Textdaten
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Autor: C. F. Liebetreu
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Titel: Groß-Feuer in Berlin
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 22–23, S. 360–364, 373–375
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Groß-Feuer in Berlin.

Vor 150 Jahren und jetzt.
Culturhistorische Skizze von C. F. Liebetreu.

An einem schwülen Sommerabende des Jahres 1730 hielt ein schwerfälliger Reisewagen, hochbepackt und mit Staub bedeckt, am Georgenthore der königlich preußischen Residenzstadt Berlin, zu jener Zeit, wo der Vater Friedrich’s des Großen, Friedrich Wilhelm der Erste, gar kräftiglich sein spanisches Rohr auf dem Rücken manches Berliners tanzen ließ, auch wohl einen Juden, der furchtsam ihm aus dem Wege gelaufen, zurückrief mit donnernder Stimme und ihm mit Prügeln die Liebe zum Herrscherhause einzubläuen suchte.

Der wachthabende Officier trat aus dem kleinen Wachtraume, welcher sich in dem hohen plumpen Thurme des Georgenthores befand, untersuchte Paß und Papiere des Fremden und reichte sie schweigend mit Kopfnicken zurück.

Der Wagen rasselte durch das Thor, langsam nahm er seinen Weg die Königstraße hinauf.

„Bernhard!“ rief der Fremde dem Kutscher zu. „Halt einmal an. Ich will aussteigen. Hat mich der dreitägige Weg von Stettin hierher schon mürbe gemacht, so ist es rein unmöglich, daß ich die Stöße auf diesem abscheulichen Pflaster aushalte! Sieh nur, Bernhard, da das große Loch hart am Rinnsteine! Ein Glück, daß wir noch bei Tage gekommen, der Wagen wäre sonst sicher hineingerathen und umgeschlagen.“

Bei diesen Worten war der Fremde ausgestiegen, hatte die Decke zurückgeschlagen und blickte neugierig die Straße hinauf.

„Also, Herr Magister, Ihr wollt zu Fuß gehen? Meinetwegen! Wohin soll ich aber mit dem Wagen?“

„Nescio, das weiß ich nicht. Doch da kommt ein würdevoller Herr mit weißer Perrücke und rothem Mantel die Straße herauf, das ist ein Berliner Rathsherr, Bernhard, wie man mir daheim explicirt hat, den will ich fragen. – Hochgelahrter Herr!“ redete der Magister den unterdeß herangekommenen Rathsherrn an, „gestattet die submisseste Frage huldvoll einem Fremden, der die Ehre hat, als Magister Hieronymus Breck aus Stettin vor dem Herrn Rathsherrn zu stehen, wohin ich meine Schritte zu lenken habe, um Logis für mich und Kutscher zu finden, wo auch Stallung für die Pferde mir geboten werden können.“

„Zuerst, Herr Magister, heiße ich Euch willkommen in dieser königlichen großen Residenzstadt unseres allergnädigsten Königs,“ erwiderte der Rathsherr, indem er sich würdevoll verbeugte und die Linke leicht auf den zierlichen Degen stützte, „und so bin ich gern bereit, Euch Auskunft zu geben, sintemalen ich das Glück habe, hier geboren zu sein und Bescheid in der Stadt zu wissen. Da ist der ‚Goldene Arm‘ in der Heiligen Geiststraße, vorher aber kommt die Spandauerstraße, dort ist der ‚Goldene Anker‘, allwo man auch gut aufgenommen wird, sobald der Wirth nicht des Guten beim Poculiren zu viel gethan, außerdem aber ist der ‚Römische Kaiser‘ am Molkenmarkt von den Fremden gern besucht.“

„Gratias tibi, doctissime. Haben nun alle drei Gasthöfe auch Stallung und Tabagie, allwo ich mit den Leuten reden und mich informiren kann über berolinensia?“

„Stallung haben sie alle drei. Eine Tabagie aber, wenigstens die beste, findet Ihr im ‚Goldenen Anker‘.“

Mit den Versicherungen des aufrichtigsten Dankes und unter wiederholten gegenseitigen Verbeugungen trennten sich die Beiden. Der Rath schlug den Weg nach den hinter der Klosterkirche im Neubaue begriffenen Häusern ein, welche auf der Stelle der vor wenigen Jahren abgetragenen Stadtwälle errichtet wurden, Magister Breck aber ging die Königstraße langsam hinauf, gefolgt von seinem Fuhrwerke mit den müden Gäulen.

Die Königstraße war dazumal eine der breitesten Berlins, doch engten sie oft die Stufen vor den Häusern ein, die Gosse ging mitten durch die Straße, das Pflaster war so schlecht wie möglich, doch war der Kehricht an den Häusern und in den Winkeln seit dem Regierungsantritte Friedrich Wilhelm’s des Ersten wie verschwunden.

Nur wenige Personen sah man auf der Straße, die Männer mit kleinen Perrücken, die man Muffer oder Mirlutons nannte, nur selten ließ sich eine Allongeperrücke blicken, die den Mitgliedern der französischen Colonie ausnahmsweise noch gestattet war. Das Haar der Soldaten war hinten in einen Zopf zusammengeschlagen, die Seitenhaare lagen, zu einer gewissen Länge verschnitten, über die Ohren. So schmutzig die Straßen, so sauber war die Kleidung des Mittelstandes und der feinen Leute. Blendend weiße Manschetten hingen weit heraus aus den Aermelaufschlägen des dunklen Tuchrockes, die schon beim Ellenbogen ihren Anfang nahmen, und das in tausend Fältchen gekräuselte Jabot trat gewaltig hervor aus der meist seidenen, großgeblümten Schooßweste mit ihren blanken Knöpfen. Die Damen mit ihren umfangreichen Röcken stolzirten mühsam auf ihren hohen Hacken über die unebenen Steine des Pflasters, Schminke war verpönt, der König litt sie ebenso wenig wie die Schönheitspflästerchen, die Haare waren einfach in die Höhe geschlagen und gepudert, Kanten und Spitzen zierten ihre Kleidung oft verschwenderisch, und die Busen wurden so entblößt getragen, daß selbst die Hofdamen Ludwig’s des Vierzehnten sich darüber verwundert hätten.

Endlich hatte der Magister sein Ziel, den „Goldenen Anker“, erreicht, der nur einige Häuser vom Landschaftshause abgelegen war. Er trat ein in den geräumigen Flur, an dessen Wölbung ein schwerer eiserner Wagebalken hing; der Geruch nach Heu und [362] Pferden verrieth ihm, daß die Stallungen ein integrirender Theil des Hauses sein mußten.

Einige Stufen führten vom Flur aus in die Tabagie. Nachdem der Magister dem Kutscher Bescheid gesagt und sein Felleisen dem Wagen entnommen hatte, trat er ein und das Läuten einer durch das Oeffnen der Thür in Bewegung gesetzten Glocke gellte dröhnend durch das Haus.

Die Tabagie war ein niedriger weiter Raum. Die Wände waren durch Alter und Rauch geschwärzt, die kleinen Scheiben von grünem Glase wehrten den Sonnenstrahl, Spinneweben hatten die Ecken der Wände überzogen und acht lange, fuchsroth gestrichene Tische, auf jeder Längsseite eine ebensolche Holzbank, zogen sich durch die Stube bis hinten in das Halbdunkel, wo ein mächtiger brauner Kachelofen mit dem nahen Lehnstuhl daneben fast die ganze Hinterwand einnahm.

Zwei ältliche Berliner saßen an dem Tische, welcher dem Fenster zunächst stand. Sie schienen ehrsame Handwerksmeister, trugen Röcke von der damals so beliebten dunkelblauen Farbe, hatten derbe Schuhe an den Füßen, ihr Haar war blond und kraus und ungepudert, das kräftige Dampfen ihrer Pfeifen ließ auf gute Lungen schließen, und die gesunde Farbe der derben, offenen Gesichter bewies, daß der Inhalt der vor ihnen stehenden großen Zinnkrüge ihnen gut bekomme.

„Gott zum Gruß, Ihr Herren Meister!“ sagte der Fremde, lüftete den Hut, legte das Felleisen auf die Bank und setzte sich daneben. „Mit Verlaub, ich nehme hier Platz.“

„Recht so,“ meinte der ältere Berliner, ohne die kurze Pfeife aus dem Munde zu nehmen. „Ihr sollt uns willkommen sein. Mag’s Euch hier gefallen!“

„Einen Willkommen trinke ich Euch!“ fügte der andere hinzu und that einen gar herzhaften Zug aus seiner Zinnkanne. „Woher des Weges? Wohl lange auf der Landstraße gewesen?“

„Ihr seht’s wohl gar an meinem Rocke?“ lachte der Fremde. „Glaub’s schon, daß ich nicht erst Berliner Staub darauf noch zu streuen brauche, sehe so schon schlimm genug aus und nun gar erst im Gesicht. Ja, ich komme weither. Komme aus Stettin, bin dort Magister und will morgen nach Spandau, meinen Vetter Balthasar Meinecke zu besuchen. Wir haben Beide geerbt von einer Muhme meiner Mutter, und da wollen wir Rath halten. Doch ehe wir weiter plaudern, ehrsame Meister, giebt es hier auch Bedienung?“

„Ei freilich! Seht dort hinten, auf der Ofenbank im Halbdunkel, da schnarcht der Johann, den müßt Ihr wecken.“

Der Magister schien nicht gerade verwundert über diese Eigenart des Berliner Hausknechtes; er mußte wohl in der Heimath ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Nur nach anhaltendem Schütteln gelang es ihm, den Knecht auf die Beine zu bringen und ihm deutlich zu machen, daß er Waschwasser und Seife brauche.

Bald war dasselbe sammt dem derben Handtuch zur Stelle geschafft, ein Schemel wurde in die Nähe des Fensters gerückt, das Waschbecken darauf gestellt, und der ehrsame Magister entledigte sich des Rockes und der Schooßweste, schlug den Hemdenkragen zurück und wusch Gesicht und Oberkörper mit größter Seelenruhe in der Gaststube des wohllöblichen Gasthauses „Zum goldenen Anker“ in der Spandauer Straße.

„Nun aber, Ihr Herren Meister,“ sagte er beim Abtrocknen des Gesichtes und der Hände, „giebt es hier eine Sorte Bier oder mehrere, worunter man wählen kann?“

„Zuviel haben wir nicht,“ erwiderte der Eine trocken, „da ist Ruppiner, Bernauer, Cottbuser, Carthäuser Landbier, dann noch Zerbster und Lebuser.“

„Und das findet Ihr nicht viel?“ staunte der Magister.

„Eins hat er noch vergessen,“ unterbrach ihn der andere Meister, „das Potsdamer Bier, und dem gebe ich den Vorzug. Ja, Herr Magister, es ist eine ganz wackere Auswahl, aber soviel haben wir doch nicht, wie bei den großen Gelagen der hohen Herren bei Hofe zum Verzapf kommt. Da hat die Kämmerei ausgerechnet, daß es dreiunddreißig Sorten gewesen im Jahre 1723, die auf die Tafel kamen, als der Erzbischof zum Besuche hier war.“

„Was Ihr sagt! Nun, so will ich Eurem Rathe folgen. Heda, Johann, bring Er eine Kanne Potsdamer und dazu Wurst und Speck, auch eine Zwiebel. Wenn Ihr so vielerlei Biere habt,“ fuhr er zu den Meistern gewendet fort, „da müßt Ihr ja gewaltig trinken!“

„Nun, wir trinken eben grad’ genug,“ meinte lächelnd der Aeltere; „ich war gestern oben im Rathhaus und da hab’ ich von dem Stadtschreiber so beim Plaudern erfahren, daß achtundzwanzigtausendfünfhundert Tonnen im letzten Jahre ausgeschenkt sind; das würde natürlich zu wenig sein bei uns sechsundsiebenzigtausend Berlinern, aber die Armen und die Tagelöhner, die gießen soviel Wasser hinein, daß es einem weh thun könnte; da wird eine Kanne niemals mehr am Tische kleben bleiben und wenn sie auch stundenlang stillsteht.“

„Trefflich schmeckt das Bier,“ sagte der Magister nach einem tiefen Zug, „das will ich mir loben! … Aber wer flucht denn da so auf der Gasse? Der hat ja einen mächtigen Stock. Die blanken Knöpfe an seinem blauen Rock sehen ganz gut aus!“

„Das ist der Rathsdiener,“ erklärte der jüngere Meister, indem er nach kräftigem Zuge seine Pfeife auf die Diele ausklopfte, den braunen Abguß der Asche mit größter Seelenruhe hinterher goß, die Pfeife neu stopfte und in Brand setzte. „Der arme Mensch hat gar kargen Lohn, aber an Aerger fehlt’s ihm nicht. Seht Ihr da drüben die Hökerinnen und Verkäuferinnen? Die hat er in Ordnung zu halten, und wer da weiß, daß man oft mit seinem eigenen Weibe kaum fertig wird, der weiß auch, was das heißt. Das schnattert den ganzen Tag, statt zu arbeiten!“

„Zu arbeiten? Nun, wenn sie ihren Kram verkaufen, thun sie ja ihre Arbeit!“

„Mit nichten, Herr Magister! Dafür sorgt unser gnädiger König, daß keine müßig dasitzt und Maulaffen feil hält; der hat angeordnet, daß jede in der Woche ein Pfund Wollgarn spinnen muß. Das bringt sie nach dem Lagerhaus und kriegt’s bezahlt. Thut sie’s nicht, wird sie bestraft und der Rathsdiener wird vom Rath ausgescholten, daß kein Hund ein Stück Brod von ihm nehmen möchte, denn der Rath, na, der sieht auch nicht gern, wenn der König ankommt mit zornigem Gesicht, und sein echt spanisch Rohr in der Hand! Beinahe hätte es gestern der Rathsherr Frobel ordentlich von ihm gekriegt. Der König glaubte nämlich, er hätte Kattun von Holland eingeschmuggelt, und das kostet hundert Thaler Strafe.“

„Nicht möglich!“ meinte der Magister.

„Ihr könnt es, wenn Ihr mir nicht glaubt, im Intelligenzblatt lesen. Das wird seit 1727 bei uns hier gedruckt, darin findet Ihr Alles; darin könnt Ihr auch lesen, daß seit demselben Jahre keine Häuser mehr ohne Schornsteine gebaut werden dürfen; auch Schindeldächer findet Ihr in der ganzen Stadt nicht mehr, und die Scheunen liegen jetzt alle draußen vor den Thoren. Das ist sehr wichtig beim Feuer!“ erzählte der redselige Meister.

Das Eintreten des Wirthes unterbrach die Unterhaltung. Er hatte seinen besten Sonntagsanzug angethan, kam er doch vom Kindtaufschmause, das verrieth auch weidlich sein geröthetes Gesicht und seine frohe Laune. Aber würdig schritt er trotzdem daher mit seinen weißen Manschetten, dem großen Jabot, dem riesig großen Spazierstock mit vergoldetem Knopf.

„Gott zum Gruß, ehrbare Meister,“ sagte er, indem er den Hut vom Kopfe nahm. „Auch ein Fremder, wie ich schon draußen am Fuhrwerk erkannt? Seid willkommen unter meinem Dach, mag es Euch bei mir gefallen! Doch damit wir uns auch ansehen können, müssen wir Licht haben, die Schummerstunde ist schon zu Ende, und der ‚Goldene Anker‘ soll nicht aussehen wie ein dunkel Beinhaus! Johann, Licht!“

„Gleich, Herr!“ gähnte Johann und ging langsam hinaus; kaum aber hatte er die Thür geschlossen, so riß er sie schon wieder auf, stürzte mit staunenswürdiger Hast an’s Fenster und rief jammernd: „Gott steh’ uns bei, es brennt, es brennt!“

„Was, Feuer?“ schrie entsetzt der Wirth; er und die Gäste stürzten an’s Fenster und rissen den schweren Flügel mit Mühe auf.

„Da hängt schon die Laterne an St. Marien. Gott sei uns gnädig, sie zeigt nach dem Holzgarten zu hinter der Klosterkirche! Johann, hole die zwei Handspritzen vom Boden und die acht Ledereimer. Dann sieh, wo die Leiter ist, und sorge mit den Knechten, daß der Kübel und der Zober auf dem Boden voll Wasser ist, genau nach Vorschrift, hörst Du, damit, wenn [363] der Viertelsmeister zu revidiren kommt, Alles in Ordnung ist. Hörst Du?“

„Ja wohl, ja wohl!“ rief Johann und rannte so schnell aus der Stube, als wäre niemals der Schlaf am Ofen seine Lieblingsbeschäftigung gewesen.

„Ich wechsle die Kleider, dann müssen wir Alle hin!“ Damit verließ auch er das Zimmer.

Auf der Straße wurde es lebendiger. Der Nachtwachmeister war zur Militärwache am Schlosse gestürzt und hatte, wie sich’s gebührt, das Feuer gemeldet, um von da zu dem Bürgermeister und dem Feuerherrn zu laufen. Nach dem Mühlendamm hatte er einen der dreißig damaligen Nachtwächter postirt, einen andern am Rathhause, damit sie den Leuten den Ort des Feuers angeben konnten. Von fern ertönte der Trommelschlag der Wache, die bisher so öde Straße füllte sich mit dahineilenden Gestalten, die Glocken von St. Petri und Nicolai, von St. Marien und von den „Schwarzen Brüdern“ klangen dumpf durch einander, hin und wieder brachte ein Windstoß den schrillen Pfiff der Kunstpfeifer herüber, die auf den Thürmen postirt waren. Drüben beim Rathhause leuchtete es roth auf. Nach Vorschrift waren Pfannen mit brennendem Kien an all’ seinen Ecken aufgestellt, die Thüren desselben waren weit geöffnet, der Marktmeister schürte die Flammen, und dunkle Gestalten eilten hinein und hinaus.

„Nun, ehrsame Meister, an’s Werk!“ rief der eintretende Wirth. „Meister Klaus, was ist Euer Amt heute?“ fuhr er fort, indem alle Vier sich auf den Weg machten.

„Vorerst hinüber zum Rathhaus. Johann! gieb jedem von uns einen Ledereimer! Ich bin nämlich jetzt Bürgerofficier, deshalb muß ich hinüber. Muß ausschauen, ob die Hauseigenthümer mit Eimern kommen und ob die Incoln auch nicht zu saumselig eintreffen. Mit denen ist’s immer eine liebe Noth, ehe man sie zusammen hat. Der eine sucht sein Obergewehr, der andere sucht sein Untergewehr, der dritte gar muß selbst erst gesucht werden, und ich will zufrieden sein, wenn ich in einem Stündchen auf der Feuerstätte bin!“

„Wo brennt’s denn eigentlich?“

„In der Stralower Straße, hart am Thurm!“ rief ihm ein Vorübereilender zu.

„Dann kann ich auch gleich hier bleiben im Berlinischen Rathhaus,“ sagte der andere Meister. „Ich muß dort die hundertfünfzig Eimer mit dem Marktmeister vertheilen an die Gesellen und die schwarzen Kittel dazu, die sie überziehen. Heda, Merten!“ rief er einem halbwachsenen Buben zu, „lauf über die lange Brücke nach der Gertraudtenstraße zum cöllnischen Rathsherrn Brede, ich laß ihm sagen, er möchte nach dem Friedrich-Werder schicken, daß auch die ihre fünfzig Eimer senden, ebenso wie der Feuerherr der Dorotheenstadt und der Friedrichsstadt. Ich glaube, diese muß gar hundert senden. Nun lauf, mein Bursche, lauf, sollst am nächsten Sonntag drei Wecken von mir haben!“

Das Rathhaus war unterdeß von ihnen erreicht. Wie ein Bienenschwarm summte es auf den steinernen schmalen Fluren, auf den schwerfälligen breiten Stiegen. Auf dem Hofe aber, da konnte man vor Lärmen sein eigen Wort nicht verstehen, die Rathsherren schrieen sich heiser, der Bürgermeister konnte nicht mehr sprechen, nur der Feuerherr, eine riesige Gestalt, fand durch äußerst kräftige Püffe und Stöße, die seine Rede begleiteten, das richtige Verständniß.

Die hölzernen Handspritzen wurden aus den Kellern geholt, die Feuerleitern und Haken, welche längs der Flurwände auf Krammen ruhten, wurden herausgeschafft und – wie bei jedem Feuer damals, dauerte es eine hübsche Zeit, bevor die Schlüssel zu dem Spritzenhause gefunden waren. Endlich, als der Himmel sich immer röther färbte, als schon Funken bis in den Hof des Rathhauses flogen, rasselten die zwei Schlauchspritzen und die zwei Röhrspritzen, der Stolz der Berliner, auf’s Pflaster, und die Pferde der Lohnfuhrleute, welche an der Reihe waren, wurden eingeschirrt.

Alle vier fuhren hinaus auf die Königstraße. Dort entstand ein Drängen und Schieben, daß dem armen Magister angst und bange wurde, daß er zu zweifeln begann, jemals sein liebes Stettin lebendig wieder zu sehen.

An Schlauchspritze Nr. 1 und 2 nämlich drängten sich die ehrsamen Gewerke der Schuster und Schlosser, die hatten mit ihren Gesellen den Dienst bei diesen ungeschickten, schwerfälligen Kasten. Spritze Nr. 3 wurde von den Tischlern und Messerschmieden bedient und Spritze Nr. 4 von den Tischlern und Feilenhauern.

Endlich ging es vorwärts der Feuerstätte zu. Daß bei der Menschenmenge, bei dem Hin- und Herwogen, bei dem wüsten Schreien und Commandiren Niemand zu Tode gedrückt wurde in den engen Gassen, deren Eckhäuser sämmtlich schon Kienpfannen vor die Thüren gestellt hatten, war wunderbar genug.

Die Brandstätte ist endlich erreicht. Glücklicher Weise war eine Compagnie Gensd’armen schon früher zur Stelle. Sie hatte den Platz vor dem in hellen Flammen stehenden Hause, dessen elendes Fachwerk dem rasenden Elemente die beste Nahrung bot, gesäubert, nur die Frauen und Kinder aus dem brennenden Hause saßen weinend und jammernd auf dem Bürgersteig mit den wenigen Resten bereits geretteter Habe. An jedem Fenster der ganzen Straße war Licht aufgestellt, und die Nachbarn bis zum zwanzigsten Hause hatten bereits nach Vorschrift Chaine gebildet mit ihren Eimern. Schon flogen die letzteren von Hand zu Hand, das Plumpen der Brunnen hörte nicht auf, von den 507 Feuereimern der 37 Gewerke fehlten wohl nur wenige, doch was wollte das Begießen mit so kleinen vereinzelten Wassermengen bedeuten gegenüber dem himmelhoch züngelnden, dämonisch brausenden, zischenden, knisternden Elemente!

Da kamen die Spritzen; sie nahmen nach manchem Befehl und Gegenbefehl endlich Aufstellung, die Incoln aber und die Mannschaften der Bürgerwache bildeten unter der Leitung ihrer Bürgerofficiere einen weiten Kreis auf der anderen Seite der Straße. Dahinnen wurden die geretteten Sachen gebracht und treulich vor Diebstahl bewahrt. Noch immer flogen Betten und Hausgeräthe aus den Fenstern; in der Verwirrung, die der Schreck verursacht, warf mancher das Geschirr hinunter, statt selbst hinabzueilen und dem Gefahr drohenden brennenden Gebälk zu entgehen.

Da kamen die Schornsteinfeger mit ihren Jungen. Sie wurden mit lauten Zurufen begrüßt; wußte man doch, daß bei ihrer Wagehalsigkeit auch das Letzte aus dem brennenden Hause geschafft würde, was überhaupt noch zu retten war.

Das Poltern auf der Gasse verrieth die Ankunft der Kleinbinder. Auf ungeschlachten Holzschleifen fuhren sie pflichtschuldigst ihre mit Wasser gefüllten Zober und Tinen an. Beim Scheine der aufleuchtenden Flammen blitzen die Hämmer und Aexte des Zimmergewerbes. Von den Nebenhäusern aus brachen sie sich Bahn bis zu den brennenden Balken, die mit Krachen und Aechzen, von einem Feuerregen umhüllt, vom Dachstuhl in die Flammen stürzen.

Endlich hörte man das Stöhnen und Stampfen der in Bewegung gesetzten Spritzen. Aber wenig mehr als die Hälfte des Wassers fliegt durch das Mundstück des Schlauches in die Flammen! Der Hanf des Schlauches ist nicht dicht, der Mann, der ihn hält, ist schon durchnäßt, bevor der erste Strahl Wassers gegen die glühenden Balken zischt. Der Druck aber ist genügend; bis zur Dachfirste wird der Strahl geworfen. Doch – die Stadt hat nur drei solcher Schlauchspritzen! Nr. 1 und Nr. 2 kamen vom Berliner Rathhaus und Cölln sandte die dritte. Alle übrigen zehn sind Rohrspritzen. Kein Schlauch führt von ihnen nach jeder beliebigen Richtung, sondern steife, kaum fünf Fuß lange hölzerne Mundstücke werfen das Wasser aus, kaum zwanzig Fuß hoch!

Da freilich hatten die ehrsamen Gewerke harte Arbeit. Unaufhörlich wurden die Wasserkästen gefüllt, der Schweiß rann den Spritzenmännern in Strömen von der Stirn, und selbst die zwölf Meister, die aus jedem Quartier für jede Spritze in Reserve standen, mußten gar weidlich mit Hand anlegen; keine Gelegenheit wurde versäumt, aus der Schaar der Neugierigen die strammsten Burschen zu erspähen und sie zum Pumpen zu pressen. Wenn auch unwillig, gingen diese an’s Werk, sie fürchteten Beulen und blaue Flecke, die sehr leicht und billig seitens der ehrsamen Meister zu damaliger Zeit zu haben waren.

Endlich begann das Feuer große Rauchwolken zu zeigen. Erleichtert sagte sich Jeder, daß die schwerste Arbeit gethan.

„Das ist auch unsere Spritze Nummer zwei, die’s gemacht hat!“ rief stolz ein Schlosser, indem er sich mit blauem Sacktuch die Stirn wischte.

„Nee, Meester,“ rief lachend ein Schusterjunge, der den Kopf zwischen zwei Soldaten hindurchzwängte, „von det bisken Spucke [364] geht keen Feier nich aus! Det is von die beeden Prahmspritzen, die haben die Schiffbauer un die Fischer von det Stralower Thor jeholt, da von det Spinnhaus her, und die spritzen nanu von de Spree aus, aber derbe!“

Die Naseweisheit des zukünftigen Berliner Bürgers blieb vollkommen ungerügt, denn die Nachricht selbst wirkte zu erleichternd auf die Ueberarbeiteten, und man war schon damals mit der Eigenartigkeit der Auseinandersetzungen eines Berliner Schusterjungen durchaus vertraut.

Rauch und Qualm vermehrten sich zusehends; nur hin und wieder schoß noch einmal eine Feuergarbe zum dunklen Himmel. Nacht starrte aus den oberen Fensterhöhlen des Hauses, und wie mit Leuchtkäfern besäet erschienen die geschwärzten, halb niedergestürzten Balkenlagen.

Endlich, als das Frühroth den Osten färbte, war das Feuer gelöscht. Wie bleiche Gestalten lagen die nassen, mit Sand gefüllten Säcke auf den Dächern der Nebenhäuser, welche die Bewohner zum Schutz des Hauses hatten heraufschaffen müssen. Die Kienfackeln an den Ecken verlöschten nach und nach, das Pumpen wurde eingestellt und – auf der Brandstätte ragten nur die Mauern empor. Alles war ausgebrannt, bis auf eine Stube im Erdgeschoß.

Wie höhnend schauten die beiden Vasen auf der großen Truhe darin mit ihrem bunten Schmuck von Augsburger Lackirbildern, die sorgsam, der Mode gemäß, darauf geklebt waren, hinaus auf die Straße. Betten lagen noch wüst auf der Diele und wohl zehn säuberlich umrahmte, herzlich schlechte Bilder von Hinrichtungen berühmter Räuber und Mörder mit Galgen und Rad, mit Prediger und Scharfrichter und der tausendköpfigen Menge hingen an den vom Rauch geschwärzten Wänden des öden Gemaches.

„Ihr seid noch hier, Herr Magister?“ rief erstaunt der Wirt „Zum goldenen Anker“. „Und gar geschwärzt in dem Gesicht!“

„Nun, lieber Wirth,“ erwiderte der Angeredete lachend, „Euch wird ein lauwarm Bad auch sehr heilsam sein. Ich habe, wie sich’s gehört, ganz wacker den Eimer geschwungen, doch – was ist der Lohn für unsern Schweiß: ein Haufen Asche!“

„Das wohl, Herr Stettiner,“ entgegnete empfindlich der mit Spreewasser Getaufte, „aber seht, kein einziges Nebenhaus ist angebrannt; das zu erreichen sollte Euch doch in Eurem kleinen Stettin herzlich schwer werden!“

Der Magister schwieg wohlweise; ihm waren schon früher die Berliner gar sattsam über den Mund gefahren. Er nahm sich von Neuem vor, die im Uebrigen so gutherzigen Berliner nicht wieder an ihrer schwächsten Stelle anzufassen.

„He, Gevatter Claus!“ rief der Wirth einem Bürger zu. „Wie steht’s? Habt Ihr Feierabend?“

„Noch nicht. Bin ja der Aelteste der Brunnenmachermeister, und da muß ich ausschauen, daß wenigstens einige Brunnen wieder in Ordnung kommen durch meine Gesellen. Kein einziger giebt mehr Wasser; ’s war Zeit, daß die Prahmspritzen kamen, sonst brennte das ganze Quartier!“

„Nun, Nachtwächter,“ redete der Magister einen müden Graubart an, dessen Horn an der Seite seinen Stand verrieth. „Nun könnt Ihr Euch ja auch hinlegen! Habt wohl einen guten Posten?“

Bitter lächelnd zeigte der Nachtwächter auf einen Officier, der von der anderen Seite der Gasse aus die Brandstätte betrachtete.

„Seht den da, werther Herr! Schaut den gnädigen Herrn, der kommt sicher vom Hoffest, sonst hätte er nicht seine Gala-Uniform an. Seht den rothen Rock mit blauen Aufschlägen und Kragen, die sechs gestickten silbernen und die sechs goldenen Schleifen auf den Rabatten, auf den Aufschlägen, auf den Taschen und hinten auf dem Rock, wie zierlich der mit Seide blaugefütterte Rock ausschaut mit den aufgehakten Schößen, wie prall die gelben Hosen sitzen, wie stolz er den Degen trägt, wie keck den Hut mit breiter Goldtresse: das ist ein Officier vom Regiment Gensd’armes, und sein Rock kostet mehr, als mir fünf Jahre einbringen! Habe drei Thaler monatlich. Gehabt Euch wohl, fremder Herr!“

Drüben auf der anderen Seite, wo die Habseligkeiten der Abgebrannten aufgestapelt waren, hielten die Bürgerofficiere noch Wacht mit ihren Mannschaften, auch die Soldaten mußten bleiben, bis all das Geräthe von Freunden und Nachbarn sicher geborgen war.

„Wißt Ihr, Gevatter,“ redete ein Zimmermann, die Axt auf der Schulter, den Wirth an, „welche Spritze zuerst auf der Brandstätte war?“

„Wollt mich wohl foppen, Gevatter, weil wir’s von Berlin nicht waren?“

„Bewahre, das wollte ich nicht! Also wir von Berlin haben diesmal verspielt? Wer war’s denn?“

„Die Cöllner waren die ersten. Ich könnte beinahe fluchen vor Aerger.“

„Gönnt es ihnen, Gevatter,“ rief der Andere im Weggehen. „Die Riemer und Nagelschmiede, welche die Cöllnische Spritze besorgen müssen, sind gar rechtschaffene Leute.“

„Glaub’s schon, doch die fünfzehn Thaler hätten wir auch brauchen können,“ brummte der Wirth. „Nun, Herr Magister, kommt mit nach Haus. Da wollen wir uns sauber machen und der Frühtrunk soll uns trefflich schmecken.“

„Wenn’s Euch gefällig ist, sehr gern. Doch was sagtet Ihr von fünfzehn Thalern?“

„Das ist ebenso einfach wie weise von den Vätern der Stadt und den Rathsherren festgesetzt: seht, die Juden sind zu keiner Arbeit zu gebrauchen, sie können nur schachern und deshalb dürfen sie auch nicht zum Löschen kommen. Dafür zahlen sie nach jedem Brande fünfzehn Thaler der ersten Spritze Belohnung. Ist das nicht weise?“

„Sehr weise! Wie ich aber gehört habe, brauchen die königlichen Bedienten auch nicht beim Feuer zu helfen, wie sonst jeder Andere. Was zahlen die denn?“

„Die?“ meinte der verblüffte Wirth. „Was so ein Magister für tolles Zeug zusammenfragt! Nichts zahlen sie natürlich! Nun wollen wir aber eilen, daß wir nach Hause kommen! Der Morgentrunk soll uns schmecken!“

[373] Einhundertundfünfzig Jahre sind nunmehr vergangen, seit der Herr Magister aus Stettin zusammen mit dem Wirth die Gaststube betraten und die Frühsuppe nach den ausgestandenen Strapazen verzehrten.

Wie damals tönen noch heute die Glocken von St. Marien, St. Nicolai und von der grauen Klosterkirche, wie damals stehen noch elende Häuser aus Fachwerk auf hölzernen Pfählen in der Spree an der Fischerbrücke, wie damals besteht noch der Mühlendamm mit seinen Baracken, seiner engen Straße. Aber wie anders ist sonst die Residenz geworden! Aus 76,000 Einwohnern wurden es mehr als eine Million, und wo einst das Häschen in aller Seelenruhe das ferne Kohlfeld des Gärtners besuchte, wo knorrige Fichten und Föhren standen, oder wo die Spree weite Sümpfe bildete, wo der einsame ermüdete Wanderer durch tiefen Sand der Stadt zustrebte und sich furchtsam umsah nach Raubgesindel, da reiht sich jetzt Palast an Palast, da wogt es durch die Straßen, Gas- und elektrisches Licht verdrängt die Nacht, Tausende von Fuhrwerken jagen durch die Straßen, die Pferdebahnen durchziehen mit ihren Geleisen das Pflaster und dort, wo einst der Herr Magister am Georgen-Thor dem Thorwart hat Rede stehen müssen, da liegt jetzt der Alexander-Platz, und die Züge der Stadteisenbahn, die West und Ost des Häusermeeres verbindet, brausen darüber hin sicher und gefahrlos denn Tausende von Steinbogen sichern ihnen oben den Weg.

Wieder ist’s ein schwüler Sommerabend. Der Bäckermeister Friedrich Wilhelm Steffen steht behaglich in der Thür seines kornblumenblau tapezirten Ladens mit den blendend weiß lackirten Regalen, schaut schmunzelnd auf das große Schaufenster mit den verschiedenen Gebäcken hinter der riesig großen Scheibe und freut sich seines Daseins. Warum sollte er auch nicht? Hat er doch in seinem Vaterstädtchen ehrlich gearbeitet und gespart und, da „Mutter“ auch ein paar Groschen als Mitgift bekommen, hat er das Streben seines ganzen Lebens erreichen können: er hat ein Haus in Berlin gekauft und seit vier Wochen heizt er in der Kaiserstadt allnächtlich mit den Gesellen seinen Backofen, und in den freien Stunden des Tages, da steht er glückselig wie ein Pascha in der Thür seines Ladens, schaut auch hin und wieder hinauf auf die drei Stockwerke bis zur Dachfirste, um sich an der Größe des Besitzes zu erfreuen.

Ein Straßenjunge kommt pfeifend vorbei, die Hände in den [374] Hosentaschen, liederlich, wenn auch nicht zerrissen oder schmutzig im Anzuge. Als er gerade beim Meister angelangt, hört er plötzlich mit Pfeifen auf. Die Gleichgültigkeit ist aus seinem Gesichte gewichen, scharf blickt er hinauf zum Dache, dann tritt er zum Wirth und sagt mit einem Ernst, welchen man diesem durchtriebenen Gesicht nicht zugetraut hätte:

„Meester! Sehen Sie ’mal da oben den Rooch! Ick jloobe, et brennt bei Ihnen!“

Bleich vor Schreck blickt der Mann in die Höhe.

„Bei Gott,“ ruft er verzweifelt, „es brennt! Junge, Du sollst ein Trinkgeld haben, hole mir eine Droschke, so schnell Du kannst, ich will zur Polizei, ich will –“

„Man nich!“ erwidert der Junge eifrig. „Erstens Sie sind woll nich von hier?“

„Nein, mein Sohn!“ sagte der Alte kleinlaut.

„Na, denn kann ick Ihnen man blos sagen, Sie brauchen sich jar nich im Jeringsten zu jraueln! Des is ja nich so schlimm, als wie wo anders.“

„Aber was soll ich thun?“ rief der Mann, der den Rauch immer stärker werden sah, ganz verzweifelt.

„Jar nischt! Ick wer’ die Sache besorgen. Wenn ick commandire, is Moltke jar nischt jejen mir! In zwee Minuten is die janze Feuerwehr hier. Passen Sie mal uff!“

Spornstreichs lief er quer über die Straße. An einem Hause, vor dem eine rothe Laterne das Wort „Feuermelder“ zeigte, machte er Halt, zog seine Pantine vom rechten Fuße und schlug damit eine kleine Scheibe ein, die nicht weit vom Eingange des Hauses angebracht war. Dann drückte er auf einen darunter befindlichen Knopf und – die nächste der hundertundein öffentlichen Telegraphenverbindungen der Stadt ist in Thätigkeit gesetzt, um das Feuerdepôt zu alarmiren. Diese informirt im Nu durchs Weckersignal alle Feuerwehrstationen.

Wo aber die Glocke ertönt, da ist’s, als wenn mit Zauberschlag Alles auf die Beine kommt. Die Mannschaften ergreifen Helm und Geräth und stürzen aus der Wachtstube hinunter auf die Straße, die Remisenthüren fliegen auf, schräg ab auf die Straße rollen die Spritzen und Wasserwagen, die Fahrzeuge für Mannschaften und Geräthe, leicht wie Spielzeug und blitzblank, daß die Sonne ihre Freude damit hat. Und die klugen Pferde in den Ställen, auch sie haben den Wecker gehört, in wilder Ungeduld warten sie auf die Befreiung von der Koppel an der Krippe, ohne Führung laufen sie über den Hof, durch den Hausflur, und ohne Besinnen, ohne den leisesten Wink nehmen sie ihren Platz ein an ihrem Wagen. Das Geschirr wird angeschnallt, die Depesche kommt aus dem Bureau, welche meldet, wo das Feuer ausgebrochen.

„Aufgestiegen! Marsch!“ wird von den Wagenführern commandirt. Auf die Spritze springen vier Feuermänner, ein Oberfeuermann, ein Fahrer hat das Sattelpferd bestiegen, auf dem schweren, gefüllten Wasserwagen, an welchem die Rädertiene schon angehängt ist und den ganz besonders kräftige Pferde ziehen, sitzen der Fahrer und zwei Spritzenmänner, im Nu ist der Personenwagen besetzt mit elf Spritzenmännern, drei Feuermännern, einem Oberfeuermann und einem Hornisten. Die zufällig die Straße Passirenden prallen zurück, stehen doch auf einmal vier bis fünf mit Menschen gefüllte Wagen vor ihnen, deren Pferde ungeduldig der Abfahrt warten, dicht vor ihnen auf einer Stelle, die noch vor einer halben Minute still und leer war. Eine Ordonnanz bringt den Zettel, welcher die soeben aufgenommene Depesche enthält, dem im Thorwege harrenden Brandmeister. Seit dem ersten Läuten des Weckers bis zur Uebergabe dieser Depesche an den Commandirenden ist eine Minute verflossen!

„Groß-Feuer, Stralauer Straße 100,“ liest der Brandmeister laut. „Vorwärts!“ und beim rothflackernden Lichte der Fackeln, beim Klingeln der Wagenglocken, welche dauernd den Fußgängern und Fuhrwerken ihr: „Macht Platz!“ zurufen, saust die Wagencolonne dahin. Zwei Handspritzen fahren zuerst, hinterher rasseln zwei Wasserwagen mit ihren Rädertienen, ihnen folgt der dichtbesetzte Personenwagen, auf dem im letzten Augenblicke der Brandmeister Platz genommen in vorderster Reihe, zuletzt kommt die Dampfspritze mit dem Tender, der Schläuche und Kohlen birgt. Unter ihrem Kessel sind Holzspähne und andere Brennstoffe schon im Voraus angehäuft gewesen, jetzt werden sie in Brand gesetzt, in fünf Minuten muß ja schon genügend Dampf zum Arbeiten der Maschine entwickelt sein; dafür beansprucht sie aber auch zu ihrer Bedienung zwei Oberfeuermänner, acht Feuermänner, einen Heizer, einen Fahrer und einen Maschinenmeister.

In wenigen Minuten ist die Brandstätte erreicht; auch von anderen Richtungen taucht das gluthrothe Licht der Fackeln aus den langen blaßleuchtenden Laternenreihen hervor; andere Züge anderer Depôts kommen, immer lebhafter wird das Wagengerassel, das Klingeln der ankommenden Gefährte, das Pfeifen der Signale, die Häuser scheinen zu erglühen im Fackellicht, die Spritzen machen Halt, die Personenwagen auch, die Mannschaften stehen schon bei ihrem Gefährt stramm in Reih und Glied, sie warten auf die Befehle, welche die Brandmeister und Commandirenden nach ihrer sofort begonnenen Inspicirung der Brandstätte geben werden.

Die Flammen züngeln jetzt aus den Bodenluken, sie haben in aufgeschichteten Tischlerarbeiten nur zu gutes Material gefunden; unheimlich kriecht dicker, gelblich brauner Qualm durch die Fugen der Dachsteine, doch aus den Nachbarhäusern, aus den Fenstern gegenüber drängt sich Kopf an Kopf von Neugierigen, die ohne Furcht vor dem verderbenbringenden Element das interessante Schauspiel betrachten; sie betrachten die Mannschaften auf der Straße, die trotz ihrer großen Zahl, trotz der vielen Wagen, trotz der Enge des Raumes ihre Evolutionen so präcis ausführen, als wäre es ein gerade für diese Stelle eingeübtes Exercitium.

Da sprengt eine Abtheilung berittener Schutzleute heran; ihnen folgen andere zu Fuß, die Straße wird abgesperrt und das schaulustige, müßige Publicum kann nur von Weitem den Verlauf des Feuers verfolgen. Nirgends Furcht oder Unruhe, nirgends Rufen nach Eimern oder Freiwilligen zum Pumpen oder Spritzen. Nur der Berliner Witz macht sich Luft und erregt oft Gelächter.

„Nu seh’ mal blos die hohe Flamme da rechts!“ ruft der Eine.

„Na,“ erwidert der Andere, „da werden woll den Bäckermeester seine Mehlwürmer ordentlich bei schwitzen!“

„Un wat meenste,“ fügt der Dritte hinzu, „wie die Schwaben nanu danzen werden!“

„Un wenn nanu,“ belehrt der Vierte, „so’n jroßer jlühender Balken die ville Schwaben uf’n Kopp fällt, so nennt man det ’n Schwabenstreich!“

Und so geht es fort ohne Unterbrechung.

Die Dampfspritze meldet soeben durch Pfeifensignal, daß ihre Schlauchverbindung hergestellt, sie zum Wassergeben fertig ist. Die Handspritzen sind vermöge ihrer sofort zum Wassergeben bereiten Wasserwagen längst zur Thätigkeit bereit, schon bei ihrer Ankunft ist der Schlauch abgewickelt und bis zum Herde des Feuers gelegt; er ist bis zum Flur des Hauses gebracht, dort eine Verlängerung angeschraubt, er wird zur Treppe hinaufgezogen bis zur Brandstelle selbst. Die Hähne der Hydranten auf der Straße, welche direct der Wasserleitung eingefügt sind, können jeden Augenblick mächtige Wassermassen abgeben oder die leer gewordenen Wasserwagen füllen.

Da schrillt die Pfeife in einem Triller: „Zum Angriff!“ Ein Feuermann nimmt das Mundrohr des Schlauches, andere schlagen mit Beilen und Aexten das Holzwerk ein und suchen durch Zertrümmern der Dachsteine Abzug für den erstickenden Qualm zu verschaffen.

„Spritze drei! Wasser, marsch!“ ertönt es hier, dort das Signal „Schlauch vorwärts!“ und wieder „Wasser, marsch!“ Die Pfeife lockt das Wasser aus den Handspritzen, das Horn dasselbe aus der Dampfspritze. Es ist ein Pfeifen und ein Blasen, daß der Laie glaubt, die Hölle gellt; die Mannschaften aber verstehen in demselben den präcisen, kurzen Befehl des Commandirenden.

Nichts peinigt die Mannschaften bei dieser lebensgefährlichen Arbeit so sehr, als der Qualm. Nicht drei Schritte weit können sich die Feuermänner erkennen: Laternen müssen mitten im brennenden Hause zu Hülfe genommen werden, um sich hier in nächster Nähe der von Qualm umhüllten Feuersgluth zurecht zu finden, auf Händen und Füßen müssen sie kriechen, um nur die etwas weniger vom Qualm geschwängerte Luft, die sich dicht über dem Fußboden noch befindet, zum Athmen zu erhaschen.

„Alles zurück vom Dachstuhl!“ ertönt die Stimme des Brandmeisters.

[375] Sofort wird das Feld dort geräumt. Kaum ist das unterliegende Stockwerk erreicht, da erdröhnt die Luft; ein furchtbarer Krach, die Mauern erbeben – der Dachstuhl ist zusammengebrochen, das Schwerste ist gethan! Jetzt ist Luft da, jetzt läßt sich der Herd des Feuers in seiner ganzen Ausdehnung beherrschen. Riesenhoch zum nächtlichen Himmel stürmen die bis dahin gefesselten Flammen, ein Funkenmeer breitet sich aus über das ganze Stadtviertel.

Dort aber, mitten aus dem Feuermeer, da wirbelt eine weiße Dampfsäule in die Höhe. Dort ist die Stelle, wohin jetzt die Dampfspritze ihren armdicken Wasserstrahl sendet. Minutenlang verweht sie in leichtes Gewölk, die Flammen scheinen sie gierig zu umschmiegen und zu verhöhnen, doch langsam weichen sie scheu zurück, niedriger lodert ihre Gluth. Dort auf der Firste des Daches vom Nachbarhause kann man jetzt, da die Flammen sich niedriger halten, einige Feuermänner erkennen. Sie stehen unbeweglich auf schwindelnder Höhe, vor ihnen das Feuermeer, unter ihnen die Tiefe, sie leiten den Strahl der Handspritze auf das zischende, dampfende Mauerwerk, um die Ausdehnung des Herdes zu verhindern. Dort benutzen zwei Andere eine ausgehobene Stubenthür als Schild gegen die rasende Gluth; langsam dringen sie vor, um immer neue Strahlen in das brennende, knisternde, prasselnde Gebälk zu lenken.

Immer größer wird die Dampfwolke, nur widerstrebend, oft sich wieder riesenhoch erhebend, züngeln die Flammen niedriger. Schwarzes Holzwerk schimmert auf Augenblicke hindurch, immer neue Wasserstrahlen kämpfen ohne Unterlaß weiter gegen das rasende Element.

Die Gefahr ist vorüber. Das Feuer kann nicht mehr weiter um sich greifen.

Immer kleiner werden die Flammen, sie züngeln nur noch hier und da an den rußigen Mauern, huschen über das schwarzgebrannte Gebälk, verschwinden immer mehr im gelblichen Qualm und im Wasserdampf.

„Schlauch zurück!“ ertönt das Signal.

Der Feuermann da oben auf dem Nachbardach läßt das messingene Mundstück seines Spritzenschlauches sinken; er fängt mit dem Munde das letzte noch herausquellende Wasser auf zur Erfrischung seines ausgetrockneten Gaumens, seines mit Qualm und Ruß gefüllten Mundes, seine beschmutzte Hand fährt über das schweißtriefende, vom Rauch geschwärzte Gesicht, er verläßt mit vorsichtigem Schritt die schwindelnde Höhe.

Die Flammen sind erstickt, nur hier und da glüht es noch im Gebälk und unter dem Schutt. Laternen erscheinen jetzt da oben im Dunkel der Nacht; wie Leuchtkäfer bewegen sie sich zwischen den geschwärzten Wänden und Balken, jedes Fleckchen wird untersucht, ob nicht noch irgendwo das feindliche Element versteckt heimtückisch brütet. Die Mannschaft löscht ab. Geschäftige Hände bringen Mollen und Schippen, der heiße Schutt wird hinunter geschafft.

Zwei Stunden sind vergangen nach dem ersten Signal. Das Gros der Feuerwehr rückt ab; nur Wachtposten beobachten noch die gespenstisch hervorragenden Balkenreste und Steinruinen des Giebels.

Alles ist still.

Das Dach, das noch vor zwei Stunden dem Hause unversehrt Schutz bot, es ist verschwunden, die reingefegte Diele des Bodens wird von den Sternen beschienen.

Auf dem Hofe sind die Reste des Gebälkes regelrecht aufgeschichtet, der Schutt liegt in geordnetem Haufen.

Der ehrsame Wirth und Bäckermeister hat sich nach und nach von seinem Schrecken erholt. Jedes Gesicht der Mannschaften hat ihn mit Zutrauen und mit Zuversicht erfüllt. Nun mag, so denkt er, die Versicherungsgesellschaft ihm den Schaden ersetzen. Er geht hinab in den Keller, wo der Backofen seiner wartet, und mischt und knetet tapfer mit den Gesellen die für den Morgen bestimmte Waare.

Nur die Familie im obersten Stockwerk kann keine Ruhe finden. Noch immer trieft das Wasser durch die Decke, und stets an anderer Stelle muß das Hausgeräth vor der Nässe geschützt werden. Ihnen ist die Nacht verloren; erst als der Morgen graut, können sie die übermüdeten Augen schließen.

Die Spritzen, Wasserwagen, Personenwagen sind in ihre Depôts zurückgekehrt. Die Pferde werden versorgt, die Utensilien geordnet, die rußigen Gesichter erfreuen sich des kühlenden erfrischenden Wassers. Endlich, nachdem alle Geräthe sorgfältig gereinigt sind, können die kräftigen Gestalten wieder auf ihrer Pritsche sitzen. Sie rauchen und plaudern und würden sich nicht wundern, wenn von Neuem die Alarmglocke läutete, wenn sie von Neuem hinausmüßten zu „Groß Feuer!“