Textdaten
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Autor: Carl Stieler
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Titel: In der Rast
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aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 584
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[584]

     In der Rast.
     Ein Gruß aus den Bergen zum Sedantage.
     (Oberbairische Mundart.)


So schön, wie heunt, war’s dengerscht[1] nie im Schlag,[2]
So frisch und kühl, koa Wölkei umadum.[3]
Es geht der Bergwind in die F(e)ichten drin;
Am Wendelstoa’ is d’ Sunna scho’ herobn,

5
Und drunt im Kahr sie(c)ht ma’ a grüne Alm.


Da hat a Holzknecht g’arbeit’t in dem Schlag,
An Brustfleck off’[4] und d’ Hacken in der Hö(c)h,
Daß’s weithin hallert[5] bei an jeden Stroach.
All’s is voll Bleaml no’(ch) und lautern Thau;

10
Jetzt klopft a Specht; jetzt schlagt a Drossel droben;

A Re(c)h kimmt ’raus – und na is wieder staad …
Und nix mehr hörst, als wie die Scheiter krachen.
Seit viere fruah scho’ is der Holzknecht auf;
Jetzt rast’t er aus und setzt si(ch) auf an Stoa’

15
Und wie’s so still is, alles umadum,

Wird’s ihm ganz seltsam auf amal im G’müth.

Heunt san’s acht Jahr; heunt an dem nämli’n Tag.
Da is er draußten g’standen, draußt im Feld,
Bei Sedan hoaßt man’s. – Hunderttausendweis

20
War’n da Soldaten, alles schwarz vor Leut’.

Da hat er’s g’hört, wie's g’schrien und g’achezt[6] habn,
Wie s’ g’sungen habn auf d’ Nacht bei ihre Feuer;
Da hat er’s g’seh(g)n, wie s’ tausend-tausendweis
Die Todten trag’n, und Fahnenwerk und G’schütz

25
Mit weiße Roß’ – und an Franzosenkaiser

Ganz z’sammabrochen … wie der fortg’führt wird.

Der Holzknecht sitzt in seine Bloama[7] drin;
Er kann’s nit glaubn; es is, als hätt’s ihm ’traamt[8].
Er lupft an Aermel von sein Hem(e)d auf

30
Und sie(c)ht sein Schuß – den hat er dorten kriegt.

Sein spitzig’s Hütl mit ’n Gamsbart drauf.
Dös thuat er abi – er war aa dabei.
Luus[9] – drunten läut’s. Jetzt wandeln’s[10] scho’ im Dorf.
Er hat as Beten und as Kirchengehn

35
Wohl oft versaumt, heunt aber kimmt’s ihn an;

Es war koa Vaterunser nit, wie sunst,
Und dengerscht g’spürt er’s, dengerscht woaß er’s g’wiß:
So hat er nie in koaner Kirch’ no(ch) bet’.
Und all’s, wie’s g’west is, kimmt da drinna für:[11]

40
Er sie(e)ht die hunderttausend Leut im Feld,

Es hat der oane nit den andern kennt,
Und is do(ch) oaner für den andern g’storb’n.
Weit is ihr Sprach’ und Heimath auseinand,
Und do(ch) habn’s g’wißt – mir alle g’hören z’samm’!

45
Acht Jahr san’s heut – es waar’ ihm wohl der Tag

Um Geld und Gut, um Haus und Hof nit feil.

As Läuten drunt, es is scho’ lang vorbei.
Er setzt sei Hütl mit’n Gamsbart auf
Und nimmt sei’ Hacken und geht an sein Baam.[12]

50
Es rauscht der Bergwind in die F(e)ichten drin;

Es klopft der Specht; es schlagt a Drossel droben;
All’s is voll Bloama und voll lautern Thau – –
So schön, wie heunt, war’s nie no(ch) in sein’ Schlag.

     Tegernsee, 1878.
 Carl Stieler.


  1. doch.
  2. Holzschlag, der ausgelichtet wird.
  3. ringsum.
  4. mit offener Brust.
  5. hallt.
  6. wehrufen (die Verwundeten).
  7. Blumen.
  8. geträumt.
  9. horch.
  10. die Wandlung in der Messe feiern.
  11. kommt in seiner Andacht, in seinem Gebete vor.
  12. zu dem Baum zurück, den er eben fällt.