Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/Zweiter Quartettmorgen

Erster Quartettmorgen Gesammelte Schriften über Musik und Musiker (1854) von Robert Schumann
Zweiter Quartett-Morgen
Dritter Quartettmorgen


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Zweiter Quartett-Morgen.
Quartette von C. Decker, C. G. Reißiger und L. Cherubini.


Vergleich’ ich die Gesichter manches die Gewandhaustreppen hinaufsteigenden und zitternden Musikers, der etwa ein Solo vorzutragen, mit denen meiner Quartettspieler, so schienen mir letztere um Vieles beneidenswerther, da unser Quartett zugleich sein eigenes Publicum ist, folglich nicht die geringste Angst zeigte, obwohl einem vor dem Fenster lauschenden Kinde und einer hereinschmetternden Nachtigall das Zuhören keinesweges gestört wurde. Mit ordentlicher Begeisterung stimmte man also schon, sich hierauf in ein neues aus Berlin gekommenes Quartett von Hrn. C. Decker[1] zu stürzen, das in der That passend genug für solche Simmung; durchaus abkühlender Natur nämlich. Was soll man über ein Werk sagen, in dem sich sicherlich Vorliebe für edlere Muster und Streben nach Tüchtigem ausspricht [252] und das dennoch so wenig wirkt, daß man einen Strauß um sein Talent beneiden möchte, der’s aus den Aermeln schüttelt und das Gold dafür in die Tasche. Soll man tadeln? den Componisten kränken, der sein Möglichstes gethan? Soll man loben, wo man sich gestehen muß, keine rechte Freude gehabt zu haben? Soll man von weiterem Componiren abrathen? Der Componist käme dann nicht weiter. Soll man ihm zureden, mehr zu schreiben? Er ist nicht reich genug und würde es handwerksmäßig treiben. So möchten wir denn Allen, die, ohne vom Genius beseelt zu sein, nun einmal componiren, ihren Eifer für die gute Sache der Kunst bethätigen wollen, den Rath geben, fleißig fort zu schreiben, aber mit der Bitte, nicht Alles auch drucken zu lassen. Noch eher gehörten die Irrthümer eines großen Talentes der Welt an, von denen man sogar lernen und nützen kann: bloße Studien aber, erste Besuche behalte man in seinen vier glücklichen Wänden. Studien im Quartettstyl möcht’ ich denn auch das Quartett dieses Componisten nennen. Manches geräth ihm: er hat den Styl, den Charakter der vierstimmigen Musik richtig erkannt; aber das Ganze ist trocken, skelettartig; es fehlt der Schwung, das Leben. Der Anfang des Quartetts ist gut und scharf gezeichnet und macht Hoffnungen; dabei bleibt es aber auch; schon das zweite Thema sticht ab und erscheint uns arm. Die Verarbeitung im Mittelsatz mit Umkehrung des Themas mag nicht getadelt werden, obwohl man ihr noch Mühsamkeit anmerkt, dagegen [253] der Rückgang in den Grundton leicht und glücklich gelingt, auch der Schluß des ersten Satzes nur zu loben ist. Man muß eben alles Gute noch heraussuchen. Das Adagio hat dieselbe Trockenheit; dahingegen wir im Scherzo mehr Lebenselemente, einzelne sehr artige Zusammenstellungen und Widerschläge antreffen, worauf sich das Trio, namentlich bei der Wiederholung sehr gut ausnimmt. Das Finale endlich hat dieselben Vorzüge und Mängel, die wir an den ersten Sätzen bemerkten, scheinbar auch etwas mehr Leben, was die raschere Bewegung mit sich bringt, und ebenfalls gute Einzelnheiten, nichts aber, was uns inniger stimmte, was uns rührte, oder freudiger machte. Verstand und guter Wille behalten die Oberhand; das Herz geht leer aus. Wie nun aber jeder junge Componist, der sich in einer der schwierigsten Gattungen versucht, mit Auszeichnung zu behandeln, so können wir ihm auch diese keineswegs versagen, und so schreibe er muthig weiter und ergehe sich vielleicht vorher einmal in Jahr im schönen Italien oder sonst wo, damit der Phantasie freudige Bilder zugeführt werden, damit, was jetzt nur Blätter und Zweige, später auch Blumen und Früchte trage.

Alsbald gelangten wir zu einer neuen Erscheinung in der musikalischen Literatur, zu einem Quartett vom Capellmeister Reißiger[2] und zwar dem ersten, das er edirt. Es erfreut und reizt schon, einen fertig geglaubten, [254] in gewisse Formen eingeschriebenen Componisten etwas Anderes und Schwereres angreifen zu sehen. Man schafft nie frischer, als wo man eine Gattung zu cultiviren anfängt. Andererseits hat freilich jeder neue Versuch in einer vorher nicht geübten Form, und würde er auch von einem Meistertalent unternommen, seine Schwierigkeiten. So sehen wir Cherubini an der Symphonie scheitern, so hat selbst Beethoven, wie wir in den jüngst angezeigten Mittheilungen von Dr. Wegeler lesen, mehrmals zu seinem ersten Quartett ansetzen müssen, indem aus dem einen begonnenen ein Trio, aus dem andern ein Quintett entstanden. Und so wird uns auch Vieles in diesem Quartett von Reißiger (die häufige Achtelbegleitung in der zweiten Violine und Bratsche, gewisse Orchestersynkopen etc.) an den routinirten Gesangs- und Claviercomponisten gemahnen; was wir aber sonst an ihm Liebenswürdiges kennen, gibt er auch hier aus vollen Händen: runde Formen, lebhafte Rhythmen, wohlklingende Melodieen, zwischendurch freilich viel Oftgehörtes, Vieles, was an Spohr (gleich der Anfang), an Onslow (das Trio im Scherzo), an Beethoven (der Zwischensatz in E dur in der ersten Hälfte des ersten Satzes), an Mozart (der Cis moll-Satz im Adagio) und an Anderes erinnert. Einen großen Originalwerth mag ich demnach dem Quartett nicht beilegen, oder ihm ein langes Leben versprechen; es ist ein Quartett zur Unterhaltung guter Dilettanten, die noch vollauf zu thun haben, wo der Künstler vom Fach mit [255] einem Ueberblick schon die ganze Seite herunter gelesen; ein Quartett bei hellem Kerzenglanz unter schönen Frauen anzuhören, während wirkliche Beethovener die Thüre verschließen und in jedem einzelnen Tact schwelgen und saugen. Die einzelnen Sätze aufzuführen, so möchte ich dem Scherzo den Vorzug geben, namentlich dem 5ten bis 8ten Tact im Trio; ihm zunächst dem ersten Satz, wenn er eine sich’s weniger bequem machende Form und einen weniger matten Schluß hätte. Das Adagio scheint mir zu flach zu seiner Breite. Das Rondo ist aber durchaus gewöhnlich; so würde z.B. Auber auch Quartette machen.

Wir schlossen mit dem ersten der schon seit geraumer Zeit erschienenen Quartette von Cherubini,[3] über die sich selbst unter guten Musikern Meinungszwiespalt erhoben. Er betrifft wohl nicht die Frage, ob diese Arbeiten von einem Meister der Kunst herrühren, worüber kein Zweifel aufkommen kann, sondern ob das der rechte Quartettstyl, den wir lieben, den wir als mustergültig anerkannt haben. Man hat sich einmal an die Art der drei bekannten deutschen Meister gewöhnt, und in gerechter Anerkennung auch Onslow und zuletzt Mendelssohn, als die Spuren Jener weiter verfolgend, in den Kreis aufgenommen. Jetzt kömmt nun Cherubini, ein in der höchsten Kunstaristokratie und in seinen eigenen Kunstansichten ergrauter Künstler, er, der noch jetzt im [256] höchsten Alter als Harmoniker der Mitwelt der überlegenste, der feine, gelehrte, interessante Italiäner, dem in seiner strengen Abgeschlossenheit und Charakterstärke ich manchmal Dante vergleichen möchte. Gesteh’ ich, daß auch mich, als ich dieses Quartett zum erstenmal hörte, namentlich nach den zwei ersten Sätzen ein großes Unbehagen überfiel; das war nicht das Erwartete; Vieles schien mir opernmäßig, überladen, Anderes wieder kleinlich, leer und eigensinnig; es mochte bei mir die Ungeduld der Jugend sein, die den Sinn in den oft wunderlichen Reden des Greises nicht gleich zu deuten wußte; denn andererseits spürte ich freilich den gebietenden Meister, und zwar bis in die Fußspitzen hinab. Dann folgten aber das Scherzo mit seinem schwärmerischen spanischen Thema, das außerordentliche Trio, und zuletzt das Finale, das wie ein Diamant, wie man es wendet, nach allen Seiten Funken wirft, und nun war kein Zweifel, wer das Quartett geschrieben und ob es seines Meisters würdig. Gewiß wird es Vielen wie mir ergehen; man muß sich mit dem besondern Geiste dieses, seines Quartettstyles erst befreunden; es ist nicht die trauliche Muttersprache, in der wir angeredet werden, es ist ein vornehmer Ausländer, der zu uns spricht: je mehr wir ihn verstehen lernen, je höher wir ihn achten müssen. Diese Andeutungen, die nur einen schwachen Begriff von der Eigenthümlichkeit dieses Werkes geben, mögen deutsche Quartettzirkel aufmerksam machen. Zum Vortrag gehört Viel, gehören Künstler. [257] In einem Anfalle von Redacteur-Uebermuth wünschte ich mir Baillot (an den Cherubini hauptsächlich gedacht zu haben scheint) an die erste, Lipinski an die zweite Violine, Mendelssohn an die Bratsche (sein Hauptinstrument, Orgel und Clavier ausgenommen) und Max Bohrer oder Fritz Kummer an das Violoncell. Indeß dankte ich’s noch freundlich genug meinen Quartettisten, die zum Schluß baldigst wiederzukommen und sich wie mich mit den andern Quartetten Cherubini’s bekannt zu machen unter sich beschlossen, wo dann der neue Leser neue Mittheilungen zu erwarten hat. –




  1. Werk 14.
  2. Werk 111.
  3. Nro. 1 (Es dur).
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