Humboldt und ein neuer Münchhausen

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Titel: Humboldt und ein neuer Münchhausen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 719
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[719] Humboldt und ein neuer Münchhausen. In dem „Briefwechsel A. v. Humboldts mit H. Berghaus“ (Leipzig, Costenoble, 3 Bde.), einem Werke, das namentlich für die Geschichte der Erdkunde in den letzten dreißig Jahren von großer Wichtigkeit ist, wird auch Folgendes erzählt:

War Humboldt mit dem Könige in Potsdam, so pflegte er bei gutem Wetter Spaziergänge in der Umgebung der Stadt zu machen und namentlich eine Anhöhe zu besuchen, von der aus man eine Uebersicht der Landschaft und besonders der Havel-Seen hat. Eines Tages saß er auf einer Ruhebank auf dieser Anhöhe (Brauhausberg genannt), als ein junger Mann ihn flüchtig grüßte und sich neben ihn setzte. Humboldt sprach gegen den Unbekannten von der schönen Aussicht.

„Ja, die Aussicht ist ganz niedlich, sogar hübsch, aber was ist sie gegen die Aussichten in der Schweiz und nun gar gegen die vom Chimborazo! Dagegen ist sie gar nichts!“

Humboldt glaubte nach dieser Rede einen ihm noch unbekannten Reisenden vor sich zu sehen, der vielleicht nach Potsdam gekommen sei, ihn aufzusuchen; er fragte also:

„Sie waren in Amerika und auf dem Chimborazo? Ich glaubte bisher, es wären nur zwei Versuche gemacht worden, den Chimborazo zu ersteigen, einmal von Humboldt mit Bonpland und Montufar, dann dreißig Jahre später von Boussingault und Gate. Sie haben also auch den Versuch gemacht?“

„Ich habe nicht nur den Versuch gemacht, sondern bin auf die Spitze hinaufgekommen. Meine Gefährten mußten ein paar tausend Fuß tiefer zurückbleiben.“

„Darf ich fragen, wer Ihre Begleiter bei diesem gefährlichen Unternehmen waren?“

„So arg sind die Gefährlichkeiten nicht, als sie den Leuten vorgeredet werden.“

„Einige Bergreisen habe ich auch und dabei die Erfahrung gemacht, daß außer andern Gefahren die persönlichen Leiden in den höhern Luftschichten doch nicht so ganz unbedeutend sind.“

„Viel Wind dabei, auf Ehre! Nur Courage gehört dazu. Die habe ich; meinen Begleitern ging sie aus, und darum mußten sie zurückbleiben.“

„Darf ich meine Frage nach den Namen Ihrer Gefährten wiederholen?“

„Sie haben sie vorhin selbst genannt. Der Humboldt hatte noch die meiste Courage, er wollte mir nach, aber die Kräfte reichten bei ihm nicht aus. Der Franzose wollte bei jedem Schritte umkehren.“

„Sie scheinen wenig über 30 Jahre alt zu sein,“ sagte Humboldt lächelnd; „Humboldt machte seinen Versuch 1802, und jetzt haben wir 1835. Wie reimt sich das zusammen?“

„Bitte um Vergebung. Sie verwechseln die Zahlen. Nicht 1802, sondern 1820 war ich mit dem Humboldt auf dem Chimborazo. Damals war ich 20 Jahre alt.“

„Ich habe immer gehört, daß mit Humboldt nur zwei Personen waren.“

„Sie irren sich, auf Ehre. Da ich selbst dabei gewesen bin, muß ich es doch besser wissen. Wenn Humboldt mich in seinen Schriften nicht erwähnt, so ist dies aus Neid geschehen, weil ich auf dem Gipfel des Chimborazo war und er nicht nachkommen konnte. Er war seitdem übler Laune und ließ sie oft an mir aus. Ich habe ihm mehrmals meine Meinung darüber derb gesagt. Da kam es einmal zu einem Wortwechsel; ich trennte mich von ihm und kehrte allein nach Europa zurück.“

Jetzt wurde Humboldt ernst und antwortete:

„Ich höre gern Münchhausen’sche Geschichten, wenn sie gut erfunden sind, die Ihrige ist aber schlecht erfunden und dichtet überdies den häßlichen Neid einem Manne an, der sich bewußt ist, von demselben immer frei gewesen zu sein.“

„Kennen Sie den Humboldt?“

„Ich bin es selbst.“

Sobald Humboldt dies gesagt hatte, sprang der Fremde von der Bank auf und verschwand im nächsten Gebüsch. Es war ein Herr von Sch..f, der später Landrath in Friedeberg in der Neumark wurde.