Textdaten
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Autor: Gustav Kopal
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Titel: Hamburgs großer Geldschrank
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 856–858
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[856]
Hamburgs großer Geldschrank.


Unter den vielen „berechtigten Eigenthümlichkeiten“ der freien Stadt Hamburg ist eine, die namentlich dem nichthamburgischen Geschäftsmann, wenn er von ihr erfährt, wunderlich genug erscheint. Wird dem Hamburgischen Kaufmann ein fälliger Wechsel präsentirt, so ruft er nicht, wie etwa der süddeutsche Großhändler thun würde, seinen Cassirer, der dann Gold, Silber, Banknoten, Coupons und wie alle die Variationen des Themas „Geld“ heißen mögen, aufzählt. Der Hamburger, respective sein Handlungsgehülfe, spricht vielmehr das große Wort gelassen aus: „Wird abgeschrieben“. Und der Bringer des Wechsels entfernt sich zufriedengestellt. Erst am Nachmittag erfährt der Wechselinhaber, ob sein Geld wirklich eingegangen ist.

Bei der in Rede stehenden Ausgleichung wandert nämlich weder Münze noch Papier von Hand zu Hand. Von beiden hat der Hamburger Kaufmann fast immer nur verhältnißmäßig ganz geringe Beträge in Cassa. Sein Geld liegt in dem „gemeinsamen großen Geldschrank“ der Hamburger Kaufmannschaft, in der „alten Hamburger Bank“. Jeden Mittag an Wochentagen kurz vor oder nach ein Uhr erscheint der Bankinteressent oder sein Specialbevollmächtigter, dem er die „Bank-Procura“ verliehen hat, persönlich in der Bank und giebt eine Anzahl von „Bankzetteln“ ab. Das gedruckte Formular eines solchen Zettels lautet:

 Die Herren und Bürger der Bank
gelieben zu zahlen an ……………… die Summe
von ………… und mir solche Mark …………………
von meiner Conto Folio ………… abschreiben zu lassen.
Solches soll mir gute Zahlung sein. (Folgt Raum
für das Datum und gewöhnlich noch der gleichfalls gedruckte Name des betreffenden Bankinteressenten.)

Die Summe wird einmal in Zahlen und einmal in Buchstaben, das „Folio“ nur in Zahlen ausgedrückt. Die noch übrige Lücke füllt selbstverständlich der Name Desjenigen aus, an den die Bankzahlung geleistet werden soll.

Dann übertragen die „Bankschreiber“ die betreffenden Summen von einem Conto auf das andere und übergeben am Nachmittage dem Boten des Bankinteressenten einen Zettel, auf welchem die eingegangenen Beträge verzeichnet stehen. Von Zeit zu Zeit wird auch dem Bankinteressenten sein Bank-Saldo aufgegeben, um conforme Rechnung zu sichern.

Auf diese Weise wird „per Bank abgeschrieben“. Unter der „Bank“ versteht der Hamburger in dieser Beziehung immer nur die alte Hamburger Giro-Bank, nie eine der vielen anderen Privatbanken des Platzes. Hier sei gleich erwähnt, daß auch die weltberühmte Hamburger Giro-Bank eigentlich ein Privatinstitut ist. Der Staat Hamburg garantirt indessen den Bankfonds gegen Feuer und Diebstahl und übt eine gewisse Controle über den Geschäftsbetrieb aus. Staatliche und private Verhältnisse sind hier, wie in manchen anderen Hamburgischen Einrichtungen, auf eigenthümlichste Weise mit einander verbunden.

Eine einfachere, praktischere Zahlungsweise, als dies „Abschreiben per Bank“, läßt sich kaum denken. Nur weniger Federzüge, sowie eines einmal täglich zur Bank zu machenden Weges bedarf es, um die größten Summen in Bewegung zu setzen. Das in dem großen gemeinsamen Schrank liegende Geld der Kaufmannschaft circulirt, ohne sich vom Platz zu bewegen.

Die Mühe des Zählens wird erspart, desgleichen die des Prüfens der eingehenden Münzen und Werthpapiere, ob nicht schlechtes oder falsches Geld sich einschleiche. Noch wichtiger ist der Umstand, daß nur ausnahmsweise der Cassirer eines großen hamburgischen Handlungshauses es möglich machen könnte, im Portrait-Album der Kladderadatsch-Beilage zu figuriren, denn größere Baarvorräthe kommen, wie gesagt, beim hamburgischen Kaufmann nur ganz selten vor, und mit dem Banksaldo kann kein Cassirer durchbrennen. Gern bezahlt daher der Bank-Interessent für die Aufbewahrung seines Geldes jährlich eine kleine Summe, denn das ist wieder eine besondere Eigenthümlichkeit der Hamburger Bank, daß sie niemals Zinsen vergütet, auch wenn man ihr die größten Capitalien jahrelang belassen wollte, vielmehr sich in jedem Falle für die Aufbewahrung ein Geringes vergüten läßt. Sie macht eben keine Geschäfte mit dem Gelde, fungirt vielmehr ausschließlich als großer feuer- und diebsfester Geldschrank, der zu jeder Zeit das gesammte ihm anvertraute [857] Gut blank und baar herausgeben könnte, wenn es verlangt würde.

Von der praktischen Einrichtung ihrer Clearing-Houses sind die Engländer des Lobes voll. Im Clearing-House treffen Mittags so und so viele Commis verschiedener Banken zusammen und rechnen mit einander ab, so daß nachher nur die Saldi der gegenseitigen Rechnungsverhältnisse ausgezahlt zu werden brauchen. Die Hamburger Bank dagegen dient als Clearing-House für die Kaufleute und für viele Nichtkaufleute der größten Welthandelsstadt des europäischen Kontinents und steht somit als Clearing-House unübertroffen und einzig in seiner Art da.

Und trotz alledem wird am 1. Januar die alte Hamburger Bank aufhören zu existiren. Das klingt räthselhaft und bedarf der Erläuterung.

Wohl nimmt die eigentliche alte Hamburger Bank ein ehrenvolles Ende; das von ihr innegehabte Gebäude, dessen Abbildung wir unseren Lesern vorführen, geht für dreihunderttausend Thaler an die „Reichsbank-Hauptstelle Hamburg“ über. Das Clearing-House aber bleibt. Die Reichsbank wird, laut bereits abgegebener Erklärung, das Giro-Geschäft der alten Bank unverändert fortführen. Dagegen ist in anderer Beziehung die Letztere überflüssig geworden. Die Dienste, welche sie dem hamburgischen Handel Jahrhunderte lang in den schwersten Zeiten der Münzcalamitäten leistete, sind im neuen deutschen Reiche Gottlob nicht mehr von Nöthen. Welcher Art diese Dienste waren, sei in einem kurzen geschichtlichen Rückblick auf die Entstehung und das Wirken der Bank dargethan.


Die alte Bank in Hamburg.


Als zu Anfang des siebenzehnten Jahrhunderts nicht nur Kipper und Wipper, sondern leider auch Fürsten und hohe Herren das Geld fälschten und leichte oder schlechte Münze prägten (die anschaulichste Schilderung dieser heillosen Münzverwirrung entwirft Gustav Freitag in seinen „Bildern aus Deutschlands Vergangenheit“), trug E. E. (Ein Ehrbarer) Rath Hamburgs bei der Bürgerschaft auf „Anrichtung einer Banke in dieser guten Stadt“ an, und zwar nach dem Vorbilde Venedigs, Barcelonas, Rotterdams und Amsterdams, wo bereits Giro-Banken zum Segen des Handels existirten und florirten.

Die Bürgerschaft besann sich lange. Nach vieljähriger Ueberlegung ward endlich am 29. Januar 1619 die Gründung der Bank bewilligt. Zur Valuta wählte man das beste Geld, welches Deutschland damals besaß, den reichsconstitutionsmäßigen „Species“ (= Thaler), neun Stück auf eine cölnische Mark feinen Silbers. Ein solcher Species ward gleich drei „Mark Banco“ gerechnet, und in dieser imaginären Münze „Mark Banco“ wurden damals schon die Bücher geführt. Der Staat übernahm die Garantie für den Bankfonds. Gerichtlicher oder sonstiger Beschlag auf das Geld, welches Jemand in der Bank hatte, ward für nicht zulässig erklärt; nur Falliten durften nicht über ihr Bankguthaben disponiren. Die Bank erhielt das Privilegium, daß alle Wechsel über vierhundert Mark nur per Bank bezahlt werden durften. Die mit der Verwaltung des Instituts betrauten „Bankbürger“, desgleichen die Angestellten wurden darauf vereidigt, über den Status, wie über alle geschäftlichen Operationen der Bank das strengste Schweigen zu bewahren, auch keinem Unbefugten mitzutheilen, wie viel das Guthaben irgend eines Bank-Interessenten betrage.

Schon in demselben Jahre ward der Wirkungskreis der Bank erweitert, indem eine „Lehn-Banco“ mit dem Institut verbunden wurde. Dieselbe lieh größere Summen auf Wirthschaften aller Art, gegen mäßige Zinsen. Dieses Lombardgeschäft hat die Bank bis zum heutigen Tage beibehalten, beschränkt sich aber seit Anfang des neunzehnten Jahrhunderts auf die Belehnung von Contanten und Edelmetallen, sowie Kupfer.

Die Fundirung der Bankvaluta auf Species erwies sich nur zu bald als ungenügend, da Kaiser Leopold schlechte Species prägen ließ, die nur fünfhundertsechszehn (statt fünfhundertvierzig) As enthielten. Viele Bankinteressenten zogen nun nach und nach die alten schweren Species zum Zwecke des vortheilhaften Einschmelzens aus der Bank und brachten neue leichte Species hinein. Dadurch schwankte bald die Bancomark im Course, und zwar so erheblich, daß man z. B. für hundert Species außerhalb der Bank hundertachtzehn in der Bank liegende Species erhalten konnte.

Man sann auf radicale Reform. Der alte Baumeister Sonnin, Erbauer der großen Michaeliskirche zu Hamburg, soll durch eine zufällige Bemerkung den Anstoß zu der eingreifenden Neuerung gegeben haben, welche die Bankvaluta phönixartig verjüngte. Eines Abends unterhielt man sich in der „Patriotischen [858] Gesellschaft“ über die ungenügende Speciesvaluta. Da meinte Sonnin: „Ei, ei! Was doch die Chinesen für kluge Leute sind! Die kehren sich an kein Gepräge, sondern nehmen alles Silber nach Gehalt und Gewicht. Wenn wir das auch thäten, so brauchten wir uns nicht die Köpfe über die Species zu zerbrechen, sondern wir rechneten dann am einfachsten und gewissesten.“

Einige intelligente Kaufleute nahmen den Sonnin’schen Gedanken auf und machten Propaganda für die Einführung einer Barrenvaluta. Dieselbe wurde endlich Anno 1770 theilweise eingeführt, so daß Barrenvaluta und Speciesvaluta neben einander bestanden; bald aber überzeugte man sich allgemein von den Vortheilen der ersteren, und 1790 ward die Speciescasse ganz aufgehoben. So hatte man denn das Ideal einer Valuta, die absolut unveränderlich blieb, denn dem in den Kellern der Bank ruhenden, mit dem Stempel des Wardeins versehenen Silberbarren konnte keinerlei Münzverwirrung draußen in der Welt etwas anhaben.

Zu jener Zeit nahm die Bank einen ganz außerordentlichen Aufschwung. Auswärts ward mit dem verhältnißmäßig neuen Papiergelde der schmählichste Mißbrauch getrieben. Wie es mit den „Assignationen“ der ersten französischen Republik ging, ist bekannt, aber selbst in England herrschte eine schlimme Banknotenwirthschaft, die sogar das wirkliche Werthmaß, Edelmetall, den stärksten Coursschwankungen unterwarf; im Jahre der Handelskrisis wußte Niemand, welchen Werth ein Pfund Sterling nach einigen Monaten haben werde. Dagegen stand „Banco“ unerschütterlich wie ein Fels im Meere; siebenundzwanzigdreiviertel Mark Hamburger Banco waren immer gleich einer Kölner Mark Feinsilber – das glaubte die ganze Welt. Ausländische Capitalisten brachten nicht selten einen Theil ihres Vermögens in die Hamburger Bank; gute hamburgische Wechselbriefe waren immer begehrt; neben dem Wechselgeschäft florirte auch der Waarenhandel, und endlich ließ auch der Umstand, daß Silberbarren in Masse zur Hamburger Bank wanderten, die Stadt zum Silbermarkt ersten Ranges werden.

Doch bald folgten schlimme Zeiten. Die französische Herrschaft und die Continentalsperre fügten Hamburg unberechenbaren Schaden zu, und um das Maß des Unglücks voll zu machen, ließ zur Zeit der Belagerung Hamburgs, am 4. November 1813, Davoust die Bank unter Siegel legen. Das hatte Niemand geahnt, war doch der Bankfond Privateigenthum. Der Marschall aber erklärte, es solle Alles wiedererstattet werden, einstweilen brauche er dringend Geld zum Kriegführen. So ward denn bis zum 17. April 1814 nach und nach der gesammte Inhalt der Bank, 7,506,956 Bancomark 4 Schilling, geraubt. Der Raub lieferte den glänzendsten Beweis von der Solidität des Instituts, denn das Guthaben der Bankinteressenten hatte nur 7,489,343 Bancomark 12½ Schilling betragen. Das eigene Vermögen der Bank war also um 17,612 Bancomark 7½ Schilling geschmälert worden.

Gleich nach der Befreiung Hamburgs, am 1. Juni 1814, erfolgte die Wiedereröffnung der Bank. Durch den Pariser Frieden ward Frankreich auferlegt, der Bank 10 Millionen Franken Ersatz in fünfprocentigen Renten zu leisten.

Während des nächsten halben Jahrhunderts führte die Bank ein Leben idyllischer Ruhe; die Organisation des Instituts hatte sich so vortrefflich bewährt, daß man die größte Scheu hegte, auch nur das Geringste an derselben zu ändern. Die Hamburger Bank stand isolirt, aber weltbekannt und weltberühmt da, als alle anderen europäischen Girobanken längst eingegangen waren. Auch im Jahre 1857, zur Zeit der großen Handelskrisis, konnte die Bank ihren Verpflichtungen jederzeit gerecht werden. Die fünfzehn Millionen, welche der Staat Hamburg damals von Oesterreich entlieh, um der Geldklemme abzuhelfen, wurden wohl in den Kellern der Bank aufbewahrt; das Institut selbst war aber nur Verwahrer und Hüter des Schatzes und bedurfte keiner fremden Hülfe. Ueberhaupt blieben die fünfzehn Millionen unangerührt und wanderten nach sechs Monaten in den nämlichen Kisten mit Zinsen und Dank zurück.

Mit der wachsenden Bedeutung der vielen Privatbanken, die sich nicht auf das Girogeschäft beschränkten, sondern ihren Kunden alle möglichen anderen Banquiersdienste leisteten, mußte indessen der Glanz der alten Bank nach und nach verlöschen. Und als endlich die Münzverhältnisse Deutschlands zur endgültigen Regelung gelangten, als das neugestaltete deutsche Reich auch auf diesem Gebiete Ordnung schaffte, da schlug die Stunde der „Banco-Mark“. Am 15. November 1872 wurden neben den Silberconten auch Reichsmarkconten eröffnet, und am 15. Februar 1873 ward die Barren-Valuta endgültig aufgegeben. Von diesem Tage an schreibt der Hamburger Kaufmann in Reichsmark ab.

Nunmehr war die Aufhebung der Girobank selbst nur eine Frage der Zeit. Es ließ sich voraussehen, daß früher oder später die Reichsbank den Posten einnehmen würde, welchen die alte Hamburger Bank Jahrhunderte lang so würdig ausgefüllt hatte. Sie sicherte während der schlimmsten Zeiten der Münzverwirrung dem Handel Hamburgs die solide Basis einer zuverlässigen Valuta. Das war ihre Hauptaufgabe, welche sie treulich erfüllte, und es ist erfreulich, daß sie dieselbe heutzutage nicht mehr zu erfüllen braucht. Ihre Nebenaufgabe, als Clearing-House par excellence zu fungiren, kann sie getrost der „Reichsbank-Hauptstelle Hamburg“ überlassen; darf man doch zur Solidität der Deutschen Reichsbank dasselbe Vertrauen hegen, welches man der alten Hamburger Bank schenkte. Die Hamburger Börse wird das altehrwürdige Institut nicht vermissen; wohl aber darf sie sich mit Dank seiner früheren Leistungen erinnern, und so wird das Andenken der alten Hamburger Bank ein ehrenvolles bleiben.

Gustav Kopal.