Der Illustrationen-Schwindel der Londoner Pennyblätter
Der Illustrationen-Schwindel der Londoner Pennyblätter. – Eine neue Art der Annonce. – Je öfter ich eine Nummer der Gartenlaube unter die Hände bekomme und mich an den guten Holzschnitten, dem gediegenen Inhalt und der typographischen Ausstattung derselben erfreue, je öfter muß ich mitleidig lächeln über eine gewisse Branche der englischen periodischen Literatur, die, gleich der Gartenlaube, auch für’s Volk bestimmt, ebenfalls reich an Illustrationen und billig obenein ist. Doch welch’ ein Unterschied! – Es wird mich Niemand der Schmeichelei von der einen, noch der Uebertreibung von der andern Seite beschuldigen können, der ein Exemplar des deutschen Blattes und ein solches der „Weekly Illustrated News“ neben einander vor sich hinlegen und vergleichen will. Der Preis beider Zeitschriften differirt kaum: die Gartenlaube kostet jährlich 2 Thaler und das eben citirte englische Blatt liefert 52 Nummern à 16 klein Folioseiten für 52 Pence (1 Thlr. 18 Sgr. 2 Pf.). Doch welch ein Unterschied! rufe ich wiederholt. Betrachten wir zunächst das englische Blatt.
Für den Engländer der Classe, für die es zumeist bestimmt ist, mag es ganz gut sein; indessen scheint es mir doch, daß eine Redaction Niemand – selbst dem einfachen Arbeiter nicht, und diesem erst recht nicht – zumuthen sollte, eine offenbare, handgreifliche Lüge für eine Wahrheit zu halten. Und diese kolossalen Lügen in Wort und Bild kann man dem genannten Blatte, der Illustrated Weekly News, zu Hunderten im Laufe eines Jahres nachweisen. Ich führe einige der frappantesten Beispiele zur Erbauung [719] der Leser der Gartenlaube an. Zur Zeit der Verheirathung des Prinzen von Wales mit der Prinzessin Alexandra von Dänemark waren natürlich alle Zeitungen mit Berichten und erklärenden Illustrationen über das Ereigniß des Tages gefüllt. Auch das genannte Blatt brachte in einer Nummer eine Illustration, welche zufolge der Unterschrift die Abreise der fürstlichen Braut von Kopenhagen darstellen sollte. Ohne sehr genau auf dieselbe zu blicken, fand ich, daß die dargestellte Scene nicht Kopenhagen, sondern Berlin war; da war das Palais des früheren Prinzen von Preußen, mit der Universität gegenüber, dem Monument des großen Friedrich und dem Anfang der Lindenpromenade im Hintergrund. Die die Straße besetzt haltenden Truppen waren klar und deutlich als preußische Garden zu erkennen, zum Ueberfluß sah man linker Hand auch noch ein Stück der Façade des Opernhauses, und endlich schritten den königlichen Equipagen voran Processionen der Gewerke, Fahnen tragend, auf deren vorderster ganz deutlich das Wappen der Stadt Berlin zu erkennen war. Das Ganze schien mir ein alter Holzschnitt zu sein, der gelegentlich der Krönung des jetzigen Königs von Preußen gemacht war, in irgend einem Blatte damals gedient hatte, und den Einzug des Königs in Berlin nach seiner Rückkehr von Königsberg vorstellte. Dabei scheuete sich die Redaction jedoch nicht, noch besonders zu bemerken, daß ein speciell engagirter Künstler die Illustrationen an Ort und Stelle aufgenommen habe.
Am meisten amüsiren mich jedoch die Illustrationen, welche in demselben Blatte bezüglich des jetzt und seit Jahr und Tag in Amerika zwischen den Nord- und Südstaaten wüthenden Krieges dem leichtgläubigen und leicht zu befriedigenden englischen Publicum aufgeheftet wurden. Kurz zuvor hatten erst der kurze, doch ereignißvolle italienische Krieg und dann die Scharmützel zwischen den Truppen Franz’ II. und Victor Emanuel’s Anlaß zur Anfertigung einer Menge von Holzschnitten, Schlachtscenen darstellend, gegeben. Diese mußten nun wiederholt die Literatur schmücken und sich nolentes volentes dem nordamerikanischen Bürgerkriege anpassen lassen. So finde ich Seite 681 (Monat August 1862) eine Illustration mit der Unterschrift: „Zurückwerfung der Nordstaatentruppen in der Nähe von Richmond.“ Ein nur oberflächlicher Blick auf das Bild zeigt uns den französischen Kaiser mit seinem Gefolge, französische Infanterie und Artillerie zum Gefecht vorrückend im Vorgrunde, und den historisch gewordenen Wartthurm auf der Höhe vor Solferino mit den einzelnen Pappeln dabei im Hintergrunde.
Seite 408 desselben Blattes (Monat April 1862) bietet eine Abbildung im großen Format, angeblich die große Schlacht am Sugar Creek in Arkansas darstellend. Wiederum finden wir französische Truppen zur Attake vorrückend, unverkennbar französische Generale sie anfeuernd und österreichische Soldaten in ihren kurzen, weißen Röcken und engen ungarischen Beinkleidern als Todte und Verwundete das Schlachtfeld bedeckend.
In ihrer Nummer vom 1. November 1862 geben unsere Weekly News zwei Bilder auf einer Seite, das obere mit der Unterschrift. „Südstaaten-Truppen im Marketender-Zelt“, das andere: „Angriff der Conföderirten auf Corinth“. – Das obere Bild stellt in Wirklichkeit französische Chasseurs d’Afrique dar und zeigt uns ein treues Portrait einer französischen Cantinière in Uniform; das zweite kann keinem vernünftigen Menschen als etwas Anderes denn Messina erscheinen. Man sieht neapolitanische Truppen, auf deren Fahnen das Wappen von Neapel, und den Aetna im Hintergrunde der Meeresbucht.
Das non plus ultra jedoch bleiben zwei auf die französische Occupation Mexicos bezügliche Holzschnitte auf Seite 488 vom 9. Mai 1863, beide angeblich Gefechte der französischen mit den mexicanischen Truppen vorstellend und beide augenscheinlich aus der Zeit herrührend, in welcher Spanien mit Marokko im Kriege war; denn auf beiden sieht man die nicht zu verkennende spanische Uniform, namentlich die eigenthümliche Figur der spanischen Militär-Kopfbedeckung, und auf beiden präsentiren sich deutlich die weißen, flatternden Bournusse der Araber und Beduinen.
Ich könnte so in diesem Genre noch lange fortfahren, denn fast eine jede Nummer dieses unvergleichlichen Blattes bringt eine ähnliche Lüge im Bilde; doch genug davon, lassen sich die Alles wissen wollenden Engländer solchen Unsinn aufheften, so mögen sie es thun; ein deutsches Blatt würde mit solcher Frechheit nicht aufzutreten wagen. Man vergleiche nun die äußere Ausstattung, Papier und Druck des mehrerwähnten Blattes mit unserer Gartenlaube, der Illustrirten Zeitung oder irgend einem ähnlichen deutschen Blatte. Auch hier, welche Differenz! – Zeitungsdruck, wie man sich ihn nur denken kann, und Papier, welches – mit einem Worte richtiges Strohpapier. Von dem aus allen Zeitungen zusammengestoppelten Inhalt, der von Druckfehlern wimmelt, will ich gar nicht sprechen, es ist unmöglich, in ihm nur einen Originalbeitrag herauszufinden.
Nun giebt es noch eine andere Art von Literatur in wöchentlichen Lieferungen hier in London, die billiger als billig ist, denn sie wird umsonst verabreicht. Ein hiesiger Kaufmann (Materialist) giebt jedem seiner Kunden wöchentlich gratis eine Nummer eines acht Seiten haltenden Blattes, welches er auf seine Kosten eigens redigiren und drucken läßt und dessen Inhalt eine Mischung von Fabeln, Märchen, Novellen, Gedichten, Schauer- und Geistergeschichten etc. ist. Ellerby und Comp. ist die Firma dieses (auch meines) Thee- und Kaffeelieferanten, der dieses Mittel mit Erfolg benutzt, um theils Kunden anzuziehen, theils seine Waaren anzupreisen, wozu ihm die erste und letzte Seite seines „Journals“, wie er es stolz nennt, prächtig dient.
Zum Schluß noch eine jedoch sehr wahre Anekdote, welche eigentlich mehr in das Annoncenfach einschlägt, das bereits früher in der „Gartenlaube“ einmal besprochen wurde. Gestern führte mich mein täglicher Weg durch Holborn, eine der Hauptpulsadern Londons. Ich sah einen dichten Menschenknäuel um zwei oder drei Männer versammelt, welche – soweit ich es aus der Ferne zu erkennen vermochte – dicke Stöcke von Zetteln unter dem Arm hatten und diese an die Umstehenden vertheilten. Glaubend, daß dies eine der gewöhnlichen, auf den Straßen vertheilten Zettel-Annoncen sei, wie sich Aerzte, Kaufleute, Schnittwaarenhändler, Schneider und Schuhmacher derselben, bedienen und deren man zwei bis drei Dutzend in einem Zeitraum von zehn Minuten in Empfang nehmen kann, wenn man sonst will, wollte ich vorbeipassiren, als meine Aufmerksamkeit durch die eigenthümliche Form dieser Handbills (so nennt man sie) erregt ward. Mit Mühe gelang es mir eines Exemplars mich zu bemächtigen. Was glauben Sie, konnte es sein? Sie würden es schwerlich errathen.
Ein Halskragen von Papier, prächtig weiß, nach dem neuesten und fashionabelsten Schnitt, dessen innere Seite ganz zierlich bedruckt war und die Annonce eines Friseurs und Parfümeriehändlers enthielt. Viele Jungen befestigten sich den erbeuteten Kragen sofort am Hemd. Dies ist nun eine ganz neue Art der Straßen-Annonce, neuer jedenfalls als die Wechsel-Annonce, welche auch sehr ingeniös ist und darin besteht, daß Kaufleute sich Etiquetten sehr fein drucken lassen, welche genau die Rundung eines Penny haben; diese werden dann auf die eine Seite der großen Kupfermünze geklebt und kommen so beim Herausgeben in die Hände des kaufenden Publicums.