und gingen hinaus, um beim Sonnenuntergange ihr Galjan (persische Wasserpfeife) zu rauchen, dann zu trinken und zu essen; ich aber war froh, diesem Schwitzbade, obwohl ich nur ruhig dort gesessen hatte, zu entkommen und nach Entrichtung eines freiwilligen Geschenkes von einem Toman (persischer Ducaten) wieder frische Luft zu schöpfen. Seitdem hat mich auch Niemand wieder in ein solches Loch bringen können.

Andere Turnübungen, außer den oben erwähnten, werden regelmäßig nicht vorgenommen. Klettern können die Perser fast gar nicht. Voltigiren ist ihnen unbekannt, ebenso Springen über Erhöhungen. Im Laufen leisten nur die Soldaten, die meist türkische Nomaden sind, Vorzügliches und die Bewohner der kaspischen Küsten, unter ihnen besonders die Gilaner. Auch Fußboten leisten hierin, wenn sie wollen oder müssen, manchmal Außerordentliches. Zum Springen über Gräben oder über Felsenrisse zwingt die Natur ihrer Heimath die leichten, mageren Gilaner und die kräftigeren Bewohner der unzugänglicheren Gebirge. Tanzen wird gar nicht geübt, da es Sache der Luti, also lächerlich und unanständig ist, selbst zu tanzen. Unanständig und, mit Ausnahme [30] etwa des Schaltanzes, ungraziös werden alle orientalischen Tänze auch von den Europäern gehalten werden müssen. Während derselben angebrachte Kunststücke, Verdrehungen des Körpers, Purzelbäume u. s. w. können das Interesse daran nicht erhöhen. Seiltanzen ist den Persern ebenfalls gänzlich unbekannt. Ueber schmale Stege passiren aber Sumpf- und Bergbewohner leicht und sicher. Was das Schwimmen anlangt, so sind, bei dem Mangel größerer Flüsse, die Perser darin sehr schlecht beschlagen. Die wenigen Gilaner, welche sich über dem Wasser zu halten vermögen, schwimmen nicht, sondern pudeln eine kurze Strecke entlang, aber nie in grundlosem oder in sehr bewegtem Wasser. Auf dem Rücken sah ich keinen Perser schwimmen. Wassertreten kennen sie auch nicht. Die in Afrika geborenen Schwarzen schwimmen meist auf dortige Manier, indem sie Wasser tretend mit den Armen abwechselnd weit ausgreifen, was, wenn auch rascher, als unser gewöhnliches (preußisches Frosch-) Schwimmen, nicht lange aushält. Bei uns pflegt man dieses Schwimmen mit der Bezeichnung „griechisches“ zu belegen. Im Rudern, Steuern und Segeln haben es die Perser nicht weiter gebracht, als ihre Vorfahren, und sie sind hierin mit den Tataren und Turkmanen, besonders aber mit den sehr gewandten Kalmücken, gar nicht zu vergleichen. Auch führen sie noch die schwerfälligen Schiffchen und die herzförmigen Ruder der classischen Zeiten. Die Perser besitzen wohl erbliche Admirale, aber keine Flotte, und für sie im Allgemeinen mehr, als für Andere, hat das Wasser keine Balken. – Schlittschuhlaufen ist bei Eismangel gänzlich unbekannt, ebenso Schlittenfahren. Wagen- und Kanonenfahren wird sehr wenig geübt. Ihr Reiten halten die Perser zwar für das beste in der Welt, allein es taugt nur etwas hinsichtlich der Ueberwindung bedeutender Terrainhindernisse und der Ausdauer, worin sie jedoch von ihren vortrefflichen Pferden noch übertroffen werden. Wie erbärmlich sie als Soldaten sind, ist den europäischen Exercirmeistern bekannt. Reihe und Glied sind ihrer Natur zuwider. Schießen können sie wohl, treffen aber nur, wenn sie einen festen Stützpunkt haben; dann aber zielen sie sehr sicher. Fechten wird nicht geübt. Mit ihrem geraden Kame stechen sie besser, als sie hauen, mit den krummen Säbeln aber können sie es mit keinem europäischen halbwegs guten Cavaleristen aufnehmen. Die persische Artillerie kann, wie die türkische, nur hinter festen Verschanzungen gefährlich werden.

Meines Wissens findet sich bis jetzt noch in keinem europäischen Reisewerke über Persien eine Beschreibung des persischen Turnens, und es dürfte geradezu auffällig erscheinen, daß selbst der bekannte Chevalier Chardin, der in seinem bändereichen Reisewerke die persischen Verhältnisse bis in’s Kleinste verfolgt hat, die Gymnastik der Perser als solche gänzlich übersehen zu haben scheint, wenn man nicht einen Grund dafür darin vermuthen könnte, daß doch erst die neuere Zeit dem Turnen überhaupt die Beachtung hat zu Theil werden lassen, die es verdient.