Textdaten
<<< >>>
Autor: Friedrich Hölderlin
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Hyperion – Hyperion an Bellarmin XIII
Untertitel: oder der Eremit in Griechenland – Erster Band
aus: Hyperion oder der Eremit in Griechenland von Friedrich Hölderlin. Erster Band. Tübingen 1797; S. 85–93
Herausgeber:
Auflage: 1
Entstehungsdatum: o. A.
Erscheinungsdatum: 1797
Verlag: J. G. Cotta'sche Buchhandlung
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Tübingen
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: www.hoelderlin.de
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]
[85]
HYPERION AN BELLARMIN.

Mir ist lange nicht gewesen, wie jezt.

     Wie Jupiters Adler dem Gesange der Musen, lausch’ ich dem wunderbaren unendlichen Wohllaut in mir. Unangefochten an Sinn’ und Seele, stark und fröhlich, mit lächelndem Ernste, spiel’ ich im Geiste mit dem Schiksaal und den drei Schwestern, den heiligen Parzen. Voll göttlicher Jugend frohlokt mein ganzes Wesen über sich selbst, über Alles. Wie der Sternenhimmel, bin ich still und bewegt.

     Ich habe lange gewartet auf solche Festzeit, um Dir einmal wieder zu schreiben. Nun bin ich stark genug; nun lass mich dir erzählen.

     Mitten in meinen finstern Tagen lud ein Bekannter von Kalaurea herüber mich ein. Ich sollt’ in seine Gebirge kommen, schrieb er mir; man lebe hier freier als sonstwo, und auch da blüheten, mitten unter den Fichtenwäldern und reissenden Wassern, Limonienhaine und Palmen und liebliche Kräuter und Myrrthen und die heilige Rebe. Einen Garten hab’ er hoch am Gebirge gebaut und ein Haus; dem beschatteten dichte Bäume den Rüken, und külende Lüfte umspielten es leise in den brennenden Sommertagen; [86-87] wie ein Vogel vom Gipfel der Ceder, blikte man in die Tiefen hinab, zu den Dörfern und grünen Hügeln, und zufriedenen Heerden der Insel, die alle, wie Kinder, umherlägen um den herrlichen Berg und sich nährten von seinen schäumenden Bächen.

     Das wekte mich denn doch ein wenig. Es war ein heiterer blauer Apriltag, an dem ich hinüberschiffte. Das Meer war ungewöhnlich schön und rein, und leicht die Luft, wie in höheren Regionen. Man liess im schwebenden Schiffe die Erde hinter sich liegen, wie eine köstliche Speise, wenn der heilige Wein gereicht wird.

     Dem Einflusse des Meers und der Luft widerstrebt der finstere Sinn umsonst. Ich gab mich hin, fragte nichts nach mir und andern, suchte nichts, sann auf nichts, liess vom Boote mich halb in Schlummer wiegen, und bildete mir ein, ich liege in Charons Nachen. O es ist süss, so aus der Schaale der Vergessenheit zu trinken.

     Mein fröhlicher Schiffer hätte gerne mit mir gesprochen, aber ich war sehr einsylbig.

     Er deutete mit dem Finger und wies mir rechts und links das blaue Eiland, aber ich sah nicht lange hin, und war im nächsten Augenblikke wieder in meinen eignen lieben Träumen.

     Endlich, da er mir die stillen Gipfel in der Ferne wies und sagte, dass wir bald in Kalaurea wären, merkt’ ich mehr auf, und mein ganzes Wesen öffnete sich der wunderbaren Gewalt, die auf Einmal süss und still und unerklärlich mit mir spielte. Mit grossem Auge, staunend und freudig sah’ ich hinaus in die Geheimnisse der Ferne, leicht zitterte mein Herz, und die Hand entwischte mir und fasste freundlichhastig meinen Schiffer an - so? rief ich, das ist Kalaurea? Und wie er mich drum ansah, wusst’ ich selbst nicht, was ich aus mir machen sollte. Ich grüsste meinen Freund mit wunderbarer Zärtlichkeit. Voll süsser Unruhe war all mein Wesen.

     Den Nachmittag wollt’ ich gleich einen Theil der Insel durchstreifen. Die Wälder und geheimen Thale reizten mich unbeschreiblich, und der freundliche Tag lokte alles hinaus.

     Es war so sichtbar, wie alles Lebendige mehr, denn tägliche Speise, begehrt, wie auch der Vogel sein Fest hat und das Thier.

     Es war entzükend anzusehn! Wie, wenn die Mutter schmeichelnd frägt, wo um sie her [88-89] ihr Liebstes sey, und alle Kinder in den Schoos ihr stürzen, und das Kleinste noch die Arme aus der Wiege strekt, so flog und sprang und strebte jedes Leben in die göttliche Luft hinaus, und Käfer und Schwalben und Tauben und Störche tummelten sich in frohlokkender Verwirrung unter einander in den Tiefen und Höhn, und was die Erde festhielt, dem ward zum Fluge der Schritt, über die Gräben brausste das Ross und über die Zäune das Reh, und aus dem Meergrund kamen die Fische herauf und hüpften über die Fläche. Allen drang die mütterliche Luft an’s Herz, und hob sie und zog sie zu sich.

     Und die Menschen giengen aus ihren Thüren heraus, und fühlten wunderbar das geistige Weben, wie es leise die zarten Haare über der Stirne bewegte, wie es den Lichtstral kühlte, und lösten freundlich ihre Gewänder, um es aufzunehmen an ihre Brust, athmeten süsser, berührten zärtlicher das leichte klare schmeichelnde Meer, in dem sie lebten und webten.

     O Schwester des Geistes, der feurigmächtig in uns waltet und lebt, heilige Luft! wie schön ist’s, dass du, wohin ich wandre, mich geleitest, Allgegenwärtige, Unsterbliche!

     Mit den Kindern spielte das hohe Element am schönsten.

     Das summte friedlich vor sich hin, dem schlüpft’ ein taktlos Liedchen aus den Lippen, dem ein Frohlokken aus offner Kehle; das strekte sich, das sprang in die Höhe; ein andres schlenderte vertieft umher.

     Und all diess war die Sprache Eines Wohlseyns, alles Eine Antwort auf die Liebkosungen der entzükenden Lüfte.

     Ich war voll unbeschreiblichen Sehnens und Friedens. Eine fremde Macht beherrschte mich. Freundlicher Geist, sagt’ ich bei mir selber, wohin rufest du mich? nach Elysium oder wohin?

     Ich gieng in einem Walde, am rieselnden Wasser hinauf, wo es über Felsen heruntertröpfelte, wo es harmlos über die Kieseln glitt, und mälig verengte sich und ward zum Bogengange das Thal, und einsam spielte das Mittagslicht im schweigenden Dunkel -

     Hier - ich möchte sprechen können, mein Bellarmin! möchte gerne mit Ruhe dir schreiben!

     Sprechen? o ich bin ein Laie in der Freude, ich will sprechen!

     [90-91] Wohnt doch die Stille im Lande der Seeligen, und über den Sternen vergisst das Herz seine Noth und seine Sprache.

     Ich hab' es heilig bewahrt! wie ein Palladium, hab’ ich es in mir getragen, das Göttliche, das mir erschien! und wenn hinfort mich das Schiksaal ergreift und von einem Abgrund in den andern mich wirft, und alle Kräfte ertränkt in mir und alle Gedanken, so soll diess Einzige doch mich selber überleben in mir, und leuchten in mir und herrschen, in ewiger, unzerstörbarer Klarheit! -

     So lagst du hingegossen, süsses Leben, so bliktest du auf, erhubst dich, standst nun da, in schlanker Fülle, göttlich ruhig, und das himmlische Gesicht noch voll des heitern Entzükens, worinn ich dich störte!

     O wer in die Stille dieses Auges gesehn, wem diese süssen Lippen sich aufgeschlossen, wovon mag der noch sprechen?

     Friede der Schönheit! göttlicher Friede! wer einmal an dir das tobende Leben und den zweifelnden Geist besänftigt, wie kann dem anderes helfen?

     Ich kann nicht sprechen von ihr, aber es giebt ja Stunden, wo das Beste und Schönste, wie in Wolken, erscheint, und der Himmel der Vollendung vor der ahnenden Liebe sich öffnet, da, Bellarmin! da denke ihres Wesens, da beuge die Knie mit mir, und denke meiner Seeligkeit! aber vergiss nicht, dass ich hatte, was Du ahnest, dass ich mit diesen Augen sah, was nur, wie in Wolken, Dir erscheint.

     Dass die Menschen manchmal sagen mögten: sie freueten sich! O glaubt, ihr habt von Freude noch nichts geahnet! Euch ist der Schatten ihres Schattens noch nicht erschienen! O geht, und sprecht vom blauen Aether nicht, ihr Blinden!

     Dass man werden kann, wie die Kinder, dass noch die goldne Zeit der Unschuld wiederkehrt, die Zeit des Friedens und der Freiheit, dass doch Eine Freude ist, Eine Ruhestätte auf Erden!

     Ist der Mensch nicht veraltert, verwelkt, ist er nicht, wie ein abgefallen Blatt, das seinen Stamm nicht wieder findet und nun umhergescheucht wird von den Winden, bis es der Sand begräbt?

     Und dennoch kehrt sein Frühling wieder!

     [92-93] Weint nicht, wenn das Treflichste verblüht! bald wird es sich verjüngen! Trauert nicht, wenn eures Herzens Melodie verstummt! bald findet eine Hand sich wieder, es zu stimmen!

     Wie war denn ich? war ich nicht wie ein zerrissen Saitenspiel? Ein wenig tönt’ ich noch, aber es waren Todestöne. Ich hatte mir ein düster Schwanenlied gesungen! Einen Sterbekranz hätt’ ich gern mir gewunden, aber ich hatte nur Winterblumen.

     Und wo war sie denn nun, die Todtenstille, die Nacht und Öde meines Lebens? die ganze dürftige Sterblichkeit?

     Freilich ist das Leben arm und einsam. Wir wohnen hier unten, wie der Diamant im Schacht. Wir fragen umsonst, wie wir herabgekommen, um wieder den Weg hinauf zu finden.

     Wir sind, wie Feuer, das im dürren Aste oder im Kiesel schläft; und ringen und suchen in jedem Moment das Ende der engen Gefangenschaft. Aber sie kommen, sie wägen Aeonen des Kampfes auf, die Augenblikke der Befreiung, wo das Göttliche den Kerker sprengt, wo die Flamme vom Holze sich löst und siegend emporwallt über der Asche, ha! wo uns ist, als kehrte der entfesselte Geist, vergessen der Leiden, der Knechtsgestalt, im Triumphe zurük in die Hallen der Sonne.