In den Schloßräumen Ludwigs des Vierzehnten

Textdaten
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Autor: Ludwig Pitsch
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Titel: In den Schloßräumen Ludwigs des Vierzehnten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 747–750
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[747]
In den Schloßräumen Ludwigs des Vierzehnten.
Von Ludwig Pitsch.


Am 19. September rückte General v. Kirchbach an der Spitze des vielerprobten ruhmbedeckten fünften preußischen Armeecorps in der Stadt des „großen Königs“, wie die Franzosen immer noch diesen schlimmsten Räuber an Deutschlands Glück, Macht und Ehre zu nennen belieben, ein. Tags darauf verlegte der Kronprinz von Preußen dorthin sein Hauptquartier. Sieben Wochen waren vergangen, seit er mit seinem Heere die Grenze des Feindeslandes überschritt. Und nun als Sieger in dessen Herzen! das nahe Ziel, Paris, dort ausgebreitet, zu den Füßen seiner Tapferen, welche die Höhen ringsum besetzt halten und der noch jüngst so übermüthig auf ihre Macht pochenden Stadt jeden Verbindungsweg mit der übrigen Welt und jede Möglichkeit, sich der Gewalt des Siegers schließlich zu entziehen, abgeschnitten haben! Unentrinnbar lag der Preis so vielen blutigen Ringens vor uns da und gewärtig des Momentes, welcher das Zeichen geben sollte, von allen Höhen ringsum Verderben und Vernichtung auf die Forts zu schleudern, lebte einstweilen das Hauptquartier und ein Theil der dritten Armee in der Palast- und Casernenstadt des großen Ludwig so ziemlich wie in einer heimischen Garnison. Nur der Vorpostendienst in den Bergen, [748] Parks, Villen und Wäldern der nahen, landschaftlich so reizvollen Umgebung von Paris, und die von den feindlichen Forts her einseitig fallenden Kanonenschüsse sorgten dafür, daß die Aehnlichkeit keine vollkommene wurde.

Es war seit den Kämpfen von Sedan her – von kleinen Scharmützeln einzelner Truppentheile während des Marsches abgesehen – das erste ernstliche Gefecht in größerem Maßstabe, dessen Ausgang dem fünften Armeecorps auch widerstandlos den Eintritt in Versailles eröffnete. Eine Meile etwa von da waren französische Linientruppen mit der preußischen neunten und zehnten Division (fünften Armeecorps) und bairischer Infanterie und Jägern bei Petits-Bicêtres am 19. September Morgens zusammengetroffen, und nach ziemlich lebhaftem und blutigem Gefecht, bei welchem zum ersten Male in diesem Kriege die französische Artillerie vorzüglich schoß, vollständig geworfen worden. Einmal geschlagen, wurde ihr Rückzug so sehr zur Flucht, daß ein seit Wochen schon von ihnen begonnenes ungemein festes und ausgedehntes Erdwerk auf den dominirenden Höhen über Chatillon nebst einem dazu gehörigen, von Vorräthen strotzenden Magazin und sieben schweren Geschützen unvertheidigt in den Händen der verfolgenden bairischen Jäger blieb.

Um dieselbe Zeit bot Versailles dem commandirenden preußischen General seine Capitulation an. Seine Behörden hatten aber dabei die Naivetät, das Zugeständniß zu verlangen, daß ihre dreihundert Mann starke bewaffnete Nationalgarde die Waffen auch fernerhin behalten dürfe, um über die Kunstschätze und die Ordnung in der Stadt zu wachen.

Natürlich ließ sich General v. Kirchbach auf gar keine weiteren Verhandlungen darüber ein, sondern rückte einfach noch an demselben Abend in die offene vertheidigungsunfähige Stadt, deren dreihundert Nationalgarden denn auch klug genug waren, keinen Widerstand gegen das Unvermeidliche zu versuchen.

Jedem von den unzähligen Deutschen, welche während unserer glücklichen Friedensjahre Paris besucht haben, ist das französische Potsdam wohlbekannt. Der Name ist ziemlich zutreffend. Dieses wie jenes begründet und zum Lieblingssitz erwählt von Herrschern, deren Namen zwei an geistigem und kriegerischem Ruhm glänzendste Epochen der Geschichte beider Nationen bezeichnen; beide in hohem Grade durch landschaftliche Schönheit begünstigt, deren natürliche Reize durch eine auf’s Höchste gesteigerte Gartenbaukunst eine Ausbildung erlangt haben, welche immer bewundernswerth erscheint, auch wo man sie nicht eigentlich als die Wünschenswertheste begrüßen kann; beide nicht gewordene, sondern gemachte Städte mit aller geradlinigen Langweiligkeit solcher; beide durch prachtvolle Schloßanlagen ebenso, als durch ihre grandiosen Parks und Gärten den eigenthümlichen Glanz, das Pracht- und Kunstbedürfniß und die charakteristische Geschmacksrichtung der Herrscher und der Epochen verkündend, durch welche und in welchen sie in’s Leben gerufen wurden.

Freilich, Potsdam ist immer noch und seit Friedrich dem Großen eigentlich ohne Unterbrechung, der beliebteste Herrschersitz der preußischen Monarchen und damit in lebendiger Fortentwickelung geblieben. Versailles dagegen, seines ursprünglichen Wesens und Inhalts völlig entleert, wurde zu einer todten Schaale, einem starren Grabmal der Vergangenheit. Die furchtbaren Rachegeister der Revolution, welche in diesen endlosen prachtstrahlenden Gallerien und Sälen ihrer Zeit gerast und gewüthet, und diesen Marmor mit dem Blute ihrer Opfer überströmt haben, schienen seitdem für immer die Lust fürstlicher Hofhaltung daraus zu bannen. Bekanntlich aber füllte Louis Philipp, immer beeifert dem Selbstbespiegelungstriebe, der Ruhmsucht und besonders der militärischen Eitelkeit seiner Franzosen zu schmeicheln, das leere Schloß des großen Monarchen in all’ seinen Theilen mit einer ganz ungeheuren Gallerie von Gemälden, Statuen und Büsten, die, zum Theil sehr fabrikmäßig hergestellt, sämmtlich nur dem einen Zweck dienen, aus dem einen Gedanken hervorgegangen sind, Frankreichs, besonders kriegerische, Größe künstlerisch zu veranschaulichen und zu verherrlichen. Wie sehr das Kaiserreich nach dieser Richtung in die Fußstapfen der Juliregierung trat, ist bekannt.

Das Schloß Ludwig’s des Vierzehnten liegt nicht, wie Sanssouci oder das neue Palais in Potsdam, inmitten eines es rings umgebenden Gartenbezirks. Am Westende einer Lindenallee von kolossaler Breite, welche in ihrer östlichen Fortsetzung nach Sèvres führt, der (übrigens hinter den Baumgängen von Straßenfronten eingefaßten) Avenue de Paris, erhebt es sich auf dem Plateau eines kahlen mit Kies bestreuten, ziemlich hohen breiten Hügels, durch ein Eisengitter mit prächtigem Thor von der davor gelegenen, von Casernen eingefaßten Place d’Armes an seinem Fuß getrennt. Von hier aus betrachtet verliert der riesige Bau durch seine Lage nach rückwärts viel von seiner Größenwirkung, indem der Hügel seine ganze Unterhälfte verbirgt. Oben freilich erscheint derselbe um so imposanter. Am Mittelbau springen zwei Flügel an jeder Seite vor, an den nördlichen lehnt sich die Schloßcapelle, ein Bau von sehr überladenen ausgeschweiften Formen und Linien, während sich sowohl jener mittlere Schloßtheil als seine beiden langgestreckten Seitengallerien in schönen maßvollen und ziemlich einfachen Architecturformen bewegen.

Die eigentliche Façade, in welcher der kolossale Gebäudecomplex sich als harmonische Einheit präsentirt, kehrt er nach Westen gegen die weite Terrasse des Gartens. Aus tausend Bildern und Photographien ist diese Ansicht so bekannt: diese kiesbestreute Fläche mit den großen Wasserbassins zwischen Blumenbeeten zu beiden Seiten mit den vortrefflichen bronzenen Nymphen- und Amorettengruppen auf den marmornen Einfassungen; mit dem herrlichen Blick über die tiefere Terrasse und ihr Fontaineubassin, auf den berühmten „grünen Teppich“ zwischen den hohen geschorenen, oben aber von den freien laubigen Wipfeln überschatteten, Lindenhecken, und die letzte Seefläche dahinter fern in der Tiefe. Zu beiden Seiten dieser eigentlichen Hauptscenerie dehnt sich der Park in’s Endlose und birgt in seinem grünen, von tausend Wegen durchzogenen Dickicht eine Welt von Marmorstatuen, Bronzegruppen, Bassins, Grotten, Laubenhallen, Fontainen. Alle Wasserkünste desselben aber gipfeln in denen des großen Reservoirs mit der Neptun- und Amphitritengruppe, mit all’ den Nymphen, Tritonen, Seerossen, Amoretten, Ungeheuern, welche aus seiner Mitte wie an seinem Rande aufragen.

Welch’ Fest boten sonst für die Pariser jene Frühlingssonntage, welche ihnen ankündigten, daß in Versailles „les grandes eaux“ springen würden! Die Extrazüge der Eisenbahn beförderten an solchen Tagen gut hunderttausend Menschen von dort herüber. Das Springen der großen Wasser selbst war nur der letzte und freilich höchste Genuß des vergnüglichen Tages, der im Umherschweifen im schattigen Park und durch die langen Gallerien, wo man sich einmal wieder im Anschauen der kriegerischen Herrlichkeit der großen Nation berauschen konnte, auf’s Angenehmste verbracht war. Die großen Wasser begannen um halbfünf Uhr zu springen und eine halbe Stunde später waren sie versiecht. Wie dicht geschaart aber lagerte schon eine Stunde zuvor die sommerlich bunte Menge auf dem, das ganze rosige Halbrund umgebenden Rasenabhang, lärmend, lachend, sich harmlos vergnügend in der Erwartung des großen Moments. Hart am Rande des Bassins aber hatten in gewissen Abständen einzeln jene gefürchteten Gardezuaven Wacht, die Büchse mit dem Haubajonnet im Arm. Wie prangten die bunten Farben ihrer Tracht in der Frühlingssonne, wie verwegen, wie unbesiegbar sahen die wilden, malerischen Gestalten aus! Ganz Versailles lag voll von ihnen. Ihnen war das Ehrenamt der Schloßwache vorbehalten, und ihnen die große Schloßcaserne, die andere der Gardeartillerie. – Wo sind sie heute?! Vernichtet, verschollen, in Deutschlands Festungen gefangen, in französischer Schlachtfeldererde gebettet. Leben, Ruhm – Alles dahin. Auch die großen Wasser springen heute nicht, und keine bunte, muntere, schaulustige Menge lagert auf dem noch immer frischen Rasen, auf welchen dennoch die nahen Gipfel schon reichlich ihr herbstlich goldiges Laub hinstreuen. Die Wacht am Schlosse, die Wohnungen in den stattlichen Casernen übernahmen die deutschen Besieger; deren derbe Gestalten, in ihrer dunkeln schlichten Tracht zu malerischen Effecten wenig geeignet, stehen dort Posten, hausen in diesen Gebäuden, reiten oder marschiren mit klingendem Spiel zu vaterländischen wohlbekannten Weisen durch diese regelrecht gezirkelten Alleen, zwischen den Taxus- und Lindenhecken des Parks aber springen und schlendern behaglich unsere Soldaten statt der bunten lustigen Menge von Paris.

Es war ein unvergeßlicher Augenblick, als der Kronprinz, der die deutschen Waffen auf ihrem Siegeszuge hierher geführt hatte, zum ersten Mal zu dem Platz vor dem Schloß hinauftrat, in dessen Mitte jenes großen Feindes und Schädigers Deutschlands, Ludwig des Vierzehnten eherne Reiterstatue auf ihrem Postamente thront, umgeben von den kolossalen Marmorstatuen der berühmtesten [749] Kriegshelden Frankreichs aus allen Epochen seiner Geschichte. Es war uns, als sei erst mit diesem Augenblick das Elend und der Raub gerächt, die Schmach getilgt, womit jener Selbstherrscher das deutsche Reich und seine schönen Grenzlande heimgesucht, traditionelle Politik der Schädigung, Vergewaltigung, offner und heimlicher Befehdung und Hinderung Deutschlands einleitend, welcher keine der nach ihm folgenden französischen Regierungen untreu geworden ist. Der Kronprinz fühlte sehr wohl und tief die ganze Bedeutung dieses geschichtlichen Augenblickes. Aber diese Empfindung äußerte sich bei ihm, seiner gesunden, jedem gemachten Wesen abholden, Natur und Sinnesart gemäß, als eine ernste, stille Freudigkeit, und wie immer blieben alle sonst den Fürsten so geläufigen und beliebten triumphatorischen Manieren auch jetzt von ihm fern, wo die Situation so sehr aufzufordern schien, dieselben in Scene zu setzen.


Wie unsere Leute draußen in die Heimath schreiben.
Auf der Landstraße nach Wörth aufgenommen von Prof. P. Thumann.

Nur einmal während des bisherigen Aufenthalts des Hauptquartiers in Versailles gab er und mußte er dem Bewußtsein von der Idee dieses Ereignisses; der Anwesenheit eines siegreichen, rein deutschen Heeres in Versailles, einen lauten, öffentlichen, entschieden betonten Ausdruck geben. Es waren in jenen Tagen gerade noch nachträglich zahlreiche Auszeichnungen, eiserne Kreuze etc., zur Vertheilung unter die verdientesten Mannschaften im Hauptquartiere eingetroffen. In den Vormittagsstunden des 27. September wurden die deutschen Truppen allarmirt und marschirten in voller Paradeausrüstung und tadellosem Parademarsch von den Seitenstraßen her zur großen Avenue de Paris und zum Platze vor dem Schlosse, wo sie im weiten Kreise Aufstellung nahmen. Gerade am Sockel der Reiterstatue Ludwigs des Vierzehnten stand der Kronprinz, umgeben von den Generalen und Ordonnanzofficieren seines Hauptquartiers und den deutschen Fürsten und Fürstensöhnen, welche sich demselben angeschlossen haben. Der helle, heiße Sonnenglanz des schönsten Septembertages blitzte auf den Waffen und den Stickereien der Uniformen, spiegelte auf dem Erz des kolossalen Standbildes und beleuchtete von oben her scharf den edlen blondbärtigen Kopf und die hohe machtvolle Mannesgestalt des königlichen Heerführers der deutschen Truppen. Wie stolz und majestätisch [750] jener dort auf seinem Rossesrücken thronen mochte, die begehrliche Hand mit charakteristischer Bewegung nach Osten hin ausgestreckt, seine Majestät schien leerer Theaterpomp geworden vor der des deutschen Volks in Waffen, das, hier in so vielen bedeutenden, festen, tapferen Gestalten vertreten, sich um den heldenhaften Prinzen schaarte. Als der in seiner markigen Anrede an die Soldaten hinwies auf die Größe dieses Augenblickes, und seine stolze Freude gestand, sie die für Deutschland so heroisch gekämpft, geblutet und gesiegt hätten, gerade hier an dieser Stelle, unter dem stolzen Bilde des Übermüthigen alten und schlimmen Feindes ihres Volks und Vaterlandes, mit den wohlverdienten geweihten Zeichen schmücken zu können, mit welchen der oberste Kriegsherr die Thaten der Deutschen ehre, sah man auch jene festen, eisernen Männer ringsum von der tiefsten Bewegung ergriffen und erschüttert. Als sie einzeln aufgerufen wurden und zum Prinzen herantraten, dann aus seiner Hand die Eisenkreuze hinzunehmen, erbebte die manches Empfängers, und manche Thräne der freudigen Begeisterung rann aus Männeraugen, welche ohne zu zucken dem Tode in hundert Gestalten in’s Antlitz zu sehen gewohnt sind.

Was die gewaltige geschichtliche Wendung, die sich hier vollzog, vielleicht noch schärfer zum Bewußtsein bringt, als selbst diese Scene unter dem Erzbild Ludwigs des Vierzehnten, das ist der Anblick, welchen gegenwärtig die von Gold, Bilder- und Marmorpracht strahlenden Säle und Gallerien in beiden Etagen des Schlosses gewähren. Nicht zum fürstlichen Wohnsitz für die nun in Versailles residirenden Heerführer hat man sie gewählt, sondern zum Lazareth für die Verwundeten sind diese weiten Räume eingerichtet worden. Und nie wohl hat verwundete Soldaten eine schönere und bessere, zu ihrer Heilung geeignetere Stätte aufgenommen, trotzdem deren Erbauer und Begründer sicher unter allen denkbaren einstigen Bestimmungen dieser Räume am wenigsten auf die Möglichkeit einer solchen Rücksicht genommen haben.

Im Erdgeschoß hatte man gleich in den ersten Tagen die schwerer Verwundeten vom Gefecht des Neunzehnten (Petits Bicêtres) untergebracht. Dort zieht sich, den ganzen Mitteltheil des Schlosses einnehmend, die sogenannte „Gallerie Ludwig des Dreizehnten“ zwischen Flur und Parkterrasse hin. Große Gemälde der Haupt- und Staatsactionen dieses Königs und seines Richelieu decken die Rückwand. Die flache Decke wird von rothen weiß geäderten Marmor- oder Porphyrsäulen getragen. Die hohen Fenster gegenüber reichen bis zur Erde nieder. Die Wandpfeiler zwischen ihnen sind mit prächtigen Arabeskencompositionen geschmückt, welche verschiedene Porträts der weiblichen und männlichen Berühmtheiten jenes glänzenden Hofes umrahmen. Abwechselnd damit stehen in Nischen die lebensgroßen Statuen des Königs und seiner Nächsten. Von der Terrasse her, auf welche man unmittelbar von der Mittelthür hinaustritt, weht die frische reine Luft, die über den weiten Park über die großen Bassins hinstreicht, und strömt gleichsam den würzigen, mit dem Blumenduft von hundert Beeten gemischten, heilkräftigen Waldeshauch ungehemmt durch die offenen Säle. In diesen aber walten still und freundlich sorgend die französischen barmherzigen Schwestern zwischen den Betten der Leidenden. Die Lagerstätten stehen in zwei Reihen, mit den Fußenden gegen einander gerichtet, einen breiten Gang dazwischen frei lassend, jedes von allen Seiten bequem zugänglich für die Pflegerinnen und die Lazarethdiener. Da liegen die Verwundeten (bei meinem ersten Besuche fand ich meist Baiern), so weit der Grad ihrer Schmerzen das überhaupt gestattet, in vollem Behagen ausgestreckt, in der gesundesten Atmosphäre, von bedeutenden schönen und interessirenden Gegenständen umgeben, und von draußen lacht ihnen eine herrliche vornehme Landschaft, die grüne laubprangende Nähe hier, die blauduftige bergige Ferne dort zu Fenstern und Thüren herein. Die leichter Verwundeten oder schon in der Besserung begriffenen sitzen in den Fensternischen, oder auf Stühlen oder Lagern auf die Terrasse selbst hinausgetragen, wo sie all diese wohlthätige Schönheit gleichsam unmittelbar und aus erster Hand empfangen.

In den noch viel prachtvoller ausgestatteten Sälen des oberen Hauptstockwerks ist der Contrast zwischen ihrer ursprünglichen und ihrer gegenwärtigen Bestimmung noch größer. Dort liegen im Mittelbau, der nun hauptsächlich zum Lazareth für leicht Verwundete eingerichtet ist, die berühmten Säle und Gallerien Ludwig des Vierzehnten selbst, deren ganze malerische und plastische Decoration von ihm ausschließlich der eigenen Selbstvergötterung geweiht wurde. Für deren Dienst ist aller Geschmack, alle Pracht und aller Pomp aufgeboten worden, über welche die üppige und ausschweifende, aber immer doch imponirende Kunst und Decoration jener glänzenden Epoche nur gebot. Die Verschwendung mit edlen Marmorarten, mit vergoldeter Bronce, mit Spiegeln, mit Stuckatur, und Plafondmalerei in diesen Räumen, besonders in der riesigen, durch Lebrun’s Deckenbilder so berühmten Gallerie ist ungeheuer. Aber selbst in der üppigen und oft barocken Ueberladung durch kostbares Material und Decorationenschmuck verleugnet sich nicht das in Rücksicht der heutigen Kunstepoche so seltene, sichere und fast unbewußte Stylgefühl, welches dem Ganzen die Einheit seines Charakters aufprägt und dasselbe zum voll entsprechenden harmonischen Ausdruck jener Zeit der ungebrochenen, zur höchsten Vollendung gebrachten, selbstherrlich königlichen Machtfülle stempelte. Und nun – in diesen Räumen unsere braven tapferen Burschen, wie sie blessirt vom Schlachtfelde oder erkrankt vom Marsche hereingebracht waren! Es ist, als ob jene Portraits der geschminkten Schönheiten des Hofes von Versailles, jene parfümirten Cavaliere des Oeil de Boeuf, jene Prinzen, Minister, Officiere, die dort in den zahllosen Bildern von leeren Hof- und Staatsceremonien die Wände decken, jene Gottheiten eines gepuderten Olymps vom Plafond noch entrüstet die hohen, höchsten und allerhöchsten Nasen rümpfen über den unerhörten Frevel dieser Invasion der geheiligten Hallen durch diese deutschen „Dickköpfe“, die so gründlich verachteten Bauernsöhne, „Schneider und Schuster“ in des Königs Rock. Aber diese sind sehr ruhig, sehr „unverfroren“ dabei, fühlen sich in des großen Ludwig Sälen bereits so ungenirt zu Hause wie daheim in ihrer posener, schlesischen oder fränkischen Schlafkammer und Wohnstube und lassen sich von ihren französischen Pflegern, wie es sich gehört, bedienen.

Der Krieg, und zumal ein so gewaltiger wie dieser, bietet und bringt der Leiden ein so überschwengliches Maß auch den Siegern. Aber der Anblick einer solchen Wendung, einer solchen vollständigen Abrechnung und gründlichen Heimzahlung alter Schulden und Sünden, wie sie sich damit vollzogen zeigt, kann für Vieles trösten und entschädigen, und jeder Deutsche, dem es vergönnt war, diese Tage des Triumphes zu erleben und nun gar lebendige Bilder wie die in Ludwigs Stadt und Schloß gesehen zu haben, mag sein Geschick segnen.