Hausgymnastik für Mädchen und Frauen

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Titel: Hausgymnastik für Mädchen und Frauen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 91–92
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Hausgymnastik für Mädchen und Frauen.

Die Gefahren für die Gesundheit, welche das moderne städtische Leben mit sich bringt, treffen nicht alle Schichten der Bevölkerung in gleichem Maße. Auch zwischen den Geschlechtern besteht nach dieser Richtung hin ein wesentlicher Unterschied: der Mann tritt in den Kampf gegen diese Gefahren viel besser ausgerüstet als die Frau. Leibesübungen, welche die Gesundheit stärken, ziemen dem Mann, und schon der Knabe übt sich darin und sucht in klug angeregtem Ehrgeiz seine Genossen zu übertreffen. Unsere Mädchen dagegen werden in allerlei nützlichen Beschäftigungen unterrichtet, bei denen das Stillsitzen nothwendig ist. Anstand, Sitte, gute Erziehung und andere an und für sich hochzuschätzende Güter haben auf dem Gebiete der weiblichen Leibespflege gewisse Vorurtheile erzeugt, die schon dem kleinen Mädchen, das noch ein Kind ist, freies Umhertummeln verbieten, die es in enge Kleider einschnüren und leider so oft verkümmern und verwelken lassen.

Das sociale Leben der Gegenwart hat nach dieser Richtung hin die Frau in eine ungünstige Lage gedrängt, und es ist dringend zu wünschen, daß sie aus derselben befreit werde, daß ihr das Recht zu theil werde, sich gesund und kräftig zu entwickeln.

Einsichtige Pädagogen haben das längst erkannt und im Mädchenturnen ein Mittel gegen diese Vernachlässigung der weiblichen Erziehung gefunden und dieses warm empfohlen. Die Aerzte schließen sich ihnen rückhaltlos an, sofern das Mädchenturnen nicht eine bloße Nachahmung des Turnens für Männer bildet, sondern dem Wesen der Frau angepaßt wird.

Leider sind gerade auf diesem Gebiete die Vorurtheile noch zu bekämpfen, die in den meisten Kreisen gegen das weibliche Turnen herrschen, sowie die Gleichgültigkeit der Massen, welche jeder noch so guten Neuerung abhold ist. Auch das Schulturnen gewinnt in Mädchenschulen nur langsam an Boden. Aus diesen Gründen ist es besonders willkommen, daß zwei hervorragende Turnlehrer, Stabsarzt Dr. med. E. Angerstein und G. Eckler in Berlin, eine Anleitung zu körperlichen Uebungen für Gesunde und Kranke weiblichen Geschlechtes herausgegeben haben. Das Werk „Hausgymnastik für Mädchen und Frauen“ (Berlin, Verlag von Th. Chr. Fr. Enslin) zeichnet sich nicht allein durch treffliche gemeinverständliche Darstellung, sondern vor allem dadurch aus, daß es die Frauen lehrt, wie sie, ohne an die Oeffentlichkeit zu treten, in zweckmäßiger, die Gesundheit fördernder Weise zu Hause turnen können. Die Hausgymnastik ist für Frauen und Mädchen schon aus dem einen Grunde ungemein wichtig, weil sie selbst die übertriebensten Ansprüche des konventionellen Anstandes, wir möchten beinahe sagen: der Prüderie, vollkommen wahrt. Es kann doch kein noch so peinliches Gefühl verletzt werden, wenn die Tochter unter der Aufsicht der Mutter oder diese allein zu Hause turnt. Der Nutzen, den ihnen diese Uebung bringt, ist dagegen ein unermeßlicher: die Hausgymnastik fördert nicht allein. die Gesundheit, mehr noch als der Tanz, dessen gesundheitlicher Werth doch fraglich bleibt, sie verleiht der heranwachsenden Jungfrau auch gerade Haltung, guten Wuchs und jene Leichtigkeit und Anmuth der Bewegungen, die im späteren Leben so oft schmerzlich vermißt werden. Die Hausgymnastik bringt den Frauen in der That nicht allein Gesundheit, sondern auch Geschicklichkeit und die wahre Schönheit, die auf der natürlichen Haltung des Körpers beruht.

Welche Mutter würde wohl diese Güter ihrer Tochter vorenthalten wollen, welche Frau nicht bestrebt sein, sie zu erhalten?

Wir empfehlen unseren Leserinnen, nach den Angaben von Angerstein und Eckler die Hausgymnastik zu versuchen; sie werden sich bald von der Wahrheit unseres Ausspruches überzeugen.

Die Hausgymnastik für Frauen und Mädchen ist recht einfach gestaltet. Sie kann selbst ohne alle Apparate ausgeführt werden; denn die Freiübungen des deutschen Turnens bieten eine große Auswahl zweckmäßiger Körperbewegungen, die sich für Mädchen und Frauen eignen.

Wir wollen nur einige Beispiele anführen, um zu zeigen, wie mit anscheinend ganz kleinen Mitteln große Erfolge erzielt werden können.

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Fig. 1. Handbeugen und -strecken.

Unsere Figur 1, die dem oben erwähnten Werke entlehnt ist, veranschaulicht eine sehr einfache Uebung: das Handbeugen und -strecken. Die Hände werden dabei, mit gestreckten Fingern oder zur Faust geballt, beziehungsweise mit Hanteln beschwert, soweit als möglich aufwärts gebeugt, dann gestreckt (in die Ausgangshaltung zurückgebracht), hierauf abwärts gebeugt etc. Man nennt dies: „Handbeugen aufwärts und abwärts“; man kann es auch seitwärts ausführen und durch ein schnelles Hin- und Herbeugen der Hände das sogenannte Handschwingen üben.

Ebenso giebt es auch Uebungen für die Finger: das „Fingerbeugen und -strecken“, sowie das „Fingerspreizen“.

Diese Bewegungen, die so einfach sind, können bei regelrechter Ausführung großen Nutzen bringen. Das Handgelenk und die Finger werden dadurch kräftig, frei und gelenkig gemacht und diese Vorzüge bilden die Grundlage zu der „geschickten Hand“, welche den Frauen nicht fehlen soll. Ferner sind sie treffliche Vorbeugungsmittel gegen den Schreibkrampf sowie die Ermüdung der Hände, die durch andauerndes Schreiben, Zeichnen, Nähen, Sticken etc. verursacht wird. Man versuche dieses einfache Mittel und man wird staunen, wie sehr die Muskeln der Hände dadurch erfrischt und belebt werden!

Fig. 2. Kniebeugung.

So wie die Hände werden auch die Arme, die Muskeln des Rumpfes und der Brust durch zweckmäßige Bewegungen gestärkt, und wie hübsch die Kinder mit den Beinchen turnen können, beweisen unsere Bildchen, die nach Photographien, also nach dem Leben geschnitten sind. Es gelangen hier die Uebungen „Kniebeugung“ (Fig. 2), „Wechselkniebeugen“ (Fig. 3) und „Knieheben vorwärts“ (Fig. 4) zur Wiedergabe. Sie gehören in die Gruppe derjenigen Uebungen, welche gegen einen Schrecken der Mütter – gegen kalte Füße der Kinder, viel wirksamer sich erweisen als die wärmsten Filzpantoffel und Pelzschuhe.

Mädchen und Frauen dürfen aber auch Uebungen mit einfachen Geräthen vornehmen, unter denen in erster Linie die Stabübungen zu erwähnen sind, Man nimmt hierzu einen geraden, vollkommen glatten, astfreien runden Holzstab von 2 bis 3 Centimetern Dicke. Die Länge desselben soll der Schulterhöhe des Uebenden entsprechen. Besenstiele, Rouleauxstangen u. dergl. können gelegentlich als solche Stäbe benutzt werden. Diese Uebungen kräftigen die den Brustkasten umgebenden Muskeln, erweitern die Brusthöhle und befördern in hohem Grade die Athmungsthätigkeit. Sie sind auch ein Mittel gegen gebeugte Haltung und besonders empfehlenswerth ist das „Gehen mit Stabhaltung rücklings“, welches wir nebenstehend in Fig. 5 wiedergeben. Der Stab wird quer über den Rücken gelegt und mit beiden gebeugten Armen gehalten, die zur Faust geballten Hände sind nach vorn gerichtet. Der Kopf wird aufrecht gehalten, die Schultern werden kräftig nach hinten gezogen. Aus dieser Haltung wird mit mäßig großen Schritten langsam vorwärts gegangen. Die Muskeln der Beine müssen kräftig angespannt werden. Beim Niederstellen des Fußes soll die Spitze den Boden zuerst berühren.

Es ist dies eine Uebung, welche von der Kaiserin Augusta warm empfohlen wurde, wie dies Professor C. Euler in dem Artikel „Kaiser Wilhelm I., ein Freund des Turnens“ (vergl. „Gartenlaube“, Jahrgang 1888, S. 319) unsern Lesern mitgetheilt hat.

Fig. 3. Wechselkniebeugen.

Die Hausgymnastik weiß auch für Mädchen Spiele zu empfehlen, unter denen namentlich Uebungen mit dem Federball, die in jedem größeren Zimmer vorgenommen werden können, die größte Beachtung verdienen. „Unter allen Bewegungsspielen,“ schreiben mit Recht Angerstein und Eckler, „gehört das Ballspiel in seinen verschiedenen Formen zu den vorzüglichsten. Beim Werfen und Fangen des gewöhnlichen Balles, sowie beim Schlagen des Federballes ist der ganze Körper in Thätigkeit; da wechseln kleine, genau beherrschte Bewegungen mit lebhaften und ausgedehnten Drehungen und Wendungen; ja selbst Lauf und Sprung müssen plötzlich ausgeführt und ebenso schnell gehemmt werden. Im Ballspiel findet der Körper die schönste Gelegenheit, Anstand, Zierlichkeit, Kraft und Maß der Bewegung in vollkommenster Vereinigung zu üben und sich anzueignen.“ – Die Turngeräthe, die in dem Buche empfohlen werden, sind sehr einfach. Nothwendig ist deren Anschaffung jedoch nicht; schon die Freiübungen an und für sich dürften für die meisten Fälle genügen und außerdem können im Bedarfsfall Stühle und Tische die Stelle von Turngeräthen vertreten. Auch dafür gegen die Verfasser praktische und leicht ausführbare Winke.

Fig. 4. Knieheben vorwärts.

Wir glauben, durch diese Beispiele genügend das Wesen und die Bedeutung der Hausgymnastik für Mädchen und Frauen angedeutet zu haben. Vor einem Uebermaß ist auf diesem Gebiete besonders zu warnen, wie auch der Entwickelung des Körpers durch zeitweilige Ruhe Rechnung getragen werden muß. Mehr als der Mann wird die Frau genöthigt sein, die Entscheidung, ob sie turnen darf, dem Arzte zu überlassen; aber auch in dieser Hinsicht findet sie in dem erwähnten Werke einen treuen und warnenden Lehrer und Rathgeber, da ja einer der Verfasser selber Arzt ist.

Fig. 5. Stabhaltung rücklings.

Durch diese Zeilen konnten wir nur eine Anregung geben; die Aufgabe verständiger, für das Wohl ihrer Töchter besorgter Mütter muß es sein, den Rath in That zu übersetzen. Möchte die „Hausgymnastik für Mädchen und Frauen“ ein deutsches Familienbuch werden! Sie würde in den weitesten Kreisen den größten Nutzen stiften und namentlich unter den Mädchen große und vortheilhafte Wandlungen hervorrufen. Wir würden bei der richtigen Befolgung der trefflichen Rathschläge mehr Mädchen mit blühenden Wangen, mit gerader Haltung, mit leichtem sicheren Gang, mit der natürlichen Anmuth in den Bewegungen sehen, als dies heutzutage besonders in den Großstädten der Fall ist.