Graf Arnim vor Gericht
[39] Graf Arnim vor Gericht. Wir sind unseren Lesern zu dem Artikel der vorigen Nummer der „Gartenlaube“: „Die Hauptacteurs im Drama Arnim“ einen Nachtrag schuldig, der sich über die dort absichtlich übergangene Charakteristik der Hauptperson dieses Dramas verbreitet, und wir bringen denselben zugleich mit Abbildung einer Scene desselben im Sitzungssaale des Stadtgerichts am Molkenmarkte Berlins. An diese Illustration bitten wir jedoch keinen künstlerischen Maßstab zu legen. So vortrefflich auch die Bleistiftskizze des Herrn Hofmaler Arnold ausgefallen, so waren doch die unbedingt nöthige Verkleinerung sowohl, wie die mangelhafte photographische Uebertragung und die kurze Zeit von nur sieben Tagen, in welcher der Holzschnitt selbst hergestellt werden mußte, ebenso viel Hindernisse für die künstlerische Vollendung des Stockes.
Der Leser erkennt, mit jenem Artikel in der Hand, leicht die Hauptpersonen der dargestellten Gerichtscene: unter der Büste des Kaisers den Vorsitzenden, Stadtgerichtsdirector Reich, zu seiner Rechten und Linken die Stadtgerichtsräthe v. Ossowsky, Giersch und Schenck, den Kammergerichtsreferendar Rietzl und den Stadtgerichtssecretär Cursowe; zur Linken am äußersten Tafelende steht der Staatsanwalt Tessendorf; unter ihm haben die drei Vertheidiger Professor von Holtzendorff und die Rechtsanwälte Munckel und Dockhorn ihren Tisch, und ihnen gegenüber und zur Seite sind einundfünfzig Berichterstatter untergebracht. Das höchste Interesse nimmt aber der Mann in Anspruch, welcher, zur Linken des Gerichtstisches, einsam erhöht, auf der Anklagebank das Ziel aller Blicke ist. Und ihm, dem Grafen Arnim, wendet sich nun auch ausschließlich das Nachstehende zu.
Schon seit 1871 fehlte es in verschiedenen Organen der Tagespresse nicht an Hindeutungen, von denen der Graf Arnim als ein Staatsmann ersten Ranges und als die Hoffnung Deutschlands bezeichnet wurde. Je mehr aber das große Publicum, bei dem Mangel an tatsächlichen Aufschlüssen in Bezug auf diese verkündete Zukunft des Pariser Botschafters sich nur fragend verhalten konnte, um so fester waren die Blicke gewisser heißsporniger und verwegener Coterien auf ihn gerichtet, die der heutigen Gestaltung der deutschen Dinge, dem Reiche und seinem Lenker in offener oder heimlicher Feindschaft gegenüberstehen. Die gewaltige, alle Auflehnungen kleiner Einflüsse und Interessen vor sich niederschmetternde Wucht Bismarck’s, die schlichte Größe, Geradheit und Offenheit seiner Politik ist ihnen ein Gräuel, und mit ihrer kochenden Wuth wollen sie den naturgemäßen Rücktritt des Verhaßten nicht erwarten, sondern die Fäden seiner Macht sobald als möglich zu zerreißen suchen. Der Graf Arnim hat sich niemals als ein feudaler Absolutist, ein muckerhafter Kreuzzeitungsritter im Sinne der früheren Mehrheit des preußischen Herrenhauses gezeigt. Aber die ihm verwandte und befreundete märkische und pommer’sche Aristokratie, deren Leiborgan die Kreuzzeitung ist, und mit dieser eine unermüdlich geschäftige Clique bismarckfeindlicher Palastintriguanten sahen in dem Günstlinge des Kaisers und Hofes, in dem geistreichen Weltmanne und brillanten Cavalier, dem schlanken und imposanten Lieblinge der hohen Damenwelt den berufenen Erretter aus einer ihren engen Anschauungen und anmaßenden Ansprüchen, ihren kleinen Vorrechts- und Hochmuthsinteressen widerstrebenden Entwickelung des Staatslebens.
Der Graf Arnim hatte sich auch keineswegs als ein Freund der Römlinge und ihrer Pläne gezeigt; die Römlinge aber, wenigstens die vornehmen, den maßgebenden Kreisen nicht fern stehenden Mitglieder der Partei, sahen in dem beweglich aufstrebenden, die ganze Hofatmosphäre durchleuchtenden Glanze dieses Diplomaten das geeignetste Mittel zu einem Wechsel, zur Erreichung einer Uebergangsstufe, an der ihnen unter den obwaltenden Verhältnissen zunächst Alles gelegen war. Von beiden Seiten wurde der Graf Arnim mit besonderer Lebhaftigkeit auf den Schild gehoben, und sie waren es, von denen gelegentlich den überrascht auflauschenden Zeitungslesern erzählt wurde, daß in ihm der zukünftige Stern Deutschlands bereits erschienen, der dereinstige Leiter unserer politischen Geschicke bereits gefunden sei. Ueber die Versuche, welche hier mit oder ohne gegenseitiges Einverständniß im Gange gewesen, wird vielleicht erst einmal die Zukunft eine volle Enthüllung bringen. Aber aus der schleichend hinter den Coulissen der Oeffentlichkeit betriebenen Complotbewegung stiegen im Laufe der letzten Jahre mitunter einige geheimnißvolle, schnell wieder zerplatzende Blasen auf die Bühne, die zur Zeit nicht geringe Beunruhigung erregten und die man erst jetzt sich einigermaßen zu deuten vermag.
Ob der Botschafter in Paris von den leise in Berlin um seine Person sich drehenden Plänen gewußt, ob er selber für einen berechtigten Rivalen Bismarck's sich gehalten und mit seinen eigenen Händen nach dem obersten Ruder des Staats gegriffen hat? Niemand kann das behaupten, und Niemand kann es im Ernste bestreiten wollen. Aus seinen im Processe verlesenen Berichten und aus den an ihn gerichteten Erlassen Bismarck’s geht mit Sicherheit nur so viel hervor, daß Arnim in Paris sich nicht als das gefühlt, was er war, als ein ausführendes Organ seiner Regierung, daß er dort eigenmächtig eine abweichende Politik betrieben, in gefährlichen Lebensfragen den Auffassungen des Reichskanzlers entgegengearbeitet, die Absichten desselben durchkreuzt, seine Pläne verwirrt hat. Warum das und zu welchem Zwecke? Die Annahme eines blos theoretischen Eigensinnes ist durch ganz bestimmte, in der öffentlichen Verhandlung hervorgetretene Thatsachen ausgeschlossen und es wäre überhaupt sehr naiv, wenn man glauben wollte, ein so hochgestellter Diplomat habe sich die so nahe liegende Einsicht fern gehalten, daß er zur Erledigung eines Doctorstreites über das zukünftige Glück und die angemessenste Verfassung Frankreichs nicht in Paris sei. Sein den Weisungen des deutschen auswärtigen Amtes durchaus widerstrebendes Verhalten verfolgte auch in der That ganz bestimmte praktische Ziele, die mit den Wünschen der Ultramontanen und des reactionären preußischen Junkerthums eine auffällige Verwandtschaft hatten. Und diese Politik hat er nicht blos in Frankreich bethätigt, sondern auch hinter dem Rücken des Reichskanzlers brieflich dem Kaiser dargelegt. Wenn also Jemand behaupten will, es sei dieses Schreiben eine Denunciation gegen den Fürsten Bismarck, es sei ein dem Kaiser vorgelegtes und auf seine natürlichen Neigungen berechnetes Programm der conservativ-monarchischen Politik Arnim’s im Gegensatze zu der als irrthümlich und gefährlich hingestellten Politik Bismarck’s gewesen, so wird sich dagegen etwas Stichhaltiges nicht einwenden lassen.
Von allen diesen hinter dichter Gardine sich bewegenden Vorgängen, die ernste Gefahren in sich trugen, wußte das Publicum draußen nichts, und nicht einmal die Abberufung Arnim's, sondern erst seine spätere plötzliche Verhaftung und Stellung unter Anklage hatten ihn in den Vordergrund des öffentlichen Interesses geschoben. Es ist ein seltsames Geschick, daß der unstreitig von Ruhmesdurst beherrschte Mann erst populär werden mußte durch seinen jähen und selbstverschuldeten Sturz und durch einen Strafproceß, der ihn von seiner glänzenden Höhe auf die Bank der Angeklagten geführt. Und wahrlich, der Gesammtverlauf und alle einzelnen Momente dieses Processes waren und sind der gespannten Aufmerksamkeit werth, mit welcher die ganze civilisirte Welt ihre Blicke auf ihn gerichtet und die alle denkenden Zeitgenossen noch lange ihm bewahren werden. Nach Allem, was man über den Angeklagten gehört hatte, erwartete man aber von ihm mehr, als leider nun offenbar wurde. Der Graf Arnim ist nicht mit dem Rufe einer gefallenen, den Durchschnitt der höhern Beamtenwelt überragenden Größe, eines bedeutsamen Charakters und ausgezeichneten Staatsmannes aus diesen Verhandlungen hervorgegangen; in allen Gängen des früheren Conflicts mit Bismarck erscheint er nicht als ein David wider Goliath, sondern wie ein Heldenspieler der Bühne neben der ureignen Größe des wirklichen Helden. Und von allen ungewöhnlichen Begabungen, welche gewisse Freunde ihm nachrühmten, denen er ein Hoffnungsstern gewesen, finden wir nur eine einzige, die auch dem aus dem Processe gewonnenen Bilde als wirklich glänzender und hervorragender Zug verblieben ist: das Talent eines anziehenden Stilisten und Feuilletonisten, eines drastischen Schilderers und geistreichen Plauderers.
Wir unterschätzen diese schöne Gabe auch an einem Diplomaten nicht, aber wir glauben, der Herr von Arnim hatte mit derselben das Höchste erreicht, was ein trefflicher Feuilletonist erreichen kann. Er war in den Grafenstand erhoben und mit Ehren überhäuft; er war Gesandter auf einem der vorgeschobensten, angesehensten und schwierigsten Vertrauensposten des Reiches. Dennoch steht es fest, daß diese große Stellung ihm nicht genügte, daß er die von ihr geforderte Abhängigkeit und Unterordnung als ein Mißverhältniß empfand, daß er willkürlich und in ewig unruhiger Selbstbethätigungslust über die Schranken und Pflichten hinausgriff, die sie ihm auferlegte. Der Rausch einer durch eigensüchtige Schmeichler fortwährend genährten Selbstüberschätzung, eine überaus hohe Meinung von seinem Können, seiner Bestimmung und Unantastbarkeit war der böse Dämon dieser ursprünglich gut, liebenswürdig und nicht unedel angelegten Natur. Er glaubte nur im Duell mit einer mächtigen Persönlichkeit sich zu befinden, die seinen Ansprüchen im Wege stand, und er ahnte nicht, daß es eine große Gedankenmacht des Jahrhunderts war, die er durch ein kleines Intriguenspiel aus ihren Bahnen zu werfen suchte. Wie hätte ein so frivoles Verkennen der so ernsten Zeitlage für den unbedachtsamen Unternehmer ohne zermalmende Folgen bleiben können?
Das Berliner Stadtgericht hat in seinem Urtheilsspruche der wider den Politiker Arnim sich regenden Entrüstung keinen Einfluß gestattet und pflichtmäßig nur das Maß seiner Strafbarkeit in's Auge gefaßt; es hat den Grafen Arnim nicht eines gemeinen Vergehens, dessen er angeklagt war, für schuldig befunden, sondern nur eines politischen Vergehens, das seine menschliche und bürgerliche Ehre unangetastet läßt. Wir freuen uns dessen und sind überzeugt, daß keinem Edelfühlenden in Deutschland an der sittlichen Vernichtung des Mannes gelegen war, der nur ein schweres Verhängniß gegen sich herausgefordert, weil er die Schwäche, nicht bescheiden und selbstlos seinem Vaterlande dienen zu können, für eine Kraft seines Charakters gehalten hat. – Durch die Appellation von beiden Seiten ist der Abschluß des Dramas noch auf einige Zeit hinausgeschoben.