In der Dresdner Pioniercaserne

Textdaten
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Titel: In der Dresdner Pioniercaserne
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aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 676–677
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Soldatentod in Dresden
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In der Dresdener Pioniercaserne.


„Zu spät!“
Originalzeichnung von Herbert König.

Es war eine lange Reise gewesen, welche die alte Dame gemacht hatte, tief aus Ungarn heraus bis nach Dresden, und eine Reise doppelt und dreimal so lang durch das Leid und die Sorge, die sie erfüllten, denn ihr einziger Sohn, ein junger Fähndrich, lag, in Böhmen verwundet, mit vielen seiner Cameraden in der ehemaligen Pioniercaserne, die jetzt zum Lazarethe umgeschaffen war. Aber – mit matter Hand hatte er es selbst der bangenden Mutter hingekritzelt: „jetzt geht’s schon besser, lieb’ Mütterchen, und bald kann ich aus dem Bett und dann, sowie mich der Doctor läßt, bin ich bei Dir.“

„Und so steigt sie, das Herz zum Springen voll von Angst, aber auch von Hoffnung, vor dem Schmerzenshause aus. Vor der Thür und auf der Flur sitzen plaudernd und rauchend Gruppen von Soldaten umher, die schon das Schwerste überstanden haben [677] und bald als genesen entlassen werden sollen; ob da wohl ihr Sohn darunter ist? Sie sieht und späht, und das Mutterauge ist scharf wie kein anderes – ihr Joseph ist nicht dabei!

„Draußen in der Zeltstation, gnädige Frau,“ antwortet zögernd der Arzt, den sie im Bureau nach dem Blessirten fragt. Er ist verlegen und seine Worte kommen ihm nur stockend über die Lippen, denn in der Zeltstation liegen nur die, welche am Schwersten verwundet sind. Sie beachtet’s nicht, ein einziger Gedanke beschäftigt ihre Seele. Sie wankt, doch nur einen Augenblick. Dann geht sie eilenden Schrittes neben dem Diener her, der ihr den Weg nach dem Lufthause weist. Sie tritt ein. Eben breitet eine barmherzige Schwester eine Decke über eines der nächststehenden Betten.

„Wo? … wo … liegt Fähndrich … ?“ fragt die Dame hastig. „Bitte, Liebe, führen Sie mich an sein Bett … ich bin seine Mutter.“

Schweigend sieht die Nonne die ungestüm Drängende an. „Zu spät, Mutter!“ spricht sie dann tonlos. Mit abgewandtem Gesichte weist sie nach dem Lager hin, auf dem sie soeben den ewigen Schläfer in das Todtentuch gehüllt hat.

Ein herzzerreißender Schrei, wie er nur einer Mutterbrust entströmen kann, durchzittert den stillen Raum – und schmerzgebrochen liegt die Mutter neben der Leiche ihres Sohnes. –

Wir erzählen keine erfundene Geschichte, wenn wir auch den Namen der Dame und ihres Sohnes nicht nennen und nur angeben wollen, daß dieser als Fähndrich dem österreichischen Regiment Prinz von Holstein angehört hatte. In den stillen Häusern, in welchen die todeswunden Kämpfer ächzen und fern von ihrer Heimath und von ihren Lieben in namenloser Qual den letzten Seufzer aushauchen, – dort haben sich Scenen abgespielt, wie sie erschütternder die Phantasie keines Dichters ersinnen kann, Scenen, vor deren Tragik das Herz wie vernichtet still steht.

„Ich habe Entsetzliches erlebt,“ erzählte uns später jene barmherzige Schwester, „in den Monaten, welche ich nun hier im Lazarethe bin, Schmerzlicheres aber als dies Zu spät! der unglücklichen Mutter ist kaum an mich herangetreten. Noch Stunden lang kniete sie neben den theuren Resten des geliebten Sohnes, bis ich sie endlich sanft am Arme nahm. Ruhig ließ sie sich hinausführen, das Auge voller Andacht gen Himmel gerichtet. ‚Dort‘, lispelte sie kaum hörbar, ‚dort oben, mein Joseph, komm’ ich nicht zu spät.‘ Stumm drückte sie mir dann die Hand und stumm ging sie aus dem Zelte, wo sie ihr ganzes Glück zurückließ.“