Das Tusculum des Schlachtendenkers

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das Tusculum des Schlachtendenkers
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 393–396
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[393]
Das Tusculum des Schlachtendenkers.


Die geräuschvollen Feste der Czarenstadt sind verstummt. Vom Glanz des Fürstenprunkes ermüdet, sind die Staatenlenker und hohen Würdenträger, die während der letzten Wochen an der Newa versammelt waren, Einer nach dem Andern, in ihre Residenzen und Schlösser zurückgekehrt, nicht Wenige, um in der lachenden Heiterkeit ihrer ländlichen Sommersitze auszuruhen von den Anstregungen und Strapazen der Petersburger Festivitäten. Unter den Letzteren befindet sich auch ein Mann, der die Geschicke Deutschlands während der letzten Jahre zu einem großen Theile in seiner Hand hielt und sie glorreich hinausführen half – Helmuth Graf von Moltke.

Schon sind die Gemächer auf Schloß Creisau bereit, ihren hohen Herrn zu empfangen. Eine trauliche Heimstätte für den Schlachtendenker, dieses schlesische Tusculum! Inmitten einer freundlichen und fruchtbaren Gegend, eine Meile von der böhmischen Grenze entfernt, zwischen den Städten Schweidnitz und Reichenbach, liegen Schloß und Dorf. Licht und heiter schaut das Schloß – seit dem Jahre 1867 im Besitz des großen Strategen – unter seinem schwarz-blauen Schieferdache in die Landschaft hinaus. Dunkle Baumkronen mächtiger Ulmen und Linden streben zu seinen beiden Seiten empor, ihre Aeste ausbreitend und ineinander schlingend, als wollten sie ein [394] schützendes Dach bilden über Dem, der sich da unten in ihrem Schatten ergeht, über dem geistreichsten Soldaten des neuen Kaiserreichs.

Schloß Creisau macht einen stattlichen Eindruck. Auf den beiden Thorpfeilern des Hofeinganges – um nur etwas zu erwähnen – prangen zwei kriegerische Repräsentanten einer längst vergangenen Zeit. Es sind dies zwei griechische Fechter in Kampfesstellung mit vorgehaltenem Schild. Zwei andere Kämpfer, und zwar aus der neuesten Zeit, zeigen sich uns nicht weit von jenen eben erwähnten. In drohender Haltung ist nämlich ein Doppelposten von Stahl und Eisen, wie ausspähend nach den fernen Grenzlinien unseres Vaterlandes, auf riesigen Steinplatten vor der in den ersten Stock führenden Schloßtreppe aufgestellt – zwei eroberte französische Geschütze, welche Kaiser Wilhelm seinem sieggekrönten ersten General als Ehrengeschenk widmete. Beide Geschütze zeigen auf dem Rohre reiche Verzierungen, sowie das Datum und den Ort ihres Gusses. Es läßt sich vermuthen, daß diese Stücke von historischem Werthe sind.

Schloß Creisau.

Unmittelbar vor dem Schlosse breitet sich wie ein sammetner Teppich eine in zartem Grün leuchtende Rasenfläche hin, aus welcher sich wohlgepflegtes Gebüsch gruppenweise erhebt. Mit vielem Geschick und Geschmack ist dasselbe so gepflanzt, daß es mit seinen lachenden Blüthen und Knospen zu den ernsten, dunklen Bäumen der nächsten Umgebung einen sehr wohlthuenden Contrast bildet. Dieser Rasenfläche schließt sich der weite Hofraum an, welcher von Beamtenwohnungen und stattlichen Oekonomie-Gebäuden begrenzt wird.

So viel über das Aeußere von Schloß und Hof Creisau. Wenden wir uns nun zur Betrachtung der nächsten Umgebung des Schlosses, so müssen wir gestehen, daß sie nicht reich an großartigen Naturschönheiten ist. Aber die üppigen Wiesen an dem hier vielfach gewundenen Peile-Flüßchen, die nahe gelegenen und zum Theil mit Buschwerk reich bewachsenen Hügel, auf welche die hohen, dunkelbewaldeten Häupter des Zobten und der Eule ernst herabschauen, bieten immerhin ein liebliches und hübsch abgegrenztes Landschaftsgemälde.

Im verwichenen Sommer bot sich mir zufällig die Gelegenheit, mich längere Zeit in der Nähe von Creisau aufzuhalten, wo ich einige flüchtige Blicke in das tägliche Leben des berühmten Schloßherrn that. Die folgenden Mittheilungen sind die Frucht meines damaligen Aufenthalts dort und dürften den Lesern der Gartenlaube einiges Interesse bieten.

Es ist ein sonniger Julimorgen. An Halm und Strauch hängt noch der Thau der Nacht, und ein frischer kühler Hauch geht über Wiese und Feld. Die Thurmuhr des nahen Dorfes Gräditz verkündet eben die sechste Stunde – da sehen wir von der Schloßtreppe einen schlicht gekleideten Mann in den duftenden Morgen herabsteigen und über die wohl gepflegten Kieswege dem nahen Parke zuschreiten. Wer den Mann in dem einfachen schwarzen Rock, mit dem bartlosen Gesicht, in welches Alter und geistige Arbeit ihre Furchen gegraben, so dahin wandeln sieht, der wird versucht sein, zu glauben, er sehe in ihm einen würdigen Landpfarrer, der eben im Begriffe steht, auf einer Morgenwanderung das Material zu seiner nächsten Sonntagspredigt zu verarbeiten. Weit gefehlt! Der Mann im schlichten schwarzen Rock, mit dem bartlosen, fein geschnittenen Gesicht ist kein Mann der Kanzel. Mit kühnem Federstrich hat er den deutschen Heeren die Bahnen vorgezeichnet, welche sie zum Siege führten. Es ist der Schloßherr selbst, Graf Moltke.

Seiner Gewohnheit gemäß, hat er sich zeitig von seinem aus einer Roßhaarmatratze und leichter Decke bestehenden Nachtlager erhoben, schnell den Morgenkaffee eingenommen – der, nebenbei bemerkt, wie es im Schlosse Sitte ist, am gestrigen Abend gekocht und heute früh nur erwärmt wurde – und ist dann in die Morgenluft hinaus gewandert. Die Wirthschaftsräume sind sein erstes Ziel. Das Korn auf der Tenne, das Vieh im Stalle, das Getriebe der zum Gute gehörenden Brauerei, nichts entgeht seinem prüfenden Blicke. Und weiter lenkt er die Schritte durch die grünen Beete des Gemüsegartens, spricht ein freundliches Wort mit dem Gärtner und wendet sich dann mit innigem Behagen seinen mit Vorliebe gepflegten Zöglingen, den jungen trefflich gedeihenden Bäumen zu, welche hinter dem Schlosse in langen Reihen soldatisch aufgestellt sind. Mit Kennerblicken mustert der Feldherr sein kleines Heer; zeigt sich irgendwo ein dürrer Ast, so verfährt er, ganz im militärischen Geiste, mit unnachsichtlicher Strenge. Er greift in die Tasche – schnell ist das Messer zur Hand – und sofort liegt der Ast am Boden. Haßt doch der Marschall im Großen wie im Kleinen das Schwächliche und Halbe. Steht nun aber einer seiner Zöglinge gar mit krummem Rücken da, devot wie ein besiegter Welscher, der um Gnade fleht, dann ziehen sich die Falten auf des Strategen Stirn drohend zusammen: Untersuchung, Verurtheilung und Execution sind das Werk nur eines Augenblickes – und ausgerodet wird der Stamm mit Stumpf und Stiel.

Nach beendeter Wanderung sehen wir den Schlachtendenker in sein Studirzimmer treten. Dasselbe befindet sich im zweiten Stocke des Schlosses und wird von den zwei mittleren der auf dem nebenstehenden Bilde sichtbaren Fenster erhellt. Der Graf ist durch das einfenstrige Vorzimmer zur Rechten des Beschauers in sein Arbeitsgemach eingetreten und nimmt nun, durch die Morgenwanderung erfrischt, an einem einfachen Tische Platz, auf dem das Frühstück, aus einer Tasse Bouillon oder einem Glase Wein und belegtem Butterbrode bestehend, bereits servirt ist. Er ist dabei über einen kostbaren Teppich hinweggeschritten, welcher als die schönste Zierde des Zimmers bezeichnet werden muß. Derselbe, von den Damen der schlesischen Aristokratie angefertigt, trägt in weißer Seidenstickerei die Namen der Schlachten des letzten Krieges und wird vom Marschall besonders in Ehren gehalten. Neue Zeitungen sind eingetroffen und werden beim Frühstück einer eingehenden Durchsicht unterzogen. Die Zeit bis zum Mittag widmet der Graf in der Regel schriftlichen Arbeiten – das ist die Geburtsstunde großer weltbewegender Gedanken, welche, einmal auf’s Papier geworfen, nach Berlin in die Hände des Kaisers und seiner Minister wandern und von dort ihren Weg durch die Cabinete aller Großmächte nehmen, oft die Geschicke Europas bestimmend. Eine Kürzung dieser allmorgenlichen Arbeitsstunden pflegt der Graf [396] sich nur am Sonntage zu gestatten, wo er, fromm im besten Sinne, wie er ist, fast regelmäßig die nahegelegene Dorfkirche zu Gräditz besucht.

Gegen zwölf Uhr Mittags zieht sich Molke in sein Schlafgemach – auf unserm Bilde durch das vierte Fenster links bezeichnet – zurück, um bis zur Zeit der Mittagstafel Siesta zu halten. Punkt zwei Uhr versammeln sich die Familienglieder im Speisesaale. Den Ehrenplatz nimmt an der Tafel Frau von Bort ein, die Schwester und Schwiegermutter des Grafen in einer Person; denn sie gab einst die Stieftochter dem genialen Bruder zur Frau. Der älteren Generation gehören außer dem Marschall selbst dessen Bruder, der Kammerherr von Moltke, und seine Schwägerin, die verwittwete Frau Geheimrath von Moltke, an. Um diese ehrwürdigen Vertreter des alten Geschlechtes Moltke gruppiren sich die jüngeren Mitglieder der Familie: die vier Töchter der Frau Geheimräthin und zwei junge Officiere, Moltke’s Neffen, nämlich der Hauptmann von Bort und der Lieutenant von Moltke, Letzterer des Marschalls Universalerbe und künftiger Gutsherr von Creisau.

Nach aufgehobener Mittagstafel werden vom Grafen noch einige etwa eingegangene Correspondenzen erledigt. Die übrigen Familienglieder haben sich inzwischen, wenn das Wetter günstig ist, in den weit ausgedehnten und vom Grafen selbst angelegten Park begeben, wohin ihnen später Moltke zu folgen pflegt. Dort, auf einer freien, saftiggrünen Rasenfläche steht, einsam und mit kolossalen Zweigen weit ausgreifend in die Luft, eine herrliche, echt deutsche Eiche. Mit schattendem Blätterdache überwölbt sie eine an ihren kräftigen Stamm sich lehnende einfache Ruhebank. Wie oft kühlt hier, an seinem Lieblingsplätzchen, der Marschall seine von energischer Gedankenarbeit müde Stirn in den milden Lüften des Parkes! Gar mancher strategische Plan, der später Europa in Erstaunen setzte, mag hier in der erfrischenden Stille in seinem ersten Keime entstanden sein. Von hier aus schweift der Blick des Schlachtenhelden durch eine weitgedehnte Lichtung, die er zum Theil mit eigener Hand durch dichtes Gebüsch gebrochen hat, über die dunkeln Höhen des waldreichen Eulengebirges hin, oder er folgt sinnend den seltsamen Wolkengebilden, welche die eben dicht am Parke vorübersausende Locomotive zurückgelassen hat.

Ist die Promenade vollendet, so wird gewöhnlich noch eine Spazierfahrt veranstaltet, bei welcher Gelegenheit die Herrschaften mitunter ihrem Gutsnachbar, dem Geheimen Rath von Gellhorn auf Jacobsdorf, einen Besuch abstatten. Rath Gellhorn hat auch die Oberaufsicht über die ökonomische Verwaltung von Creisau, das mit zwei benachbarten Gütern eine gut arrondirte Herrschaft von zweitausendzweihundert Morgen bildet, übernommen.

Gegen acht Uhr Abends wird im Schlosse der Thee servirt, und das ist die Stunde, welche die Familienglieder noch einmal vor der Nacht – bald nach zehn Uhr sucht Excellenz sein Lager auf – in traulichem Gespräch zu versammeln pflegt. Aber nicht selten, wenn der Abend mild ist, sehen wir den ernsten Grafen, die Gesellschaft meidend, noch einen stillen einsamen Gang machen. Es ist ein Gang der Trauer und der Wehmuth, der Erinnerung und der Andacht; denn er gilt dem Mausoleum, in welchem der Schlachtendenker seine am Weihnachtsabende 1868 verschiedene, innig geliebte Gattin zur Ruhe gebettet hat.

Auf dem mit Ziersträuchern reich bepflanzten Gipfel eines ziemlich steil ansteigenden Hügels erhebt sich, nahe am Park, das Mausoleum, zu welchem Graf Moltke selbst den Plan gezeichnet hat. Die vielen Zeichen sorgsamer Pflege, die dieser Hügel aufzuweisen hat, deuten an, daß es der Geist der trauernden Liebe ist, der über dieser Stätte des Friedens schwebt. Der Bau selbst, aus Ziegeln mit Sandsteinverbrämungen aufgeführt, erscheint einfach und prunklos. Sein schlichtes Portal schauet weit in’s Land hinaus. Erhebend und fast überwältigend jedoch wirkt das Innere dieses Todtentempels. Ernste Dämmerung herrscht in dem ernsten Raume; keine vorlaute Zierde drängt sich in dem einfachen Ganzen dem Auge des Beschauers auf – in lichten Umrissen treten nur die edlen plastischen Formen der Gestalt des Welterlösers hervor. Hochaufgerichtet über der Gruft, die Arme halb erhoben, wie um Diejenige zu segnen, welche da unten schläft, steht der Gottgesandte, und über seinem Haupte leuchten die Worte der Schrift:

„Die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung.“

In diesem kleinen Heiligthume pflegt der Graf lange und oft zu verweilen, und der Volksmund sagt ihm pietätvoll nach, daß er stets, der todten Gattin die Ehre gebend vor den Lebenden, wenn er von Berlin nach Creisau kommt, vor dem Gehöfte vom Wagen steigt und sofort zur Gruft geht, deren Schlüssel er immer bei sich trägt. Gewiß ein rührendes Beispiel treuer Gattenliebe! Der Graf muß in der That in einer höchst glücklichen Ehe gelebt haben.

Als seine Gemahlin noch auf dieser Erde wandelte, sah man ihn fast nie allein, sondern immer von dieser begleitet. Wer Gelegenheit hatte, das Gattenpaar, wenn auch nur flüchtig, auf den täglichen Ausflügen zu beobachten, gewann die Ueberzeugung, hier habe er eine Ehe vor sich, so tiefinnig und in reinster Harmonie der Herzen, wie man eine solche leider so selten findet. Herzerquickend war es für Jeden, welcher irgend Sinn dafür hatte, zu sehen, wie die jugendliche Gattin im schlichten Kleide, den Strohhut oft in der Hand tragend, in heiterem Gespräch am Arme ihres Gemahls daherwandelte, oder bei einer Ausfahrt zu beobachten, wie die selbst kutschirende Frau in heiterem Scherz im Peileflüßchen ein Stückchen auf und ab fuhr, wobei von dem Gestampf der Pferde das Wasser hoch aufspritzte und die Insassen des Wagens näßte; dann sah man, daß der sonst so schweigsame Graf auch heiter scherzen und lachen konnte.

Mit Thränen in den Augen erzählte Graf Moltke nach dem erfolgten Tode seiner Gemahlin seinen Untergebenen, wie die Kranke trotz der wüthendsten Schmerzen – sie starb am Gelenkrheumatismus – als ihr Gesicht schon so geschwollen war, daß sie ihn nicht mehr sehen konnte, mit den Händen nach ihm getastet, ihm die Wangen gestreichelt und ihn in dieser Weise über den bevorstehenden Verlust habe zu trösten gesucht. Man begreift daher die Verehrung, welche der Graf der verstorbenen Gattin widmet. Sie leuchtet in Creisau aus Allem hervor.

Mit der früh dahingegangenen Gemahlin scheint der Graf ein gutes Stück seines Familienglückes begraben zu haben. Die Vaterfreuden sind ihm versagt geblieben. Aber für den großen Verlust ward ihm eine große Entschädigung: Deutschlands Kinder sind seine Kinder geworden. Für sie hat er gedacht, gekämpft, gelitten – und dafür spricht jeder Deutsche vom „Vater Moltke“ mit Dank und Ehrfurcht.