Howard-Castle in Yorkshire in England

CI. Grabmal der Cäcilia Metella in Rom Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band (1836) von Joseph Meyer
CII. Howard-Castle in Yorkshire in England
CIII. Theben in Aegypten
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HOWARD CASTLE

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CII. Howard-Castle in Yorkshire in England.




Die Aristokratie der Geburt hat in den civilisirten Reichen des europäischen Kontinents überall ihr Greisenalter erreicht. Nachdem die Bevorrechteten Jahrhunderte lang in Streit und Eifersucht um den Vorrang in Würden und äußerm Glanz ihre Kräfte vergeudeten, nachdem sie die erste Periode der Erschütterungen durchlaufen haben, welche, Erdbeben weissagend, das Gebäude der Gesellschaft durchzucken, erkennen sie, daß, was da dem Königthum, dort dem Volke an Macht zuwuchs, die ihrige verlor. Ueberall betrachtet sich die Aristokratie als die betrogne Partei und der Reibungen müde, in denen sie unterzugehen fürchtet, äußert gegenwärtig kein Stand aufrichtiger und lebhafter das Verlangen nach besitzsichernden und schützenden Gesetzen, nach Erhaltung der Ruhe und des Friedens, als eben der ihrige. – Aber während die Hälfte des Adels diese Bürgschaften als ganz ausreichend betrachtet für die Bewahrung seines Besitzes und wohl gar thörichte Hoffnungen zur Wiedererlangung[WS 1] des unwiederbringlich Verlornen darauf gründet, hält der verständigere Theil jene Garantieen allein nicht für genügend. Klüger und aufgeklärter geworden durch Erfahrung und Unglück, hat er das Unhaltbare manches geretteten Anspruchs, manches gebliebenen Rechts einsehen gelernt, und, um sich vor den Täuschungen der Habsucht zu bewahren, ist er zum freiwilligen Aufgeben bereit. Während die Orthodoxen hartnäckig auf verjährte und lächerlich gewordene Ansprüche bestehen, bekennt freimüthig die klügere Partei, daß es ein Rechnungsfehler der Dummheit sey zu glauben, ihr Stand, wenn er, wie früher, es sich zur Aufgabe mache, auf Kosten der übrigen zu genießen, könne bestehen auf die Dauer. Sie sieht ein, daß Widerwille, Haß, Verachtung und Rache des täglich heller sehenden Volkes unausbleiblich solchem Streben der Bevorrechteten entkeimen müssen, und sie gesteht sich, in solchem Keime sey, als einstige Frucht, der Kaste sichere Vernichtung verborgen.

Dieses Schisma in den Meinungen, seit 1789 offenkundig und allgemeiner hervorgetreten, spaltet die Geburtsaristokratie im civilisirten Europa in 2 Hälften, deren Streben zwar im Grunde einerlei Ziel verfolgt, Erhaltung nämlich alles als haltbar erkannten Besitzes; aber doch in Bezug auf die Mittel dazu und auf die Frage, was haltbar sey, weit auseinander geht. Von allen Aristokratien hat die brittische am längsten dieser Spaltung widerstanden. Alt zwar sind die Parteien der Whigs und Torys; aber auf die Wahrung der Adelsrechte gegen Thron und Volk waren beide stets mit gleichem Eifer bedacht. Erst in unserer Zeit, seitdem durch die Verbesserung des Schulwesens und durch die Wirksamkeit zahlreicher Vereine, welche Volksbildung zum Zweck haben, die Mittel des Unterrichts der englischen Nation in reicherm Maaße gereicht werden; seitdem durch allgemeine Ideen- und Meinungsmittheilung [26] Uebereinstimmung in Denk- und Handelsweise für die Masse des brittischen Volks gewonnen ist und selbst die niedrigsten Klassen aufgeklärt sind über die Grundursachen von Glück und Unglück der Gesellschaft; erst seitdem politische Bildung dergestalt Gemeingut Aller geworden ist, daß ein Mensch, der nicht klare Begriffe habe über seine Stellung und über seine Rechte und Pflichten im Staate, zu den Ausnahmen gehört: erst seit dieser Zeit hat sich jenseits des Kanals die Idee von der Unhaltbarkeit vieler Rechte des Geburtsadels, gegenüber der fortgeschrittenen Civilisation, Eingang zu verschaffen gewußt, und es ist die Lehre aufgestellt worden: zeitiges, freiwilliges Aufgeben des Unhaltbarsten sey das wirksamste Mittel zur Bewahrung des Uebrigen. Den Männern, welche diese Lehre vertreten, gab die Julirevolution Bedeutung, die öffentliche Meinung hob sie auf die Stufen des Throns und reichte ihnen den Stab königlicher Macht; aber man würde sich sehr täuschen, wollte man daraus den Schluß ziehen, daß sie die Majorität ihres Standes repräsentiren. Ihre Anzahl ist nur klein und Englands Adel befindet sich in der That gegenwärtig in demselben Verhältniß, als der Frankreichs zehn Jahre vor der Revolution. – Politische Uebermacht und Mißbrauch der brutalsten Vasallenherrschaft, starrer Dünkel und Ahnenstolz, gehen dort drüben mit dem korrumpirenden Einflusse, den unbegränzter Reichthum einer Kaste, die schon Geburtsrang erhebt, überall verleiht, Hand in Hand. Wer sich überzeugen mag, daß das republikanische Prinzip nur in dem öffentlichen Leben der englischen Nation haftet, im geselligen Leben hingegen auch nicht eine Spur davon anzutreffen ist, der muß die geschlossenen Kreise beobachten, in denen sich das letztere bewegt. Er wird mit Erstaunen gewahr werden, welch eine unglaubliche Ausbildung der Kastengeist in diesem Volke erhalten hat, und wie von den obersten Ständen bis auf die niedern herab jede Nüance des Rangunterschiedes sich mit Eifersucht von einander abschließt. Will er aber recht inne werden die ungeheuere Entfernung, in welcher sich die hohe Aristokratie vom Volke zu halten versteht, so muß er sie auf ihren Landsitzen heimsuchen und sie beobachten in der Mitte einer Bevölkerung abhängiger, eigenthumsloser Pächter. – „Die englischen Könige,“ sagt ein neuerer, geistreicher Beobachter, „leben wie Privatleute; aber jeder Baron der immer grünen Insel führt das Leben eines Königs. Die Schlösser des Monarchen sind wie Edelmannswohnungen: aber die Landsitze der Peers sind Palläste, würdig die Residenzen der Kaiser zu seyn; und übersäet mit ihnen ist das Land, in dessen Grund und Boden Adel und Kirche sich theilen.“

Howard-Castle, Sitz des Seniors der Familie der Howard, welcher den Rang und Titel eines Grafen von Carlisle führt, ist eine der herrlichsten jener Villen, in denen die Hocharistokratie Britanniens ihre Prachtliebe und ihren Reichthum zur Schau auslegt. Schloß und Park, (der 7 Meilen im Umfang hat), ist das Werk eines Howards, der zu Anfang des 18. Jahrhunderts lebte. Berge und Thäler, Felsen, Seen und Wasserfälle, Grotten und Tempel, Pyramiden und Obelisken, Brücken und Viadukte, Ruinen von Kirchen und Burgen, alle das Werk der Kunst, zieren die Landschaft in reizender Abwechselung. Es wurde dies mit [27] dem Aufwande von 1,200,000 Pfund Sterling (fast 15 Millionen Gulden) geschaffen. Noch bei seinen Lebzeiten setzte sich der Gründer einen Obelisk als Denkmal und richtete seinem Leichnam ein prachtvolles Mausoleum her, – eine herrliche Säulenrotunda, die ein Dom von 96 Fuß Höhe überwölbt. Dergleichen Beispiele, daß ein britischer Edelmann im Uebermuthe des Reichthums und des Stolzes römischen Imperatoren in der Baupracht und in der Selbstapotheose es gleich thut, sind in England so selten nicht.

Das Innere des Palastes entspricht den Erwartungen, welche dessen Aeußeres erregen. Die Sääle haben, bei verhältnißmäßiger Länge und Breite, 40 bis 60 Fuß Höhe; 24 bis 30 Fuß hoch sind die Zimmer, und überall herrscht kaiserliche Pracht. Den Hauptsaal deckt eine 100 Fuß hohe Kuppel, durch deren Dach das Licht magisch hereinfällt. Alle Plafonds sind von den berühmtesten Coloristen ihrer Zeit, von Karl Maratti und Pellegrini in Fresko ausgemalt; die Fußböden aber entweder mit Marmor bunt ausgelegt, oder sie bestehen aus antiken Mosaiken, unvergänglichen Schätzen der Kunst. Treppen und Vorhallen zieren die kostbarsten Statuen von Marmor und Bronze aus den Zeiten des Perikles und der Cäsaren. – Gobelins, zu denen Rubens die Kartons fertigte, schmücken die Wände mehrer Gemächer. Ein unschätzbarer Reichthum an Gemälden und Kunstwerken aller Art ist in den Räumen dieses großen Pallastes zerstreut; versammelt würden sie ein Museum füllen, eines Königs würdig. – Eine Bibliothek von 16000 Bänden füllt einen schön verzierten Saal; in andern sind naturhistorische Sammlungen, physikalische und optische Apparate geordnet. Ein Theater endlich, prachtvolle Bäder, Aviaren, eine Piszina, große Gewächshäuser, Reitbahnen, Marställe und andere Einrichtungen tragen dazu bei an die Magnifizenz jener römischen Villen zu erinnern, in denen die Großen der weltherrschenden Tiberstadt zu den üppigsten Zeiten des Kaiserreichs dem Genuß und Vergnügen lebten.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Wiederelangung