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Titel: Gesicht des Esdras
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aus: Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel S. 350–354; Erläuterungen 1291
Herausgeber: Paul Rießler
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1928
Verlag: Dr. B. Filser
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Erscheinungsort: Augsburg
Übersetzer: Paul Rießler
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Originalsubtitel:
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Quelle: ULB Düsseldorf und Commons
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[350]
28. Gesicht des Esdras

1
Im Jenseits flehte Esdras zu dem Herrn:

Gib mir Vertrauen, Herr,
auf daß ich mich nicht fürchte,
wenn ich der Sünder Strafgerichte schaue!

2
Da wurden ihm der Höllenengel sieben beigeordnet;

sie trugen ihn auf siebzig Stufen in die Hölle.

3
Hier sah er eherne Tore;

zwei Löwen lagen in den Toren;
aus Augen, Rachen, Nase
sprüht ihnen eine fürchterliche Flamme.

4
Da kamen starke Männer,

und sie durchschritten diese Flamme
und blieben unberührt davon.

5
Da fragte Esdras:

Wer sind doch die,
die also sicher schreiten?

6
Die Engel gaben ihm zur Antwort:

Gerechte sind’s;
bis in den Himmel drang ihr Ruhm;

7
Almosen gaben sie nicht wenig,

bekleideten die Nackten
und hatten nur ein gut Verlangen.

8
Dann kamen andere

und wollten in die Tore treten;
die Löwen aber rissen sie in Stücke
und dann verbrannte sie das Feuer.

9
Da fragte Esdras:

Wer sind nur die?
Die Engel sprachen:

10
Die sind es, die den Herrn verleugnet

und die am Tag des Herrn mit Weibern sich versündigt.

11
Da sagte Esdras:

Sei, Herr, den Sündern gnädig!

12
Sie führten ihn darauf auf fünfzig Stufen abwärts;

hier sah er Leute, die gemartert wurden.

13
Die einen jagten ihnen Feuer ins Gesicht,

die andern schlugen sie mit Feuergeißeln.

[351]
14
Die Erde rief:

Schlagt auf sie schonungslos hinein!
Auf mir verübten sie ja ihre Missetaten.

15
Da fragte Esdras:

Wer sind doch die,
die täglich so gefoltert werden?

16
Die Engel sprachen:

die sind’s, die sich mit Eheweibern abgegeben…

17
Und diese Eheweiber schmückten sich nicht ihrer Männer wegen,

sie wollten anderen gefallen
aus böser Lust.

18
Da sagte Esdras:

Sei gnädig, Herr, den Sündern!

19
Sie brachten ihn alsdann hinab gen Süden;

er sah ein Feuer
und Arme hingen drin und Weiber
und Engel schlugen sie mit Feuerkeulen.

20
Da fragte Esdras:

Wer sind doch die?

21
Die Engel sprachen:

Die sind’s,
die mit der eignen Mutter Schlimmes trieben.

22
Da sagte Esdras:

Sei gnädig, Herr, den Sündern!

23
Dann führten sie ihn weiter in die Hölle;

da sah er einen Kessel voll von Pech und Schwefel;
es wogte drin wie Meereswogen.

24
Gerechte kamen

und wandelten in seiner Mitte auf den Feuerwogen
und priesen laut den Herrn,
als ob sie schon auf Tau und kühlem Wasser gingen.

25
Da fragte Esdras:

Wer sind doch die?
Die Engel sprachen:

26
Die sind’s, die täglich besser vor dem Herrn

und vor den heiligen Priestern beichteten
und Almosen verteilten
und Sünden widerstanden.

27
Nun kamen Sünder

und wollten auch hinüber;
da aber kamen Höllenengel
und tauchten sie in Feuers Glut.

28
Und aus dem Feuer schrien sie:

„Erbarm dich unser, Herr!“;
er aber blieb erbarmungslos.

29
Das Rufen ward vernommen,

doch ward kein Leib geschaut,
des Feuers und der Qualen wegen.

[352]
30
Da fragte Esdras:

Wer sind doch diese?
Die Engel sagten:

31
Dies waren eigennützige Verleumder

in allen ihren Lebenstagen;
sie nahmen keinen Fremdling auf,
verteilten keine Almosen

32
und zogen andrer Habe ungerecht an sich

und hegten schlimm Gelüste
und also sind sie in den Qualen.

33
Da sagte Esdras:

Sei gnädig, Herr, den Sündern!

34
Dann schritt er weiter

und sah an einem finstern Orte einen Wurm,
der niemals stirbt;
er konnte seine Größe nicht beschreiben.

35
Vor seinem Maule standen viele Sünder;

zog er den Atem ein,
dann flogen sie, wie Mücken, in sein Maul,
und atmete er aus,
dann kamen alle wiederum heraus
in andrer Farbe.

36
Da fragte Esdras:

Wer sind doch die?
Sie sagten:
Die waren voll von Schlechtigkeit
und gingen ohne Beicht und Buße hin. –

37
Da sah er einen Mann auf einem Feuerthrone sitzen,

und sie bedienten ihn von allen Seiten aus dem Feuer,
und seine Räte standen rings um ihn im Feuer.

38
Da fragte Esdras:

Wer ist doch der?
Die Engel sprachen:
Es war der Mensch durch lange Zeiten König
und hieß Herodes;
er war es, der die Kinder tötete
zu Bethlehem in Juda um des Herren willen.

39
Da sagte Esdras:

Gerecht hast du gerichtet, Herr. –

40
Er ging und sah in Fesseln Menschen,

und Höllenengel schlugen sie mit Dornen in die Augen.

41
Da fragte Esdras:

Wer sind doch die?
Die Engel sagten:
Sie haben falsche Wege Irrenden gezeigt.

42
Da sagte Esdras:

Sei gnädig, Herr, den Sündern!

[353]
43
Dann sah er Mädchen,

wie sie dem Tode nahe
mit Halseisen, fünfhundertpfündig, kamen.
Da fragte Esdras:
Wer sind doch die?

44
Die Engel sagten:

Die sind’s,
die vor der Hochzeit ihre Jungfrauschaft verloren.

45
Dann sah er eine Menge Greise auf dem Boden liegen,

und über sie ergoß sich glühend Blei und Eisen;
da fragte er:
Wer sind doch die?

46
Die Engel sprachen:

Dies sind die Lehrer des Gesetzes;
denn sie befleckten Taufe und Gesetz des Herrn,
weil sie mit Worten lehrten,
jedoch nicht also taten
und darin werden sie gerichtet.

47
Da sagte Esdras:

Sei gnädig, Herr, den Sündern!

48
Dann sah er gegen Westen einen Ofen,

von wunderbarer Größe, feuerglühend;
es wurden viele Könige und Fürsten dieser Welt darein geworfen.

49
Und viele Tausende von Armen klagten wider sie und riefen:

Die sind es, die durch ihre Macht uns drückten
und unsere Kinder in die Sklaverei verschleppten.

50
Dann sah er einen andern Ofen

von Pech und Schwefel brennen;
in diesen wurden Söhne eingeworfen,
die gegen Eltern ihre Hand erhoben
und die mit ihrem Munde sie beleidigt haben.

51
An einem äußerst finstern Orte sah er einen andern Ofen glühen;

in diesen wurden viele Weiber eingeworfen;
da fragte er:
Wer sind doch die?

52
Die Engel sagten:

Die sind’s, die Kinder ehebrecherisch gebaren
und diese töteten.

53
Und diese Kleinen selber klagten wider sie und sprachen:

Die Seelen, die du uns gegeben, Herr,
die haben jene uns genommen.

54
Er fragte:

Wer sind nun diese?
Die Engel sagten:
Die sind’s, die ihre Kinder töteten.

55
Da sagte Esdras:

Sei gnädig, Herr, den Sündern!

56
Da kamen Michael und Gabriel
[354]

und sagten ihm:
Komm in den Himmel!

57
Da sagte Esdras:

Beim Leben meines Herrn!
Ich komme nicht,
bevor ich nicht der Sünder Qualen all geschaut.

58
Da führten sie ihn in die Hölle

auf vierzig Stufen;
da sah er Löwen
und Hunde um die Feuerflamme liegen;
doch die Gerechten schritten durch sie hin
und gingen in das Paradies hinüber.

59
So sah er viele Tausende Gerechter,

und allzeit waren ihre Wohnungen gar herrlich.

60
Nachdem er dies geschaut,

ward er zum Himmel hin entrückt
und eine Menge Engel kam;
sie sagten ihm:
Bitt für die Sünder doch den Herrn!
Dann setzten sie ihn vor des Herren Antlitz nieder.

61
Er sprach:

Sei gnädig, Herr, den Sündern!
Es sprach der Herr:
Nach ihren Werken sollen sie empfangen, Esdras.

62
Da sagte Esdras:

Du handelst an den Tieren milder als an uns,
ach Herr.
Sie nähren sich von Kräutern;
doch singen niemals sie dein Lob;
sie sterben hin und haben keine Sünde;
uns aber peinigst du im Leben und im Tod.

63
Da sprach der Herr:

Ich schuf nach meinem Bild die Menschen, Esdras,
und ich befahl, sie sollten keine Sünde tun,
und dennoch haben sie gesündigt;
deshalb sind sie in Peinen.

64
Die Auserwählten aber gehen in die ewige Ruhe

durch Beicht und Reue und durch reichlich Almosen.

65
Da sagte Esdras:

Was sollen die Gerechten tun, o Herr,
daß sie nicht zum Gerichte kommen?

66
Da sprach zu ihm der Herr:

Der Knecht, der gut an seinem Herrn gehandelt,
empfängt die Freiheit.
So kommen auch Gerechte in das Himmelreich.
Amen.


Erläuterungen

[1291]
28. Zum Gesicht des Esdras

Das „Gesicht des Esdras“ bildet mit den Apokalypsen des Sedrach und des Esdras eine Gruppe, die mit 4 Esdras zusammenhängt. Charakteristisch ist die Fürsprache für die Sünder (11 u. a.). Die Bezeichnung der Gerechten als „Stärkste“ im „Gesicht des Esdras“ (4) weist auf essenischen Ursprung, vgl. Epiphanius Adv. haer. 1, 19 pg. 39: „Der Name der Ossener bedeutet die Stärksten“. Dafür spricht auch die Betonung des Almosengebens (26, 31, 64) und der Jungfräulichkeit (44). Ein christlicher Einschub liegt in der Herodesszene (37–39) vor. Er kennzeichnet sich durch das Fehlen der Fürsprache für die Sünder; dafür betont er die Gerechtigkeit der Strafe (39 aus Ps 119, 137). (G. Mercati, Note di letteratura biblica e chistiana antica 1901 [Studi e Testi 5], 61 ff.

4 Die „Stärksten“ Bezeichnung der Essener bei Epiphanius. 9 „am Sonntag“ steht im Manuskript über der Linie, späterer Einschub. 19 Verderbter Text, nach Apok. Esdr. 4, 22 zu lesen „und er sah Menschen an den Wimpern aufgehängt“; und „Weiber“ ist zu streichen. 27 s. Apok. Esdr. 4, 13. 34 s. Apok. Esdr. 4, 9. 37 s. Apok. Esdr. 4, 13. 62 s. Apok. Esdr. 1, 22, Sedrach 4.