Im Generalstabsgebäude in Berlin

Textdaten
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Autor: Georg Hiltl
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Titel: Im Generalstabsgebäude in Berlin
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 236–238
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Nachtrag
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Im Generalstabsgebäude in Berlin.


Skizze von George Hiltl.


Auf den Häusermassen der Hauptstadt Berlin und deren Umgebung ruhen noch die Schleier, welche der Morgennebel webt. Allmählich zerreißt die heraufsteigende Sonne das luftige Gespinnst. Aus den flatternden Wolken, die, vom leichten Winde getrieben, durch die Baumreihen des Thiergartens, durch das Geäste und über die Dächer der nächstliegenden Häuser schweben, blicken die Umrisse zweier großen Denkmale hervor, welche, nicht weit entfernt voneinander stehend, sich zu grüßen scheinen: das Brandenburger Thor und die Siegessäule auf dem Königsplatze.

Beide Denkmale ergänzen einander. Die Göttin auf dem Viergespann, welches den kühnen Bau des Thores krönt, ist eine eherne Erinnerung an jene Zeiten, wo Preußen in die Waffen gerufen wurde, um im Bunde mit Oesterreich und Rußland den Feind zu bekämpfen, der sogar deutsche Waffen wider Deutsche zu führen wußte. Die Säule auf dem Platze aber redet von den Kämpfen, in welchen deutsches Blut geflossen durch Bruderhände, bis diese sich vereint gegen den gemeinsamen Feind wandten, denselben, der einst die Väter in Knechtschaft geschlagen.

Groß und gewaltig waren diese Zeiten, in denen aus allen Gegenden die Söhne des Landes von der Werkbank, vom Pfluge, aus der Studirstube, von der Staffelei herbeieilten, die Waffen zu ergreifen, eine zwar unfertige Mannschaft, nur mangelhaft geübt in der Führung der Waffe, aber muthig in die Reihen der Streiter tretend, als es galt, sich vor die Bajonnette der sieggewohnten Armee des gewaltigen Schlachtenkaisers zu werfen, um den Lauf seiner Massen aufzuhalten.

Anders gestaltete sich der Krieg, zu dessen Gedächtniß die hohe Säule errichtet wurde, auf deren Höhe die Göttin des Sieges schwebt, hoch in ihren Händen Kranz und Palme tragend. Dem dreisten Angreifer trat ein Heer entgegen, welches aus den Kindern des Landes gebildet, welches Eins geworden war mit den eisernen Pflichten, die Jedem gebieten, dem Heere sich einreihen zu lassen. Es war das Volk, welches seit den Tagen von 1813, 1814 und 1815 die Waffen in der That nicht aus den Händen gelegt hatte, sondern in steter Uebung erhalten worden war, gleichsam als solle es sich vorbereiten auf einen neuen und gewaltigen Kampf mit demselben gefährlichen Feinde – es war dieses Volk, welches gegen ihn marschirte und ihn zu Boden warf.

Die Erinnerung an jene Heldenführer, deren weise Schlachten-Berechnung die Väter der Kämpfer von 1866 und 1870 zum Siege geleitet hatte, schwebte noch um die Fahnen der Söhne und Enkel, aber auch die neuen Kämpfe sollten neue Männer der That wachrufen. Mit Staunen sah die Welt, wie ein mächtiges Genie seine Schwingen entfaltete, ungeahnt, unerwartet und durch ungeheure Erfolge die einst glanzvollsten Sonnen verdunkelnd.

Diese gewaltige Erscheinung ist Hellmuth von Moltke. Eine Aufzählung der Verdienste dieses großen Mannes wäre ein überflüssiges Unternehmen. Ueber Moltke ist von den Besten der Nation umfassend berichtet worden; er lebt in dem Munde des Volkes als Krieger und Denker und wird leben für alle Zeiten. Stets wird sein Name zusammen genannt werden mit den ruhmvollsten Erinnerungen des deutschen Volkes. Aber doppelt lebendig wird das Gedächtniß seiner Thaten, wenn wir durch die Halle des Brandenburger Thores schreiten, die breite mit Bäumen bepflanzte Straße bis zum Königsplatze und seiner Erinnerungssäule entlang. Es ist eine Etape, eine Etape des Siegesmarsches vom Thore bis zur Säule, und wenn die Strahlen des Morgenlichtes auf dem goldigen Erzblocke blitzen, prallen sie von demselben zurück und werfen ihren hellen, belebenden Schimmer bis zu dem monumentalen Hause an der Seite des Platzes hinüber, in dessen Räumen das Werk der Vertheidigung des Vaterlandes berathen wird.

Die Strahlen schlüpfen durch die Vorhänge der Fenster eines Zimmers; sie scheinen den Insassen desselben zu suchen. Der Morgen ist da – er hat den vornehmsten Bewohner dieses großen Gebäudes, er hat Moltke geweckt.

Mit dem Schlage halb sieben Uhr Morgens erhebt der Feldmarschall sich von seinem Lager. Die strenge Gewohnheit

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Moltke im Vortragszimmer des Generalstabsgebäudes.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von O. Schulz.

[238] läßt ihn genau zur bestimmten Stunde sein Tagewerk beginnen; nicht einer Reveille bedarf es, um ihn zu wecken.

Die meisten seiner zahllosen Verehrer können sich den großen Feldherrn, der an der Seite seines königlichen Herrn und Freundes im Donner der Schlachten hielt und, mit dem Dichter zu reden, „mit seinem Blicke die Schlacht regierte“, nicht anders als im Kleide des Krieges mit Helm und Schwert denken. Aber in den stillen Räumen seines Arbeitszimmers, wie anders erscheint uns hier der Schlachtendenker! Er betritt dieses Zimmer im Morgenrock, den feingeformten Kopf mit einem Käppchen bedeckt. Wir empfangen einen wohlthuenden Eindruck von diesen Räumen. Nirgends ein Schmuck jener prahlerischen Zierrathen, welche häufig genug in den Zimmern von Personen anzutreffen sind, die den Eintretenden mit ihren Verdiensten und deren Anerkennungen bekannt machen wollen, nirgends ein grell hervortretender Gegenstand, auf den sich die Blicke sofort heften könnten. Alles ist hier friedlich, ernst und harmonisch; es macht den Eindruck, als walte in diesen Räumen ein emsig, aber im Stillen schaffender deutscher Gelehrter.

Die Lebensweise Moltke’s ist eine äußerst regelmäßige, wie dies bei einem festen, bestimmten, durch eigene Kraft und eigenen Willen vorgezeichneten Wirken auch nicht anders sein kann. Wie bei allen wahrhaft großen Erscheinungen, ist diese Lebensweise ebenso einfach, wie der Mann selbst, der ihr huldigt, bedeutend und glänzend dasteht. Wenn der Feldmarschall in sein Zimmer getreten ist, nimmt er den Kaffee ein, wobei der Duft einer Cigarre sich mit dem des Mocca verbindet. Nach genossenem Frühtrunk geht er an sein Tagewerk. Seine Feder gleitet schnell und stets sehr regelmäßig über das Papier, – er ändert nur höchst selten in einem Briefe oder Manuscripte; denn seine Gedanken sind immer fest, bestimmt und nie schwankend.

Mit dem Schlage neun Uhr bringt man ihm die Dienstbriefe, welche er sehr genau, obwohl schnell, zu lesen pflegt. Noch ist das Arbeitszimmer von keinem Anderen als von dem „großen Schweiger“ selbst und dessen Diener betreten worden, aber zwischen zehn und elf Uhr wird es lebendiger. Die Adjutanten erscheinen; die Rapporte werden abgestattet; hin und wieder beginnt eine kurze Discussion; eine Entscheidung wird gefällt, ein besonderer Befehl ertheilt. Während des Lesens der eingelaufenen Briefe liebt Moltke nicht, gestört zu werden, doch haben die Chefs der Abtheilungen zu jeder Zeit freien Zutritt, und nicht selten lösen mehrere jener Herren einander ab, wenn es gilt, wichtige Meldungen zu machen.

Erst um elf Uhr wechselt der Feldmarschall seine bequeme Hauskleidung und legt Uniform an. Seine Toilette ist schnell beendet. Bei gutem Wetter tritt er wohl dann und wann auf den großen, vor dem Zimmer hinlaufenden Balcon und läßt seine Blicke über den Platz, zu dem Denkmale schweifen, zu dem Wahrzeichen so vieler Siege, an deren Erringung er den größten, glänzendsten Antheil gehabt.

Dann beginnt er auf’s Neue zu arbeiten. Was seit der frühen Morgenstunde angekommen ist und schneller Erledigung bedarf, wird durch seine Hand gefördert und abgemacht. Während der Arbeit hat man ihm das höchst einfache Frühstück gebracht. Es besteht aus einem Brödchen und einem Glase jenes vielgenannten, vielgerühmten und viel angefeindeten Bieres, welches den Namen „Hoff’sches Malzextract“ führt und in pomphaft ausgestatteten Wagen durch die Straßen Berlins gefahren wird.

Die Arbeiten Moltke’s währen ohne Unterbrechung bis gegen zwei Uhr. Genau seine Zeit eintheilend und abmessend, schiebt er mit dem zweiten Glockenschlage die Arbeit zur Seite, denn die Stunde ist da, in welcher der Vortrag beginnt. Diesen halten die höheren Officiere ihrem Chef – er findet täglich ohne Ausnahme statt und ist, je nach den Umständen, von kürzerer oder längerer Dauer. Unser Bild stellt den Augenblick dar, wo Moltke in seinem Vortragszimmer kurz vor dem Eintritte der Officiere die eingegangenen Schriften mustert.

Erst nach Beendigung dieses Vortrages verläßt er das Arbeitszimmer, um einen Spaziergang zu machen. Man kann den Gefeierten nun, in seiner schlichten Weise grüßend, hin und wieder an den Läden verweilend, in den Straßen Berlins sehen. Moltke ist selbstverständlich eine der bekanntesten, populärsten Erscheinungen; es wird ihm gegenüber stets eine ganz besondere Ehrerbietung an den Tag gelegt, welche sich namentlich durch Vermeidung jeder Art des Drängens um seine Person kennzeichnet. –

Nach der Heimkehr von dem Spaziergange findet das Diner statt. Unser Held genießt es im Kreise seiner Familie. Sein Lieblingsgetränk ist Moselwein. Nach dem Schlusse des Mahles wird der Kaffee im Arbeitszimmer, und zwar am Kamine, bei der Cigarre eingenommen. Diese Zeit soll eine der angenehmsten und behaglichsten für den edlen Greis sein, der mit den Seinen in zwangloser, heiterer Unterhaltung bis fünf Uhr beisammen zu bleiben pflegt.

Um diese Stunde beginnt er wieder, einsam in dem Arbeitszimmer weilend, zu schreiben oder abwechselnd zu lesen. Erst um sieben Uhr macht er eine Pause. Die Zeitungen sind angekommen, und der Feldmarschall liest sie mit dem Eifer, den er für alle Erscheinungen und Ereignisse des Tages sich wachgerufen hat, wenn auch wohl zuweilen ein leichtes Lächeln durch seine feinen geistvollen Züge geht, indem seine Augen die Spalten des Blattes durchfliegen und er naiven Betrachtungen der Zeitungspolitiker begegnet, welche weit vom Ziele, das nur er kennt, abirren.

Den Thee nimmt er um acht Uhr Abends ein, dann setzt er sich an den Whisttisch. Man spielt das sogenannte Räuberwhist, in letzter Zeit eine Tour, die schwarze Dame genannt. Wie immer, wo es eine Berechnung, eine scharfe Combination gilt, ist auch im Spiele unser feiner Stratege Meister. Den Abend beschließt gewöhnlich eine kleine musikalische Unterhaltung, da Moltke der edlen Musica mit Leidenschaft zugethan ist. Durch die melodischen Klänge hindurch ertönen endlich die Schläge der elften Abendstunde; die Saiten verstummen; die Tasten des Pianos werden nicht mehr geschlagen; der Hausherr erhebt sich; sein Tag ist beendet. Durch die Fenster des Arbeitszimmers wirft der Mond seine Strahlen, und noch einmal, bevor Moltke seine Lagerstätte aufsucht, wirft er wohl einen Blick hinaus auf den mächtigen Platz, auf die hohe Säule.

Des Feldmarschalls Leben wird in seiner Regelmäßigkeit nur durch die Reichstags- und Herrenhaussitzungen unterbrochen, denen er bekanntlich mit größter Aufmerksamkeit folgt, ferner bringen seine Reisen, welche er entweder zur Cur oder zur Erholung antritt, sowie sein Aufenthalt zu Creisau, seinem Landgute in Schlesien (siehe Gartenlaube 1873, S. 393[WS 1]), Abwechselung in dieses strenginnegehaltene Programm, das namentlich während des Winters nie eine Aenderung erleidet.

Wird ein neuer Sturm von außen her den großen Denker der Schlachten noch einmal auf den Kampfplatz rufen? Wer vermöchte die Frage zu bejahen, zu verneinen?! In Bereitschaft sein ist Alles, und dafür sorgt Der, welchem der König den Feldherrnstab in die Hand legte.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: S. 493