Textdaten
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Autor:
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Titel: Geselliges Leben in Spanien
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 93. S. 369–370.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum: 1828
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft: Gazeta de Madrid
Quelle: Scans bei Commons
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Geselliges Leben in Spanien.


Wie vor Napoleon’s Herrschaft Italien, so ist jetzt Spanien das Land der gewaltigen Leidenschaften und der großen Verbrechen. Die gräßlichsten Criminalfälle, welche die Phantasie unserer Novellenschreiber nur sich erdenken kann, bieten hier nicht selten den Stoff zu den Verhandlungen der Gerichtshöfe. Wir theilen von mehreren, die zu unserer Kenntniß gekommen sind, unsern Lesern nur zwei aus der neuesten Zeit mit, die uns charakteristisch für den sittlichen und geselligen Zustand des Landes zu seyn schienen.

In der Stadt San Felipe de Jativa, im Königreich Valencia, lebte Donna Feliciana Belmonte, eine junge und schöne Wittwe, zu deren Tugenden indeß die der Treue und Beständigkeit nicht gehörte; denn nicht zufrieden mit der Aufmerksamkeit eines treuen Liebhabers in der Person von Don Carlos, einem Offizier auf halbem Sold, lieh sie zu gleicher Zeit auch den Versprechungen oder Schmeicheleien eines seiner Cameraden, Don Francesco, ein nur zu williges Ohr. Am 15ten October 1826 begegneten sich die beiden Nebenbuhler, die bereits eifersüchtig auf einander waren, im Hause der Donna Feliciana. Sie versuchte die Rolle der Unbefangenen zu spielen und beide durch die Gleichgültigkeit, die sie annahm, zu täuschen. Da aber im Lauf der Unterhaltung Don Carlos der Dame etwas in das Ohr zischelte, so konnte Francesko sich nicht länger halten; es kam zu einem Streit, der dahin führte, daß beide Parteien die Wittwe baten, offen zwischen ihnen zu entscheiden, und zu erklären, welchen sie vorzöge. Sie verweigerte dieß zu thun, und es kam daher zu einem Duell zwischen den beiden Nebenbuhlern. Als sie des andern Morgens zu der verabredeten Stunde sich trafen, wandte sich Don Carlos, gegen die sonstige Gewohnheit in Ehrensachen, an seinen Gegner und sagte: „Ehe wir uns schlagen, glaube ich erklären zu müssen, daß ich überzeugt bin, wir sind beide die Narren eines koketten und falschen Weibes gewesen. Ich wünsche, daß unsere Secundanten herantreten und ein Gelübde hören, das ich abzulegen entschlossen bin, und welches nach den Umständen das Todesurtheil für einen von uns werden kann.“

Die Secundaten näherten sich, und Don Carlos fuhr fort: „Ich schwöre hier feierlich, daß wenn es mein Schicksal seyn sollte, Don Francesco in diesem Zweikampf zu tödten, Donna Feliciana von meiner Hand und durch dieselbe Waffe, die ihm den Tod gebracht hat, sterben soll.“

Don Francesco, hingerissen von dem Beispiel seines Cameraden, leistete denselben Schwur; vergebens bemühten sich die Secundaten, sie zu versöhnen. Der Zweikampf begann, und Don Francesco fiel. Don Carlos ergriff die Flucht, da nach den Gesetzen von Spanien sein Leben verwirkt war. Ein Jahr verging, ohne daß man das geringste von ihm vernahm; aber am 16 October 1827, dem Jahrestage des unglücklichen Duells, trat Don Carlos in das Haus der Donna Feliciana, und in dem Moment, wo er sie erblickte, stieß er ihr das Schwert, welches auch Don Francesco durchbohrt hatte, in das Herz. Mit der größten Fassung rief er darauf ihre Bedienten und erzählte, was er gethan habe. Es wurde nach den Gerichtsbeamten gesandt, denen er sich ruhig übergab. Wenige Tage darauf wurde ihm der Proceß gemacht; die Secundanten wurden verhört, und bestätigten vollkommen die Aussagen, die Don Carlos gemacht hatte. Er wurde des Mordes schuldig gefunden, und verurtheilt als Edelmann – durch die Garrota[1] zu sterben. Das Urtheil wurde, nachdem es durch die königliche Audiencia von Valencia bestätigt worden war, am 25 Nov. 1827 zur Vollziehung gebracht. Den Abend vor der Hinrichtung wurden die vier Secundanten verhaftet, um als Theilnehmer an dem Duell, nach den Gesetzen gerichtet zu werden.

Ein anderer Criminalfall, den eine der neuesten Numern der Gazeta de Madrid enthält, ist folgender:

Juan Santos, ein Gärtner in der Stadt Colmenar de Vigo, wenige Meilen von Madrid, war zu arm eine Familie von sieben Kindern zu erhalten, und gab deshalb die vier ältesten bei benachbarten Pächtern in Dienst. Seine Tochter Hilaria, ein schönes Mädchen von 18 Jahren, wurde Magd in dem Hause von Don Jago Tinerez, einem reichen Pächter zu Navalcarnen. Hilaria, obwohl sie sich in jeder andern Beziehung zur Zufriedenheit ihrer Herrschaft betrug, wurde zu ihrem Unglück durch die Noth ihres Vaters zuweilen versucht, Lebensmittel und andere [370] Gegenstände zu entwenden, doch immer in so geringer Quantität, daß die Familie, bei der sie diente, ihren Verlust gar nicht bemerkte. Zu Ostern des vergangenen Jahres entdeckte sie diese Diebstähle ihrem Beichtvater, dem Pfarrer des Dorfes. Dieser, durch die Reize der Reuigen zu unreiner Begierde entflammt, verweigerte ihr die Absolution und gab ihr zur Buße auf, acht Tage lang jeden Abend zum Angelus die Kirche zu besuchen und ihren Rosenkranz aufzusagen; nach Verlauf dieser Zeit sollte sie wieder zu ihm kommen, und wenn er sie dann in einer geeigneten Stimmung fände, wolle er ihr die Lossprechung ertheilen. Zu der bestimmten Zeit erschien sie, nach dem Angelus, in der Sacristei, um den Pfarrer zu sprechen; es wurde ihr aber gesagt, er sey in seinem Zimmer, wohin sie ihm folgte. Der Pfarrer wollte, nachdem er ihr die Absolution ertheilt hatte, die Gelegenheit benutzen, küßte sie, und würde sich noch weiterer Freiheiten erlaubt haben, wenn sie sich nicht gesträubt und um Hülfe zu rufen gedroht hätte; worauf er von seinem schändlichen Vorhaben abstand und sagte: „Zittere, Elende! Wenn du dich unterstehst, ein Wort von dem zu sagen, was vorgefallen ist, so soll meine Rache schrecklich seyn!“ Hilaria kehrte in das Haus ihres Herrn zurück, und beobachtete das Stillschweigen, das ihr auferlegt worden war. Der Pfarrer aber, entweder aus Furcht, daß sie seine Nichtswürdigkeit entdecken könne, oder aus Rachsucht, ließ Don Jago, den Herren Hilaria’s, zu sich kommen, und verrieth diesem, was Hilaria ihm unter dem Siegel der Beichte bekannt hatte. Des nächsten Tages ging Don Jago, von einem Notar und von Hilaria begleitet, zu dem Hause ihres Vaters, und sagte zu diesem: „Hier bringe ich euch eure Tochter zurück, weil sie eine Diebin ist; aber ihr seyd noch viel schlechter, als sie, da ihr sie zu einem solchen Betragen ermuntert habt.“ Der Vater blieb still; aber die Tochter rief aus: „Mein unglücklicher Vater ist unschuldig; ich allein bin schuldig und verdiene, gestraft zu werden.“ Beide, Vater und Tochter, wurden indessen vor Gericht gezogen; der erste wurde zu zehn Jahr Zwangsarbeit, die letztere zu einer gleichen Anzahl Jahre Gefängniß verurtheilt. Kurze Zeit darauf entkam Hilaria aus dem Gefängniß und floh in das Haus ihres Herrn Jago. Sie warf sich ihm zu Füßen und flehte um seinen Schutz. Dieser, der den harten Schritt bereits bereute, zu dem er sich durch die Eingebungen des Pfarrers hatte verleiten lassen, gewährte ihr ihre Bitte, und hielt sie in seinem Hause verborgen. Aber Hilaria, überzeugt, daß der Pfarrer ihre Beichte verrathen, und dadurch sie selbst und ihren Vater in’s Verderben gestürzt hatte, sann auf Rache. Am 7 Juli ging sie in der Dunkelheit des Abends zu seinem Hause. Sie warf sich ihm zu Füßen und bat ihn, sie zu beschützen, wogegen sie ihm gern zu Willen seyn wolle. Er führte sie sogleich in sein Gemach; aber kaum war Hilaria mit ihm allein, als sie ein Messer aus dem Busen zog, und ihm ins Herz stieß. Als sie im Begriff war, das Haus zu verlassen, begegnete ihr der Vicarius und der Sacristan, die aus ihrer Blässe und ihren wilden Blicken Verdacht schöpften, und sie zwangen, mit ihnen in das Zimmer des Pfarrers zurück zu kehren, wo dieser als Leichnam gefunden wurde. Vor Gericht gestand Hilaria offen die That, die sie begangen hatte und erzählte alle Umstände, welche derselben vorangegangen waren. Don Jago bestätigte ihre Aussage in Bezug auf den Verrath des Beichtgeheimnisses von Seite des Pfarrers. Hilaria ward schuldig befunden und zum Tode durch die Garrota verurtheilt. Die Vollziehung dieses Urtheiles, die am 29 August v. J. statt finden sollte, wurde indessen verschoben. Es war dem unglücklichen Vater erlaubt worden, nach Madrid zu gehen, wo er sich dem Könige zu Füßen war und eine Bittschrift um Gnade für seine Tochter überreichte. Er erhielt einen Aufschub der Vollstreckung des Urtheils, bis der König über das Schicksal der Gefangenen entschieden hätte; aber man fürchtet, daß die Geistlichkeit Einfluß genug auf den Willen des Fürsten haben werde, um die Begnadigung zu hintertreiben.


  1. Ein eisernes Halsband, das dem Verurtheilten umgelegt und dann durch eine Schraube zusammengepreßt wird, bis er erwürgt ist. Dieß ist in Spanien die gewöhnliche Todesstrafe für Verbrecher von adeligem Stande, oder aus dem weiblichen Geschlecht.