Textdaten
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Autor: L. Kalisch
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Titel: Gustav Doré
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 253–255
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
siehe auch Der alte Matrose
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Gustav Doré.

In der französischen Malerschule der Gegenwart nimmt Gustav Doré einen bedeutenden Rang und eine ganz eigenthümliche Stellung ein.


Hausmusik in den Südalpen
Für die Gartenlaube gezeichnet von Gustav Doré.


Er hat keinen Meister gehabt; er gehört keiner Schule an; er geht seinen eigenen Weg. Der Bildungsgang dieses Künstlers ist merkwürdig genug. Er ist 1832 in Strasburg geboren, wo sein Vater als Staatsingenieur angestellt war. Kaum hatte er das zehnte Jahr erreicht, als sich sein plastischer Drang auf eine unwiderstehliche Weise kund gab. Er zeichnete in seine Schreibhefte, in seine Schulbücher, auf Briefcouverte, und kein weißes Blatt Papier war vor seinem Bleistift sicher. Der kleine Doré hatte nur einen einzigen Wunsch, und dieser Wunsch ließ ihn nicht ruhig schlafen. Er wollte nach Paris und sich dort der Malerkunst widmen. Sein Vater jedoch, dem das Wohl seines Lieblingssohnes sehr am Herzen lag und der für ihn in der Künstlerlaufbahn keine gesicherte Lebensexistenz sah, suchte ihn auf andere Gedanken zu bringen und wohl auch Zweifel an seiner Begabung zu erregen. Doré ließ sich jedoch nicht abschrecken, und als der Vater ihn während der Schulferien nach Paris zu führen beschlossen, steckte der Knabe ein dickes Paket Zeichnungen in seinen Koffer, begab sich, in der Weltstadt angelangt, ohne seinem Vater ein Wort zu sagen, zu Charles Philipon und legte diesem seine Productionen vor mit der Bitte, ihm seine Meinung unumwunden zu sagen. Charles Philipon war ein Mann von sehr lebhaftem Geist und von seltener Herzenswärme. Er war es, der die politische Caricatur in Frankreich eingebürgert. Er hatte im Anfange der Juliregierung das Witzblatt „La Caricature“ gegründet, welches ihn, im Lauf eines Jahres nicht weniger als vierundfünfzig politische Processe zuzog. Als dieses Blatt den September-Gesetzen unterlag, gründete er den Charivari und dann noch eine lange Reihe anderer Witzblätter, die zum Theil noch jetzt bestehen. Philipon besaß die seltene Gabe, junge Talente zu entdecken und ihnen eine glänzende Laufbahn zu eröffnen. Jehannot, Grauville, Gavarni, Henry Monnier, Numa, Achille Dévéria arbeiteten in seinen satirischen Zeitschriften. Er führte Daumier beim Publicum ein und gab mit ihm die beißenden Satiren „Robert Macaire“ heraus. Daumier zeichnete die Bilder und Philipen setzte die Epigramme darunter, die ihrer Zeit so viel Aufsehen erregten und heutiges Tages durchaus nicht veraltet sind. Er entdeckte auch das fruchtbare Talent Cham’s (Amédée de Noé), der noch gegenwärtig durch seine geistvollen Zeichnungen dem Charivari ein besonderes Interesse verleiht. Auch der verwegene Wolkensegler Radar, der nicht nur ein sehr begabter Schriftsteller, sondern auch ein vortrefflicher Caricaturzeichner ist, schloß sich Philipon an, welchen seine Mitarbeiter wie einen Vater liebten; denn er war wohlwollend und uneigennützig und scheute keine Opfer, keine Gefahr, wenn es seine Ueberzeugung galt.

Sein Ruf war bis zu dem kleinen Doré gedrungen. Philipon, dem das offene, freie Wesen Doré’s gefiel, betrachtete dessen zahlreiche Hervorbringungen mit großer Aufmerksamkeit, fand an denselben natürlich alle Fehler eines ohne alle Leitung darauf los schaffenden Knaben, bewunderte aber zugleich dessen überaus [254] reiche Einbildungskraft und selbst bei reiferen Künstlern seltene Schärfe der Beobachtung. Er sparte zwar seinen Tadel nicht, das Lob war aber doch in seinem Urtheil überwiegend. Mit triumphirender Miene kehrte also Doré zu seinem Vater zurück und setzte ihn von seiner Unterhaltung mit Philipon in Kenntniß. Der Vater stutzte und begab sich sogleich mit seinem Sohne zu Philipon. Dieser wiederholte sein Urtheil über den kleinen Künstler und schloß mit den Worten: „Ihr Sohn ist für die Kunst geboren, und wenn Sie in ihm den Künstler unterdrücken, wird er auf jeder anderen Laufbahn nur stümpern und nichts Rechtschaffenes zu Wege bringen. Das Sprüchwort: Die Kunst geht nach Brod, ist nicht immer ein wahres Wort. Es giebt Künstler, die mit ihrem Ruhm auch viel Geld erwerben, und ich müßte mich sehr irren, oder Ihr Gustav wird einst zu diesen glücklichen Künstlern gehören. Schon jetzt ist er im Stande, sich durch sein Talent zu ernähren, und wenn er für mein Blatt arbeiten wollte, würde es mir sehr angenehm sein.“

Diese Worte bestimmten den Vater Doré’s, dem Wunsche seines Sohnes nachzugeben, unter der Bedingung jedoch, daß dieser noch zwei Jahre in einer Pariser Schule zubringe. Doré wurde nun in’s Collège Charlemagne gethan, wo er keineswegs zu den schlechtesten Schülern gehörte, obgleich er verstohlen sehr viel zeichnete. Als fünfzehnjähriger Knabe verließ er die Schulbank und trat als selbständiger Künstler auf, dessen Arbeiten sehr gefielen. Als die Februarrevolution ausbrach, zeichnete er unzählige Caricaturen für komische Journale und überraschte das Publicum durch die große Menge sowohl, wie durch die Ursprünglichkeit seiner Werke. Diese Ueberraschung sollte immer größer werden. Doré fing jetzt auch an, verschiedene Werke mit einer an’s Fabelhafte grenzenden Geschwindigkeit zu illustriren. Der ewige Jude von Eugène Sue, die Contes drôlatiques von Balzac, Atala, Rabelais eröffneten den Reigen; dann folgten Dante, Perrault, Don Quixote, die Bibel, Milton, Tenyson und Lafontaine so schnell auf einander, daß das Publicum nicht zu Athem kam.

Doré, der kaum das fünfunddreißigste Jahr zurückgelegt, hat bereits über vierzigtausend Illustrationen gezeichnet. Eine solche Arbeitskraft allein ist schon geeignet, die Bewunderung zu erregen. Der productivste Schriftsteller kann kaum schneller dictiren, als Doré seine Zeichnungen hinwirft. Freilich sind diese nicht lauter Meisterwerke, und Doré selbst ist der Erste einzugestehen, daß unter dieser ungeheueren Masse gar sehr viel Mittelmäßiges sich findet. Die meisten dieser Zeichnungen sind eben Improvisationen, Vieles indessen ist doch sehr bedeutend und bekundet eine wahrhaft erstaunliche Einbildungskraft und Erfindungsgabe, eine tief poetische Auffassung und einen seltenen Humor.

Doré ist jedoch nicht blos Zeichner; er ist auch Maler und als solcher nicht minder fruchtbar. Seit 1853, wo er sein erstes Gemälde „Die zwei Mütter“ ausgestellt, hat er eine lange Reihe Bilder gemalt, welche die verschiedensten Vorwürfe behandeln. Die französische Kritik hat sich nicht günstig über diese Bilder ausgesprochen; sie hat an denselben weniger die Kunst als die Geschwindigkeit bewundert; ja von vielen Seiten wurde ihm sogar gerathen, die Malerei, zu der er keinen Beruf habe, aufzugeben und sich ausschließlich auf das Illustriren zu beschränken. Diese Kritik ist indeß sehr ungerecht, und Doré thut sehr wohl daran, ihr kein Gehör zu schenken. Er hat nicht nur ein entschiedenes Talent zur Farbenplastik, viele seiner Landschaften sind sogar vortrefflich in der Farbe und von bedeutender Wirkung. Seine Figuren freilich sind nicht selten schlotterig gemalt und die Details nachlässig behandelt; das ist aber nicht der Unzulänglichkeit seiner Begabung, sondern der Hast zuzuschreiben, mit der er zu arbeiten gewöhnt ist. Er malt großentheils sehr umfangreiche Bilder, und ich glaube, daß er an dem umfangreichsten kaum länger als vier oder sechs Wochen malt. Die Kunst wird ihm so leicht, daß er es oft allzuleicht mit der Kunst nimmt. Das ist sein Fehler – und zwar ein sehr großer!

Wenn andere Maler zu wenig aus sich selbst schöpfen, zu sehr gewissen Richtungen folgen und in ausgetretenen Geleisen sich bewegen, so ist bei Doré das entschiedenste Gegentheil der Fall. Er, der, wie bereits gesagt, keinen Meister gehabt, ahmt auch keinen Meister nach. Er ist die ausgeprägteste Persönlichkeit. Das ist freilich ein großer Vorzug, es hat indessen auch seine bedenklichen Seiten. Die bedenklichste ist wohl, daß Doré nach keinem Modell arbeitet. Er hat nie nach einer Antike gezeichnet; er hat niemals ein Gemälde copirt. Er malt keinen Kopf, kein Gewand nach der Natur, und deshalb kommen bei seinen prächtigen Compositionen oft Verzeichnungen vor, die geradezu störend wirken.

Doré hat sich vor Kurzem ein Atelier in der Rue Bayard bauen lassen. Es ist wohl das größte in Paris, aber trotz seines Umfanges hat es doch kaum Raum genug für die vielen theils vollendeten, theils in Ausführung begriffenen Bilder. Dies Atelier wird täglich von Herren und Damen aus den verschiedensten Schichten der Gesellschaft besucht. Doré empfängt Jeden auf’s Freundlichste, plaudert, scherzt, hört und erzählt Tagesneuigkeiten und vergißt dabei nicht, seine kecken Pinselstriche auf die Leinwand zu werfen. Seine äußere Ankündigung ist sehr einnehmend. Er sieht aus wie ein Jüngling von vierundzwanzig Jahren, der mit klarem, heiterm Auge in die Welt schaut. Er ist von ungewöhnlicher Körperstärke, die er besonders dem vielen Turnen zu verdanken hat. Noch jetzt treibt er die Turnerei mit großem Eifer, und früher war er einer der verwegensten Kletterer. Als er sich vor mehreren Jahren in Rouen befand, fiel es ihm ein, die höchste Spitze der dortigen Kathedrale, und zwar an den Stäben des Blitzableiters, zu erklettern, zum großen Erstaunen der Volksmenge, welche diesem unerwarteten Schauspiele zusah. Unmittelbar nach dieser Luftreise wurde er jedoch von der Polizei in Beschlag genommen, die ihn anklagte, durch seine halsbrecherische Kühnheit die schönere Hälfte der Rouener Einwohnerschaft in argen Schrecken versetzt zu haben. Er war der Erste, der die Aiguille de Floria in Savoyen bestiegen, und er machte sogar unzählige Versuche, das Matterhorn zu besteigen. Diese Versuche mißlangen ihm aber und wahrscheinlich zu seinem Glücke. Er wurde dadurch vor dem entsetzlichen Schicksal bewahrt, von welchem vor zwei Jahren Lord Hubert Douglas und dessen drei Reisegefährten betroffen wurden. Wenn es ihm nun auch nicht gelungen, das Matterhorn zu besteigen, so ist es ihm doch gelungen, dasselbe mit großer Meisterschaft zu zeichnen. Diese Zeichnung wird in seinem Atelier von allen Kunstfreunden mit Recht bewundert.

Doré hat manche Reise unternommen. Er hat sich einige Zeit in Spanien aufgehalten, wo er die Sitten und Gebräuche dieses Landes studirte. Dort ist er sogar einen Monat lang mit einer Zigeunerbande herumgezogen und hat sich in ihre Lebensweise zu schicken gewußt. Diese Studien sind ihm später beim Illustriren des Don Ouixote sehr zu Statten gekommen. Auch seine Gemälde, welche spanische Vorwürfe behandeln, zeigen auf das Schlagendste, wie scharf er das spanische Volksleben beobachtet hat.

An geselligen Talenten können sich nur Wenige mit Doré messen. Er erzählt gut; er singt vortrefflich; er spielt die Violine, wenn auch nicht wie ein Künstler von Fach, doch mit großem Kunstverständnis;, und er ist ein sehr geschickter Taschenspieler, dem keine Tour mißlingt. Es giebt daher keinen Salon, in welchem er nicht mit offenen Armen empfangen würde, und als er vor einigen Jahren am Hofe in Compiègne war, ordnete er dort alle Festspiele an und war so zu sagen die Seele des Hoflebens. Er selbst vereinigt jeden Sonntag in seinem Salon einen Kreis ausgezeichneter Männer und Frauen, und in diesem Salon läßt sich gar mancher vortreffliche Künstler, gar manche vortreffliche Künstlerin hören. Doré liebt die Musik mit Leidenschaft, besonders die deutsche Musik, und Niemand hat eine größere Verehrung vor Beethoven als er. So oft man auch Doré’s Salon besucht, man ist immer sicher, dort ein Beethoven’sches Werk zu hören.

Wo nimmt aber Doré die Zeit her, den Auforderungen der Pariser Gesellschaft gerecht zu werden und dennoch mehr zu produciren als zwanzig der emsigsten und fruchtbarsten Künstler? Das ist eine Frage, die sich natürlich Jedem aufdrängt, die aber Niemand zu beantworten vermag. Doré ist eine in der That wunderbare Arbeitskraft. Seine Phantasie gehorcht blindlings seinem eisernen Willen, der überhaupt vor keiner Schwierigkeit zurückschreckt. Als der Wunsch in ihm auftauchte, die englische Sprache zu lernen, nahm er sich eine englische Grammatik und ein englisches Wörterbuch mit in’s Bett, und nach einigen Wochen las er geläufig die „Times“ und konnte sich jedem Engländer verständlich machen. In diesem Augenblicke bereitet er eine lange Reihe von Gemälden vor, in welchen er die drastischsten Scenen der Shakespeare’sehen Werke behandeln will. Vor der Ausführung dieser Bilder wird er indessen eine Reise durch Europa machen und sich in Deutschland einige Zeit aufhalten.

Gustav Doré ist nicht verheirathet. Er lebt bei seiner [255] Mutter, einer geistvollen, hochgebildeten Matrone, die ein warmes Kunstgefühl besitzt und sehr anregend auf das Talent ihres Sohnes wirkt. Wie jeder wahrhaft geniale Mensch ist Doré sehr einfachen, schlichten Wesens. Man kann sich keinen liebenswürdigeren Mann denken. Seiner Liebenswürdigkeit verdanke ich auch die von dem Künstler eigens für die Gartenlaube componirte und von ihm selbst auf die Holzplatte übertragene Zeichnung, welche diese Skizze begleitet. Sie wird von den zahlreichen Lesern des Blattes gewiß als ein Zeugniß von Doré’s Manier und eben deshalb als ein interessanter Beitrag begrüßt werden.

L. Kalisch.