Im neuen Rathhauskeller zu Berlin

Textdaten
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Autor: Rudolf Löwenstein
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Titel: Im neuen Rathhauskeller zu Berlin
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 142–143
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Im neuen Rathhauskeller in Berlin.

Anno 1869, am Tage Sanct Placidi, zu Deutsch: des Friedsamen, ward zu Berlin ein gar seltsames Friedensfest nebst Turney gefeiert, von welchem die Chronica dereinst berichten wird: Es waren aber geladen der hochweise Oberbürgermeister, item der weise Bürgermeister, so das Zepter der Stadt führen, sambt denen Räthen des Magistratus und denen Verordneten der Bürgerschaft, so da über dem Stadtsäckel Wacht halten, dazu die Fürnehmsten der Stadt, Kaufherren, Krämer und Meister des Handwerks. Auch die Gewappneten der Presse, je Einer von jeglichem Fähnlein, waren entboten zu ritterlichem Stechen und Lanzenbrechen, so da stattfinden sollte in den unterirdischen Gängen des Rathspalastes. Und kamen Alle und fülleten die Hallen mit Kampfesklirren, Rede und Siegesschrei, und die Wölbungen schalleten von Pauken, Flöten und Geigen. – Und Die, so sich das ganze Jahr bekämpfet, stießen in dasselbe Trinkhorn und thaten sich Bescheid, und die Großherren von der güldenen küsseten sich mit den Khedives von der silbernen Kette. Es waren aber allda aufgepflanzt ganze Legionen von Römern und waren aufgefahren Batterien, darauf standen die Edlen von Roth- und Grünsiegel und die Brauseköpfe der Herren von Mousseux. Und als das Signal gegeben ward zum Angriff, warf sich männiglich auf die Römer und Schanzen, und bekam der Eine einen Stich, der Andere einen Hieb, der Dritte eine Schramme, Etliche aber taumelten und sanken darnieder, Andre hielten sich wacker bis in die tiefe Nacht, und wurden ihrer Viele selig. Und Bischof, Cardinal und Domdechant wurden nicht verschonet, und wurden vertilget sambt den Römern. Requiescant in pace! – Das Blut aber, das da floß, war Rebenblut, vergossen zu Ehren des Friedensbundes, der geschlossen wurde zwischen zwei bisher feindlichen Mächten. Ich weiß davon zu erzählen, denn ich selbst ward am selbigen Tage vom Sieger ernannt zu seinem Hof- und Kellerpoeten und beauftragt, die Friedenshalle zu schmücken mit allerlei Reimlein und Sprüchlein zu Ehren der Unterirdischen.

Wie überall, so standen sich nämlich auch in Berlin zwei Gewaltige gegenüber: der Eine rühmt sich göttlicher Abstammung und behauptet, daß seine Ahnen schon in India, Hellas und Roma hoher Ehren, ja göttlicher Verehrung genossen; der Andre betheuert, daß königliches Blut in seinen Adern rolle. Der Erste hat sich – denn das Incognito lieben alle Fürsten – den romantischen Namen „Prinz Rebenblüth“ beigelegt; der Andre ist geheißen „Fürst Hopfenblüth“.

Als Hoheit Rebenblüth und Durchlaucht Hopfenblüth nun erfuhren, daß die Berliner damit umgingen, ein neues Rathhaus zu erbauen und zu unterkellern, da entbrannte zwischen Beiden heftiger Streit, wem der Grund gehören sollte. Der Prinz behauptete: „Ich bin es, dem die Säulenhallen der Krypten unter den Rathhäusern heilig sind! Mein ist das Reich der Rose und der zwölf Apostel zu Bremen, mein waren die Hallen aller deutschen Städte, schon lange ehe Du geboren warst.“ Und er bekräftigte seine Behauptung durch ein feuriges „per Bacco!“ – Die Durchlaucht entgegnete: „Ich bin der Geist der neuen Zeit: mein sind all’ die Felsenkeller in deutschen Landen, ich einige die Völker in Frieden und habe mein Reich gebreitet binnen wenigen Jahren vom Aufgang bis zum Niedergang. Ich habe Dich siegreich aus dem Felde geschlagen in Baiern, Boheim, ja selbst in Frankreich. Mir gebührt der Keller – auf Cerevis!“

Als sie eben drauf und dran waren, sich blutig zu bekämpfen, erschien bei Prinz Rebenblüth ein Bote mit der Kunde, daß Magistratus von Berlin beschlossen habe, den Keller der Verehrung Bacchi zu weihen und ihn deshalb zu verpachten an die altberühmte Weingroßhandlung der Herren Blohm und Röper.

Triumphirend hob der Prinz das Blatt mit dem Magistratssiegel empor und sprach: „Siehe! mein ist nunmehr das Reich! Aber ich will Großmuth üben, so Du gelobest, Frieden zu halten. Die Hälfte meines Reiches sollst Du zu Lehen tragen von mir und darin herrschen als mein fürnehmster Vasall.“

Der Starke weicht ruhig einen Schritt zurück, dachte Hopfenblüth und beugte sein Knie vor dem Mächtigen, Rebenblüth aber hob ihn empor, küßte seine Wange und sprach: „Laß uns Freunde sein! laß uns gemeinsam die Herzen der Berliner erfreuen, daß sie vergessen der Sorgen und Nöthe, vergessen auch der Steuern, die droben über dem Keller ausgehecket werden! Laß uns einziehen in unser gemeinsames Reich mit Pauken und Trompeten!“ Und also geschah es.

Schauen wir uns den von Wäsemann erbauten Friedenspalast etwas näher an! – Er bildet, von vier Straßen begrenzt, ein ganzes Stadtviertel und hat sich erhoben aus den Ruinen des alten Rathhauses, von welchem Nichts stehen geblieben als die berüchtigte Gerichtslaube. Sie allein trotzt dem Magistrate, auf dessen Wink eine große Menge alter Häuser fallen mußte, auf daß sich das Dichterwort erfülle, daß das Alte stürze und neues Lehen blühe aus den Ruinen.

Unten aber in dem Keller ist neues Leben erblüht, wogt und brandet der Strom der neuen Zeit und viele Tausende tauchen täglich hinab in den kühlen Grund, um neugestärkt wieder emporzusteigen. In einer Länge von dreihundertundzehn und einer Breite von fünfzig Fuß nimmt der neue Rathhauskeller die ganze Front der Königsstraße, von der Spandauer- bis zur Jüdenstraße, [143] also ungefähr den vierten Theil sämmtlicher Kellereien des Rathhauses ein.

Von mächtigen und zugleich graziösen Pfeilern getragene Bogen einigen sich zu einem etwas niedrigen, doch nirgends drückenden Gewölbe. Der erste Schritt, den wir von der Jüdenstraße hinab thun, verräth uns, daß wir in das Reich von Durchlaucht Hopfenblüth eintreten.

Aus Tausenden von Gläsern schäumt und duftet der Gerstensaft (aus der Brauerei von d’Heureuse und Busse), der hier von Herrn Trieske, dem treuen Vasallen der Weingroßmacht, credenzt wird. Der ganze Raum ist durch die Pfeiler in fünf große Quarrés geschieden, zu deren Seiten sich acht Nischen befinden. Hier ist kein Unterschied zwischen Hoch und Niedrig, Seide und Kattun, Geldprotz und Executor, Geheimerath und Schreiber. Kopf an Kopf sitzt hier die Menge, dicht gepreßt, vom frühen Morgen bis zur Mitternacht. Zwanzigmal, ja bisweilen vierzigmal des Tages, kündet das Pochen des Bierschlägels, daß eine neue Quelle, das ist ein neues Faß, angestochen sei, und doch lechzt das Volk ewig nach Erquickung. Es ist schier zu verwundern, wo all’ der Durst herkommt. Eines der vielen Sprüchlein aber, die an den Wänden angebracht sind, belehrt uns darüber: „Ob Seidel oder Töpfchen, ob Kuffe oder Krug, ob Flasche, Maß, ob Schöppchen – – man kriegt doch nie genug.“

Der Kellerpoet ruft den Zechern zu: „Nach alter Sitt’ in durst’ger Mitt’, kommt, trinkt euch aller Sorgen quitt“, denn: „Schon Doctor Luther spricht: Wasser thut’s freilich nicht“; sondern: „Cerevisiam bibunt homines“ und – „Was mir Frau Hebe schänken will – Bier oder Wein – ich halte still!“ – Stillhalten, das ist des wackern Zechers Art. Darum: „Stößt dich der Bock, dann trotze du; wirft er dich um, dann – gute Ruh’.“

Auch zur Lebensweisheit gemahnen die Sprüchlein: „Leerer Kopf und leeres Faß, leeres Herz – wie hohl klingt das!“ – „Was sich zum Geist soll klären, muß kochen erst und gähren.“ Dem einen Traurigen rufen sie zu: „Schlag’ dir die Sorgen aus dem Sinn und denk’ nicht an die Hauskreuzspinn’;“ dem andern: „Im Bier- und Weinhaus denk’ nicht an’s Beinhaus.“

Der Wirth hat sein gutes Gewissen bezeugt durch den Reim: „Wer Bier verfälscht und Weine tauft, ist werth, daß er sie selber – trinkt.“ Er selber schärft dem Bierzapfer ein: „Spritz nit zu viel, du Schuft! Bier will ich, doch nit Luft!“

Am Pfeiler der sechsten Nische lesen wir die Inschrift: „Hier unter starkem Pfeiler, schau, der Grundstein ruht zu diesem Bau. Gott laß ihn ruhn viel’ tausend Jahr und schirm das Rathhaus vor Gefahr.“ Daneben hat der Erbauer, Wäsemann, ein paar Sprüchlein angebracht, auf daß sie seine Feinde und Neider beherzigen mögen: „Allen Menschen recht gethan, ist eine Kunst, die Niemand kann;“ und „Wer will bauen an der Straßen, muß die Leute reden lassen.“

Aus dem Bierlocale gelangen wir in die „Rotunde“, die von einer mächtigen Säule getragen wird. Am Capital derselben befindet sich ein Abguß der wunderlichen Thiergestalten, welche die Säule der alten Gerichtslaube krönen. Die Wände sind mit Frescobildern des Malers A. v. Heyden geziert; sie lassen dem Gersten- wie dem Rebensaft gleiche Gerechtigkeit widerfahren, zum Zeichen, daß es hier gestattet ist, beliebig dem einen oder dem andern zu fröhnen. Die Zweiseelen-Theorie ist hier in schönste Praxis übersetzt: hier ist die Stelle, wo Prinz Rebenblüth und Hoheit Hopfenblüth den Friedens- oder vielmehr den Suzeränetäts-Vertrag abgeschlossen haben.

Das erste Bild hebt uns zum Olymp: „Bacchus, Ganymed und Hebe labten einst der Götter Chor; trink’ der Rebe Saft und schwebe selbst ein sel’ger Gott empor.“ Das zweite Bild führt uns zur Unterwelt der Gnomen: „Flüssig Silber, flüssig Gold schürfen ihr und schlürfen sollt, wie es in krystall’ner Pracht Kobolds Macht an’s Licht gebracht.“ Auf dem dritten Bilde gelangen wir in die Steinzeit: „Die Sündfluth kommt, die Welt ersauft! so sprachen der Heiden Fürsten und tranken die Weine ungetauft mit heidenmäßigem Dürsten.“ Von der Steinzeit in die Weinzeit des ritterlichen Mittelalters ist allerdings ein gewaltiger Sprung; aber der Maler hat ihn gewagt mit dem poetischen Satze: „Amate, da ihr jung noch seid, cantate, so ihr traget Leid; doch ob ihr habt Lust oder Weh, ob jung, ob alt seid – bibite!“ Das fünfte Bild zeigt uns einen Derwisch, einen Chinesen und einen klösterlichen Moabiter: „Mohammed lehrt euch und Confuz, beschaulich lehrt’s euch die Kapuz’: Trink, Menschenkind, fein mit Bedacht, was fröhlich dich und selig macht.“ Das sechste Bild endlich geleitet uns in das Paradies der „alten Burschenherrlichkeit“: „Wenn Lust aus schönen Augen glänzt und Liebe uns den Trank credenzt, dann träumen wir beim Cerevis uns in’s verlor’ne Paradies.“

Aus dem Paradiese aber führt der Weg zur Erkenntniß des Guten und des Bösen, zur Wahrheit, und darum lautet die Inschrift über dem schmalen Gange, der uns das Reich Rebenblüths aufschließt: „In vino veritas.“ Links von dem Gange überblicken wir das Reich des mächtigen Prinzen in seiner ganzen schlummernden Herrlichkeit. Da schlummern sie, die tapfern Niersteiner, Steinberger und Johannisberger und wie die blonden Gesellen sonst noch heißen mögen! da harren des Aufbruchs die feurigen Burgunder, Ungarn und Spanier! da sehnen sie sich im Traume nach Erlösung, die gefesselten Franzosen! Wie pocht das Herz hörbar dem alten Domdechant inmitten von so verschiedenen Seelen! Welch’ stattliche Mannen in diesem Lager! Und wie stolz und selbstbewußt schreitet zwischen ihnen einher der Generalissimus und Kellermeister, Herr Röper! Er kennt Jeden seiner Tapferen mit Namen und jedes Einzelnen Tugenden; er hat ihrer Viele erzogen von Jugend auf bis zum Tage der Reife. Er weiß, was er von ihnen zu halten hat, sobald er sie zu Thaten weckt. Er zittert nicht wie jener mittelalterliche Feldherr vor dem Hahnenschrei; er freut sich, wenn der Hahn am Fasse kräht. Er ist, sagt man, trotz seiner hohen Charge, ein schlichter, braver Mann, ein Feind der Fälscher und – falscher Etiquette.

Zur Rechten des Ganges sind sechs lauschige, elegant eingerichtete Nischen, deren jede mit Sprüchen geziert ist. Wir finden da eine poetische Weinkarte: „Rheingold – Weingold, Maingold – fein Gold, Frankenwein – Gedankenwein, Burgunderwein – ein Wunderwein, Rusterwein – ein Musterwein, Tokayersaft – Befreierkraft, Schaumwein – Traumwein.“ Herr Rebenblüth lehrt uns: „Der Geiz am Saft der Rebe frißt, Geiz aller Uebel Wurzel ist – trink flott, so du kein Geizhals bist!“ Trinke! denn „Moselblüth macht froh Gemüth“, trinke, damit der Frühling einziehe in dein Herz, denn „Beim Maientrank und Liederschall – grüß Gott, grüß Gott, Frau Nachtigall.“ Laß dich umschweben von den Genien des Frühlings: „Guter Geister milder Hauch waltet auch im Kleinen; Augen hat die Rebe auch, auch die Reben weinen.“ Trinke und gedenke dabei deiner Lieben: „All was ihr liebt, all was euch hold, beim Traubengold ihr preisen sollt.“ Bist du geistlich gesinnt und „Quält dich des Durstes Höllenbrand – such’ Hülf’ und Trost beim Domdechant.“ Bist du aber ein Weltkind und „Willst wie ein Kind du fröhlich sein, saug Liebfrauenmilch brav ein.“ Erhebe dich über allen Jammer dieser Welt und denke: „Wer baß singt und trinkt und wirbt, den lehrt die Erfahrung: selbst der grimmste Kater stirbt doch am sauren Harung.“

Zum Ausgange des Kellers müssen wir am Probirstübchen des Kellermeisters vorbei. Wir werfen einen flüchtigen Blick in das Heiligthum und lesen hier über dem Eingange das Sprüchlein: „Das Schlimmste fürchte, hoff’ das Best’; was sich erprobt, das halte fest; laß fahren hin, was dich verläßt; der eignen Kraft trau bis zum Rest; – dann wohl dir auch im engsten Nest!“

So schaut es aus im Reiche der Unterirdischen, darinnen Prinz Rebenblüth und Durchlaucht Hopfenblüth noch lange regieren mögen zum Heile der „Weltstadt“, und darinnen viel Traurige Freude und die Verzagten frischen Muth gewinnen und unsere Enkel sich über die Vergänglichkeit des Irdischen trösten mögen mit dem Worte des Dichters:

„Unsre Väter sind gesessen
Einst bei vollen Gläsern hier;
Unsre Väter sind vergessen
Und vergessen werden wir.“

Rudolf Löwenstein.