Textdaten
<<< >>>
Autor: Carus Sterne
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Heißblütige Pflanzen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 346–348
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[346]

Heißblütige Pflanzen.

Von Carus Sterne.

Die Pflanzen erscheinen uns als so vorwiegend wärmebedürftige Wesen, daß uns kaum die Frage aufsteigt, ob sie wohl auch in ihrem Körper eine gewisse Eigenwärme erzeugen, wie die Thiere. Höchstens könnte man sie den sogenannten kaltblütigen Thieren vergleichen, denn ihre grünen Theile fühlen sich, wie der Körper eines Frosches, stets kühler an als die Luft eines warmen Sommertages, und dies ist die natürliche Folge der an ihrer Oberfläche beständig stattfindenden Wasserverdunstung. Andererseits wissen wir aber, daß die Pflanze nicht blos Kohlensäure aus der Luft aufnimmt, sondern in bestimmten Theilen und Zeitabschnitten auch Kohlensäure ausscheidet und zwar in Folge eines wirklichen Athmungsprocesses, der mit Kohlenstoffverbrennung und Wärme-Entwickelung, wie im thierischen Körper, vor sich geht. Namentlich beim Keimen und Blühen der Pflanzen werden diese wärmeerzeugenden Athmungsprocesse und der Stoffwechsel in den Pflanzenzellen sehr lebhaft, aber die dabei erzeugte Wärme vertheilt sich so schnell, wie sie entsteht, in die Umgebung der kleinen Wärmeherde; wir spüren sie nur, wenn wir eine Menge Samen, wie es bei der Malzbereitung geschieht, in dichten Haufen keimen lassen, oder wenn wir, unter Abschluß des abkühlenden Luftzuges durch eine Glasglocke, ein kleines Thermometer in eine eben aufbrechende größere Blüthe, wie z. B. die einer Distel, Seerose oder Gurkenpflanze senken. Wir finden, daß das Thermometer in der Blüthe um einen halben oder ganzen Celsiusgrad höher steigt, als ein anderes daneben befindliches.

Fig. 1.
Arum italicum, italienische Zehrwurz.

Seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts weiß man jedoch, daß die Wärme in manchen Blüthen viel höher steigt, sodaß man sie unmittelbar mit der Hand spüren kann, ja selbst so hoch, daß sich die betreffende Blüthe wie eine fieberglühende Stirn oder wie ein warmer Ofen anfühlt. Soviel bekannt, war es Lamarck, der berühmte Vorgänger Darwin’s, der zuerst im Jahre 1789 an den Blüthen des italienischen Aronstabs, Arum italicum (Fig. 1), eine erhebliche Wärme-Entbindung wahrgenommen hat, aber später ergab sich, daß viele Verwandte dieser Pflanze dieselbe Erscheinung in ihrem Blüthenkolben zeigen, obwohl sie nur in einzelnen Fällen ebenso auffallend wird, wie bei jener Pflanze.

Wohl jedem meiner Leser dürfte die eigenthümliche Blüthenbildung der Zehrwurzgewächse oder Aroideen von der äthiopischen Calla oder dem weißen Aronstab, Richardia aethiopica (Fig. 2), her bekannt sein, jener bei Arm und Reich beliebten Zimmerpflanze. mit den mächtigen dunkelgrünen, glänzenden Blättern von pfeilförmiger Gestalt und der schneeweißen Düte oder Blüthenscheide, welche am Ende des üppigen Schaftes den goldgelben Blüthenkolben umhüllt. Was wir Blume nennen, ist aber hier und bei allen Aroideen, von denen sehr zahlreiche Arten, der ornamentalen oft herrlich buntgefleckten Blätter wegen, als sogenannte Blattpflanzen in den Gewächshäusern gezogen werden, keine einzelne Blüthe, sondern ein ganzer Blüthenstand: der Kolben oder die Blüthenaxe ist dicht mit zahllosen kleinen Blüthen bedeckt, und

Fig. 2.0 Richardia aethiopica, Schlangenkraut.

zwar wird der obere Theil gewöhnlich von Staubblüthen, und der untere Theil von Stempelblüthen eingenommen (Fig. 3). Aus den letzteren entstehen zur Reifezeit beerenartige Früchte, die den untern Theil des Kolbens dicht wie die Körner den Maiskolben umgeben. Unsere heimische Flora zählt an diesen Pflanzen außer dem Kalmus, einem entfernten Verwandten der Aroideen, die Sumpf-Calla (Calla palustris), die ein stark verkleinertes Bild der äthiopischen Calla darstellt, und den gefleckten Aronstab, Arum maculatum, unserer feuchten Laubwälder und Parke, und es mag hier daran erinnert werden, daß auch die größte aller Blume, die früher in der „Gartenlaube“ (Jahrg. 1879, S. 292) beschriebene Titanenblume (Amorphophallus Titanum) zu den Aroideen gehört.

Wenn man die Blumenscheide einer frisch aufgeblühten Aroidee, z. B. diejenige unseres gefleckten Aronstabes, welcher seine unscheinbaren grünlichen Blumenhüllen im Mai öffnet, außen und [347] innen mit Watte verwahrt, um die Wärme zusammenzuhalten, so steigt ein Thermometer, dessen Kugel in die Nähe der bräunlichen Blüthenkeule gebracht wird, in bestimmten Tagesstunden um mehrere Grade über die Lufttemperatur. Eine viel bedeutendere Erwärmung beobachteten Hubert und Bory de Saint-Vincent vor vielen Jahren in den Blüthen des herzblättrigen Aron (Arum cordifolium) der Insel Bourbon, denn das Thermometer stieg hier bei einer Luftwärme von 15° auf 35 bis 39° sodaß der von dem Blüthenkolben entwickelte Wärmeüberschuß 20 bis 24° betrug! Man ist leicht geneigt, dieses Phänomen für eines jener Tropenwunder zu halten, wie sie in unserer bescheidenen europäischen Flora nicht vorkommen können, allein der ausgezeichnete deutsche Pflanzenphysiologe Professor Kraus hat sich vor nicht langer Zeit davon überzeugt, daß der gemeine italienische Aronstab den tropischen Vetter in seiner Heißblütigkeit noch beträchtlich übertrifft.

Es ist eine Pflanze, die dem gefleckten Aronstab unserer Wälder ähnlich sieht, nur noch größere, dunkelgrün glänzende Blätter besitzt, die durch eine gelbe Aderung im Landschaftsbilde bald auffallen. Alle Diejenigen, die einmal einen Winter in Mentone oder an einem anderen klimatischen Curort an der Riviera verbracht oder einen römischen Frühling genossen haben, werben sich dieser in den Olivenpflanzungen ebenso häufigen wie auffälligen Pflanze erinnern. Sie entfaltet im März und April ihre ansehnlichen mattgelben Blüthenscheiden, die nicht wie bei unserem Aron auf langen Stielen stehen, sondern Irrlichtern gleich dicht über dem grünen Rasen aufflammen.

Fig. 3. Blüthenstand des gefleckten Aronstabs.
A Blüthenstand von der Blüthenscheide eingeschlossen und B Blüthenstand von derselben befreit. a Stempelblüthen, b Staubblüthen, c unfruchtbare Blüthen, d Keule des Kolbens.

Die Blüthenscheiden öffnen sich des Nachmittags zwischen vier bis sechs Uhr unter Verbreitung eines weinartigen Duftes, und wenn man dann den Kolben anfaßt, so fühlt man die Wärme deutlich. Am 28. März bei einer Lufttemperatur von 16° C. fand Kraus bei vier verschiedenen Kolben, die er in der Nähe von Rom untersuchte, daß das Thermometer auf 43,7°, also 27,7° über die Lufttemperatur gestiegen war; in anderen Blüthenständen betrug sie blos etwas über 40° C., das heißt, immer noch mehr, als wir im heißen Bade ertragen. Am nächsten Morgen war die Erwärmung völlig geschwunden; die Blüthenscheiden erschienen verblaßt, mehr oder weniger faltig oder ganz zusammengesunken und die Blüthenstände abgeblüht. – Unabweisbar drängt sich alsbald die Frage auf: was hat diese bei so vielen Aroideen auftretende Wärme-Entwickelung zu bedeuten? Die älteren Botaniker waren hinsichtlich dieser Frage völlig rathlos. Humboldt spricht von einer „Fieberwärme“ der Aroideen; er dachte an einen Paroxysmus des Liebesfiebers, wie ja der Vergleich der Blumen mit Hochzeitshäusern den früheren Botanikern geläufig war. Die neueren Blumenforscher haben nach den von Sprengel, Darwin und Hermann Müller gegebenen Anregungen eine viel wahrscheinlichere Deutung gefunden. Wie die Leser der „Gartenlaube“ aus meinen früheren Artikeln (vergl. besonders Jahrgang 1878, Seite 50 bis 52) wissen, bedürfen die meisten Blüthen, um keimfähigen Samen zu reifen, fremden Blumenstaubes aus anderen Stöcken ihrer Art, den ihnen entweder Luft- und Wasserströmungen oder lebende Boten (Insecten, Vögel und andere Thiere) zutragen, die sie durch lebhafte Farben, Düfte und andere Reizmittel schon aus der Ferne zu ihren Nektarquellen und sonstigen Gastspeisen heranlocken. Die Aroideen entbehren, wie wir sogleich des Genaueren sehen werden, der gewöhnlichen, in Düften, Farben und Genußmitteln bestehenden Anlockungsmittel nicht, aber sie überbieten, wie es unter den Menschen erfindungsreiche Geschäftsleute thun, ihre Collegen noch durch ein ihnen allein eigenthümliches Anziehungsmittel für ihre Gäste, sie bieten ihnen, wie der italienische Botaniker Delpino zuerst erkannt hat, ein warmes Gastzimmer und einen gemüthlichen Aufenthalt in ihrem Blüthenstande. Die meisten Aroideen der gemäßigten Zonen blühen früh im Jahre, wenn die Nächte noch sehr kühl sind, und locken daher allerlei Gethier an den warmen Ofen ihres Gastzimmerchens, wobei die Eingangsthür, um die Wärme zusammenzuhalten, sorgfältig verschlossen gehalten wird.

Bei dem gewöhnlichen italienischen, wie bei dem deutschen Aronstab sind es allerlei kleine Fliegen und Mücken, die eingeladen werden, in die warme Stube einzutreten, und die dabei als Gastgeschenk Blumenstaub von ihrem letzten Quartier mitbringen. Bei mehreren südeuropäischen und ausländischen Arten sind Blumenscheide und Kolben zart rosa fleischroth, trüb braunroth oder fast schwärzlich braun gefärbt und verbreiten einen täuschenden Aasgeruch, wodurch sie Aasfliegen herbeilocken, die sich auf ein Stück faulenden Fleisches niederzulassen glauben und ihre Brut darauf, zum Verderben derselben, absetzen. Bei den oben genannten Arten ist der untere kesselartig erweiterte Theil der Blüthenscheide durch einen Ring von längeren Haaren abgeschlossen.

Diese Haare sind innerhalb der Blüthenscheide schräg nach unten gerichtet und lassen die von oben her anfliegenden Besucher leicht in die warme Stube hinabsteigen, aber nicht ebenso schnell wieder heraus kommen. Sie bleiben in der kesselförmigen „Mausefalle“ zum Danke dafür, daß sie den Stempelblüthen fremden Blumenstaub mitbrachten, so lange gefangen, bis die später aufbrechenden Staubblüthen desselben Kolbens ihren Staub entsenden können, der dann theils von selbst auf die unten gefangen sitzenden Insecten hinabfällt, theils von ihnen beim Verlassen des Gefängnisses abgestreift wird. Denn zugleich vertrocknen die Haare des schließenden Ringes und die Insecten wandern davon, um den angenommenen Blumenstaub neuen Stöcken zuzutragen. Wer wollte ihnen verdenken, daß sie ein solches „fideles Gefängniß“ immer von Neuem aufsuchen, denn in dem warmen, duftenden Kämmerchen wurden sie außerdem mit Nectar bewirthet, welchen die verblühten Stempelblüthen absonderten. Nur der einen südlichen Art, dem haarigen Aronstab, sagt man nach, daß sie die angelockten Aasinsecten zum Danke dafür, daß sie ihr fremden Blumenstaub brachten, nachher zum großen Theile verzehre. Die Blüthenscheide ist hier nämlich auf der Innenseite mit abwärts gerichteten klebrigen Haaren besetzt, welche einen sauren Saft ausscheiden, mit dessen Hülfe die in dem Kessel verendenden Insecten ebenso ausgesogen und verdaut werden, wie es beim Sonnenthau und anderen insectenfressenden Pflanzen der Fall ist (vergl. „Gartenlaube“ 1875, S. 166).

Noch seltsamer sind die Gäste einer ganzen Anzahl anderer Aroideen, für welche die warme Herberge ganz speciell aufgethan

Fig. 4. Philodendron bipinnatifidum.

zu sein scheint, nämlich Sumpfschnecken, die den Aronstab von unten her erklettern und daher auch unten an der Blumenscheide eine schmale Spalte, die sich später schließt, zum Eintritte vorfinden. Die Aroideen sind vorzugsweise Bewohner von Sümpfen und feuchten Wäldern, und bei einer größeren Anzahl derselben konnte sich Delpino durch den Augenschein überzeugen, daß ihr Gastzimmer von kleinen Schnecken ausgesucht wird, bei anderen ausländischen Arten unserer Gewächshäuser deutet die ganze Einrichtung auf dieselbe Gastfreundschaft. Auch die Calla unserer Sümpfe bietet den Schnecken in ihrer halboffenen Düte Zuflucht.

[348] Eine höchst interessante Schneckenaroidee, Philodendron bipinnatifidum (Fig. 4), ist vor Jahr und Tag von Dr. F. Ludwig in Greiz in den dortigen fürstlichen Gewächshäusern studirt worden. Es ist eine prächtige Blattpflanze mit großen, doppelt eingeschnittenen Blättern, ähnlich jener bekannteren Art mit durchlöcherten Blättern, Philodendron pertusum (Fig. 5), der wir häufig auf größeren Blumentischen begegnen. Auch bei dieser Aroidee entwickeln sich die von dem unteren kesselförmigen Theil der außen grünlichen, innen weißgefärbten Blumenscheide eingeschlossenen Stempelblüthen zuerst, und zugleich tritt eine so starke Erwärmung in der Hülle auf, daß sie von der Hand bereits in einiger Entfernung wahrgenommen wird. Das Aufblühen und die Wärme-Entwickelung begannen bei der Ludwig’schen Beobachtung gleichzeitig am Mittage, und die Wärme-Entbindung nahm dann zu und erreichte Abends 7 Uhr ihr Maximum, welches nahezu 38° betrug, während die Luft des Gewächshauses nur 15° Wärme besaß. Zu derselben Zeit, die auch hier mit dem Aufbrechen der Stempelblüthen zusammenfiel, verbreitete sich plötzlich aus dem Blüthenkessel ein äußerst starker, gewürzhafter, zwischen Zimmt und Muskat in der Mitte stehender Duft, welcher das ganze Gewächshaus erfüllte und in der Heimath der Pflanze jedenfalls dazu dient, die Schnecken zu benachrichtigen, daß das Nachtquartier geheizt ist.

Fig. 5. Philodendron pertusum.

Erst am Mittage des nächsten Tages, nachdem sich der Kessel mit den weiblichen Blüthen vollkommen abgeschlossen und die Wärme- und Duftentbindung beträchtlich nachgelassen hatte, brachen am oberen Theile des Kolbens die Staubgefäße auf, aber die Blumenstaubkörner traten nicht wie sonst in Form eines feinen Staubes, sondern kettenförmig an einander klebend hervor und bildeten zolllange Troddeln, die dem oberen Theile des Kolbens das Aussehen eines Greisenhauptes gaben. Diese Fäden können von Insecten nicht mitgenommen werden, aber in Berührung mit dem feuchten Körper der Schnecken lösen sich die Troddeln sogleich in einzelne Körner auf, die am Körper der Schnecken festhaften. Diese können sich nicht allzu lange in dem warmen Kesselraum aufhalten, denn derselbe füllt sich in Folge der starken, Wärme erzeugenden Athmung bald so vollständig mit Kohlensäure, daß ein hineingehaltenes glimmendes Hölzchen sofort darin erlosch. Die später kommenden Schnecken finden den Kessel, der vorher durch einen Spalt von unten her zugänglich war, geschlossen und können nur die Staubblüthen erreichen, von denen sie Blumenstaub mitnehmen. Sollten einzelne Schnecken in dem Kessel, bevor er sich schloß, zurückgeblieben sein, so müssen sie darin ersticken, und dies mag eine Art Nothwehr von Seiten der Pflanze sein, da die Schnecken sonst die jungen Fruchtanlagen verzehren würden.

Man sieht, diese Pflanzen bedurften gegen ihre Besucher, so nöthig ihnen dieselben auch geworden sind, doch einer gewissen Sicherung. Die Schnecken sind gefräßige Thiere, welche gern das Laub und die fleischigen Theile der von ihnen besuchten Pflanzen verzehren. Manche Aroideen geben dem Hunger ihrer Gäste die fleischige Blüthenscheide, die ja doch bald entbehrlich wird, preis, aber bei den meisten müssen sie sich an dem warmen Nachtquartier und einer kleinen Menge Nektar genügen lassen, denn dieselben entwickeln in ihren gesammten grünen Theilen einen Giftstoff von solcher Schärfe, daß es unmöglich ist, auch nur die geringste Menge davon zu genießen. Unsere gewöhnliche Zimmer-Calla enthält beispielsweise einen so scharfen Stoff in ihren Blättern, daß die geringste Menge, die man davon kaut, auf der Zunge ein stundenlang anhaltendes Stechen, wie mit Nadeln, verursacht.

Fig. 6. Colocasia esculenta, eßbares Caladium.

Bei einer westindischen Art, dem Caladium seguinum, ist dieser Giftstoff so bedenklicher Natur, daß Jemandem, der aus Unwissenheit von den Blättern kostete, Mund und Zunge derartig anschwellen, daß er kaum im Stande ist, zu sprechen, viel weniger etwas zu genießen. Auch in dieser unerhörten Schärfe, welche die vom spanischen und Cayenne-Pfeffer noch übertrifft, malt sich die Heißblütigkeit dieser Gewächse. Glücklicher Weise ist dieser auch in den an Stärkemehl reichen Wurzelstöcken und Knollen einiger Arten vorkommende Giftstoff so flüchtiger Art, daß er beim Rösten und Kochen derselben vollkommen verschwindet, weshalb dieselben ein Hauptnahrungsmittel für die Bewohner der Tropenländer, namentlich Südamerikas und der Südsee-Inseln abgeben. Der Taro, Colocasia esculenta (Fig. 6), wird zu diesem Zwecke vielfach wie die Kartoffel angebaut und treibt mächtige herzförmige Blätter, die in der Form denen der buntblätterigen Caladien unserer Gewächshäuser gleichen, aber die meisten derselben an Größe übertreffen.

Werfen wir zum Schluß noch einen Rückblick auf die geschilderten Verhältnisse, so müssen wir über die Umwege erstaunen, welche in der Natur mitunter eingeschlagen werden, um den für eine kräftige Nachkommenschaft unentbehrlichen fremden Blüthenstaub herbeizuschaffen. Nichts konnte zur Uebertragung des Blüthenstaubes bei diesen Gewächsen der Sümpfe, Ufer und feuchten Wälder geeigneter sein, als kleine Schnecken, deren Gefräßigkeit indessen durch besondere Mittel in Schranken gehalten werden mußte. Denn sonst würden die Schnecken ja nicht bis zu dem Blüthenstande emporklettern, sondern einfach am ersten Blatte zu fressen beginnen. Das mußte ihnen somit verleidet werden, dagegen mußte der am Ende eines oftmals ziemlich hohen Schaftes befindliche Blüthenkolben so ungewöhnliche Reizmittel entfalten, daß die langsamen Schnecken den für sie ungeheueren Weg nicht scheuen, um zu jenem Sehnsuchtsziele zu gelangen. Ein behaglich warmer Aufenthalt, ein prächtiger Duft, irgend eine Lieblingsspeise winkt ihnen da oben, und ohne rechts und links zu blicken, klettern sie an dem spiegelglatten Schaft in die Höhe; man wird dabei an jene Kletterstangen der Volksfeste erinnert, an deren Spitze duftende Würste und leckere Kuchenbündel hängen und die man hinterlistiger Weise mit schlüpfrigen Stoffen beschmiert hat, um das Erklettern zu erschweren. Sobald der Aroideenkolben[WS 1] seine flüchtigen Reize eingebüßt hat, hat auch die Schnecke da oben nichts weiter zu suchen, sie kriecht ebenso aufenthaltslos wieder hinab, um schnell einen benachbarten Kolben zu erklettern, der eben zu duften beginnt, und diese Eile kommt den Pflanzen zu Statten, die so den erforderlichen fremden Blumenstaub mit schnellster Schneckenpost erhalten. Kann es etwas Wunderbareres geben, als dieses Ineinanderleben der verschiedenen Naturwesen, welches wir den Lesern der „Gartenlaube“ nun schon in so vielen Beispielen vorgeführt haben?


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Aroidenkolben