Herbstliche Nachklänge über ein sommerliches Thema

Textdaten
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Autor: H. B.
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Titel: Herbstliche Nachklänge über ein sommerliches Thema
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Herbstliche Nachklänge über ein sommerliches Thema.
Erinnerungen an den Waldkater.

Im Sommer vorigen Jahres feierte die Magdeburg-Halberstädter Eisenbahn ein glänzendes Fest am Fuße der Roßtrappe. Es bestand in Eröffnung und Einweihung der Harzbahn bis Thale, dem so hübsch germanisch verstreuten Dorf an der Bode, wo sie zwischen dem Hexentanzplatz und der Roßtrappe so recht frisch und seelenvergnügt aus ihren duftigen Gebirgswindungen hervor zum ersten Male zu Athem kommt, rothbäckig und lachend, wie ein wilder Junge, der sich aus reinem Uebermuthe immer bergab außer Athem lief. Wenn wir aus dem Coupé steigen, blicken wir in’s Bodethal aufwärts und sehen das Gasthaus zur Roßtrappe aus grüner Waldung 600 Fuß über uns herabwinken.

Ist das nicht bequem, nicht wunderhübsch, von allen Fernen der großen norddeutschen Ebene mit Dampf mitten in die deutsche Gebirgsschönheit hineinfliegen, noch in derselben Stunde beim Roßtrappenwirth Forellen essen und dabei seine gemüthlichen Hühner als Tischgenossen bewirthen, in die Hand nehmen und aus der Hand füttern zu können? An der Trappe selbst schießt uns der Invalide für einen guten Groschen etwas vor, und die Hexen des Tanzplatzes, 600 Fuß weit drüben am anderen Ufer und 200 Fuß höher, antworten sieben Mal immer stärker, wenn sie gute Lust und Laune haben. Unten, 1100 Stufen tief, schnurrt gemüthlich an die Felsen und zwischen die grünen Bäume gekauert der alte „Waldkater“ und blinzelt idyllisch-schläfrig auf die lustig zu seinen Füßen springende und sprudelnde, mit unzähligen keinen Wassereinfällen spielende Bode herab.

Roßtrappe, Hexentanzplatz, Waldkater, – mehr Gebirg und Thal braucht der Mensch überhaupt gar nicht, um glücklich zu sein und zu athmen, wieder leben und lieben, wieder essen und trinken, gesund aussehen und es in Berlin wieder eine Zeit lang aushalten zu lernen.

Freilich auch dieser erste und in meiner Erinnerung der vollkommenste Theil des Harzes ist bereits von der Civilisation ganz beleckt und übertüncht worden. Böse Bauspeculanten haben ihm einen „neuen“ Waldkater in’s Thal dicht neben den alten gesetzt und ein modernes „Zehnpfund-Hotel“ vor die Thür, gleich neben die Station. Auf der einen Seite desselben baumeln immer Gehenkte im Winde mit schmerzvoll umhergeschleuderten Armen. Die nach unten umhergreifenden leeren Mannshemdenärmel zappeln so unglückselig in die saftig grünsten Aussichten hinein, und das Hotel selbst bratet so nüchtern und vornehmtuerisch vor der Bodethalpoesie in der Sonne, daß man sich ärgern muß, wie über eine Caserne vor einem gothischen Dome. Die ganze Wirthschaft ist nichts als ein unauflösbarer Mißton in der „gefrornen Musik“ der Baukunst. Ihr hättet von dem Steingerölle der Bode, das von den Jahrtausenden in überschwenglicher Fülle und Mannigfaltigkeit von seinen Gipfeln herabgestürzt, von den unermüdlichen rüttelnden Wasserdonnern der Bode losgelöst, ausgehöhlt und abgefeilt wurde, burgartige Mauern aufschichten, sie mit Moos und Eichentrieben auswattiren, auch das Dach etwa im Charakter des Roßtrappenvorsprunges anlegen und mit Sitzen, Gängen und Aussichten ausstatten müssen. Das Material dazu lag in reichster, malerischer Auswahl zu euren Füßen. Die Geister des Harzes lieferten euch den Baustyl.

Aber noch ärger hass’ ich den geschniegelten „neuen“ Waldkater weiter oben, dem man’s gleich von Weitem ansieht, daß ein Berliner Häuser-Speculant das Geld dazu gegeben. Er hat, wie der albernste Berliner versteinerte Witz, so recht modern vornehm und naturverhöhnend neben dem gemächlichen „alten“ von der schönsten Hexentanzplatzwand im schönsten Theile des Bodethalkessels Besitz genommen, die beste Aussicht und alle Stimmung in dieser großartigen Harmonie von Formen und Farben verdorben.

Der alte Waldkater ist ein anspruchsloses gemüthliches Eß- und Trinkhaus an den berühmten 1100 Stufen, die vom Hexentanzplatz herunter und zu ihm hinaufführen. Gegenüber springt die Roßtrappe hervor. Ihre vom tiefsten Eichengrün tapezirten Tannenwände mit riesigen Felsenthürmen und verzauberten Gestalten oben steigen und dehnen sich dicht vor unsern Augen aus den Tiefen der donnernden Bode empor. Man sieht weiter in die wilde Thälverengung hinauf nach der Teufelsbrücke hin. Unten gegenüber glänzen Tassen und farbige Kleider und gelbe Damenhüte mit weißen Federn zwischen Eichengrün und Grauwacke. Die Herrschaften sitzen in der „Conditorei“, die sich dort so hübsch eingeklemmt und versteckt hat, um das gewaltige, aber zu beherrschende und vielfach abgeschlossene und eingerahmte Bild nicht zu stören. Hinter dem Waldkater selbst erhebt sich unmittelbar das erhabene Spiel von Baumgrün und Felsengrau, 200 Fuß höher als die Roßtrappe, zum Hexentanzplatz empor.

Unten vor dem alten Waldkater, über den man ohne Störung hinwegsieht, sitzt man unmittelbar an dem rauschenden, in unzähligen kleinen Wasserfällen weiß aufzischenden Gewässer. Man schaut hinab und, ohne den Stuhl zu rücken, empor zu den unheimlichen [743] Felsengestalten, die auf der Roßtrappen- und Tanzplatzseite einander gegenüber ragen und sich, 600 Fuß auseinander, doch unheimliche Geschichten zuzuflüstern scheinen. Bis in ihre höchsten Klüfte und Spalten hinauf haben sich Eichen und andere kräftige Laubhölzer angesiedelt, wohlgenährt und geliebt als Stammgäste des sonst unwirthlichen Gesteins. Wenn die Sonne untergeht, kleiden sich die Wände und Höhengebilde der Roßtrappenseite in malerischen Abtönungen blau- und violethauchig, während die gegenüber unmittelbar vor unseren Augen empor mit der obersten, helleren Hälfte der Regenbogenfarben spielen. Die alten, grauröckigen Höhenriesen stehen plötzlich da, um den „Bischof“ herum, in goldenen Gewändern. Sie blicken mit verklärten Gesichtern in das ferne Abendroth, und der ungeschlachte, bärtige Baschkire, den mein Freund Lede am 25. August zuerst entdeckte, liegend und schnarchend auf einem bekannten Preußen-Profile, das ihm als eine Art Kopfkissen dient, scheint sich zu erheben, um seine häßliche Physiognomie auch etwas vom Abendroth verklären zu lassen. Dann bleichen und dunkeln allmählich die hellen Töne auf den lachenden Eichenkronen und den grauen Steinblöcken, und auch die Thürme und Wände ganz oben werfen ihren Goldschmuck der sinkenden Sonne nach über den Himmel. Man kommt wieder zu sich und ist ganz still, bis Freund Lede sich unserer Rührung schämt und einen Berliner Witz abblitzt gegen die Schwägerin „Emulie“, die gar nichts sagte und auch jetzt nichts sagt, sondern blos Thränen in den Augen hat und sie, abgewendet, hinunterträufeln läßt in den weißen Gischt des unten im Dunkel rauschenden Bergflusses.

Als wir einige Tage später vor dem „neuen“ Waldkater saßen, sprachen wir auch nicht, und selbst Lede’s Witz war verstummt, aber nicht aus Poesie, sondern wegen gar keiner Aussicht, wegen sauren Bieres und großthuend kleinstädtischer Geheimräthe, und vornehm nichtssagender Gesichter von Töchtern. Es schienen eine ganze Menge von kleinstädtischen Großmoguls mit Familie zu sein, die immerwährend vor einander Verbeugungen machten und allerhand Sorten von Hüten und „Angströhren“ vor einander weniger abnahmen, als vielmehr hoch in die Luft hielten, von einem Ohre bis zum anderen mehr oder weniger schadhafte Zähne wiesen und unzählige Titel männlichen und weiblichen Geschlechts hindurch lächelten.

Und da saßen sie denn vor der geleckten Fronte des vornehmthuenden, gewöhnliche Sterbende durch saueres Bier verscheuchenden neuen Waldkaters, der die ganze Aussicht nach der einen Seite vermauert und die andere durch kokett angepflanztes Baumgestrüppe unsichtbar macht, so daß man blos auf einer künstlich angelegten Kiesebene, auf der ganz kahlen Façade des Hauses und auf einigen Kutscherrücken und Pferdeschwänzen seine Augenweide pflegen kann. Das ist der „neue“ Waldkater, ganz wie ein „Hotel“ inwendig, und auswendig den Herrschaften die gemeinen Aussichten auf ungehobelte Felsen und ungezogene Bäume wohlthätig verhüllend, damit kein Bischof oder Baschkire über ihnen sie in dem Genusse ihrer exclusiven Erhabenheit und Froschperspective störe.

Verirrt sich nun gar Jemand krank in’s Hubertusbad, das vor Thale am Eingange zum Bodethale recht hübsch auf einer Insel des Bergflüßchens versteckt liegt, um sich aus den eisen- und jodhaltigen Soolquellen neue Gesundheit zu holen, so mag er nur eilen, um vor Tanzmusik und Rechnungen anderswo wieder Ruhe zu bekommen. Eine kranke Dame, die sich hier Genesung und Ruhe teuer erkaufen wollte, wurde hinter den Tanzboden einquartiert, wo sie fast die ganze Nacht unmittelbar vor ihrer Thür tanzten. Am Tage giebt’s oft Concert aus buckeligen Blaseinstrumenten. Außerdem leidet ein permanenter Bewohner stets an zu großem Durst und Mangel an Gleichgewicht.

Der alte brave Förster, Herr Daude, dem diese über 7 Morgen große Hubertuslandinsel gehört, möchte diese „Civilisation“ gern wieder los sein und als Bad an geeignete Personen verkaufen. Die Quellen sind vielfach chemisch und ärztlich untersucht und für sehr heilkräftig gegen allerhand Haut- und Verdauungsleiden erachtet worden. Außerdem ließe sich dort sehr ruhig und gesund wohnen, wenn die ganze Insel wirklich als Badeort eingerichtet und bewirthschaftet würde. Jetzt als Tanzkneipe und „Hotel“ und Tummelplatz von Bierfiedlermißtönen hat sie weder eine gute Gegenwart, noch eine angenehme Zukunft. Mögen Eisenbahnstation und Eigenthümer zusehen, wie sie das Hubertusbad in guten Ruf bringen. Erstere läßt es nicht an Anstrengungen fehlen, die verschiedenen Harzpartien für Fußgänger und Wagen immer zugänglicher zu machen. Mag sie sich vor Modernisirung, Hotelirung und Vornehmisirung hüten. Sie verscheuchen damit die Hexen, die Geister, die Wald und Quellnymphen, die Prinzessinnen Ilse und ihre Colleginnen, welche mit Heine den Gästen zurufen:

„Dein Haupt will ich benetzen
Mit meiner klaren Well’,
Du sollst Deine Schmerzen vergessen,
Du sorgenkranker Gesell!

In meinen weißen Armen,
An meiner weißen Brust,
Da sollst Du liegen und träumen
Von alter Märchenlust.“

Die Bode hat dazu eben so schöne Anlagen, wie die Prinzessin Ilse, wenn nicht reichere. Beide sind brockengeboren, aber erstere ist lustiger, neckischer, von dauernderer poetischer Laune und nach meinem Gefühl malerischer und märchenhafter, thalumsäumt zwischen Hexentanzplatz und Roßtrappe und weiter hinauf um die Teufelsbrücke, als die Ilse während ihrer kurzen Sprünge zwischen Westerberg und Ilsenstein, hinter welchem sie sich dann gleich nüchtern nach Wasserleben zu verflacht. Wir wollen die höheren Schönheiten der Vegetation, die Aussichten, die Wasserfälle dort nicht leugnen, aber wenn man sich mit den unzähligen kleinen, verstreuten und verwirrten Wasserfällen der Bode die verhältnißmäßig geringe Mühe geben würde, an zwei oder drei Stellen einige Felsblöcke wegzusprengen (viele kann man wegstoßen und schieben) und an andern etwas zu häufen, so gewönne man die schönsten, lustigsten Cascaden, die keine Spur von künstlicher Nachhülfe verrathen würden. Ich erinnere nur an den wunderhübschen Wasserfall der Selke, unweit des Mägdesprungs, der jedenfalls auch durch unsichtbar gewordene künstliche Nachhülfe so laut und so sprudelnd geworden ist und wie weißgekleidete Jungfrauen graciös und leicht zwischen bemoosten Steinen herabtänzelt. Das sieht durch den reichen Waldschmuck hindurch unvergeßlich heiter und herrlich aus.

Einige gute, muntere Sprünge der Bode zwischen den trotzigen Wänden und den „Bischöfen“, „Baschkiren“, „Mönchen“ und „Felsenthoren“ oben würden den Reiz dieses Thales ungemein erhöhen. Sie wäre dann eine silberfüßig harzmärchentanzende Taglioni, Pepita und Elsler zwischen den königlichen Logen oben, aus denen so ehrwürdige Herren herabschmunzeln. Diesen Vergleich vom Theater her verdank’ ich gewiß meinem braven Harz-Mentor und „unverwüstlichen Theaterfreunde“, im Uebrigen Berliner Buchhändler Lazarus Witzibold Lede. Ihm und seiner verehrten Frau verdank’ ich vor Allem das Forsthaus zu Thale. Sie hatten’s vorher entdeckt als Asyl gegen die modernen Hotelungethüme, welche mitten im Juli Gäste aus heißen, stickigen Städten auch im luftigen, duftigen Harze einfangen, in enge Schlafkasten sperren und sich dafür gute Preise und Trinkgelder bezahlen lassen. Im zurückgezogenen Forsthause der Frau Oberamtmann Metler braucht man nicht zu „logiren“, sondern kann gleich „wohnen“, sich häuslich einrichten, sich beim Erwachen von den Bäumen am Fenster Morgengrüße flüstern lassen und im Schlafrocke hinausgehen in den Garten unter beladene Obstbäume und eine luftige Riesenakazie und in würzigster Morgenluft bestellten oder eigen bereiteten Kaffee trinken und mit den Damen, Hunden, Hühnern, Pferden und Wagen des Hauses oder zufälligen Mitbewohnern freundliche, ungenirte Grüße wechseln, Ausflüge verabreden und den ganzen Morgen ruhig und heiter verplaudern. Hier im Forsthause darf man Mensch mit Menschen sein, im Hotel ist man blos eine von den vielen unbenannten Zahlen, die massenhaft heiß und schnell und lärmend abgefüttert werden und schlechten Wein für dreifachen Preis dazu trinken müssen. Im Forsthause hat man Wahl zwischen Wein, Wasser, Bier und gar Nichts. Und dann ist die ganze Wirtschaft so großmütterlich und altväterisch, wie Haus und Stuben. Das Haus hat dicke Wände und ist im Sommer kühl. Meine Stube, an dessen vier Fenster grüne Baumfinger klopften und mit dem Sonnenlichte spielten, hat eine große Säule in der Mitte und riesige Balken oben quer durch. Durch die Fenster lachen Blumen und Bäume, ländliche Ruhe und wirklicher Dorfcharakter herein. Die Leuten bieten Einem ’nen „guten Murrrrjen!“ vor dessen vielen R’s man anfangs allerdings erschrickt, aber man merkt schnell, daß es gut gemeint ist, und lernt sich bald darüber freuen. Und dann, wenn Abends und Morgens die prächtigen rothen Kühe so melodisch vorbeiklingeln und dabei so ehrwürdig und respectabel gerade ihres Weges ziehen! Die Klingeln an ihren [744] Hälsen sind gestimmt. Wie hat mir’s doch Freude gemacht, zu sehen und zu hören, wie diese rothen, runden Kühe Abends musikalisch nach Hause gingen! Eines Abends kam die ganze zahlreiche Heerde langsam aus der Ferne und Höhe thalwärts herabgeläutet. Wie sie so bedachtsam und gewählt schritten auf den Steingeröllen und auf einander warteten, sich gegenseitig Platz machten und sich in jeder Hinsicht vernünftig, freundschaftlich und rücksichtsvoll behandelten! Das Dorf ist groß und liegt meist verstreut umher. Nun war es eine Lust zu sehen, wie sicher und ruhig die große Heerde allmählich nach ihren vereinzelten Wohnungen die verschiedensten Wege einschlug und Partien von 5–6 Stück dann wieder von einander schieden, eine Strecke paarweise und dann einzeln sicher ihren Weg zur Privatwohnung schritten. Dabei bewunderte ich besonders eine rote, große Originalmilchbureauinhaberin. Sie schritt ganz allein von der Heerde ab über eine sehr schmale, gebrechliche, lange Holzbrücke über ein breit ausgewaschenes Bodethal. Mit welcher Vor- und Umsicht, aber auch wie sicher sie sich hinüber balancirte! Und dann läutete sie sich mit ihrer Glocke – dem eingestrichenen E – ganz allein durch dunkelnde Thäler und auf sichern Umwegen geradezu vor die Thür ihres versteckten Stalles und klingelte mehrmals mit zunehmender, mißbilligender Schüttelung, da man sie länger stehen ließ, als ihr lieb war.

Alle diese Respectabilität, Vernunft und Humanität unter diesen Thieren nahm mich höchlich Wunder. Schon von früher Jugend hatte ich in der Schule gelernt, daß die Thiere nicht mit Vernunft begabt seien, am wenigsten das dumme Rindvieh, am meisten aber die Menschen und ganz besonders die Berliner, wo eigentlich die „Intelligenz“ fast ausschließlich zu Hause sein soll. Als gebildeter Berliner hab’ ich das selber immer gern geglaubt. Diese schmeichelhafte Dogmatik liegt nun stark durchlöchert von mir abgestoßen. Ich weiß aus vieljähriger Erfahrung, daß die Berliner kaum einzeln, noch weniger in Gesellschaft so ruhig und respectabel und melodisch auf die Weide gehen oder davon Abends vor den vielen Bierhäusern vorbei zurückkehren. Es fallen unterwegs immer Mehrere ab, an, aus, ein, auf oder hin.

Doch wenn der Berliner wirklich witzig und dabei gutmüthig, gefällig, aufmerksam liebender Gatte, neckischer Schwager und uneigennütziger Freund ist, wie mein Mentor und Freund Lede, zieh’ ich ihn allen anderswo Gebornen vor. Man kommt mit ihm am schnellsten, heitersten und ehrlichsten durch den Harz und wohl auch durch die übrige Welt. Der Berliner kehrt der Welt immer die scharfe Seite seiner rasirmesserartigen Persönlichkeit zu und „drängelt“ sich auf diese Weise ohne viel Umstände vorwärts. Der durchschnittene Widerstand geht dann zu beiden Seiten ab und macht Platz. Diese Art des Durchkommens empfiehlt sich ganz vorzüglich kleinstädtischer Aufgeblasenheit und hohlem Dünkel gegenüber. Mit einem einzigen gradeaus treffenden Worte oder Witze machte Freund Lede auf unsern Ausflügen oft den verschrobensten Ansprüchen und Leuten ihren Standpunkt klar und befreite sie mit einem einzigen Hiebe aus ihren eigenen socialen Fesseln. Und da er sich dann im Uebrigen immer sehr gemüthlich, gesprächig und menschenfreundlich gab, begrüßten ihn die so Zurechtgesetzten und Befreiten in der Regel dankbar als ihren Befreier, und machten nicht selten von der ihnen geschenkten Freiheit den besten Gebrauch zu ihrer und unserer Freude. So gelangen alle unsere kleinen Ausflüge ganz vorzüglich, und wir genossen jede Freude doppelt, da alle, welche wir Anderen zum Besten gaben, uns größtentheils mit Zinsen zurückbezahlt wurden.

Unsere Ausflüge selbst waren und sind im Harze eben das Allergewöhnlichste, so daß man nicht viel Federlesens davon machen kann. Ich glaube auch, die Leser müßten’s lächerlich finden, wollt’ ich ihnen die Schönheiten dieser Ausflüge schildern. Wie viel Höheres, Schöneres, Erhabeneres, Ueberwältigenderes hat man im mittel- und hochgebirgigen Deutschland. „Ja gewiß, versteht sich!“ wie mein Freund Lede sagt. Aber wir lernten einen Rechtsanwalt im Forsthause kennen mit zwei der liebenswürdigsten, jungen Damen, die alle Drei durch ihre gediegene Bildung und Anspruchslosigkeit in uns Allen die edelsten Eindrücke zurückließen. Diese hatten alle mögliche Naturschönheiten gesehen und waren schon zum dreizehnten Male hier. Mit uns wohnte ein alter, noch ganz jugendlicher freundlicher Herr und dessen Schwester aus Hamburg im Forsthause und zwar nicht das erste, sondern das neunte Mal. Und sie wollten all ihr Lebtage jeden Sommer immer auf mehrere Wochen wieder hierher kommen und weder mit dem Rhein, noch mit der sächsischen oder wirklichen Schweiz, auch nicht mit dem Fichtel- oder Riesengebirge tauschen. Und versprachen wir nicht selber ganz begeistert der uns begleitenden Frau Oberamtmann in ihre gerührt thränenden Augen hinein und der alten händeschüttelnden 72jährigen „Fieke“ (die acht Thaler in einem Strumpfe hat, um sich damit ehrlich begraben zu lassen und nicht auf Gemeindeunkosten) obendrein, daß wir, wenn nicht durch höchst unnöthiges Sterben vorher verhindert, ebenfalls ganz sicher wiederkommen würden?

So muß wohl dieser Unterharz etwas ganz besonders Einladendes haben. Der joviale Herr Förster tractirte uns eines Morgens mit mehreren Flaschen Wasser aus einer Thalquelle des Harzes und sagte: „Wer davon getrunken, kann nicht wegbleiben und muß immer wieder kommen.“ Diese Quelle ist das Symbol der fesselnden Reize des alten Waldkaters und seines Bodethales zwischen Tanzplatz und Roßtrappe. Was ist es?

Ich denke, das Geheimniß liegt just in der verhältnißmäßigen Enge, Kleinheit und bequemen Höhe aller gleichsam zu einer Duodezausgabe verdichteten Gebirgsreize mit Ausmerzung alles zu Schroffen, Kahlen, Hohen, Weiten und deshalb Erdrückenden, über unsern Horizont und unsere Genußfähigkeit Hinausgehenden. Auf dem Hexentanzplatze, auf der Roßtrappe und unten im Bodethale hat man immer meßbare Fernen, eingerahmte Bilder, wenigstens solche, die man sich bequem abgrenzen kann. Und sie sind immer so saftig voll und duftig und kräftig und nie überladen. Die Contraste von starren Felsgebilden und üppigem, frühlingsfrischem Eichengrün dazwischen, die Farbentinten, die lustige und doch ganz respectable Bode mit dämonischem, dunkelm Rauschen und heitern, koketten, silberfüßigen Sprüngen zwischen den Felsblöcken – das sind Alles so melodische Gegensätze. Es ist kein Humbug dabei, kein theatralisches Gepränge, nein Alles so solide, so naiv würdige Arbeit der alten mitteldeutschen Natur. Und wie flüstern die alten deutschen Märchen und Großmutter- und Ammengeschichten drum herum! Durch dieses Geflüster hindurch spricht die alte deutsche Geschichte manch deutlicheres, rührenderes Wort. Hier jagte Karl der Große die „Wenden furt“. Nicht weit davon fing Heinrich der Vogelsteller seine ersten Finken und ward dann selbst gefangen von Patrioten, die ihn zum deutschen Kaiser wählten. An unzähligen Stellen stößt man sich an historische Steine oder wandelt über oder durch Burgruinen alter deutscher Ritter und berühmt oder berüchtigt gewordener Herren von Schlagetodt.

Ja und diese Gegenwart! Diese braven Leute und diese melodisch läutenden rothen Kühe! Diese reine, sauerstoffreiche, die Lebensflamme entzündende und läuternde Luft! Sie nimmt deshalb auch ziemlich mit, und Schwache werden anfangs matt und mager. Ich habe auch keine fetten Bewohner im Harze bemerkt, aber sie sind kräftig und sehnig. Deshalb kann man Personen, die fett sind oder es zu werden fürchten, wohl kaum eine erfolgreichere und angenehmere Entfettungscur raten, als die „Schurre“ zur Roßtrappe und die 1100 Stufen zum Hexentanzplatze. Statt des faulen Fettes setzen sich frische Muskeln an und freundliche Natur- und Lebensbilder. – Gottes Segen über dich und der Menschen Freude in dir, du alter Hercynia-Wald, und des Sängers Fluch über den neuen Waldkater!

H. B.