Textdaten
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Autor: R. A.
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Titel: Herzogin Sopie von Alençon
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aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 362–363
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Herzogin Sopie von Alençon.

Die furchtbare Brandkatastrophe in Paris am 4. Mai, wo sich binnen kurzen dreizehn Minuten ein in höchster Eleganz strahlender, reich dekorierter Wohlthätigkeitsbazar, der Sammelpunkt der ersten Gesellschaft, in eine grausige Flammenhölle voll Verzweiflungsgeschrei und Sterberöcheln verwandelte, dieses beispiellose Unglück hat nicht nur den französischen Adel, sondern auch zwei deutsche Fürstenhäuser in tiefe Trauer versenkt. Denn unter den Opfern, die schwarzverkohlt, bis zur Unkenntlichkeit entstellt, in schauerlichen Reihen gelagert, der Erkennung durch die Angehörigen harrten, befand sich auch die Herzogin Sophie von Alençon, eine bayerische Prinzessin und Schwester der Kaiserin von Oesterreich, die „Königsbraut“, wie sie noch heute in Bayern genannt wird, von der nun 30 Jahre zurückliegenden Zeit ihres Verlöbnisses mit König Ludwig II. her.

Prinzessin Sophie Charlotte Auguste, geb. den 22. Februar 1847, war das jüngste Kind des Herzogspaares Max und Ludovika in Bayern und wuchs gleich ihren älteren Schwestern in größerer Einfachheit und Freiheit auf als andere junge Prinzessinnen. Wohl war die Mutter, eine Schwester König Ludwigs I., eine stolze und formenstrenge Dame; der Vater aber, ein ungewöhnlich lebenslustiger, reich begabter und geselliger Fürst, verkehrte gern und viel mit Künstlern und Litteraten. Er versammelte wöchentlich um sich eine aus 14 Rittern bestehende „Tafelrunde“, welcher er als König Artus präsidierte, wobei es heiter genug zuging. Franz v. Kobell und der ausgezeichnete Humorist Graf v. Pocci fungierten als „Meistersänger“ und „Kanzler“, die anderen Würden waren an einen heiteren Freundeskreis von Kavalieren und Künstlern verteilt, die sich und den hohen Gastgeber völlig zwanglos in Prosa und Gelegenheitsversen ironisch zausten. Von ihm also hatten die Kinder das frische Lebensblut sowie die Neigung zu Kunst, Musik und Sport aller Art, dem sie in dem herrlich gelegenen Schloß und Park Possenhofen am Starnberger See nach Herzenslust nachgehen durften. Herzog Max, dessen Palais in München jahrzehntelang der Sammelplatz einer lebenslustigen, aus Adel, Beamten und Künstlern gemischten Gesellschaft war, glänzte besonders als berühmter Reiter. In seinem Palasthof stand ein eigener Cirkus, in dem er vor geladenem Publikum schöne Aufführungen der höheren Reitkunst veranstaltete und nicht verschmähte, gelegentlich zwischen den Produktionen der andern selbst auf einem seiner Prachtpferde Hohe Schule zu reiten. So saßen denn seine Töchter ebenfalls früh und fest im Sattel, sie ruderten und schwammen im Starnberger See und hatten bei dem fortwährenden Verkehr mit dem Landvolk den natürlichen Umgangston, der die Herzen sicherer gewinnt als vornehm herablassende Leutseligkeit. Auch ihr Bruder, der ausgezeichnete, von allen Kollegen hochgeschätzte Augenarzt Herzog Karl Theodor, verdankt seine große Popularität diesem vom Vater auf seine Kinder vererbten schlicht menschlichen Zuge. Von der Mutter freilich hatten sie die aristokratische Außenseite: schönere und stolzere Prinzessingestalten mit reicheren Haarkronen wird man selten sehen als die damals im Possenhofener Park wandelnden Schwestern: Elisabeth, die schönste von allen, die nachmalige Kaiserin von Oesterreich, dann die Königin von Neapel, die Gräfin Trani und die Herzogin von Alençon.

Die Gedanken aller Bayern wenden sich jetzt nach dem furchtbaren Ende der Letzteren wieder der Zeit zu, wo sie als Braut Ludwigs II. auf dem Gipfel des irdischen Glückes zu stehen schien. Gemeinsame Schwärmerei für Richard Wagner, den von der übrigen königlichen Familie bitter Gehaßten, soll das erste Band zwischen den beiden jungen Verwandten gewesen sein. Prinzessin Sophie war sehr musikalisch, sie sang die schwärmerischen Weisen Elsas und Sentas und fand bald einen begeisterten Zuhörer, an dem königlichen Vetter, dessen Leidenschaft für Schillersche Dramen sie ebenfalls teilte. So reifte diesem schnell aus der Bewunderung der Entschluß zur Werbung, welche seine Mutter, Königin Marie, in der ersten Morgenfrühe des 29. Januar 1867 ins herzogliche Palais brachte, und die feierliche Verlobung fand statt.

Wer damals das hohe, in Jugend und Schönheit strahlende Brautpaar betrachtete, wenn es sich öffentlich zeigte: den idealen König mit dem schwärmerischen Blick, die liebreizende Prinzessin an seinem Arme, der mußte sie für zwei märchenhaft Glückliche, hoch über den irdischen Unzulänglichkeiten Stehende halten. Aber die Gelegenheiten, sie so zu sehen, wurden immer seltener, und dreiviertel [363] Jahre später, nach stets wieder verschobenem Hochzeitstermin, da war das Unerhörte geschehen, die Verlobung eines Königs gelöst und die Königsbraut wieder zur einfachen Prinzessin geworden, die still in das Possenhofener Schloß zurück verschwand! Alle votierten Städtegeschenke und Adressen, die bereits geprägten Münzen, alle schon im Gange befindlichen Hochzeitsvorbereitungen mußten unterdrückt werden. Die Gründe des Bruches wurden geheim gehalten, so angelegentlich die öffentliche Neugier auch danach forschte; man wird wohl nicht fehlgehen, wenn man sie in dem damals schon abnormen Gemütszustand des unglücklichen Königs sucht, dessen Menschenscheu und Einsamkeitsbedürfnis bald reißend zunehmen sollte. Die Verlobung war offenbar für ihn zur unerträglichen Fessel geworden, von der er sich, ohne Rücksicht auf Herkommen und Meinung der Welt, befreite.

Herzogin Sophie von Alençon.
Nach einer Aufnahme des Atelier Benque in Paris


Was Prinzessin Sophie dabei empfand, ob Erleichterung oder Schmerz, werden heute nur wenige wissen. Thatsache ist, daß sie schon im Juli 1868 die Bewerbung des Prinzen Ferdinand v. Orléans, Herzogs von Alençon, annahm und sich im September desselben Jahres mit ihm vermählte. Der Prinz war damals 24 Jahre alt, also drei Jahre älter als die Prinzessin. Er ist ein Enkel des „Bürgerkönigs“ Louis Philipp, der im Jahre 1830 nach der Absetzung Karls X. zur Regierung gelangte und diese durch die Februarrevolution des Jahres 1848 verlor. Anfangs wohnte das jungvermählte Paar abwechselnd in München und auf Schloß Mentelberg in Tirol, siedelte aber nach dem Sturze Napoleons III. nach Frankreich über. Nach dem Jahre 70, als die Prinzen der französischen Königsfamilie zum Heeresdienst zugelassen wurden, diente er eine kurze Zeit als Kapitän, dann aber, als die Republik eine Gefahr in ihren fürstlichen Offizieren erblickte, suchte die Herzogin wieder vielfach ihre deutsche Heimat auf, München, die geliebten Berge, und verlebte mit ihrem Gatten glückliche Zeiten in dem obengenannten Schlosse Mentelberg. Sie hatte zwei Kinder, Prinzessin Luise, geb. 1869, und Prinz Emanuel, geb. 1872. Die erstere reichte 1891 dem Prinzen Alfons von Bayern ihre Hand und verstärkte so die Beziehungen der Mutter zur alten Heimat aufs neue. Im Sommer des Jahres 1886 weilte die Herzogin wieder in Possenhofen am Starnberger See, in dem Orte, an den sich die Erinnerungen ihrer Jugend knüpften. Sie war leidend, denn sie hatte kurz vorher ein schweres Scharlachfieber überstanden, das mit einer diphtherieartigen Halsentzündung verknüpft war. Da sollte die Genesende durch ergreifende Trauernächrichten im Tiefinnersten erschüttert werden. Hier vernahm sie die Kunde von der am 10. Juni erfolgten Uebernahme der Regentschaft durch den Prinzen Luitpold, von den betrübenden Vorgängern, die sich auf Schloß Hohenschwangau abspielten, von der Ueberführung des geisteskranken Königs nach Schloß Berg am Starnberger See und endlich von der Katastrophe, die sich am Pfingstsonntag, den 13. Juni, daselbst ereignete. Die Herzogin wurde von diesem tragischen Schicksal ihres ehemaligen Verlobten derart ergriffen, daß sie in eine seelische Verstimmung verfiel. Schon in ihrer Jugend hatte sie an nervösen Zufällen gelitten. Dieselben traten nunmehr von neuem auf. Die Aerzte verordneten der Kranken eine Kur in Reichenhall, jedoch blieb dieselbe erfolglos, und im Frühjahr 1887 schien sich das Leiden eher verschlimmert zu haben. Nun führte der Herzog von Alençon seine Gemahlin nach Meran, wo ihr Bruder, Herzog Dr. Karl Theodor in Bayern, als Augenarzt thätig war. Dieser berief eine Anzahl angesehener Aerzte, um den Seelenzustand der Herzogin zu prüfen. Außer dem berühmten Wiener Arzt Billroth befand sich unter ihnen auch der hervorragende Psychiater [[Richard von Krafft-Ebing|Professor Krafft-Ebing. Das Leiden der Herzogin gab in der That zu den schwersten Besorgnissen Anlaß. Sie zeigte krankhafte Störungen im Denken und Empfinden; sie wurde zeitweilig von traurigen Wahnvorstellungen geplagt und verweigerte sogar die Aufnahme von Nahrung. Es lag somit ein Fall von Melancholie vor, der eine sachgemäße ärztliche Behandlung dringend notwendig machte. Obwohl die Klarheit des Geistes auch in dieser schlimmsten Zeit erhalten geblieben war, drangen die Aerzte doch auf Ueberführung der Herzogin in eine Heilanstalt. In der That wurde sie alsbald in die von Professor Krafft-Ebing bei Graz geleitete Anstalt gebracht. Dort trat unter sorgfältigster Pflege eine Wendung zum Bessern ein, so daß die Herzogin die Anstalt nach längerem Aufenthalt völlig geheilt verließ.

Nun war es ihr wieder vergönnt, eine Reihe glücklicher Jahre an der Seite ihres Gemahls zu verleben. Sie hielt sich vorübergehend in verschiedenen Städten auf. Sehr gern pflegte sie in München oder auf ihrem Besitz in Tirol zu weilen. Erst in den letzten Jahren wohnte das herzogliche Paar, das 1893 im Schlosse Mentelberg die Silberne Hochzeit feierte, wieder mehr in Paris, wo Herzogin Sophie den ihrem Rang wie ihrer Persönlichkeit gebührenden Platz in der höchsten Gesellschaft einnahm und sich viele Freunde gewann durch die einfache Anmut ihres Wesens, welche mit hoher Wohlthätigkeit gepaart war. In Ausübung derselben und in der für sie charakteristischen Sorge für andere sollte sie ihr entsetzliches Ende finden. Eine einzige von den mit der Herzogin im gleichen Verkaufsstand beschäftigten Damen konnte sich retten, und ihrer Erzählung dankt man hie Kenntnis von deren letzten Augenblicken.

Es war erstickend heiß in dem großen, von bunten Draperien, Blumen, Verkaufsbuden und Menschen überfüllten Raume. Die Herzogin beklagte sich darüber und Madame Belin, die Frau eines bekannten Pariser Chirurgen, ging, ein aus den Hof hinausgehendes Fenster zu öffnen, durch welches sie selbst eine halbe Stunde später dem Tode entrinnen sollte. Als das Feuer ausbrach, sahen die Damen nichts von den Flammen, nur ein plötzliches starkes Gedränge, sie glaubten, es komme eine hohe Persönlichkeit an. Im nächsten Augenblick aber begann das furchtbare Geschrei und die kopflose Flucht, Feuerzungen flammten über ihnen auf, alles strebte verzweifelt auseinander. Die Herzogin allein blieb ruhig, widersetzte sich den Versuchen, sie rasch vor allen anderen hinauszuziehen, und forderte die Damen auf, nur vor allem die jungen Mädchen in Sicherheit zu bringen. „Gehen Sie nur schnell voraus und machen Sie sich meinetwegen keine Sorge!“ rief sie ihnen nach. „Ich werde zuletzt gehen!“ Sie traf rasch noch einige Anordnungen, aber ehe sie an die eigene Rettung denken konnte, umwallte sie bereits, jeden Weg abschneidend, das tödliche Feuermeer und erfüllte den ganzen, aus leichtestem Material errichteten Bazar. Man will die Herzogin noch gesehen haben, wie sie dagestanden, die Augen zum Himmel gerichtet, als habe sie eine Vision. Alle Anstrengungen, von außen hineinzudringen und zu retten, waren umsonst. Der Glutberg sank in sich zusammen und deckte seine Opfer.

Erschütternde Tragik des Schicksals, welches den beiden, in ihrer Jugend flüchtig Verbundenen ein so grauenhaft gewaltsames Ende verhängte! … Noch heute, wenn die Dampfer des Starnberger Sees an dem Park von Berg vorbeifahren, stellt sich alles auf, um gespannt nach der kleinen Bucht zu sehen, wo damals am trüben Pfingstabend die Leichen des Königs und seines Arztes im seichten Wasser schwammen, und von Mund zu Mund gehen die Mythen, die sich in unglaublicher Schnelle und Hartnäckigkeit an die Gestalt des unglücklichen kranken Königs geknüpft haben. Er steht, verschieden genug von seinem wahren Wesen, als eine rein ideale Gestalt in der Phantasie des Volkes und der Dichter; nun wird der Feuertod der „Königsbraut“ wohl die Ursache werden, daß ihr Name, mit dem seinigen aufs neue vereint, im Gedächtnis der Menschen weiterlebt. R. A.