Textdaten
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Autor: Wilhelm Keihl
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Titel: In der Bahnpost
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aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 706–710
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[706]
In der Bahnpost.


Die für Jedermann leicht verständliche Bezeichnung: Bahnpost, Post auf der Bahn, ist erst vor Kurzem an die Stelle des früheren Namens: Eisenbahnpostbureau, getreten. Die letztere Bezeichnung ist mithin einer jener Ausdrücke, mit welchen, als der Ausbreitung und Verallgemeinerung des Postinstituts zuwider, der Generalpostdirector Stephan kurzen Proceß gemacht hat. Es ist auffallend, wie sich Bezeichnungen, wie Declaration, Assecuranz, Procura, recommandirt, poste restante etc. eine so lange Zeit halten konnten in einer Verkehrsanstalt, deren Aufgabe es ist, sich dem ganzen Volke zugänglich zu machen, deren höchstes Ziel also sein muß, ein Volksinstitut im weitesten Sinne des Wortes zu werden.

Um nun einen Blick in den Hergang und das rege Treiben in der Bahnpost zu thun, wolle der Leser mich auf einer Fahrt von Berlin nach Breslau, auf welcher Route ich mehrere Jahre hindurch den Bahnpostdienst versehen habe, im Postwagen begleiten, und zwar wählen wir den elf Uhr Abends in Berlin abgehenden Courierzug, auf welchem die meiste Correspondenz zusammentrifft. Damit wir den Postwagen ungestört in Augenschein nehmen können, begeben wir uns schon gegen sieben Uhr in denselben, denn bald nachher findet sich bereits das Begleitungspersonal ein. Der Wagen besteht aus zwei Räumen; der erstere kleinere dient hauptsächlich für die Empfangnahme und Abgabe der Postsachen; der weit größere zweite Raum macht das eigentliche Expeditionszimmer aus und entspricht im Wesentlichen einem solchen bei einer Ortspostanstalt. Vor Allem machen sich mehrere große Sortirspinde mit einer Anzahl von Fächern bemerklich; wir zählen deren gegen hundertfünfzig, ungerechnet die viel größeren Fachwerke am Boden des Wagens, welche zur Aufbewahrung der angefertigte Briefbunde dienen.

Zu beiden Seiten des Wagens, an einer Stelle, welche dem Blicke des Sortirbeamten am meisten ausgesetzt ist, befindet sich je ein Briefkasten mit einer kleinen Glasthür, so daß die hineingelegten Briefe sogleich bemerkt werden müssen. Ein in einer Ecke abgestellter eigenthümlich construirter Ofen von Eisen strömt eine behagliche Wärme aus; ihm gegenüber ladet ein bequemer Eckstuhl zur süßen Ruhe ein, unter den hier obwaltenden Verhältnissen nicht ohne einen Anflug von Ironie. Die Erleuchtung des Wagens erfolgt durch Gas. Der Boden ist mit einem gegen Kälte von unten schützenden Teppiche belegt. Im Ganzen macht der Wagen einen gemüthlichen Eindruck. Das Begleitungspersonal besteht aus vier Beamten und zwei Unterbeamten. [707] Dank der Humanität des Generalpostdirectors Stephan, welcher das straffe Uniformwesen auf das Allernöthigste beschränkt hat, dürfen die Beamten die Fahrt in Civilkleidern zurücklegen. Man muß wissen, was es heißt, zehn bis zwölf Stunden zur heißen Jahreszeit in einem so engen Raume auszuhalten und dabei in höchster Anstrengung arbeiten zu müssen, um jede anscheinend auch noch so geringe Erleichterung als eine Wohlthat zu begrüßen.

Gleich nach dem Eintreffen der Beamten langt der erste Brieftransport vom Berliner Hauptpostamt an. Die Beutel werden eiligst geöffnet, und es beginnt nun ein wahres Schnellfeuer, um die Briefe in die für sie bestimmten Fächer zu bringen. Die Schnelligkeit, mit welcher das Sortirgeschäft ausgeführt wird, imponirt, besonders wenn man sich von der großen Sicherheit desselben überzeugt hat, und wenn man die Größe des Gebietes in Betracht zieht, auf welches sich die Thätigkeit der Sortirbeamten erstreckt; denn dasselbe umfaßt den ganzen südöstlichen Theil des Königreichs Preußen, Südrußland, fast ganz Oesterreich, Ungarn, Italien, Rumänien, die Türkei, Griechenland, Aegypten, Asien und Australien.

Von dem Betriebe dieser Bahnposten wird man sich eine Vorstellung machen können, wenn ich erwähne, daß dieselben directe Briefposten nach Odessa am schwarzen Meere absenden. Die Vielseitigkeit des Expeditionsdienstes folgt aber auch daraus, daß die Correspondenz nach sehr vielen an Seitencoursen gelegenen Orten fast bei jedem Zuge auf einen anderen Uebergangspunkt zu leiten ist. Es gehört in der That keine geringe Aufmerksamkeit dazu, eine so complicirte Spedition, auch während der höchsten Eile des Sortirens, mit der hier nöthigen Präcision im Geiste festzuhalten.

Nach dem Gesagten leuchtet es ein, welch großer Vortheil es für den Postbeamten und speciell für den in der Bahnpost beschäftigten Beamten ist, wenn der Name des Bestimmungsortes recht deutlich auf dem Briefe angegeben ist; ebenso ist es klar, daß es unerläßlich ist, unbekanntere Orte, auch wenn sich daselbst Postanstalten befinden, auf irgend eine geeignete Weise auf der Adresse des Briefes näher zu bestimmen, denn wenn sich auch der Postbeamte in die hochgehenden Wogen eines umfangreichen Bahnpostdienstes ohne einen reichen Schatz geographischer Kenntnisse gar nicht hineinwagen kann, so wird man doch füglich nicht erwarten können, daß er über die Lage eines jeden auch noch so unbedeutenden Ortes orientirt ist. Meist unterbleibt eine nähere Bezeichnung deshalb, weil der Absender die Bedeutung des Adreßortes nach derjenigen bemißt, welche sie für ihn hat. So mag beispielsweise der Name Skaisgirren für den Absender eine kleine Welt in sich begreifen, eine geographische Ignoranz wird es aber seitens des in einer rheinischen Bahnpost thätigen Postbeamten noch lange nicht bekunden, wenn derselbe über die Lage dieses Oertchens nicht hinreichend unterrichtet ist. Hiernach richte man sich! Unterlassungen werden sich sehr häufig durch Verzögerungen strafen.

Während noch auf das Emsigste an der Bewältigung des ersten Brieftransports gearbeitet wird, trifft bereits ein zweiter und dritter ein. Es geht dies mit kurzen Unterbrechungen bis zum Abgange des Zuges so fort. Wehe, wenn nun noch, neben dem gewöhnlichen Verkehr, als reine Zugabe eine Fluth von Streifbandsendungen mit Lotterie-Offerten über die Beamten hereinbricht und den Muth derselben erschüttert!

Um elf Uhr setzt sich der Zug in Bewegung. Auf den Betrieb im Postwagen übt dies keinen Einfluß aus. Hier wird mit derselben Hast weiter sortirt und mit derselben Eile das Einschreiben der einzutragenden Gegenstände fortgesetzt wie vorher. Nur greifen die Beamten beim Schreiben zu kleinen mit Tuch überzogenen Holztafeln, welche ihnen, indem sie dieselben mit der linken Hand in der Schwebe halten, als Schreibtisch dienen. Es gehört einige Uebung dazu, bis man die hier nöthige Fertigkeit im Schreiben erlangt hat.

Die Expeditionsgeschäfte vertheilen sich auf die einzelnen Beamten derart, daß zwei von ihnen ausschließlich sortiren, der dritte die sortirten Briefe zu Kartenschlüssen vereinigt und die eingeschriebenen Briefe bearbeitet und der vierte die Umschreibung der Geldbriefe und Werthpackete besorgt. Von den zwei Unterbeamten, welchen die Ausführung der untergeordneten Geschäfte obliegt, ist der eine fast ausschließlich mit dem Abbinden der Briefe in Bunde beschäftigt. So leicht dieses Geschäft an sich auch ist, so treibt doch die große Eile, mit welcher dasselbe geschehen muß, dem Manne die Schweißtropfen in’s Gesicht, und wir werden mit ihm ärgerlich, wenn wir Briefe bemerken, welche sich ihrer Unförmlichkeit wegen diesem Zwange durchaus nicht fügen wollen. Auch einen dreieckigen Brief erblicken wir: gewiß ein Liebespfeil, von recht schwieliger Hand abgesandt. Ihn sowohl, wie ein zierliches billet doux rettet der aufmerksame Blick des Beamten vor den verhängnißvollen Folgen einer Verbindung, welche sie mit einer der hierzu besonders geneigten Streifbandsendungen eingegangen waren. Wenn doch das Publicum solche, die Existenz seiner Briefe ernstlich bedrohende Extravaganzen unterlassen wollte!

Werfen wir jetzt einen Blick auf die Thätigkeit des Beamten, welchem die Umarbeitung der Geldbriefe obliegt! Das Verfahren, nach welchem derselbe arbeitet, ist eine Stephan’sche Schöpfung und besteht erst seit einigen Jahren. Die Einführung desselben galt seiner Zeit als ein kühner Schritt; jetzt hat eine mehrjährige Erfahrung es längst als berechtigt und wohlgelungen erklärt. Das Bahnpostpersonal fühlt sich durch dasselbe erleichtert und mehr gesichert, und das Publicum erfreut sich des hieraus entspringenden Vortheils einer durchweg unaufgehaltenen Geldbriefbeförderung. Sehen wir uns die einzelnen Geldbriefe etwas näher an, so fällt uns auf, daß noch immer eine so große Anzahl mit Beträgen bis zweihundert Mark, ja sogar bis hundert Mark, mit fünfzig Pfennigen frankirt ist. Sicher enthält nicht der zehnte Theil dieser Briefe sogenannte wilde Cassenscheine. Bei den allermeisten derselben hätten also durch Anwendung einer Postanweisung dreißig oder doch zwanzig Pfennige erspart werden können. Deshalb merke man: bei Geldbeträgen bis zweihundert Mark und Entfernungen von mehr als zehn Meilen sind Postanweisungen in Anwendung zu bringen. Dies gewährt unter Umständen noch den Vortheil einer schnelleren Beförderung, da sich nicht jeder Zug mit der Beförderung von Geldbriefen befaßt. An dieser Stelle bietet sich Gelegenheit, auf die immer noch viel zu wenig bekannte schnellste Art der Geldübermittelung, die Depeschenanweisungen – Anweisung von Geld durch eine telegraphische Depesche – aufmerksam zu machen.

Das Signal der Locomotive ertönt; wir fahren in den Bahnhof von Fürstenwalde ein. Eiligst wird das letzte Briefbund für diese Station formirt und der Beutel geschlossen. Mit Abgabe desselben tritt eine wesentliche Entlastung der Bahnpost nicht ein; denn an Stelle der abgewiesenen Correspondenz tritt diejenige aus Fürstenwalde und den mit diesem in Verbindung stehenden Orten. Und so geht es fort; auf jeder Station Abgabe und Empfangnahme von Briefbeuteln. Bekanntlich halten die Courierzüge nur an den größeren Stationen; die Bewohner der zwischenliegenden kleineren Orte dürfen jedoch betreffs der Mitsendung ihrer Briefe ganz außer Sorge sein. Je nach dem Gange der anderen Züge wird die Correspondenz dieser Orte dem Courierzuge entweder entgegen- oder vorausgesandt, und wo es gar nicht anders gehen will, kommt es der Postverwaltung nicht darauf an, zu ganz außergewöhnlichen Maßnahmen zu greifen, um dieser Briefe während der Fahrt habhaft zu werden. Zu diesem Zwecke ist nämlich am Postwagen ein Drahtnetz angebracht, durch welches der Briefbeutel bei der Durchfahrt durch den Bahnhof von einem dort aufgestellten Pfahle abgestreift und in den Postwagen gezogen wird. Auch mit der Abgabe von Briefen während der Fahrt befassen sich die Bahnposten, indem die Briefbeutel einem im Bahnhofe darauf wartenden Postunterbeamten zugeworfen werden.

Beim Schließen des Briefbeutels für eine der nächsten Stationen wird unsere Aufmerksamkeit auf eine besondere Species von Postsendungen, die Waarenproben, hingelenkt. Was giebt es da für kunterbunte Sachen! Kleine Taschen mit Kaffee, Mehl, Farin, Getreide, Sämereien und allerhand Gräupnereien, kleine Packete mit Mustern aller nur erdenklichen Stoffe, Holzbretter, die verschiedenartigsten Maschinentheile, kleine Säcke mit Korken, Kästchen mit künstlichen Blumen u. dgl. m. Die seltsamste aller dieser Sendungen kam mir aber vor etwa zwei Jahren in die Hände. Als ich damals eine solche Sendung bezüglich ihres Inhalts prüfte, war ich nicht wenig erstaunt, ein sehr hübsches Exemplar einer Lacerta viridis – grüne Eidechse – darin vorzufinden.

[708] Der Adressat dieser Sendung, welchem, wie ich weiß, dieses Blatt vor Augen kommt, wird sich beim Lesen dieser Zeilen eines Lächelns kaum erwehren können.

Bei Erwähnung der Waarenprobensendungen möchte ich auf einen Uebelstand aufmerksam machen, dessen Abstellung auch im Interesse der Correspondenten erwünscht ist. Es geht nämlich kein Zug in die Welt, wo nicht eine oder mehrere dieser mit feinkörnigem Inhalte oft viel zu überfüllten Täschchen zerreißen, so daß der Packtisch der Bahnposten oft wie übersät aussieht. Da die Zeit für eine umständliche Verpackung meist nicht vorhanden ist, so kann es sich ereignen, daß ein solches Täschchen völlig leer am Bestimmungsorte eingeht. Eine ausreichende Verpackung dieser Sendungen sei also hiermit dringend empfohlen.

Nachdem wir Guben passirt, tritt auf der Station Sommerfeld ein Reisender an den Postwagen und bittet um Ablassung einer Postkarte. Sie wird ihm bereitwilligst gewährt; denn auch mit dem Verkauf von Postkarten, Freimarken und Briefumschlägenbefassen sich die Bahnposten. Diese Einrichtung kann dem Reisenden unter Umständen von großem Nutzen sein, nur muß er es nicht machen wie der eben erwähnte Reisende, welcher die Postkarte auf einer der nächsten Stationen in den Briefkasten der Bahnpost steckt, aber die Adresse anzugeben vergessen hat.

Uebrigens kommt die Einlieferung von Postkarten ohne Adresse gar nicht so selten vor; habe ich doch fünf bis acht solcher Fälle in Erinnerung. Und die Moral? Man gewöhne sich daran, bei Benutzung von Postkarten immer zuerst die Adresse zu schreiben; den Text wird man nicht vergessen.

Während der kurzen Haltezeit in Liegnitz wird nach Bahnhofsbriefen gefragt. Da auch diese Einrichtung neu und noch sehr wenig bekannt ist, möchte ich sie dem Leser nicht unerklärt lassen. Es ist nämlich gestattet, für den Preis von zwölf Mark pro Monat, sich täglich von einem bestimmten Absender einen Brief schicken zu lassen, welcher nicht erst an die Postanstalt des Bestimmungsortes zu gelangen braucht, sondern dort schon auf dem Bahnhofe durch das Uebergabe-Personal der Ortspostanstalt in Empfang genommen werden kann. Da diese Einrichtung eine feststehende tägliche Correspondenz zwischen zwei bestimmten Personen voraussetzt, so wird sich deren Benutzung freilich nur für Wenige eignen.

Zum letzten Male auf unserer Reise ertönt die Dampfpfeife; wir fahren sechs, ein halb Uhr früh in den Bahnhof von Breslau ein. In den Coupés recken und strecken sich die Reisenden auf den weichen Polstern und gähnen laut auf: „Wie war die Reise doch so anstrengend!“ Und der Postbeamte, welcher dieselbe stehend zurückgelegt, welcher elf Stunden ohne jede Unterbrechung mit höchster Anstrengung gearbeitet hat? Krankhaft aufgeregt sucht er seine Behausung auf und theilnahmlos für seine Umgebung und oft ohne sich zur Einnahme einer Erfrischung entschließen zu können, sinkt er auf sein Lager. Wie hat mich der Traumgott in solchen Nächten oft geängstigt[1] und mich die Reise im Schlafe fortsetzen lassen! Bald spiegelte er mir vor, ich sei rückständig mit meinen Arbeiten auf der Station angekommen oder habe ein Bund oder einen ganzen Beutel mit Briefen über die Abgabestation hinaus mitgenommen, auch ängstigte er mich wohl gar mit dem Fehlen eines Geldbeutels. – Von weit geringerer Aufregung ist natürlich der auf Tagesstunden fallende Fahrdienst.

So etwa ist eine Fahrt in der Bahnpost, bei welcher Alles seinen regelmäßigen Verlauf nimmt. Aber es giebt Reisen, wo sich zu den gewöhnlichen Schwierigkeiten noch andere gesellen, welche als unübersteigliche Hindernisse angesehen werden könnten. Hier ein Beispiel:

In einer Decembernacht des Jahres 186– begleitete ich den Courierzug Breslau-Berlin, dessen Abgang in Breslau, wie jetzt, zehn Uhr Abends erfolgte. Außer mir waren noch ein zweiter Beamter und zwei Conducteure in der Bahnpost thätig. Mein College war im Dienste jünger als ich, und ich trug deshalb bei etwaigen außergewöhnlichen Vorkommnissen alle Verantwortung. Kurz hinter der Station Spittelndorf, welche etwa sieben Meilen von Breslau entfernt ist, versetzten uns plötzlich eintretende furchtbare Stöße und Schwankungen des Postwagens in die höchste Angst. Sofort suchte ich mich mit dem Eisenbahnzugpersonal in Verbindung zu setzen; doch schon wurde das Haltesignal gegeben, und der Zug hielt bald darauf an. Es ergab sich, daß der Postwagen entgleist und bereits eine kurze Strecke neben den Schienen auf dem Sande gefahren war. Die Aufmerksamkeit des Zugführers hatte ein Unglück verhütet, dem wir jedenfalls zum Opfer gefallen wären. Der Postwagen mußte zurückgelassen werden; zur Weiterreise wurde mir ein kleines abgesondertes Coupé mit vier Sitzbänken in der dritten Wagenclasse überlassen. In diesem kleinen Raume mußten wir vier Menschen mit der gesammten Correspondenz, einer sehr großen Anzahl von Geldbeuteln sowie mit einer Menge von Utensilien Platz finden. Für die Umladung wurden uns einige Minuten bewilligt; in dieser Zeit sollten also Tausende und aber Tausende von Briefen, welche in mehr als hundert Fächern vertheilt lagen, in Bunde vereinigt werden, wenn nicht die ganze Arbeit des Sortirens verloren sein sollte. Mir schauderte bei dem Gedanken, vierzig Meilen in einem für meine Dienstgeschäfte gänzlich ungeeigneten Raume zurückzulegen. Und doch mußte um jeden Preis ausgehalten werden; denn die Einstellung der Thätigkeit würde hier die tiefgreifendsten Verkehrsstörungen nach sich ziehen, die, schon wegen des Ausbleibens der regelmäßig erscheinenden Zeitungen, in den entlegensten Gegenden und Orten empfunden werden müßten.

Man sieht hieraus, welchen Werth die Thätigkeit in der Bahnpost repräsentirt. Gewiß selten dürften die Fälle sein, wo die Versagung einer einzigen Menschenkraft Folgen von solchem Umfange nach sich zieht.

Zum Sortiren der Briefe blieb mir die Hälfte einer Sitzbank. Man stelle sich nun die Ausführung dieses Geschäftes in diesem Raume vor, wozu sonst im Postwagen über hundert Fächer oft nicht ausreichten! Selbstverständlich kam hier, beim gänzlichen Mangel an Fächern, Alles auf das Gedächtniß an. Sieben Stunden saß ich so, mit dem Oberkörper nach vorn gebeugt, und sortirte auf die mir gegenüberliegende Bank mit der höchsten mir erreichbaren Schnelligkeit. Es gelang mir, die Arbeit zu bewältigen. Als ich mich aber bei der Ankunft in Berlin aufrichten wollte, war mir dies unmöglich. In Folge des anhaltenden Krummsitzens in dem eisig kalten Wagen schien mein Körper der aufrechten Stellung nicht mehr fähig zu sein. Es dauerte lange, bis ich mich dieses besonderen Vorzuges der Menschheit wieder im vollen Umfange erfreute. Doch gern nahm ich diesen Uebelstand in den Kauf; hatte ich doch das Bewußtsein, [710] auch unter den schwierigsten Verhältnissen Störungen im Verkehrsleben abgewendet zu haben.

Auch an erheiternden Zufällen fehlt es in der Bahnpost nicht. Zu diesen trägt vor allen die Beförderung lebender Thiere bei. Was wird da nicht alles mit der Post versandt! Das Seltsamste, was mir in dieser Beziehung vorgekommen ist, waren zwei allerliebste junge Waschbären. Besonders häufig sind Vogelsendungen. Fast auf allen diesen Sendungen befindet sich eine Bemerkung, durch welche die Postbeamten ersucht werden, die Vögel mit Wasser zu versehen.

Gewiß wird jeder Postbeamte dem Ansuchen, Thiere zu tränken, gern entsprechen; naiv dagegen ist das ebenfalls nicht seltene Verlangen: „Man bittet, den Vögeln unterwegs etwas Futter zu verabreichen.“ Vergebens sieht man sich nach einem vielleicht irgendwo niedergelegten Reservevorrath um; wahrscheinlich ist in solchen Fällen vom Absender angenommen, daß die Postbeamten Hanf oder Mehlwürmer bei sich führen.

Ich bin am Schlusse meiner Schilderung. Möge sie das Resultat erzielen, daß im Verkehr des Publicums mit der Bahnpost in Zukunft folgende sieben Punkte besser beachtet werden als bisher:

1) Anwendung der Postanweisung bei Versendung von Geldbeträgen bis zweihundert Mark auf Entfernungen über zehn Meilen, eventuell durch Telegramm.

2) Vermeidung zu kleiner Briefe. (Das richtige Format ist durch die Postbriefumschläge angezeigt.)

3.) Sorgsame Verpackung der Waarenproben mit feinkörnigem Inhalte.

4.) Man gewöhne sich, auf Postkarten immer zuerst die Adresse zu schreiben.

5.) Die Bahnposten führen Postkarten, Freimarken und Briefumschläge zum Verkaufe mit sich.

6.) Bahnhofsbriefe!

7.) Vor Allem aber gewöhne man sich, den Bestimmungsort auf dem Briefe deutlich anzugeben und die Lage unbekannter Orte durch einen geeigneten Zusatz näher zu bezeichnen.

Durch Beachtung dieser Punkte wird man sich den Dank aller und besonders der Bahnpostbeamten verdienen, von deren schwerem Berufe diese Skizze ein ungefähres Bild entworfen hat.

Wilhelm Keihl.

  1. Vorlage: „geänstigt“