Textdaten
<<< >>>
Autor: Adolph Pichler
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Hofdame und Senner
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 193–199
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[193]
Hofdame und Senner.
Von Adolph Pichler.


Noch hatte sich im bekannten Wirthshaus der Benedicta am Achensee in Tyrol kein Gast eingefunden, die Bauern des Thales, wenn sich ja einer Sonntags in die Schenke wagte, waren schon beim Einbruch der Dämmerung nach Hause gekehrt. Ich saß daher am obern Ende der langen Tafel im Stübchen ganz allein, das Abendmahl war verzehrt, behaglich schlürfte ich die letzten Tropfen des edlen Leitenweines, als Benedicta mit einem Zinnteller, ein Gläschen Enzeler und etliche überzuckerte Mandeln darauf, eintrat.

„Sie müssen doch,“ begann sie, „wie früher, auch jetzt Ihr Schlaftränklein einnehmen.“

„Liebe Benedicta,“ erwiderte ich, „damals waren andere Zeiten; der Tod hat Einen um den Andern von der langen Tafel hinweggeholt und, wie Sie wissen, auch bei mir im vorigen Herbst gar deutlich mit der Sense angeklopft. Lassen wir aber die Freunde in den Gräbern ruhen und erzählen Sie mir lieber, was mittlerweile im Achenthal geschehen. Da fällt mir unter Anderm gerade der schwarze Hans ein, wo ist denn der untergekrochen? Seit wenigstens zwei Jahren hab’ ich nichts mehr von ihm gehört?“

„Der hat geheirathet und zwar eine Baronesse aus Hannover!“

„Teufel,“ rief ich erstaunt, „wie ist denn das zugegangen?“

Maidele war eingetreten und begann die Teller abzuräumen. Bis sie fertig ist, will ich dem Leser, was ich vom schwarzen Hans weiß, erzählen. Er und ich, wir waren eigentlich gute Bekannte seit Langem. Zu Pfingsten eröffnete er mit seinen Ziegen und Kühen die Saison auf der Geisalm, ich bei der Benedicta. Da ist es im Achenthal noch einsam und leer, auf der Straße drängen sich keine Equipagen, die Steinblöcke sind nicht von englischen Ladies, welche durch den grünen oder blauen Schleier die Gegend abzeichnen, besetzt, man kann sich in der Küche Abends gemüthlich an den Heerd lehnen, ohne von den schwitzenden, laufenden, keuchenden Trabanten der Wirthin mit Bratenbrühe begossen oder umgestoßen zu werden. Das ist eine herrliche Zeit! Noch sind die Gebirge bis zur dunklen Waldgrenze mit Schnee bedeckt, zwischen den Föhren tragen jedoch die Buchen bereits ihre grünen Siegesfahnen, blau ist der Himmel, blau ist der See, über welchen die Maisonne den Strom ihrer Strahlen gießt; Alles glitzert, funkelt und leuchtet, sind doch die Alpen und das Meer so schön, was läßt sich damit vergleichen!

Zur Geisalm denn!

Das ist ein kleines Paradies! Nach rückwärts schließt es ein unübersteiglicher Schrofen ab, vorwärts der See, nur zu Schiff kann man es erreichen. Dieses Paradies bewohnte als Adam der schwarze Hans. Dort stand er auf der Spitze des Vorgebirges, die Hände in der schwarzen Hose, welche das Knie nicht mehr deckt und und mit hochrothen Zwickeln geschmückt ist. Ueber das Hemd – denn eine Joppe wäre Ueberfluß – kreuzt sich der grüne Hosenträger, auf dem linken Ohr sitzt trotzig ein braunes Hütchen mit einer Hahnenfeder, der größten, die nur zu finden war. Ein schöner Bursch! Schwarz bin ich, aber lieblich, mag er wie Sulamith im hohen Lied singen. Schwarz das Haar in üppigen Locken, schwarz der Bart, ja das ist der schwarze Hans!

Als ich vor zwei Jahren die Geisalm besuchte, hatte dieser Adam noch keine Eva. Allerdings fehlte es ihm den Sommer hindurch nicht an Gesellschaft. Fast jeden Tag kamen Gäste aus der Pertisau und von der Scholastika gerudert, sie lagerten sich im weichen Rasen, machten Kaffee und luden auch Hans, welcher bereitwillig eine Schüssel Milch lieferte, dazu ein.

„Haben Dir die herrischen Diendlen nit gefallen?“ fragte ich ihn oft.

„Ob!“ erwiderte er, „hat manche ein G’fris’l g’habt, daß ein Bußl g’wiß g’schmackig g’wesen wär, aber weiß wohl, solche Mädeln wollen kein’ Baurenlotter!“

Hans irrte. Gar manche Dame bewunderte im Stillen die breiten Schultern, die kräftigen Lenden und strammen Waden, gar manche seufzte: „Ach, wäre er ein Junker oder gar Gardelieutenant!“

Hans war aber nur Hans und jodelte:

Der Speik und die Almros
0 Die blüh’n bei der Wand,
Und ’s Dienel das brockt sie
0 Mit g’schaftiger Hand.

Es bind’t a scheans Sträußl –
0 Wem g’heart’s auf’n Huat?
Daß’s gar nit an mi denkt,
0 Dös g’fallt mir nit guat!

Es sollte aber nicht immer so bleiben. Einige Monate später lag ich im Schifflein, das ich dem Spiel der Wellen und des Windes überlassen, da hörte ich, begleitet vom Takt der Ruderschläge, einen tiefen Baß:

Auf’m See bin i g’faren,
0 Auf’m See hon i g’fischt,
Und da ben i a schwarzaugig’s
0 Dienel derwischt.

Langsam erhob ich mich vom Boden des Kahnes und spähte über den Rand hinaus. In einiger Entfernung von mir fuhr Hans vorüber. Am Steuer saß eine Dame, einen breiten Strohhut, mit Almrosen und Aurikeln geschmückt, auf dem Kopfe; über [194] Bord hing ein rother Shawl, so daß seine Fransen in den Wellen nachschleiften. Sie war beschäftigt, aus schlanken Tannenzweigen und Steinmispeln, denen sie allerlei Blumen einflocht, einen Kranz zu binden. Prüfend hielt sie ihn empor und warf ihn Hans zu, der ihn wie eine Trophäe auf dem Schnabel des Schiffes befestigte. Eh’ er sich wieder niedersetzte, schwang er den Hut und jauchzte so laut, daß einige Fremde vom Wirthshaus neugierig auf den Söller stürzten. Ich selbst, obwohl an die Ausbrüche älplerischer Lustigkeit längst gewöhnt, war doch ein wenig über die laute Freude des schwarzen Hans erstaunt und ergriff das Ruder. Scheinbar gleichgültig auf dem See hin und her lavirend, gelangte ich endlich in die Nähe des Schiffes und konnte mir die Dame genau betrachten. Sie mochte das dreißigste Jahr bereits überschritten haben, doch war ihr freundliches Gesicht, aus welchem ein Paar dunkle Augen blitzten, noch immer schön, obgleich es den Blüthenhauch der ersten Jugend nicht mehr besaß, der selbst häßlichen Mädchen einen großen Zauber verleiht. In den Jahren war sie zwar vorgerückt, in der Mode jedoch zurückgeblieben. Ihre Kleidung zeigte nichts Auffälliges, doch erschien sie dem Städter, der an steten Wechsel gewöhnt ist, trotz einer großen Zierlichkeit veraltet. Das galt freilich nicht von den Stoffen, die, mit Geschmack ausgewählt, durchaus nicht auf eine Trödelbude deuteten, sondern erst vor Kurzem frisch aus dem Laden gekommen und verarbeitet sein mußten. Ich schloß aus dieser Eigenthümlichkeit, daß die Dame nicht vermählt, sondern noch ledig sei; denn bei alten Jungfrauen begegnet man derlei Angewöhnungen ziemlich häufig. Hätte sie einen garstigen Mops bei sich gehabt, so wäre wohl kein Zweifel gewesen. Hans grüßte mich nur flüchtig, er war zu sehr mit interessantern Dingen beschäftigt, und ich vergaß nachträglich, im Wirthshaus mich nach der Fremden zu erkundigen, welche auch beim Abendessen nicht sichtbar wurde, vermuthlich speiste sie auf ihrem Zimmer. Jetzt erinnerte ich mich an diese Umstände und theilte sie Benedicta mit.

„Das ist die Baronin, die ihn geheirathet hat,“ sagte sie.

„Sie hat ihn geheirathet, nicht er sie?“

„Nun ja freilich! Oder war es für den Hans nicht eine rechte Gnade, daß sie ihn mochte? Jetzt hat er’s gut, recht gut, trinkt alle Abend sein Bier, raucht feinen Tabak, ja sogar bisweilen Cigarren und befiehlt selbst Knechten und Mägden, während er sonst hätt’ ein armer Senner bleiben mögen sein Lebenlang. Denn er hat nichts gehabt, als die paar Kreuzerle Lohn und zu Weihnachten ein neues Rupfenhemd, grob wie ein Salzsack; er ist aber auch seiner Frau recht dankbar und hat’s lieb von Herzen, wie sich’s für ordentliche Ehleut’ schickt. Jetzt will ich aber mit der Geschichte anfangen.

Die Baronesse Aurelie von Güstrow war eigentlich anfangs eine arme Haut, sie hat nichts gehabt und die Hofdame bei einer deutschen Fürstin machen müssen. Da mußte sie das Gnadenbrod essen viele Jahre lang, weil sie sich aber nirgends einmischte, so hat sie gerade dadurch die Gunst der Gnädigen gewonnen, damit jedoch ungeheuren Verdruß; denn der Neid, so sagen sie, ist das wüsteste Laster bei Hofe. Andere aber haben ihr den Hof gemacht; man kann sich’s einbilden, wie, insbesondere ein Lieutenant, der gewiß durch ihre Fürsprach’ hätt’ General werden mögen. Die Sach’ war schon richtig, nicht mit dem General, sondern mit dem Heirathen, aber der Mensch denkt und Gott lenkt. Unvermuthet hat die Fürstin die Augen geschlossen, und aus war’s, als ob man einen Bach abkehrt hätt’. Das Hofgesindel hat die arme Baronesse nicht mehr angeschaut, vom Lieutenant ist ein Briefl dahergeflogen, es seien plötzlich Hindernisse eingetreten, er könne sich, ohne den Fluch des Vaters auf sich zu laden, nicht vermählen, wolle jedoch stets ihr Bild in seinem betrübten Herzen herumtragen. Sie hat ihm gleich geantwortet, es sei recht schön, daß er so auf das vierte Gebot achte, ihretwegen möge er sich jedoch keine Sorge machen, sie sei stets gewohnt, selbst auf sich zu schauen. So blieb’s, bis man bei Gericht das Testament der Fürstin aufgemacht hat. Da stund darin, sie vermache der Baronesse, weil sie ihr stets in Treue zugethan, 30,000 Thaler, daß sie frei und unabhängig leben könne.

Ein schönes Maul voll Geld! Da hätt’ man aber sehen sollen, wie der Lieutenant wieder daher gehüpft ist; denn da droben seien zwar die meisten Officiere adelig, aber große Hungerleider. Sie hat ihm jedoch das hintere Thürl aufgethan und ihn laufen lassen.

Der Vogel singt freilich dort am liebsten, wo er aus dem Ei gekrochen, dem Menschen kann aber sogar die Heimath verleiden, das süßeste, wenn ihm die Nächsten Galle hineingießen; so war’s auch mit der Baronin. Es ist gewiß Herzensgut, bei dem Anblick all’ der falschen Gesichter überkam es sie jedoch fast wie Menschenhaß und sie wurde völlig leutscheu. Da hat sie beschlossen den alten Faden ganz abzureißen und ein neues Leben anzufangen. Droben konnte sie es nicht, da traten ihr überall die alten Gespenster entgegen, und gerade diesen wollte sie aus dem Wege gehen. Eine Zeitlang hat sie hin und her überlegt, wo aus? Sollte sie sich in einer andern Stadt ansiedeln? Sie mußte fürchten auch hier Bekannte zu treffen, denn die deutsche Noblesse schmarotzt ja an allen Höfen herum. Wie würden diese Schranzen die Nasen gerümpft und über die alte Jungfrau gespottet haben, die sich aus dem fürstlichen Paradies in die Verbannung gezogen! Sie beschloß einen abgelegenen Winkel zu suchen, setzte sich auf die Eisenbahn und gerieth in’s Tyrol. – Zu Gargan sind Sie wohl schon gewesen, das Dörflein liegt von niedern Hügeln umgürtet, über welche das Sonnenwendjoch hereinschaut, wie auf einem Präsentirteller; thät ich mich einmal pensioniren, so wüßt’ ich kein netteres Plätzchen, auf die vier letzten Ding zu warten. Sie kam auch gerade im Frühling an, wo die ganze Welt lacht und jubelt; wie hätt’ es ihr nicht gefallen sollen? Erinnern Sie sich vielleicht an das kleine einstöckige Häuschen auf der Straße nach Jenbach? Ist’s nicht so nett und zierlich, als käme es aus einem Schächtelchen? Die hohen Nuß- und Aepfelbäume verstecken es fast, und so mögen Sie es wohl übersehen haben.“

„Auf dem abgestutzten Giebel dreht sich ein Wetterhahn von Blech, die Jalousien sind grün angestrichen, rechts von der Thür hinter dem Zaun steht ein Kreuz zwischen Geisblatt und Rosenhecken. Ist es das?“

„Ja! Vor diesem Häuschen, welches damals freilich nicht so elegant aussah wie jetzt, blieb die Baronin stehen und betrachtete es nachdenklich von oben bis unten. Schon legte sie die Hand auf die Klinke des Gitters, konnte jedoch zu keinem Entschluß kommen. Da trat ein alter Mann heraus, nach einem Blick in’s Freie rief er zurück: „„Bringt nur das Essen vor die Thür, die Wolken haben sich verzogen, es ist kein Spritzer zu besorgen.““ Nach einer Weile erschien ein Mädchen, in den Händen eine flache Schüssel, aus der die Fisolensuppe dampfte. Sie stellte dieselbe vor den Alten auf den Tisch. Als sie forteilen wollte, die Löffel zu holen, bemerkte sie die Baronin. „„Du,““ sagte sie zum Vater, „„da schaut uns Jemand über den Zaun herein zu.““ Er hielt die Hand über die Augen, um sich vor den Sonnenstrahlen zu schützen, und betrachtete die Fremde aufmerksam. Dann erhob er sich langsam und rief einige Schritte vortretend: „„Magst etwa mithalten, wir haben Alle genug!““ So ist’s im Unterinnthal der Brauch, da sind die Bauern nicht so nothig und gönnen einem Hungerigen gern einen Löffel voll.

Das hat der Baronin gefallen. Sie nahm die Einladung an, wie einen Wink des Schicksals; die alte Bäuerin humpelte auch daher, und so aßen sie alle vier ruhig und friedlich. Nach dem Beten hat sie gefragt, ob sie ihr nicht ein Stübchen einräumen möchten, sie sei eine alte Jungfer und brauche nicht viel Pflege. Geld zum Zahlen besitze sie hinlänglich. Die haben freilich dreingeschaut und gemeint, sie sei närrisch, und die Händ über dem Kopf zusammengeschlagen, daß eine so vornehme Frau bei ihnen bleiben wolle, endlich aber, weil sie auf keine andere Gedanken zu bringen war, doch eingewilligt. Der Bauer hatte das Gut bereits dem ältesten Sohn übergeben, und sich nebst Weib und Tochter in das Häuschen zurückgezogen, nachdem er sich jährlich eine Summe Geld, Korn und Schmalz ausbedungen.

Sie glauben vielleicht, die Baronin habe zu jenen überspannten Städtern gehört, wie sie wohl auch mir in das Haus laufen und meinen, auf dem Lande sei lauter Schönheit, Rechtschaffenheit und Tugend? Dem ist nicht so. Sie war im Lauf der Welt sattsam gewitzigt, und wußte gar wohl, daß einer, der den Lodenkittel trägt, deswegen nicht besser als der im Frack ist. Hab’ mein Lebtag unter den Bauern gelebt, und muß doch lachen, wenn ich les’ wie man sie jetzt hinaufsetzt, als ob Bildung und Gelehrsamkeit fast nur bei Lumpen anzutreffen sei. Menschen bleiben eben Menschen, mögen sie nun dieses oder ein anderes Röcklein tragen. Unter den Herrschaften, welche mich im Sommer beehren, habe ich recht viel kennen gelernt, die so gut, ja besser sind als die besten Bauern. Doch Ihnen brauche ich das nicht zu sagen, Sie haben es so gut erfahren wie ich, und die Baronin verstand es auch. Was sie suchte, [195] das war ja nur eine natürliche Lebensweise, zu welcher die Verhältnisse auf dem Lande zwingen, und eine größere Natürlichkeit der Menschen, die daraus entspringt.

Der Sommer ist ihr so recht angenehm verflossen. Meistens ist sie im Freien herumgegangen, da und dort auf ein Berglein, und wer ihr eine rechte Freud machen wollt’, hat ihr Jochblumen bracht. Es war den Leuten kein Schade, zwar schaute ihr auch Niemand auf die Hände, wie’s dort ist, wo viel Fremde durchziehen. Bei uns im Achenthal werden die Leute schon verdorben, und nach und nach wird es wohl dahin kommen, daß man, wenn man niest und einer „Helfgott!“ sagt, einen Sechser zahlen soll. Sie hat, was ihr die Großen Freundlichkeit erwiesen, an den Kindern vergolten; gar manches Bübel und Madele hält noch das Stücklein Gewand in Ehren, womit es beschenkt worden. Deßwegen haben sie alle Leute gern gesehen und jedes zu ihr ordentlich „Grüß Gott!“ und „B’hüt Gott!“ gsagt. Sie ist eigentlich zwar lutherisch gewesen, aber Jemand verkehren zu wollen, wär’ ihr gar nicht eingefallen. Die Predigt ist auf dem Land, wie Sie wohl selbst erfahren haben, wenn Sie dieselbe schwänzen wollten, zwischen Evangelium und Sanctus eingeschaltet, da kam sie regelmäßig und ging nicht fort, bis alles vorbei war. Ja sogar eine seidene Stola hat sie dem Pfarrer gestickt, ohne daß er es verlangte, weil sie sah, daß die, welche er am Maria Himmelfahrtstag trug, ziemlich abgeschabt war. Kein Mensch ahnte, daß sie eine Ketzerin sei. Wenn aber der Teufel Unkraut säen will, so braucht er die Hand eines bösen Weibes oder, verzeih mir’s Gott! – eines unfriedlichen Geistlichen. So auch hier. Im Herbste traf ein junger Cooperator ein, dieser hatte an der guten Dame allerlei auszusetzen, vorzüglich mißfiel ihm ihre feine Aussprache. Er redete freilich wie eine Stalldirne. Nu, das wäre übrigens gleich gewesen, sprech’ jeder wie ihm der Schnabel gewachsen; abscheulich scheint es mir aber, daß er anfing, der Baronesse auf Schritt und Tritt nachzuspüren, ja einmal ließ er sich, als die Eltern fort waren, von der Tochter das Zimmer des Gastes öffnen und durchsuchte haarklein ihre Schriften und Bücher. Da waren sauber gebunden Goethe und Schiller, auf die sie draußen so viel halten; er schüttelte unwillig den Kopf und spürte nicht übel Lust, einige Bände mitzunehmen, stellte sie jedoch wieder säuberlich auf den alten Platz. Nun fragte er, ob sie einen Rosenkranz oder ein Gebetbuch etwa von Weninger oder Patis besitze? Auf die Erwiderung, das sei ihr unbekannt, verlangte er gar noch, sie möge ihm die Kästen aufsperren. Das war sogar dem einfältigen Mädchen, dem jedes Wort des Priesters für ein Evangelium galt, zu viel, es weigerte sich die Schlüssel, welche der Hochwürdige aus dem Sack zog, zu versuchen. Die Baronin hatte die ihrigen bei sich.

„Du mußt,“ begann er wieder, „scharf darauf achten, ob sie etwa Morgens und Abends singt und was sie für Lieder singt.“

„O, das kann ich schon sagen,“ rief das Mädchen, „herrliche Gsatzele sind’s, die sie mit lauter Stimme losläßt.“ –

„Zum Beispiel?“

Sie dachte eine Weile nach und summte dann:

„Wer nur den lieben Gott läßt walten
 Und hoffet auf ihn alle Zeit,
Den wird er wunderbar erhalten
 In aller Noth und Traurigkeit.“

„Kind!“ rief der Hochwürdige entsetzt, „die Verse hat der Teufel eingegeben, die sind lutherisch.“

„Lutherisch? Sind denn die Lutherischen wirklich so fromm, daß sie solche christliche Lieder singen?“

„Das verstehst Du nicht!“ war die barsche Antwort.

Er stürzte fort und ging von Haus zu Haus die Kinder zu verhören, welche von der Baronin beschenkt worden. Da stellte sich heraus, daß sie mit ihnen oft von Gott gesprochen und gesagt: „Wir haben alle nur einen Gott und Vater!“ die heilige Jungfrau aber so wenig je erwähnt habe, als Luther und Calvin.

Der Cooperator hetzte und hetzte im Stillen, bis es ihm endlich gelang, die Leute aufzurütteln. Bald bemerkte die Baronin, daß man ihr scheu auswich, die Kinder, welche sie sonst lächelnd erwartet hatten, liefen vor ihr davon, und eines Tages traf sie die Tochter ihres Bauern mit verweinten Augen. Theilnehmend erkundigte sie sich um die Ursache ihres Schmerzes. Nach langem Zögern platzte das Mädchen heraus: „Weil Du zum Teufel fahren mußt, und ich hab’ Dich doch so gern!“ Sie erstaunte ob diesen Worten und brachte endlich auch die Ursache heraus, zugleich vernahm sie, daß ihr der alte Bauer schon längst gern die Wohnung gekündigt hätte, um mit dem Cooperator, der fortwährend trieb und hetzte, in Frieden zu leben, wenn er sich getraut hätte. So aber hemmte ihn das Gefühl des Dankes, den er für so manche Wohlthat und Gefälligkeit der Baronin schuldete. Diese schüttelte schmerzlich lächelnd den Kopf, – sie kannte ja die Menschen! setzte sich an den Tisch und schrieb einige Zeilen, welche sie einem Bauernburschen nach Schwaz zu bestellen gab. Am nächsten Morgen hielt ein Wagen vor der Thüre. Sie dankte noch ihrem Wirthe für den Unterstand, den sie freilich bereits zehnfach bezahlt hatte, und fuhr davon, ohne sonst von jemand Abschied zu nehmen. Die Armen und Kranken haben freilich geklagt, das hat aber den Cooperator nichts angefochten. Er war roh genug, der Fremden sogar übel nachzureden, das wurde ihm aber bald von den Bauern gelegt, und er fiel nach und nach in solche Mißachtung, daß man ihn versetzen mußte.

Vorläufig ist sie nach Jenbach gefahren. Man rieth ihr die Geschichte in die Zeitung zu geben, sie meinte jedoch, es sei ihretwegen nicht der Mühe werth, Scandal zu machen. Dort lernte sie auch Hans kennen; sie wollte nämlich eine Höhe besteigen, konnte jedoch den Weg nicht finden und war schon im Begriffe umzukehren, als er sich freiwillig erbot, sie zu begleiten. Nun unterhielt sie sie sehr gut, er schüttelte tausend Geschichten und Schnurren aus dem Aermel und lachte, wenn sie lachte, selbst recht herzlich mit. Auf dem Rückwege redete sie mit ihm auch von ernsthaften Sachen. Seine Offenheit gefiel ihr eben so wie die verständige Klarheit, mit der er sich über alles äußerte. Auch er fragte sie hier und da, jedoch ohne zudringlich zu werden, und sie gab ihm gern Bescheid. Auf einem Vorsprung, wo’s eine stattliche Birke giebt, blieb sie stehen und blickte Thal auf Thal ab, über all die Fülle des Segens, wie ihn nur das schöne Unterland spendet. „Ach,“ seufzte Hans, „wie prächtig wär’ es, wenn man da ein Stücklein Boden sein nennen könnte und eigener Herr wäre! Wahrlicht, ich wünsch’ es nicht aus Hochmuth oder Faulheit, arbeiten wollt’ ich ebenso wie jetzt als Knechtlein früh bis spat; heut’ bin ich aber gerad dreißig Jahr alt und all’ diese dreißig Jahr mußte ich fremdes Brod beißen. Ich hab’ nie ein Heimathl gehabt und meine Eltern auch nie. Das sind Dörcher gewesen; im Winter und Frühling führten sie auf einem Karren Geschirr herum, im Sommer und Herbste Obst. Ich weiß es noch recht gut, wie wir in den Stadeln auf dem Heu schliefen und ich dabei jämmerlich fror. Sie starben bald nach einander, als ich kaum das achte Jahr überschritten hatte. Gott hab’ sie selig! Mein Vater liegt in Baiern, die Mutter im Pinzgau begraben. Meiner erbarmte sich ein Bäuerlein im Zillerthal. Es war ein rechter Nothleider und besaß wenig genug, oft kriegte ich mehr Prügel als Nudeln, vergelt ihm’s Gott, und ’s ging kein Streich verloren, und die Dörcherei, die mir schon im Blut steckte, wurde durch den Ochsenziemer gründlich ausgetrieben. So lernte ich alle Arbeit, daß ich einem Gütchen mit Ehren vorstehen könnt’; – ja, wenn man ein Heimathl hätt’!“

Er schwieg traurig, die Baronin blickte ihn ernst an.

Da erhob er plötzlich das Haupt, heiteres Lächeln spielte um seinen Mund, er rief: „Wahr ist’s, es ging nichts über ein Heimathl, der Herrgott hat aber meine Armuth auch nicht schlecht ausgestattet und mir einen lustigen Sinn verliehen, daß ich mit manchem reichen Bauern, der fünfzig Küh’ auf die Alm treibt und voll Grant wirthschaftet, nicht tauschen möcht.“

Sie gingen wieder bergab. Die Baronin war stumm und nachdenklich geworden.

Endlich wandte sie sich an Hans: „Wenn Du willst, kannst Du einem Gütchen als Schaffner vorstehen. In drei Wochen erfährst Du, wo.“

„Beim Bauern hab’ ich jährlich dreißig Gulden, ist ein kleines Löhnlein, was willst aber von einem armen Häuter verlangen? Uebrigens könnt’ ich auch gehen, sein Bub wird immer größer, und er braucht mich nicht mehr.“

„Sag’ bis Lichtmessen auf.“

„Wo erfrag’ ich Dich nachher und weiß, ob Du’s nicht umstehst?“

Sie zog ihre Börse, nahm zwei Kronenthaler heraus und gab sie ihm als Drangeld.

Hans gelobte ihr auf die Hand, sobald sie es fordere, zu kommen.

In Tyrol mochte sich die Baronin nach der Erfahrung in [196] Gargan nicht mehr ansiedeln, sie reiste nach See und kaufte dort, um eine Stätte zu besitzen, von der sie niemand vertreiben könne, ein kleines Gütchen unweit der Quirini-Capelle. Es ist nicht leicht ein schöneres Plätzchen zu finden, gleich neben dem Hause entspringt ein klares kaltes Bächlein und wässert die Wiesen. In den Wald ist’s auch nicht weit, übrigens stehen vor der Thüre zwei Linden, daß man weithin keine solchen sieht. Den Winter über blieb die Baronin auf der Post, stattete jedoch das Häuschen nach und nach wohnlich aus, so daß sie zu Lichtmessen frisch hineinsitzen durfte. Der schwarze Hans war längst schon verschrieben und stellte sich am Lichtmeßtag zum Abendessen, der arme Teufel war gelaufen, was die Füße aushielten, um ja nicht die Einstandszeit zu versäumen. Er wohnte zu ebener Erde neben dem noch leeren Stalle, eine alte Dirne leistete ihm Gesellschaft, den obern Stock behielt die Baronin mit einer Magd, welche sie bedienen sollte. Morgens noch dem Frühstück wurde er gerufen. Den Hut in der Hand trat er barfuß ein; denn die schwergenagelten Schuhe hatte er, um den Boden nicht zu verderben, vor der Thüre gelassen. Die Baronin hieß ihn sie holen. Er gehorchte unter tausend Entschuldigungen. Sie forderte ihn auf, mit ihr die Felder zu begehen, wegen der sonnigen Lage war der Schnee bereits geschmolzen, dann ihr Stückchen Wald anzuschauen, um ihr Bericht zu erstatten.

„Verwahrlost in jeder Beziehung!“ lautete sein Urtheil. „Bis Georgi giebt es genug zu thun und dann noch mehr. Vor allem müssen die Zäune geflickt, der Stallboden neu gelegt, die Barren festgenagelt und die Fenster glast werden. Ist Werkzeug da?“

„Was fehlt, kaufe.“

„Dann sieht’s auch im Tennen schüch aus, da brauchst Du die Zimmerleut und zwar bald.“

„Das ist Deine Sache, Du bist Schaffner.“

„Die Felder sind ausgemergelt. Wie haben wir es mit dem Mist? Wenn wir auch gleich Kühe kaufen, bringen wir doch nicht so viel zusammen, die Aecker ordentlich zu düngen.“

Die Baronin lachte und sagte: „So bestellen wir Guano!“

„Das wird dasselbige künstliche Zeug sein, wie’s der Pfretschner zu Jenbach anwendet. Kostet Geld! Wie haben wir es aber mit den Kühen? die sind vor allem nothwendig.“

„Wie viel können wir halten?“

„Wenn mich das Augenmaß nicht betrügt, vier und etwa zehn Schafe. Diese kaufst Du erst im Herbst, bis dort ist Heu aus dem Moos vorräthig.“

„Samstag ist zu Miesbach Viehmarkt, geh’ hin und hol’ was wir brauchen.“

Sie waren wieder nach Hause gekehrt.

Am nächsten Morgen um vier Uhr polterte es an die Thür der Baronin, erschrocken fuhr sie auf. Eine Stimme rief draußen: „Hoi! thu’ auf, ich bin zum Markt gerüstet!“ Sie antwortete: „Laß mir nur Zeit zum Ankleiden, dann geb’ ich Dir Geld. Wie viel etwa?“

„Ja, die Kuhselen haben aufg’schlagen, wenn Du leere Häut’ willst, kriegt man das Stück etwa um neunzig Gulden. Ersparst aber nichts dabei. Das Heu, welches Du verfüttern mußt, bis sie voll werden, ist mehr werth als der Zuschlag auf gutes Hornvieh abträgt.“

„Kauf ordentlich!“

„Dann mußt Du Dich aber tummeln; denn die Bauern stehen früh auf und wollen früh heim.“

Sie war angekleidet und öffnete. Hans hatte den schönsten Staat angelegt, denn der Kauf einer Kuh ist für den Aelpler fast so wichtig, wie die Ausstattung einer Tochter. Und nun gar vier! Da sollt’ ihn Niemand über die Achsel anschauen und möcht’ er eine noch so schwere Geldkatze um den Leib tragen.

Die Baronin betrachtete ihn mit Wohlgefallen, wie er im grauen Lodenrock mit schneeweißen Strümpfen, den grünen Spitzhut mit dem kecken Spielhahnstoß auf dem Kopf, drall vor ihr stand. Sie zählte ihm sechshundert Gulden auf, er schob die Thaler schmunzelnd in den breiten Bauchgurt, auf welchem die Anfangsbuchstaben seines Namens J. M. weiß eingestickt waren. Dann blieb er wartend stehen.

„Brauchst Du noch etwas?“ fragte die Baronin.

„Du sollst mir sagen, wie viel ich verzehren darf. Oft schließt sich ein Handel im Wirthshaus am leichtesten.“

„Iß und trink was Dir schmeckt. Rausch wirst Du keinen kriegen.“

„Gewiß nicht! dann muß ich aber auch einen Buben anstellen, der mir, während ich sonst zu thun hab’, das Vieh zusammenhält und treiben hilft. Was giebst dem zu Lohn?“

„Das ist alles Deine Sache, Du bist ja Schaffner!“

„Wär’ schon recht! Schaffner, aber nicht Dein Mann. Also solltest Du befehlen.“

Die Baronin kehrte sich um, die aufsteigende Röthe zu verbergen; dann sagte sie ruhig: „Ich vertraue ganz auf Deine Redlichkeit.“

„Wenn das ist,“ erwiderte er, „dann geh’ ich.“ Unter der Thür kehrte er sich noch einmal um: „Wie sollen die Kühe sein, was hast’ für eine Leibfarbe?“

„Meinetwegen braun mit Blässen auf der Stirn.“

„Lang- oder kurzstutzig?“

„Geh’ nur und schau, daß Du was Rechtes kriegst!“

Er wünschte guten Morgen und ging.

Von der Straße herauf hörte sie ihn noch pfeifen und singen.

Abends vor dem Gebetläuten zog er wieder ein, vier prächtige Kühe vorauf. Die Baronin war ihm, durch das Muhen aufmerksam gemacht, entgegengegangen.

„Bist’ zufrieden?“ fragte er mit strahlenden Augen.

„Ich danke Dir, Hans,“ erwiderte sie und streichelte die schönen glatten Thiere.

Er öffnete die Stallthüre, legte die Kühe an die Ketten und warf ihnen Heu in die Raufe. Dann ergriff er ein Stück Kreide und bezeichnete den Pfosten über dem Eingang mit einem lateinischen C + M + B + zu Ehren der heiligen Dreikönige, daß sie das Vieh vor Hexen und Zauber schützen sollten.

Bald begannen auf dem Felde die Arbeiten, wie sie die Jahreszeit bedingt. Die Baronesse sah überall nach, ließ sich belehren und gab dadurch deutlich zu verstehen, wie sehr ihr die Sache gefalle und am Herzen liege. Dadurch kam sie fast stündlich mit Hans in Berührung; wegen der Lauterkeit seiner Sitten, der Anhänglichkeit und Treue, die er ihr bewies, gewann sie ihn von Tag zu Tag lieber, und er rückte vom Knecht allmählich zum Freund empor, mit dem sie nicht blos die Geschäfte des Feldbaues, sondern auch mancherlei andere Dinge besprach. Er wurde, ohne daß sie seinen Schullehrer machen wollte, auch immer gescheidter, indem ihn ihre Rede auf Manches hinleitete, was ihm früher entgangen war. An einem Feierabende überraschte er sie plötzlich mit der Bitte, sie möge ihn doch auch in einem der Bücher lesen lassen, durch welche die Herrenleute so gescheidt würden. Da gab sie ihm denn allerhand schöne und nützliche Bücher zu lesen von Land und Leuten und mit hübschen Geschichten. Ja selbst Verse gab sie ihm.

Hätt’ ich nur mehr Zeit, ich wollt’ auch Manches lesen, es waren meine vergnügtesten Stunden, als ich im Bücherkasten meines Vaters, des vielberufenen Chirurgen Hochmair, den Adolf von Dassel, Hermann von Goethe, Udo von Drudenstein und wie sie Alle heißen, entdeckte und, in einen Winkel des Stadels gekauert, heimlich lesen konnte. Jetzt muß ich Strauben backen und Salat anmachen, das trägt freilich mehr, aber hie und da möcht’ man zum täglichen Brod auch noch was Anderes. – Als der Schnee von den Gipfeln der Berge geschmolzen war, stieg der Hans an einem Sonntag nach der Frühmesse hinauf, um über das Land auszuschauen. Vergebens wartete die Baronesse, welche ihn ungern einige Stunden vermißte, er kam erst Mittags zurück. „Aber wo bist denn so lang gewesen?“ sagte sie mit einem Anfluge von Schmollen.

„Droben auf dem Berg,“ erwiderte er, „man sieht dort München. Du hast mir so viel von großen Städten erzählt, daß ich dem Gelüst, auch einmal eine solche anzuschauen, nicht widerstehen konnte. Ich bin aber nicht gescheidt worden, vor mir lag an der Isar ein großer grauer Fleck, über den zwei Thürme fast wie Türken mit dem Turban emporragten. Aber das Flachland! Diese Walder und Felder, da muß den Bauern das Geld vor der Thür wachsen!“

Wenige Tage später saß Hans auf dem Bock einer Kalesche. Die Peitsche in der Hand, kutschirte er die Baronin nach München, wo sie Allerlei für den Hausbedarf einkaufen wollte. Bisher hatte er nur das Thal und die Dörfer seiner Heimath gekannt, Schwaz war die größte Ortschaft, welche er je besucht, zu München wußte er gar nicht, wo an und aus; den ersten Tag hatte er nur zu schauen und zu staunen und redete fast nichts. Als er den ersten Eindruck überwunden, nahm das Fragen kein Ende, er durfte die Baronin überall begleiten, und sie gab dem großen Kinde mit größter [197] Freude Aufschluß; ja sogar einen Tag länger blieb sie, als beabsichtigt war, um ihm auch die Bavaria zu zeigen.

Nachdem sie wieder nach Hause zurückgekehrt waren, dankte er der Baronesse und sagte: „Diese Reise hat mich um zehn Jahre klüger gemacht, jetzt erst versteh’ ich Vieles in den Büchern, was ich früher gar nicht begreifen konnte. Was man nicht gesehen hat, weiß man eben nicht.“

So stand er zur Baronin. Auf dem Land ist es aber nicht, wie in der Stadt, wo sich die Leute, welche die gleiche Gasse, ja dasselbe Haus bewohnen, gar nicht um einander kümmern. Auf dem Land lebt man weiter auseinander und ist sich doch näher, Einer kennt den Andern, Eines guckt dem Andern in den Topf, und die Spatzen auf dem Dache zwitschern davon, wenn ein neuer Rock gekauft wird. Wäre die Baronin im Sommer gekommen, so hätte man sie unter der Menge von Gästen weniger beobachtet, aber so siedelte sie sich häuslich an und erwarb sich durch ihren Kauf ein Recht an die Gemeinde. Wer durfte bestreiten, daß auch diese vom reichsten Bauern bis zum Gänsehirten herab ein Recht auf sie habe? Die Baronin begegnete Allen friedlich und liebevoll, bald war sie bei den Nachbarn so heimisch und gern gesehen, als zu Gargan, ohne daß sie wegen ihres Glaubens einen Angriff zu besorgen hatte, denn die Leute waren hier durch den Fremdenverkehr aufgeklärter, und überdies sind ja in Baiern Lutherische und Katholiken gleichberechtigt. – Redlichkeit und Kenntniß des Landbaues erwarb unserm Hans bald die Achtung der ältern Bauern. Die Bursche, mit denen er hie und da im Wirthshause zusammentraf, kümmerten sich um den Tyroler wenig und verfolgten ihn auch nicht mit Sticheleien, durch die sich jeder Fremdling auf dem Land gewissermaßen erst einkaufen muß; er war älter als die meisten, und zu bescheiden, um sie herauszufordern. Ueber den gewöhnlichen [198] Schlag der Knechte erhob ihn seine Stellung als Schaffner. Nur ein wichtiger Mann war unzufrieden.

Der Landrichter, in dessen Bezirk das Gut der Baronin lag, glaubte sich beleidigt, weil sie es unterlassen, ihm die pflichtschuldige Aufwartung zu machen. Diese Herrn in Baiern sind noch manchmal wie die Paschas; darum wenigstens dürfen wir Tyroler unsere Nachbaren gewiß nicht beneiden. Ueberdies hegte er einen Widerwillen gegen unsere Landsleute, selbst Kärrner und Handwerksbursch tyrannisirte er; es war ihm daher ein Dorn im Auge, daß ein Tyroler, die er verachtete und haßte, den schönen Dienst bei der Baronin behaupten solle. Obenein wollte er sie necken, ihr beweisen, wen sie beleidigt und hintangesetzt. Hans hatte aus Unkenntniß unterlassen, vorschriftsmäßig Paß und Heimathschein vorzuzeigen, ja er besaß nicht einmal einen solchen. Da kam eines Morgens der Gerichtsdiener und lud ihn vor. – Betrübt kehrte er nach Hause. Der Landrichter, bei dem er keine Urkunden vorzulegen hatte, fuhr ihn barsch an, und stellte ihm die Frist von zweimal vierundzwanzig Stunden, binnen der er Baiern zu verlassen habe, wenn er nicht mit Schub abfahren wolle.

Traurig kam er nach Hause und erzählte der Baronin allsogleich, was vorgefallen. „Schau, ich will Dir’s gerad sagen, es ist mir nicht wegen dem Dienstl, denn ich hab’ zwei gesunde Arm und bring’ mich leicht überall durch, aber Du bist mir so lieb worden wegen Deiner Gutheit, daß ich Dir lieber umsonst, als Andern um doppelten Lohn arbeiten möchte.“ Sein Auge wurde feucht.

„Laß sein,“ antwortete die Baronin, „ich werde die Sache schon einrichten.“

Der Herr Landrichter saß im Bureau, rings um ihn knackten die Federn in der Hand der Kanzleiknechte, welche sich tief auf die Acten niederbeugten. Er gähnte, steckte eine Cigarre in den Mund und faltete die fleischigen Hände über dem üppigen Bierwanst. Von Zeit zu Zeit flog aus den kleinen Aeuglein unter den buschigen Brauen hervor ein Blick auf die Schreiberknechte, die im Schweiße des Angesichts roboteten. Da klopfte es, und die Baronesse trat ein. Ohne den Stummel bei Seite zu legen, maß er sie vom Kopf bis zum Fuße.

Sie begann ruhig: „Mein Schaffner hat aus Unwissenheit die gesetzliche Form verabsäumt, ich bin hier, um mich für ihn zu verbürgen, bis er die nöthigen Papiere aus der Heimath erhält.“

„Ich nehme meinen Befehl nicht zurück,“ fuhr er auf, „er hat das Land zu verlassen. Ueberhaupt begreife ich nicht, warum Sie hier in Baiern keine Leute für den Dienst finden!“

„Das ist meine Sache,“ erwiderte sie kalt, „für mein Geld bestelle ich, wen ich will.“

„Wen Sie wollen?“ sagte er höhnisch lachend, „ja, ja, man weiß schon, wozu solche Tyrolerbursche bei Damen gut sind!“

Sie erblaßte; dann aber rief sie, sich stolz aufrichtend: „Keine Rohheiten, mein Herr, ich dulde das nicht!“

Das Kanzleipersonale war aufmerksam geworden. Erstaunt über diese Keckheit, setzte ein Praktikant die Brille auf und schaute nach dem Gerichtsdiener um, ob dieser nicht mit einem Satz auf die Verbrecherin losspringe und sie in den Abgrund stoße; der alte Actuar verzog höhnisch den Mund, und der Landrichter schwang sich auf wie ein Seiltänzer.

„Noch heut mit Schub fort!“ donnerte er.

„Das werden Sie bleiben lassen,“ entgegnete die Baronin gemessen, „wohl aber will ich noch heut an den Gesandten meines Fürsten, mit dem ich persönlich bekannt zu sein die Ehre habe, schreiben, daß er mir bei Ihrem Minister Genugthuung verschaffe. Auf Wiedersehen!“

Sie verbeugte sich und ging. Die Kanzlisten wuselten über diesen ganz ungewohnten Auftritt durcheinander wie Ameisen, es war jedoch kein Beamter, der seinem Pascha die Demüthigung und die zu erwartende Nase nicht vergönnt hätte. Diese blieb auch nicht aus.

Die Baronin schrieb allsogleich dem Gesandten, und wie da eine Hand die andere wäscht, machte dieser dem Minister die Anzeige, der Landrichter wurde in einen Winkel des bairischen Waldes versetzt und dann, weil die Sache zufällig durch einen Correspondenzler einer Zeitung verrathen wurde, gar pensionirt. – Als sie den betreffenden Brief geschrieben hatte, rief sie Hans.

„Du hast mir,“ begann sie zögernd, „gesagt, daß Du mich gern habest?“

„Gewiß, von Herzen,“ antwortete er, „Du glaubst nicht, wie, ich trau mir’s gar nicht zu sagen.“

„Nun gut,“ sagte sie rasch, die Stirn hebend, „dann wär es ja das Beste, wenn wir heiratheten!“

Dunkles Roth goß sich über ihr Gesicht, sie senkte den Kopf und faßte die Lehne des Sessels.

„Jesus Maria,“ rief er, „Du hast mich fast erschreckt! Schau, das hab’ ich mir schon lang denkt, Du bist nicht mehr jung und ich auch nicht; wärst eine Bäurin, hätt’ ich Dich schon längst drum angesprochen, aber so – – Du bist gescheiter als ich, bring’ Du’s in Ordnung, – das will ich Dir auch noch sagen: Dich oder Keine! Zu Dir wagte ich nicht das Aug’ zu heben, deswegen war ich darauf gefaßt: Keine! und wollte bei Dir bleiben mein Lebtag!“

„Du hättest mir das,“ sprach die Baronin nach dieser Ergießung, „nie gestanden, ich weiß es, allein gestern konnte ich in Deinem Herzen lesen. Auch ich würde stets geschwiegen haben, Du wurdest jedoch meinetwegen erniedrigt, so fühlte ich mich gedrungen, zuerst zu reden.“ Sie reichte ihm tiefaufathmend die Hand.

Es wurde über diese Sache kein Wort mehr zwischen ihnen gewechselt, fast schien es, als scheue sich Jedes, noch einmal darauf zurückzukommen.

Am nächsten Morgen in der Frühe waren sie auf dem Wege nach Tyrol. Sie saß in der Kalesche, Hans kutschirte vom Bock aus. Obwohl sie ihn eingeladen hatte, neben ihr Platz zu nehmen, weigerte er sich doch dessen: das sei vorläufig zu viel Ehre. Es schien ihm, als ob sie noch unermeßlich hoch über ihm stünde. – Sie reisten in seinen Geburtsort, um dort die zur Trauung nöthigen Documente zu holen. Der Pfarrer des Ortes suchte Hans bei Ausstellung des Taufscheines von der Lutheranerin wegen des ewigen Seelenheiles abspenstig zu machen, dieser verbat sich jedoch kurz und bündig jede Einmischung, da er nicht im Sinne habe, sich in Tyrol, wo man die Ketzer so entsetzlich fürchte, festzusetzen. Auf dem Rückweg kamen sie in’s Achenthal. Bei diesem Anlaß sind Sie ihnen auf dem See im Schifflein begegnet.“

„So wären wir also,“ unterbrach ich Benedicta’s lange Erzählung, „glücklich bei der Hochzeit angelangt?“

„Allerdings,“ entgegnete sie. „Vor der Hochzeit, welche nach Peter und Paul, wo der Roggen bereits geschnitten ist, angesetzt war, trug sich aber noch ein merkwürdiges Ereigniß zu, das auch zur Sache gehört, Sie müssen mich daher ausreden lassen. Zu Hause lebten sie ganz wie früher, er als Schaffner, sie als Herrin, so daß Niemand das Verhältniß von Bräutigam und Braut geahnt hatte und, wie sie der Pfarrer von der Kanzel verkündete, Jeder überrascht war. Er dachte, zum Lallen und Trallen sind wir bereits zu alt, und hätte auch nicht gewagt, sich irgend eine Vertraulichkeit zu erlauben; bei ihr, so sehr sie ihn liebte, überwog die weibliche Schüchternheit, sie wollte nicht noch einmal den Anfang machen. Es sollte jedoch anders kommen.

Hans hatte bereits seit einigen Tagen in der Dämmerung etliche Bursche bemerkt, welche um das Haus schlichen und sich, wenn sie ein Geräusch hörten oder Jemand sahen, allsogleich zurückzogen, fast als fürchteten sie, erkannt zu werden. Er hätte sie auch nicht zu nennen vermocht; denn dazu besaß er viel zu wenig Bekanntschaft in der Gegend. Endlich wurde ihm die Sache verdächtig, er legte sich einen derben Knüttel zurecht, um sie damit das nächste Mal um ihren Zweck zu fragen. Zufällig mußte er Nachts im Stalle wachen, weil eine Kuh kalben sollte. Da hörte er etwa um zwei Uhr im obern Stock Geschrei um Hülfe, welches plötzlich verstummte. Rasch ergriff er den Knüttel, sprang über die Treppe empor und horchte an der Thür der Baronin. Er vernahm lautes Gepolter, fast schien es, als falle ein schwerer Gegenstand auf den Boden. Da besann er sich nicht mehr länger, mit beiden Füßen sprang er an die verschlossene Thüre, daß sie, der Gewalt der schwergenagelten Schuhe weichend, mit lautem Krachen zerbarst. Ein Schuß blitzte ihm entgegen, aus dem Rauche erhob sich eine schwarze Gestalt und schwang den Kolben des Gewehrs. Nun schlug Hans zu, daß der Kerl heulend zu Boden stürzte. Der Zweite, welcher das Pult der Baronesse zu erbrechen versucht hatte, wollte durch das Fenster flüchten, verfehlte jedoch jenes, dessen Stäbe die Lumpen durchsägt, und blieb, während von unten noch zwei Schüsse krachten, eingeklemmt in der Luft hängen. Hans bearbeitete mit dem Knüttel den wüsten Strolch so ausgiebig, daß er fürchterlich brüllte. Auf den Lärm liefen die Nachbaren mit Dreschflegeln und [199] Sensen zusammen, die Stalldirne öffnete ihnen die Thür und Alles eilte in die Stube. Dort nahmen sie den Schelm in Empfang, und während ihn Einige beim Waschel über die Treppe schleppten, trat Hans zum Bette der Baronin, welche ängstlich zitternd unter der Decke kauerte. „Haben sie Dir nichts than?“ fragte er voll Sorge.

„Mir fehlt nichts,“ erwiderte sie, „Nachbarn, ich danke Euch für Eure Hülfe. Bist Du nicht verwundet?“ setzte sie leise bei.

„Nein,“ erwiderte er, „weil nur Du g’sund bist!“

Sie bat jetzt die Versammelten, das Zimmer zu verlassen, und blieb mit ihrer Magd allein. Hans legte sich jedoch, um ja jedem Falle zu begegnen, mit dem Knüttel vor die Thürschwelle. Sie konnte nicht schlafen, tausend Gedanken kreuzten sich in ihrem Kopfe, endlich faßte sie wie auf höhere Eingebung einen Entschluß. Unterdeß war schon der Tag angebrochen, sie kleidete sich an und wollte das Zimmer verlassen. Da lag Hans ruhig schlafend auf dem Boden, in der Rechten den Knüttel, den linken Arm unter den Kopf gelegt; sie berührte sanft seine Stirn, er fuhr rasch empor.

„Hans,“ sagte sie, „ich verdanke Dir mein Leben und vielleicht noch mehr. Deswegen muß ich mit Dir aufrichtig sein. Vor zwölf Stunden konnte Dir meine Hand nicht ganz unerwünscht scheinen; besaß ich doch so viel, um Dir und mir ein sorgenfreies Dasein zu bereiten. Nun bin ich aber ausgeraubt; denn um meine Staatspapiere zu retten, kamst Du zu spät; — die Schelme warfen sie aus dem Fenster —, ich besitze nichts mehr, als dieses Gütchen, welches beim größten Fleiß nur ein Leben von der Hand in den Mund gestattet. Es wäre schlecht von mir, wollt’ ich Dich halten, ich gebe Dir Dein Wort zurück.“

Hans starrte sie einen Augenblick an, dann stürzte ein Strom von Thränen aus seinen Augen. Als er sich gefaßt hatte, sprach er mit tiefem Schmerz: „Wär’s mir doch lieber, Dich auf der Todtenbahr zu sehen, als so zu verlieren. Daß Du mich für einen schlechten Kerl hältst, der sein Wort umsteht, das hat mir noch am wehesten gethan von all dem Leid, das ich erfahren. Schau, ich bin gesund und stark, Dich und mich kann ich noch ernähren, das Gütchen ist ja nicht so schlecht, und Du hast mittlerweile auch schon was gelernt. Zuerst hast Du mir die Hand geboten, jetzt thu’ ich’s, denn jetzt sind wir gleich!“

„Ja, gleich,“ rief sie freudig, „ich brauche nicht zu Dir herunter, Du bist zu mir emporgestiegen. Jetzt erst bin ich Dein für immer!“

So standen sie und guckten sich fest in die Augen, da sagte Hans mit g’schämigen Backen: „Jetzt darf ich Dir aber auch ein Bussel geben!“ Früher hatte er sich kaum erlaubt, sie mit einem Finger anzurühren.

Ein Kuß beschloß den Bund für das ganze Leben. Daß die Baronin ihr Vermögen nicht verloren hatte, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen. Ihre Rede war ersonnen, nicht um die Liebe ihres Bräutigams, an der sie ohnehin nie zweifelte, zu prüfen, sondern um die Schranke, welche zwischen Beiden bestand, für immer niederzureißen.“