Gneisenau, Chasot, Boyen und Dohna in Oesterreich

Textdaten
<<< >>>
Autor: Justus von Gruner
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Gneisenau, Chasot, Boyen und Dohna in Oesterreich
Untertitel:
aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 9 (1893), S. 113–119.
Herausgeber: Ludwig Quidde
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Freiburg i. Br.
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[113] Gneisenau, Chasot, Boyen und Dohna in Oesterreich. Als im Anfang März 1812 Friedrich Wilhelm III. das Bündniss mit Napoleon geschlossen hatte, verliess bekanntlich eine Anzahl patriotischer Männer Preussen, um nach Spanien oder Russland zu geben und dort [114] gegen den verhassten Französischen Imperator zu kämpfen. Von denjenigen, welche nach Russland gingen, nahmen drei Männer ihren Weg dorthin durch Oesterreich, nämlich Boyen, Dohna und Chasot. Der letztere machte seine Reise nach Russland gemeinsam mit Gneisenau. Boyen reiste mit dem Schwiegersohn von Scharnhorst, dem Grafen Dohna, und hat in seinen Erinnerungen ihre Reise von Breslau nach Russland beschrieben[1]. Von der Reise Chasot’s und Gneisenau’s dagegen und ihrem Aufenthalt in Wien wissen wir sehr wenig. Ich habe nun unter den Justus Gruner betreffenden Acten, welche im Ministerium des Innern zu Wien aufbewahrt werden und die mir zur Benützung vorgelegt wurden, auch einige Schriftstücke gefunden, deren Inhalt sich auf Gneisenau’s und Chasot’s Reise nach Russland und auf ihren Aufenthalt in Wien bezieht. Die Mittheilung einiger von diesen Actenstücken dürfte schon deswegen wohl einiges Interesse haben, weil man aus denselben die lächerliche und wirklich kaum glaubhafte Furcht der damaligen Oesterreichischen Behörden vor den Mitgliedern des sogenannten Tugendvereins deutlich erkennen kann. Ausserdem aber ist aus diesen Schriftstücken auch zu entnehmen, wie lange sich die beiden Reisenden in Wien aufgehalten und welche Personen sie besucht haben.

Als erstes der erwähnten Actenstücke muss die Abschrift einer Depesche des Oesterreichischen Gesandten in Berlin, Grafen Zichy, an den Minister Grafen Metternich betrachtet werden. Dieselbe hat den folgenden Wortlaut: „Berlin, 21. Mars 812. Monsieur le Comte! Monsieur de Gneisenau[2] étant venu m’apporter deux passeports du Cabinet, l’un pour lui, l’autre pour Comte de Chasot, je n’ai pu refuser de les viser à sa demande tous les deux pour Vienne. Je me suis fait un devoir de dire néanmoins franchement à Monsieur le Chancelier que ce n’étoit qu’a regret que je m’etois déterminé à accorder ces visas; ne doutant pas que la présance de deux hommes aussi marquans dans le parti des Tugendfreunde n’exitât desagreablement l’attention de notre gouvernement dans les circonstances actuelles. Le Chancelier prédendit être sur que ces Messieurs ne s’arrêteroient pas longtems dans les états autrichiens, mais qu’ils ne prenoient ce détour que pour masquer leur projet de se rendre en Russie. Dans tous les cas je me crois dans l’obligation d’avertir Votre Excellence du fait. Les passeports du Cabinet que j’ai viser sont: [115] pour Monsieur de Gneisenau sous No. 133 et pour le Comte de Chasot sous No. 134, ils sont valable pour six mois, datés du 18 Mars 1812 et signés pendant l’absence du Comte de Goltz par le Conseiller intime d’Etat le Coq. Recevez Monsieur le Comte l’assurance de mon profond respect. Zichy.“

Diese Abschrift, welche natürlicher Weise im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten gemacht worden ist, übersandte der Minister, Graf Metternich, dem Vicepräsidenten der Polizeihofstelle, Freiherrn von Hager. Ob dieselbe dem letzteren nur zur Wissenschaft dienen sollte, wie es in dem damaligen Oesterreichischen Curialstile gewöhnlich heisst, oder ob der Minister in einem Begleitschreiben zu dieser Abschrift den Vicepräsidenten aufforderte, diese beiden angemeldeten Tugendbundisten gehörig beobachten zu lassen, das geht aus den Acten, welche mir vorgelegen haben, leider nicht hervor. Merkwürdiger Weise fehlt nämlich zu dieser Abschrift ebenso ein Begleitschreiben, wie zu derjenigen von der zu dieser Depesche gehörigen Nachschrift, in welcher Zichy meldet, dass Gruner bei ihm gewesen sei mit einem Cabinetspasse, um sich nach Prag und in die Böhmischen Bäder zu begeben. Sei es nun, dass Hager von Metternich dazu aufgefordert wurde, sei es dass er selbst es für richtig fand, dass die beiden von Zichy angemeldeten Preussischen Unterthanen eine ganz genaue Beobachtung während ihres Aufenthaltes in Wien höchst nöthig hätten, kurz der Vicepräsident erliess an die Wiener Polizei-Oberdirection das im Concepte vorliegende folgende Schreiben:

„Dekret. Die die Polizei Oberdirektion. Der Kaiserlich Königliche Gesandte an dem berliner Hof hat sich in dem Falle befunden, die Pässe zweier preussischer Unterthanen des Herrn von Gneisenau und des Grafen Chasot zur Reise nach Wien vidiren [sic!] zu müssen. Diese beiden Reisende sind sehr marquirte Personen in der geheimen Gesellschaft, dem Tugend Verein, sie verlassen bei der gegenwärtigen Lage ihr Vaterland und sollen gesonnen seyn sich nicht lange in Oesterreich aufzuhalten, sondern sich nach Russland zu begeben.

Ich ermangle nicht, die Polizei Oberdirektion auf diese zwei Preussen aufmerksam zu machen, und ihr auf zu tragen, sie bei ihrer Ankunft nicht nur sogleich der gewöhnlichen Fremden Behandlung zu unterziehen, (und auf ihre baldige Abreise zu dringen)[3], sondern auch über sie eine Beobachtung einzuleiten und deren Resultate mir Tag vor Tag vorzulegen.

Wien den 1. April 812.“

[116] Während Hager auf diese Weise für den Empfang und die Ueberwachung der beiden Männer, von denen in dem Decret die Rede ist, sorgte, hatten dieselben noch nicht einmal den Oesterreichischen Boden betreten. Am 7. April schreibt Justus Gruner an Hardenberg[4]: „Der Obr v. Gn–u und Gr Ch–t sind am letzten Freitag“ – es war der 3. April[5] – „bereits abgereist. Beide lassen sich Euer Excellenz wohlwollendem Andenken nochmals angelegentlichst empfehlen.“ Die Reise von Breslau nach Wien dauerte lange, denn erst in der Nacht vom 10. auf den 11. April kamen Gneisenau und Chasot in Wien an. Natürlich kam nun die Polizei-Oberdirektion dem Befehle Hager’s sofort nach und unterstellte die beiden höchst verdächtigen Preussen einer genauen Controlle. Die Berichte über diese geheime Beobachtung wurden dem Vicepräsidenten vorgelegt, der dann seinerseits einige derselben an Metternich zur Kenntnissnahme übersandte. Welchen Eindruck mag es wohl auf die beiden Reisenden gemacht haben, wenn sie sahen, dass ihnen der Vertraute, wie damals die geheimen Polizeiagenten in Oesterreich genannt wurden, auf Schritt und Tritt nachfolgte, wie es später auch Boyen bei seiner Anwesenheit in Wien erging[6].

Die Berichte des Vertrauten hier nun alle und gänzlich zu veröffentlichen, würde zu weit führen, und ausserdem wäre es auch nicht angebracht, da sie theilweise ganz unwichtige Dinge enthalten. Es mag daher hier nur Einiges seinen Platz finden, was aus den Berichten allenfalls von Interesse sein dürfte. „Die beiden genannten preussischen Kavallire“, so beginnt der eigentliche erste „geheime BeobachtungsRaport“ vom 13. April, „kamen zwischen den 10ten und 11ten Dato in der Nacht, jeder mit einem Bedienten versehen, hier in Wien an, logirten im Hotel zur Kaiserin von Oesterreich ein, und gedenken den 17ten oder 18ten Dato von hier wiederum abzureisen, und zwar nach Russland.“ Laut diesem Rapport besuchten die beiden Reisenden am 11. April den Preussischen und Russischen Gesandten und dann den Oberst Steigentesch, welchen sie aber nicht zu Hause fanden. „Sonntag den 12 Dato schickte der preussische Gesandte zeitlich früh ein Handbilliet [sic!], und gleich nach 9 Uhr fuhr der Oberste Gneisenau, zum preussischen Gesandten, allwo Sie [!] bey 2 Stunden lang mitsammen eingesperrt waren, von da fuhr der Oberste in die Staatskanzley zu seiner Excellenz Grafen Metternich“. Später besuchten Gneisenau und Chasot den früheren Preussischen Gesandten [117] in Russland, Baron Schladen. „Der Unterzeichnete“, so endet der erste Bericht, „traff auch die nöthigen Anstalten, wenn beide genannte allenfalls Briefe auf der Post abgeben, selbe zu erhalten.“

Die beiden folgenden Berichte enthalten nichts, was erwähnenswerth wäre. „Mittwoch den 15ten Dato fuhr der preussische Oberste und Staatsrath Gneisenau“, so beginnt der vierte geheime Beobachtungsrapport, „früh um 8 Uhr zu Seiner Kaiserlichen Hoheit dem Erzherzog Karl, all wo Er sich über eine Stunde lang aufhielt.“ Auch der geheime Beobachtungsrapport vom 17. April muss wenigstens theilweise hier wiedergegeben werden. „Freitag den 17ten April 812, kamen früh um 6 Uhr der Baron Schladen und der Herr Hauptmann von Wager“, – letzteren hatte Chasot bei einem Baron Meklenburg in Wien kennen gelernt, – „zum preussischen Obersten und Staatsrath Gneisenau, und zum Grafen Chasot, und gegen 7 Uhr fuhren die 4 genannten Personen nach Aspern, da besahen Sie [sic] das ganze Schlachtfeld des letzten Krieges, welches Ihnen [sic!] der Herr Hauptmann von Wager zeigte“. Da die beiden Reisenden nun beschlossen hatten, am 19. April sich auf den Weg nach Russland zu machen, holten sie am 18. April ihre Pässe von der Fremdencommission der Polizei-Oberdirektion ab und sandten sie Mittags auf die Staatskanzlei. Der Diener, welcher die Pässe dorthin brachte, wurde zum Abholen derselben auf 9 Uhr Abends bestellt. Als aber um diese Zeit ein Bote kam, um die Pässe abzuholen, erhielt er sie nicht, sondern er wurde auf den folgenden Tag Mittags wieder bestellt. Da endlich wurden die Pässe ausgeliefert. Am 20. April reisten dann Chasot und Gneisenau von Wien ab.

Wenn die beiden Männer dachten, dass sie mit ihrer Abreise von Wien gleichzeitig der polizeilichen Controlle entgehen würden, so irrten sie sich sehr. Zwei so gefährliche Tugendbundisten, wie Gneisenau und Chasot, konnte man denn doch unmöglich ohne jede Beobachtung durch die Länder der Oesterreichischen Monarchie reisen lassen. So scheint wenigstens Hager gedacht zu haben, denn es findet sich als letztes auf Gneisenau und Chasot bezügliche Actenstück ein Concept folgenden Inhaltes: „Schreiben den den Herrn Grafen von Goess in Lemberg. Zwei königlich preussische Unterthanen Graf Chasot und Herr von Gneisenau werden morgen von hier abreisen, und sich über Brody nach Russland begeben. Beide verlassen ihr Vaterland, weil sie mit den gegenwärtigen Verhältnissen desselben unzufrieden sind. Ich eile daher Euer Excellenz auf diese Reisenden aufmerksam zu machen, und dieselben zu ersuchen, sie auf ihrer Reise einiger Beobachtung zu unterziehen, ihnen zwar den Uebertritt über die Kaiserlich Königliche Grenze, nicht aber die Rückkehr zu [118] gestatten. Wien den 18 April 812 Hager.“ Auf dem letzten Blatt steht noch das Wort „dringend“. Sollte dies Schreiben seinen Zweck in der That erfüllen, so musste es natürlicher Weise so in die Hände des Grafen Goess gelangen, dass derselbe die zur Beobachtung der beiden Reisenden nothwendigen Verordnungen nicht nur erlassen konnte, sondern dass auch zu ihrer Ausführung alles vorbereitet war, ehe die beiden durch Hager angemeldeten Preussen Galizien betreten hatten. Nun enthält der vom 18. April datirte Beobachtungsrapport die Angabe, dass Gneisenau und Chasot am 19. April Wien verlassen wollten. Diese Notiz hat Hager Vormittags erhalten und sich wahrscheinlich gleich wegen des von den beiden gefährlichen Tugendbundisten einzuschlagenden Weges nach Russland mit Metternich verständigt. Hager’s Schreiben an den Grafen Goess ist dann am 18. expedirt worden und hatte dann jedenfalls einen Vorsprung von etwa 24 Stunden, wenn die Pässe erst am 19. April Mittags dem sie abholenden Boten übergeben wurden. Das ist dann auch offenbar der Grund, weshalb dies geschah. Da aber Gneisenau und Chasot erst am 20. April reisten, so war jedenfalls in Galizien, als sie dorthin kamen, Alles zu ihrer Beobachtung auf das beste vorbereitet.

Bedeutend später als diese Beiden kamen Boyen und Dohna nach Oesterreich. Auch über sie liegt in den Acten des Archives des Ministeriums des Innern in Wien ein Schreiben vor, welches die Angst der Oesterreichischen Regierung vor den Tugendbundisten erkennen lässt. Noch verdächtiger als Gneisenau und Chasot mussten Boyen und Dohna schon deshalb sein, weil sie den in Prag weilenden, unter besonderer Polizeiaufsicht stehenden Gruner am 7. August in Prag aufgesucht hatten[7]. An Metternich meldete Hager am 12. August: „Die beiden durch Prag nach Wien gereisten Tugendbundisten der preussische Flügel Adjutant[8] Oberst Beyme [sic!] und der Major Graf Dohna, welche in Prag Grunern zu sprechen wünschten, lass ich hier unter Polizei Aufsicht setzen“. Gleichzeitig erliess der Vicepräsident an die Polizei-Oberdirektion folgendes Schreiben: „Am 6 dieses sind zwei wegen ihrer Verbindungen sehr bedenkliche Tugendbundisten, [119] der Königlich preussische Flügel Adjutant Oberst Boyme und der Major Graf Dohna von Prag nach Wien abgereist. Da sie sich sehr sorgfältig nach dem ehemaligen russischen Gesandten Grafen von Stackelberg erkundigten, so scheint es dass sie entweder Aufträge an ihn haben, oder Aufnahme in russische Dienste bei ihm erwirken wollen. Die Polizei Oberdirektion wird hiervon mit der Weisung in die Kenntniss gesetzt, diese beiden Fremden bey ihrer Ankunft auf das sorgfältigste zu beobachten und das Resultat hievon anzuzeigen. Wien den 12ten August 1812. Hager.“

Dass die Polizei diesen Befehl ausführte, ergibt sich aus den Erinnerungen Boyen’s. Es hat aber den Anschein, als ob der von Boyen dort angegebene Tag (10. August) ihrer Ankunft in Wien nicht der richtige wäre, denn Boyen selbst schreibt: „Da diese“ – nämlich die Polizei – „uns beynahe lächerlich gleich bey unserer Ankunft in ihre enge Obhut zu nehmen schien“. Der Auftrag, dies zu thun, ist vom 12. August. Nahm die Polizei aber Boyen und Dohna bei ihrer Ankunft in Obhut, so können beide nicht gut vor dem 12. August in Wien eingetroffen sein.

J. von Gruner.     

Anmerkungen

  1. Erinnerungen aus dem Leben des Generalfeldmarschalls Hermann von Boyen, herausg. von Friedrich Nippold. Leipzig 1889. II, 197–237.
  2. Ich möchte gleich hier bemerken, dass sowohl in der Abschrift, wie auch in den Concepten und in den Polizeirapporten Gneisenau’s Name auf das unglaublichste von den Oesterreichischen Schreibern verunstaltet ist.
  3. Die eingeklammerte Stelle ist in dem Concepte gestrichen.
  4. Königl. Geheim. Staatsarchiv Berlin, Rep. 92, Hardenberg K. 40.
  5. Pertz, Gneisenau II, 283.
  6. Boyen schildert in seinen Erinnerungen II, 200–201 seine eigene Beobachtung so.
  7. Nach dem Verhörsprotokoll, welches nach Gruner’s Verhaftung am 26. August mit ihm aufgenommen wurde, hat Boyen „am Abend meiner Rückkehr von Liebwerda Gruner besucht und dieser ist laut Bericht des Prager Stadthauptmann Lilienau vom 8. August: gestern Morgens hieher zurückgekommen.“ Dies stimmt mit der Angabe Hagers nicht überein.
  8. Boyen, dessen Namen von den Oesterreichern auch verstümmelt wurde, ist nie Flügeladjutant gewesen. Derartige Irrthümer kommen in den Acten öfter vor. So führt Hardenberg den Titel Graf und Bülow wird zum Polizeipräsidenten gemacht, was beide nie gewesen sind.