Textdaten
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Autor: Ernst Deecke
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Titel: Habundus
Untertitel:
aus: Lübische Geschichten und Sagen, S. 189–194
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1852
Verlag: Carl Boldemann
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Erscheinungsort: Lübeck
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Google, Commons
Kurzbeschreibung:
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[189]
100. Habundus.

Anno 1422 hat ein vornehmer, verständiger Mann in Kurland regiert, der auch das Erzstift Riga verwaltet, Johannes Habundus mit Namen.

Dieser hat unter andern Brüdern auch einen älteren gehabt, N. Habundus, Domherr zu Lübeck, der hinter dem Chor begraben liegt und von welchem man wunderliche Dinge gesagt.

Er soll nämlich nach seinem Tode, allemal wenn ein Kapitelsherr sterben sollen, demselben in seinem Stuhl oder Stand im Chor eine Rose gelegt haben. Das hat etliche Jahr gewährt, daß also derjenige, welcher solche Rose in seinem Gestühlte gefunden, in demselbigen Jahre gestorben ist.

Da nun auf eine Zeit auch einer, welcher des Morgens zuerst ins Chor gekommen, die Rose in seinem Stand findet, erschrickt er, nimmt jedoch, weil sonst niemand vorhanden, dieselbe, und wirft sie in eines Anderen Stuhl, der auch danach gestorben.

Da nun wieder ein Domherr sterben sollen, findet der eine Lilienblume in seinen Stand gelegt; er thut aber, wie eben gesagt, und legt sie auch einem Andern in den Stuhl, der auch danach gestorben.

[190] Zum drittenmal aber, als einer sterben sollen, hört man in der Nacht zuvor ein fürchterliches Gepolter in der Kirche, als wenn ein großes Faß voll Kieselsteine heruntergestürzt würde, und zugleich ruft eine Stimme überlaut: Pulsibus in duris ego signum do morituris.

Nachdem hat man nichts wieder davon gehört.


Andere erzählen so: Nachdem schon lange Zeit her besagte Rose in dem Stuhl und unter dem Stuhlkissen desjenigen Domherrn, welcher bald sterben sollen, erschienen, so erblickt auch einsmals der Domherr Rabundus – denn so soll er eigentlich geheißen haben – solche weiße Sterberose unter seinem Stuhlkissen. Weil aber dieselbe seinen Augen mehr ein schmerzlicher Dornstachel denn eine Rose war, nahm er sie behende hinweg und versteckte sie unter das Kissen seines Nebenmannes, wiewohl derselbe es schon aufgehoben und nichts darunter erblickt hatte. Weil nun dieser sich nicht weiter darum bekümmert, spricht Rabundus zu ihm: ob er sein Kissen nicht umwenden wolle. Der sagt: es sei schon geschehn. Rabundus versetzt: er werde nicht recht zugeschaut haben; ihn bedünke, als hätte was Weißes darunter geschimmert, als er dahin geschaut. Der Nachbar wendet darauf das Kissen um, und findet die Rose; protestiert aber gleich dawider und spricht: das seien Possen und Betrug; er [191] habe gleich anfangs fleißig nachgesehn, und nichts erblickt; glaube deshalb, sie sei ihm vom Rabundus untergeschoben. Rafft sie also zornig auf, und schiebt und stößt sie dem Rabundus wieder hin unter sein Kissen. Dieser will sie nicht annehmen, der Andere sich aber nicht aufdringen lassen, so daß ein heftiges Gezänk darüber entsteht, bis sich das Kapitel ins Mittel schlägt. Weil aber Rabundus durchaus nicht gestehen will, daß er die Rose zuerst gehabt, sondern auf seinem unwahrhaftigen Vorgeben steif behaut, hebt endlich der Andere aus Verbitterung und Ungeduld an zu wünschen: daß der, welcher Unrecht habe, anstatt der Rose zum Zeichen werden, und in seinem Grabe, wenn ein Domherr sterben solle, klopfen möge bis an den jüngsten Tag. Rabundus, der solchen Wunsch als leeren Wind achtet, spricht freventlich: „Amen; es sei also.“

Da nun Rabundus nicht lange hernach gestorben, hat er von der Zeit an, sobald ein Domherr abscheiden sollen, entsetzlich geklopft, oder vielmehr grausam hart angeschlagen. Denn es ist eigentlich kein Klopfen, sondern es geschehen unter seinem im Chor befindlichen, sehr großen und langen Grabstein drei erschreckliche Schläge, die nicht viel gelinder krachen, als ob das Wetter einschlüge, oder dreimal ein Karthaunenschuß geschähe; und wenn der dritte Streich geschieht, läuft oder fleucht der Knall über dem Gewölbe die ganze Kirche [192] der Länge nach durch, daß man denken sollte, das Gewölbe würde einstürzen, und die Kirche über den Haufen fallen; wiewohl es einmal stärker kracht, als das andremal. Man hört es aber nicht nur in der Kirche, sondern auch außerhalb derselben, und wird die auf dem Platz vor dem Zeughause stehende Wacht bisweilen dadurch ins Gewehr gebracht, wenn sie noch nicht weiß, woher solches grausame Krachen entstehe. Als ein Fremder einmal am Mühlenthor in dem Luftgang zwischen Wall und Mühlenteich spazierte, vernahm er ein Krachen, daß er vermeinte, es wäre ein Gebäude am Dom eingefallen; nachher erfuhr er, daß Herr Rabundus seine gewöhnliche Losung damit gegeben.


Als im Jahre 1700 der Domherr Siegfried Ranzow starb, vernahm man am Sonntag Judica während der Predigt die Schläge so gewaltig, daß einige Handwerksgesellen, welche auf dem Grabstein gestanden, und die Predigt angehört, theils durch das starke Beben, theils vor Bestürzung von dem Grabe nicht anders herabprellten, als wenn sie der Donner weggeschlagen hätte. Weil nun auch beim dritten Schlag ein grausames Getös, Gepolter und Krachen längs dem Kirchengewölbe hingefahren, wollte Jedermann zur Kirche hinauslaufen. Der Prediger aber, welcher sich bald wieder ermuntert, rief der Gemeinde [193] zu: sie solle sich nicht fürchten noch davonlaufen; es wäre nur des Teufels Gespenst, welches den Gottesdienst gern verstörte; darum müßte man’s verachten und ihm im Glauben Trutz bieten.

Bei der Gelegenheit hörte man folgendes von dem durchaus glaubwürdigen Küster erzählen: daß er solches Klappern oder Schlagen im Jahre 1623 auf einem Freitage nach der Predigt um 10 Uhr gehöret habe, als er eben an dem hinter dem hohen Altar daselbst vorhandenen Schreibtisch gesessen und geschrieben; und wäre ihm solches vorgekommen, als wenn aus dem hinter dem Chorpfeiler befindlichen Grabe des Abundus ein angezündetes Pulver aufgegangen wäre, wie eine Salve mit Stücken und Musketen gegeben. Weil er aber nichts in der Kirche fallen sehn, noch, auf sein Nachfragen, in der Nähe etwas gefallen sei, hätte er es einem andern Kirchendiener erzählt, der ihn dann berichtet, daß dieß des Abundus Klopfen sei und das Absterben eines Canonicus bedeute; wie denn auch darauf der Domherr Detlev Schulze gestorben wäre. Von seinem Vater aber und andern alten Leuten wäre ihm folgendes erzählt:

Es hätte sich in früheren Jahren auf der Kapitelstube befunden, daß der Domherr, auf dessen Polster oder Kissen eine Rose sich sehen lassen, solche als Sterbezeichen angenommen habe. Da nun die Herren sich nach einander eingestellt, und Abundus bei seiner zeitigen Ankunft [194] der Rose auf seinem Kissen gewahr geworden, hätte er dieses geschwind mit dem seines noch abwesenden Nachbarn Johann Livo verwechselt, und dadurch bewirkt, daß dieser vor Schrecken sterbenskrank geworden sei. Nun aber sei inmittels Abundus auch krank geworden, und wie er sein Ende vermerkt, hätte er das Vorgegangene seinem Collegen anmelden lassen, und das Zeitliche gesegnet. Livo aber sei wieder gesund und sogar bald Dechant geworden; und hätte auf seinem nahe am Zeiger befindlichen Grabe sein Wappen, eine Rose, eine Handuhr und einen Todtenkopf einhauen lassen; zum Zeichen, daß ihm durch die Rose zwar der Tod gegönnt, er auch krank geworden wäre, aber weil seine Todesstunde nicht ausgelaufen, noch eine Weile gelebt hätte. Auch habe jener Livo zwei Präbenden gestiftet, damit an Stelle der Domherren gebetet würde, welche krank wären. Diese Präbenden seien noch vorhanden, und ihre Curien in der Herzengrube nahe an dem stetsquellenden Brunnen befindlich: die Domherrn aber, welche sie empfingen, hießen davon Livonisten.