Humboldt’s astronomische Ortsbestimmungen in Amerika

Textdaten
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Autor: J. Loewenberg
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Titel: Humboldt’s astronomische Ortsbestimmungen in Amerika
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aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 514 – 515
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Humboldt’s astronomische Ortsbestimmungen in Amerika.

Von J. Loewenberg.

Wir betreten in diesem Artikel ein Gebiet, auf welchem die große Masse der Leser nur ungern dem populären Schriftsteller Folge leistet; denn vor wissenschaftlichen Zifferkolonnen pflegt das Laienpublikum die regelrechteste Flucht zu ergreifen, und hinter astronomischen Ortsbestimmungen wittert jeder diesen bösen Feind. So möge denn im Voraus versichert werden, daß hier auch nicht die kleinste homöopathische Dosis beschwerlicher astronomischer Wissenschaft auch nicht in minimalster populärer Verdünnung zugemuthet werden soll. Die nebenstehende Uebersichtskarte führen wir unsern Lesern nur als ein geographisches Kuriosum vor, das gewiß auch das Interesse weiterer Kreise in Anspruch nehmen darf, und wollen hier nur so viel sagen, wie gerade zum Verständniß der Karte nöthig erscheint.

Die Zeiten sind zwar längst vergessen, wo selbst die Grenzlinien Europas, der Wiege unserer Civilisation, in abenteuerlichsten Formen gezeichnet wurden, aber gezählt sind die Tage noch lange nicht, wo die Orte auf den Landkarten neuentdeckter Länder so zu sagen taumeln und unstät umherschwanken. Die neuesten Karten von Afrika zeugen am besten davon: Flüsse, Gebirgszüge und einzelne Ortschaften verändern auf ihnen von Jahr zu Jahr ihre Lage, und nur allmählich entwickelt sich unter unsern Augen die richtige Form des dunklen Welttheils.

Viel schlimmer war es jedoch im Anfang unseres Jahrhunderts mit der geographischen Kenntniß der Länder von Central- und Südamerika bestellt. Die Forscher, welche dort Ortsbestimmungen vornahmen, wie J. Covens, Alzate und d’Anville ließen sich arge Fehler zu schulden kommen und schufen Karten, die der Wirklichkeit gar nicht entsprachen. So wurde z. B. für Veracruz am Golf von Mexico in Länge- und Breitegraden eine Lage bestimmt, die in Wirklichkeit am entgegengesetzten Ende Mexicos nahe an der Küste des Großen Oceans gesucht werden müßte.

In Zahlen ausgedrückt waren die Unterschiede der einzelnen Angaben jener Forscher so groß, daß z. B. die Lage von Veracruz von dem Einen um 104 Meilen weiter nach Westen gerückt wurde als von dem Andern.

In diesem trostlosen geographischen Wirrwarr sollte Alexander von Humboldt endgültig Ordnung schaffen.

Als der berühmte Forscher gegen Ende des vorigen Jahrhunderts sich zu seiner wissenschaftlichen Reise vorbereitete, waren die Methoden, astronomische Ortsbestimmungen auf Reisen anzustellen, schon fast vollkommen ausgebildet, und man hatte auch schon leicht transportable Instrumente, über deren Gebrauch ihn die damals in Deutschland lehrreichste Autorität, der Direktor der Gothaer Sternwarte von Zasch, informirt hatte. Die ersten Uebungen machte Humboldt um Jena, maß hier alle „Maulwurfshöhen“, dann ging er nach Dresden, um dort mit seinem vierzehnzölligen Sextanten unter der Leitung Koehler’s, des damaligen Inspektors des mathematischen Salons, weitere Uebungen vorzunehmen, die sich bis Pillnitz, Königstein und Teplitz erstreckten. Auch während seines Aufenthaltes mit Leopold von Buch in Salzburg, 1798, sowie in der Umgegend von Paris und in Spanien machte er mehrere Ortsbestimmungen und war beim Antritt der amerikanischen Reise mit Instrumenten und Methoden vollkommen vertraut.

Schon die Längenbestimmung von Cumana, dem ersten Orte, den Humboldt in Südamerika betrat, nennt Encke, der berühmte Direktor der Berliner Sternwarte, „ein glänzendes Beispiel von Genauigkeit und Sicherheit“.

Die astronomischen Beobachtungen zu den sämmtlichen Ortsbestimmungen Humboldt’s in Amerika kosteten aber nicht weniger als 417 Tage und Nächte. Die Arbeiten mußte der Forscher zumeist in den Wäldern unter dem Geschwirre der stechenden Mosquitos und bei unstätem Fackellicht, nach einer ermüdenden Tagesreise von acht bis zwölf Stunden auf dem unbequemen Rücken eines Maulthiers, oder eingezwängt in ein enges Schilfdach auf dem Kanoe, ausführen. Nicht selten war es auch der getrübte Himmel, der die Beobachtung außerordentlich erschwerte und die unermüdlichsten Anstrengungen der Geduld erforderte. So mußten z. B. bei der Beobachtung der Jupitertrabanten in Caracas nicht weniger als 27 Nächte durchwacht werden, und zwar wegen der unbeständigen Witterung – vergebens! –

Auf unsrem Kärtchen „Geographische Lage von Mexico, Veracruz, Acapulco“, sehen wir neben diesen drei Ortsnamen noch Personennamen und Jahreszahlen, die besagen, von wem und wann die Lage dieser Orte beobachtet und bestimmt worden ist. Werden die Positionen eines und desselben Beobachters zu Dreiecken verbunden, so gewährt dies ein anschauliches Bild, wie die einzelne und gegenseitige Lage dieser Orte, die Konfiguration der Küste und des Landes von Astronomen, [515] Reisenden und Geographen zu verschiedenen Zeiten dargestellt worden ist. Das mit stärkeren Linien gezeichnete Dreieck zeigt die Lage der Orte nach Bestimmungen Humboldt’s, welche noch jetzt als richtig gelten, und wir sehen mit staunender Bewunderung, wie unstät die früheren Positionen und wie groß die Abweichungen und Fehler vor Humboldt waren.

Nach dem, was hier nur an drei Orten zu veranschaulichen versucht worden ist, deren Gesammtzahl aber 200 übersteigt, dürfte kein Zweifel obwalten an Humboldt’s Verdiensten um die astronomischen Ortsbestimmungen in Amerika. Aber der Ruhm seines weltumfassenden Geistes und die Anerkennung seines Fleißes müssen uns noch größer erscheinen, wenn wir dabei an den Ausspruch denken, den Peschel in seiner schönen, warmherzigen Abhandlung „Alexander von Humboldt’s Stellung in der Wissenschaft“ gethan: „Humboldt war kein Astronom, er hat nie ein astronomisches Werk verfaßt, nie anders, denn als Liebhaber auf Sternwarten gearbeitet.“ Den jüngeren Forschungsreisenden der Gegenwart möge aber Alexander von Humboldt auch in dieser Hinsicht als ein Vorbild gelten, auf dessen Bahnen sie zum Nutzen der geographischen Wissenschaft wandeln sollten.