Hans Ferdinand Maßmann (Die Gartenlaube 1897/36)
[612] Hans Ferdinand Maßmann. Trübe Zeiten herrschten in Deutschland nach den glorreich ausgefochtenen Befreiungskriegen. Napoleons Macht war gebrochen, das Joch der Fremdherrschaft abgeschüttelt, aber diejenigen, die das deutsche Volkstum geweckt und zum Kampf gegen die äußere Vergewaltigung aufgerufen hatten, sahen sich in ihren schönsten Hoffnungen getäuscht. Dem Gedanken der Einigung und freien Ausgestaltung Deutschlands war in der Reaktion ein neuer Feind erstanden. Damals, im Jahre 1819, mußte auch einer der eifrigsten Jünger des Turnvaters Jahn den Druck der Verfolgung fühlen. Es war der zweiundzwanzigjährige Hans Ferdinand Maßmann. Aus Erlangen, wo er Naturwissenschaften studieren wollte, wurde er ausgewiesen und in Eisenach, wo er nach einem angestrengten Marsche ausruhen wollte, ihm das Rasten verboten. So zog er weiter und auf dem Wege zwischen Eisenach und Jena dichtete er das herrliche Lied: „Ich hab’ mich ergeben“.
Das Lied wurde volkstümlich wie wenige andere und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt hat es in den Herzen der heranwachsenden Jugend die Liebe zum Vaterlande gestärkt. Es genügte schon allein Maßmann ein treues Andenken im Herzen des deutschen Volkes zu sichern, aber auch ohne dieses dichterische Vermächtnis bleibt Maßmann als einer der eifrigsten Streiter für das Deutschtum für uns unvergeßlich.
Vor hundert Jahren, am 15. August 1797, erblickte er als Sohn eines Berliner Uhrmachers das Licht der Welt. Frühzeitig wurde er mit Jahn bekannt und zählte bald zu seinen eifrigsten Schülern. Vor allem zeichnete er sich durch Abhärtung und Bedürfnislosigkeit aus, zwei Eigenschaften, die er sich für sein ganzes Leben bewahrt hatte. „Maßmann wandert auf Hunger und Durst“ hat einmal Jahn im Scherze gesagt. 1815 nahm Maßmann am Feldzuge teil, studierte dann, nach Berlin zurückgekehrt, Philologie und wirkte mit Jahn und Eiselen an der Ausgestaltung der deutschen Turnkunst. Er ging auch nach Jena, um an der burschenschaftlichen Bewegung teilzunehmen, wurde hier zu einem der Urheber des im Jahre 1817 abgehaltenen Wartburgfestes und setzte die Aufsehen erregende Verbrennung von Büchern „vaterlandsschänderischer“ Schriftsteller (Kotzebue, Haller u. a.) auf dem Wartenberg in Scene. Damit hatte er sich den Haß der Reaktion zugezogen, die staatliche Laufbahn als Lehrer schien ihm verschlossen, und so wandte er sich Privatstudien zu, wobei er häufig seinen Wohnsitz wechselte.
Gleich Jahn widmete sich Maßmann eifrig dem Erforschen der ältesten Denkmäler der deutschen Sprache und trat eine Reise durch Deutschland an, um in Bibliotheken mittelalterliche Handschriften zu prüfen. So kam er auch nach München, wo er einen ihm zusagenden Wirkungskreis fand. König Ludwig I war dem Turnen freundlicher gesinnt als andere deutsche Fürsten. Maßmann leitete in München den Turnunterricht am königlichen Kadettenkorps, wurde Turnlehrer der königlichen Prinzen Max und Otto und wurde auch zum Professor an der Universität ernannt.
Als man zu Anfang der vierziger Jahre das Turnen auch in Preußen wieder aufnahm, wurde Maßmann von der preußischen Regierung nach Berlin berufen. Er erhielt zwar eine feste Anstellung, aber es ergaben sich zwischen ihm und den leitenden Kreisen Meinungsverschiedenheiten über die Neugestaltung des Turnwesens. 1852 wurde er zur Disposition gestellt und konnte nunmehr seinen litterarischen Arbeiten leben. Im Jahre 1860 wurde er von einem Schlaganfall getroffen und verfiel allmählich in ein langwieriges Siechtum. Er starb am 3. August 1874 in Muskau. In seinem Nachlaß fand sich noch eine Anzahl unbekannt gebliebener Turn- und Vaterlandslieder vor, die demnächst veröffentlicht werden sollen.*